Archiv für den Monat: Mai 2010

Anschlusserklärung des minderjährigen Nebenklägers unwirksam

Für diejenigen, die häufiger Nebenkläger vertreten, ist die Entscheidung des KG v. 22.03.2010 – 4 Ws 6/101 – von Bedeutung.

Das KG hat noch einmal darauf hingewiesen, dass die Anschlusserklärung eines minderjährigen Verletzten nach § 396 StPO nur wirksam ist, wenn der Personensorgeberechtigte ihn bei dieser Prozesserklärung vertritt oder der Erklärung des Minderjährigen zustimmt. Das KG untersucht dann zwar die Nebenklagevorschriften darauf, ob sie eine Auslegung dahingehend zulassen, dass ein minderjähriger Nebenklageberechtigter mit Vollendung des 14. Lebensjahres (prozessual) handlungsfähig ist und ohne Zustimmung seines Personensorgeberechtigten wirksam den Nebenklageanschluss erklären kann – Letztlich entscheidet es sich aber gegen eine solche Auslegung. Ihr stehe entgegen, dass damit ein Wertungswiderspruch zum materiellen Recht entstünde.

Immer wieder die Gretchen-Frage nach Poliscan: Bist du standardisiert?

Nachdem in den letzten Monaten schon das OLG Düsseldorf und das KG Berlin kurz und bündig das Messverfahren „Poliscan“ zum standardisierten Messverfahren befördert haben, nun auch das OLG Frankfurt. Das konnte es sich in seinem Beschl. v. 21.04.2010 – 2 Ss-OWi 236/10 noch einfacher machen und brauchte nur zu schreiben: Seht, die anderen machen es auch. 🙂

NRW will die Blutprobe für Alkoholsünder abschaffen – Initiative auf der heutigen IMK

Heute morgen sind die Zeitungen – vor allem in NRW, z.B. hier – voll von der Meldung des gestrigen Tages: NRW will die Blutprobe für Alkoholsünder abschaffen. In den Meldungen heißt es weitgehend wortgleich:

Nach dem Willen von Innenminister Ingo Wolf (FDP) sollen Autofahrer künftig auch bei mehr als 1,1 Promille Blutalkohol nur noch „pusten“ müssen, berichtet die in Hagen erscheinende WESTFALENPOST (Donnerstagsausgabe) `Die Messung des Alkoholgehaltes durch die Analyse des Atems ist auch bei höheren Promillewerten so präzise wie bei einer Blutuntersuchung“, sagte Wolf der WESTFALENPOST. Auf der heutigen Innenministerkonferenz in Hamburg will Wolf eine NRW-Initiative einbringen. Derzeit muss der Alkoholsünder bei Werten über 1,1 Promille auf die Polizeiwache. Dort wird nach richterlicher Anordnung ein Arzt hinzugezogen, der Blut entnimmt. Das Ergebnis der Blutuntersuchung liegt erst nach einigen Tagen vor. Bei Werten unter 1,1 Promille ist die Atemalkohol-Analyse ohne richterliche Anordnung schon heute beweissicher möglich. `Ein Blutprobe ist immer ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, der sich heute vermeiden lässt“, sagte Wolf. Angesichts moderner präziser Messverfahren sei die Atemanalyse in Alkoholverdachtsfällen als das `mildere Mittel zu wählen“, betonte Wolf. Damit erübrige sich auch das Erfordernis einer richterlichen Anordnung.“

Das ist also dann der nächste Versuch – zu früheren vgl. u.a. hier -,  die Gesetzeslage an die Praxis anzupassen. Was mich erstaunt ist das Wort „müssen“ in der o.a. Meldung. Denn bislang „musste“ niemand pusten, auch bei geringeren Werten nicht, sondern war/ist das „Pusten“ freiwillig, allerdings mit der Folge der Blutentnahme. Soll sich das jetzt ändern? Ich habe versucht, Näheres über die Initiative im Netz zu finden. Leider klappte das nicht. So muss man warten, was aus Hamburg kommt. Oder sonst woher.

Pflichtverteidiger muss sich kümmern – sonst fliegt er raus…ein neuer Pflichtverteidiger darf aber nichts kosten

Man hört es immer wieder: Der Rechtsanwalt wird als Pflichtverteidiger beigeordnet, dann kümmert er sich aber nicht um den Mandanten, der dringend auf die anwaltliche Hilfe angewiesen ist.

Das LG Osnabrück hat dazu jetzt in seinem Beschl. v. 18.05.2010 – 1 Qs 31/10 entschieden, dass ein solches Verhalten – der Pflichtverteidiger hatte 2 Wochen lang nach der Beiordnung keinen Kontakt zum inhaftierten Mandanten aufgenommen – der Erschütterung des Vertrauensverhältnisses gleich kommt und zur Entpflichtung des Pflichtverteidigers führt.

