Archiv für den Monat: Juli 2011

Der „Schlafapnoiker“ im Straßenverkehr

Gegenstand des Strafverfahrens ist ein Verkehrsunfall, bei dem der Beschuldigte und die Staatsanwaltschaft/das AG darüber streiten, aus welchen Gründen es „gekracht“ hat. War der Beschuldigte übermüdet, ja oder nein. Die Antwort hat für das Verfahren entscheidende Bedeutung, denn, wenn man sie bejaht, liegt die Anwendung des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b StGB nahe. Davon waren die StA und das AG aufgrund des Unfallgeschehens, „nämlich ein langsames Abkommen des Angeschuldigten von der Fahrbahn nach links über die Gegenfahrbahn“ ausgegangen.

Der Beschuldigte hatte sich gegen die auf der Grundlage erfolgte vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gewendet. Das LG hat ihm in der Beschwerde Recht gegeben. Nicht jede Ermüdung eines Kraftfahrer führe zu  Bejahung der Tatbestandsvoraussetzung des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b StGB. Zu verlangen sei vielmehr ein solcher Übermüdungszustand, der für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahenden Sekundenschlafes mit sich bringe.

Zudem hat sich das LG auch noch mit dem Umstand auseinander gesetzt, dass der Beschuldigte ggf. Schlafapnoiker ist – jedenfalls war das geltend gemacht. Das führt das LG aus, dass auch allein mit dem Umstand, dass der Kraftfahrer „Schlafapnoiker“ sei, nicht die Annahme der Ungeeignetheit i.S. von §§ 111a, 69 StGB begründen werden könne.

Nachzulesen in LG Traunstein, Beschl. v. 08.07.2011 -1 Qs 226/11.

Watschen für die Strafkammer und den Verteidiger – 5. Strafsenat des BGH macht seinem Unmut Luft

Wie macht ein Strafsenat des BGH seinen Unmut gegenüber einer Strafkammer und einem Verteidiger Luft? Wer es wissen will, der lese BGH, Beschl. v. 22.06.2011 – 5 StR 226/11, in dem der 5. Strafsenat die Vorgehensweise m.E. sehr deutlich macht.

In der Sache ging es um die Verurteilung eines Angeklagten wegen schweren Raubes. Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren in seiner verantwortlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren geltend gemacht, er leide an Schizophrenie und benötige Medikamente. Damit stand eine Maßregel nach § 63 StGB im Raum. Zu deren Anordnung ist es aber nicht gekommen, wohl aufgrund der getroffenen Verständigung (§ 257c StPO). Der BGH hat diese Vorgehensweise der Strafkammer – der Angeklagte hatte die Aufklärungsrüge erhoben – mit m.E. harschen Worten kritisiert. Es heißt im Beschluss:

Die Aufklärungsrüge ist offensichtlich begründet. Die Strafkammer war nach der letztgenannten Vorschrift wegen der zweifelhaften Schuldfähigkeit des Angeklagten und einer im Raum stehenden Maßregel nach § 63 StGB an einer Verständigung – nicht anders als auch die Staatsanwaltschaft – gehindert. Es musste sich ihr aufgrund der eigenen, in die Anklageschrift aufgenommenen Hinweise des Angeklagten auf eine schwere psychische Erkrankung aufdrängen, ihn zur Frage der Schuldfähigkeit begutachten zu lassen. Dass das Tatbild der dem Angeklagten zur Last gelegten Verbrechen auf den ersten Blick eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit nicht nahelegt, ändert hieran angesichts des begründeten massiven Krankheitsverdachts nichts.
Die Rüge muss angesichts der alleinigen Beweisgrundlage des Geständnisses eines möglicherweise Geisteskranken zur umfassenden Aufhebung des angefochtenen Urteils führen.“

Und dem Verteidiger gibt der Senat mit auf den Weg:

Das neue Tatgericht wird zu erwägen haben, ob dem Angeklagten ein neuer Verteidiger zu bestellen ist, nachdem der bisherige sich auf die vom Gericht initiierte grob sachwidrige Verständigung eingelassen hat. Die Erwägung, dass der Verteidiger womöglich zum vermeintlich Besten seines Mandanten handeln wollte, indem er ihm einen unbefristeten Freiheitsentzug infolge einer Unterbringung nach § 63 StGB zu ersparen suchte, verbietet sich angesichts der jetzt durchgeführten Revision (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).“

Das letzte ist dann wohl: Venire contra factum proprium. „Grob sachwidrige Verständigung“ und der Rat zur Entpflichtung: Das ist schon was.

Falsa demonstratio, non nocet…

Der alte Spruch „falsa demonstratio, non nocet“, den wir alle zumindest noch aus dem Studium kennen, spielt – man ist ein wenig überrascht – auch im Strafverfahren eine Rolle. Und zwar in Zusammenhang mit dem Dauerbrenner: § 229 StPO und: Ist die durchgeführte Verhandlung eine Sachverhandlung, mit der die unterbrochene Hauptverhandlung fristgemäß fortgesetzt worden ist?

Was ist/war passiert? Ich zitiere aus BGH, Beschl. v. 22.06.2011 – 5 StR 190/11:

„Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 13. Oktober 2010 verlas die Vorsitzende der Jugendkammer ein ärztliches Attest, das der Zeugin M. L. bescheinigte, aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung nicht vor Gericht erscheinen zu können. Daraufhin traf die Vorsitzende folgende Verfügung:
„Weitere Termine zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung werden bestimmt auf:
Montag, den 01.11.2010, 9.00 Uhr (Schiebetermin)
Freitag, den 19.11.2010, 9.00 Uhr
Dienstag, den 23.11.2010, 9.00 Uhr
Die Zeugin M. L. ist erneut zu laden auf den 19.11.2010, 9.00 Uhr.“
Am 1. November 2010 wurde in der Zeit von 9.02 Uhr bis 9.05 Uhr die Hauptverhandlung fortgesetzt. Es wurde der den Angeklagten betreffende Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen, der keinen Eintrag enthielt.

Aufgrund der Bezeichnung „Schiebetermin“ und der nur dreiminütigen Hauptverhandlung am 01.11.2010 kann man ja schon auf die Idee kommen, es liege eine Verletzung des § 229 StPO vor. So auch der Angeklagte, der das dann auch mit der Verfahrensrüge gerügt hat. Allerdings: Gereicht hat es nicht, wohl weil er den Inhalt des Hauptverhandlungstermins übersehen hatte. Dazu der BGH:

„b) Bei dieser Verfahrensgestaltung hat am dritten Tag der Hauptverhandlung eine Sachverhandlung stattgefunden. Eine solche liegt vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachver-haltsaufklärung betrifft (BGH, Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08, BGHR StPO Sachverhandlung 9 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11). Dies ist hier der Fall. Das Landgericht hat den Beweisstoff um den für den Rechtsfolgenausspruch relevanten Umstand erweitert, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077). Aus der von der Vorsitzenden am 13. Oktober 2010 vorgenommenen Qualifizierung der für den 1. November 2010 vorgesehenen Hauptverhandlung als „Schiebetermin“ folgt nichts Gegenteiliges. Diese Bewertung war – weil der Inhalt der Hauptverhandlung vom 1. November 2010 offen geblieben ist – nur vorläufiger Natur und konnte im Blick auf die erfolgte Sachverhandlung keinerlei Bedeutung erlangen (anders der dem Beschluss des 3. Strafsenats vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 zugrunde liegende Sachverhalt).“

Nun: So ganz viel anders ist es in dem Beschluss nicht. Da war es allerdings so, dass der Vorsitzende in einem (weiteren) Schreiben ausdrücklich den Termin als Schiebetermin bezeichnet hatte und die Hauptverhandlung an sich auch schon beendet war. Dazu heißt es im Beschl. des BGH in 3 StR 61/11:

„Der Vorsitzende hat in jenem Schreiben explizit zum Ausdruck gebracht, dass aufgrund der Erkrankung der Schöffin am 18. August 2010 nur ein ‚kurzer Termin im Klinikum‘ stattfinden soll, um das Verfahren ’nicht platzen zu lassen‘ (RB S. 13). Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Revision sollten in dem ursprünglich auf den Vormittag desselben Tages anberaumten Fortsetzungstermin dagegen nur noch die Schlussvorträge der Verteidiger der beiden Angeklagten sowie die Urteilsberatung und -verkündung erfolgen, nachdem die Beweisaufnahme bereits im Termin vom 28. Juli 2010 geschlossen worden war und die Staatsanwaltschaft ihren Schlussvortrag gehalten hatte (RB S. 12).“

Wenn ich den Maßstab bei 5 StR 190/11 anlege, sehe ich den Unterschied nicht so richtig. Aber ich bin ja auch nicht beim BGH.

Lesetipp: „Dauerbrenner (Akten)Einsicht in Messunterlagen im OWi-Verfahren“ aus VRR 2011, 250

In der Reihe der Lesetipps heute ein Hinweis auf meinen Beitrag aus VRR 2011, 250 – „Dauerbrenner (Akten)Einsicht in Messunterlagen im OWi-Verfahren„, der im Volltext auf meiner HP steht. Er enthält eine Zusammenstellung der Rechtsprechung zur Akteneinsicht aus der Bußgeldverfahren aus der letzten Zeit und einige Hinweise, wie man sich m.E. in der Praxis verhalten kann/sollte. Vielleicht hilft es ja an der ein oder anderen Stelle.

Nochmals: Augsburger Puppenkiste… Schlusspunkt (?) im Verfahren ./. RA Lucas in Augsburg

Lang, lang ist es her, dass wir hier über das Verfahren gegen RA Lucas berichtet haben, das am 01.04.2011 mit einem Freispruch vom Vorwurf der Strafvereitelung geendet hat.

Inzwischen liegt das schriftliche begründete Urteil vor. Wer Lust hat, kann es hier nachlesen. Damit ist dann der Schlusspunkt gesetzt.