So weit, so gut. Aber: Falsch ist es m.E. die Beiordnung des neuen Pflichtverteidigers davon abhängig zu machen, dass „Mehrkosten hierdurch nicht entstehen dürfen“. Wieso das der Fall sein soll, hat das LG nicht begründet und lässt sich m.E. auch schlecht begründen. Warum dem neu beigeordneten Rechtsanwalt Grundgebühr und Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren nicht zustehen sollen, ist nicht ersichtlich. Er hat mit der „Schlechterfüllung“ des ersten Pflichtverteidigers gar nichts zu tun. Und der der Beschuldigte auch nicht. Also: Ggf. Schadensersatzanspruch gegen den ersten Pflichtverteidiger

Neue Kronzeugenregelung – was ist die günstigere Regelung? Der BGH nimmt Stellung…..

Es war zu erwarten, dass der BGH alsbald nach Inkrafttreten der „Kronzeugenregelung“ des § 46b StGB und der Neufassung des § 31 BtMG am 01.09.2009 zur Frage würde Stellung nehmen müssen, ob und wie die (Neu)Regelungen über Art. 316d EGStGB hinaus Anwendung finden. Das hat der 3. Strafsenat in seinem Beschl. v. 18.03.2010 – 3 StR 65/10 jetzt getan. Im Beschluss heißt es:

Art. 316 d EGStGB bestimmt, dass § 46 b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Diese negativ formulierte Überleitungsvorschrift stellt eine – verfassungsrechtlich unbedenkliche (BVerfGE 81, 132, 136 f.; BGHSt 42, 113, 120; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 2 Rdn. 16) – Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) dar, die die Gerichte in bereits rechtshängigen Verfahren von der gegebenenfalls schwierigen Bewertung entbinden soll, ob die alte oder neue Fassung des § 31 BtMG nach den Umständen des konkreten Einzelfalls das mildere Gesetz sei (BT-Drucks. 16/6268 S. 17: etwa im Hinblick auf die Frage einer Milderung nach § 49 Abs. 1 oder 2 StGB oder eines Absehens von Strafe).

Sie bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften – und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46 b Abs. 3 StGB – ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB).

Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, nach der § 46 b Abs. 3 StGB i. V. m. § 31 Satz 2 BtMG nF auch dann Anwendung finden soll, wenn dies zur Versagung einer nach alter Rechtslage gegebenen Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG führt und damit eine für den Angeklagten nachteilige Änderung des zur Tatzeit geltenden materiellen Rechts darstellt, findet in der Gesetzesbegründung keine Stütze. Diese geht erkennbar nur von der Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) aus. Auch die dortige Formulierung, dass § 46 b StGB in Strafverfahren „anwendbar“ sei, in denen bei Inkrafttreten der Neuregelung am 1. September 2009 noch kein Eröffnungsbeschluss ergangen sei (BTDrucks. aaO), kann keinen Anwendungsautomatismus in Bezug auf die neuen Vorschriften begründen. Zwar wird die mit dem 43. StrÄndG eingeführte Kronzeugenregelung in Kriminalitätsbereichen, in denen es bislang keine entsprechenden bereichspezifischen Vorschriften gab, die mildere Regelung darstellen und daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in nach dem 1. September 2009 eröffneten Verfahren regelmäßig Anwendung finden. Dies ist jedoch in Bereichen, in denen schon bisher sog. „kleine Kronzeugenregelungen“ galten (§ 31 BtMG aF, § 261 Abs. 10 StGB aF), nicht der Fall. Hier ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die neue oder die alte Regelung der Rechtsfolgen einer Aufklärungs- bzw. Präventionshilfe in ihrer Gesamtheit die für den Angeklagten günstigere Gesetzeslage darstellt.

Einer Auslegung des Art. 316 d EGStGB dahin, dass in den ab dem 1. September 2009 eröffneten Verfahren stets § 31 BtMG nF anzuwenden ist, kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil dies eine Änderung der mit Verfassungsrang (Fischer, StGB 57. Aufl. § 2 Rdn. 2; Eser aaO Rdn. 1) versehe-nen Vorschrift des § 2 Abs. 1 StGB und damit einen Verstoß gegen das im Strafrecht absolut geltende Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) darstellen würde. Zu den vom Rückwirkungsverbot erfassten Normen gehören auch jene Regeln, die über die Art und Weise der Rechtsfolgen der Erfüllung eines Straf-tatbestandes entscheiden und damit auch die Vorschriften über die Strafzu-messung (vgl. BVerfGE 105, 135, 156 f.; Schulze-Fielitz in H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar 2. Aufl. Art. 103 Abs. 2 Rdn. 24). Dass § 31 BtMG tatbestandlich an das Nachtatverhalten und einen etwaigen Aufklärungserfolg anknüpft, mithin an Sachverhalte, die (teilweise) in die Zeit nach Inkrafttreten des 43. StrÄndG fallen, ändert daran nichts. Mit der gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit ist der gesamte sachliche Rechtszustand gemeint, von dem die Zulässigkeit und die Modalitäten der Ahndung einer Straftat abhängen (Fischer, aaO § 1 Rdn. 15Eser aaO § 2 Rdn. 20Rudolphi in SK-StGB § 2 Rdn. 8; Schmitz in MünchKomm-StGB § 2 Rdn. 10; Schulze-Fielitz aaO Rdn. 23 ff., 50).“

Eine für die Verteidigung interessante Entscheidung.