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Zeuge II: Kein Haftbefehl wegen Wiederholungsgefahr, oder: Auswirkungen des Zeugnisverweigerungsrecht

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt dann auch vom KG. Im KG, Beschl. v. 18.11.2022 – 3 Ws 300/22 – 121 AR 235/22 – geht es u.a. um die Frage, ob ein Haftbefehl nach § 112a Abs. 1 StPO auf Grundlage der Aussage eines Zeugen, der vom Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht hat, erlassen werden kann.

Dem Angeklagten wird in dem Verfahren der Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung seiner Ehefrau gemacht. Deswegen ist der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Das LG hat den Angeklagten aber vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde, in der sie beantragt, den Haftbefehl wieder in Vollzug zu setzen. Zur Begründung trägt sie vor, neben dem Haftgrund der Fluchtgefahr bestehe auch Wiederholungsgefahr im Sinne von § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 StPO, da gegen den Angeklagten bereits mehrere – allesamt eingestellte – Ermittlungsverfahren geführt worden seien, in denen die Geschädigte  den Angeklagten als von ständiger Eifersucht getrieben bezeichnet habe. Mit Blick auf die bereits langanhaltenden Gewalttätigkeiten vor der Inhaftierung und das Verhalten des Angeklagten unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln müsse davon ausgegangen werden, dass dieser nach seiner Entlassung bei Gelegenheit eines Konflikts erneut eine gleichartige Tat begehen werde.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Das KG bejaht die Voraussetzungen für die Anordnung der U-Haft, u.a. auch den Haftgrund der Fluchtgefahr, was man allerdings nicht weiter prüfen kann, da insoweit nur auf andere Beschlüsse Bezug genommen wird. Erscheint mit aber recht „sportlich“.

Zur Wiederholungsgefahr führt es dann aber noch aus:

„c) Zu Unrecht nimmt die Staatsanwaltschaft an, es liege zudem der (subsidiäre) Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 StPO vor, denn die dafür erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Zwar ist der Angeklagte auf der Grundlage des Urteils des Landgerichts – wie dargelegt – einer Katalogtat nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO – hier § 177 StGB – dringend verdächtig. Weitere Voraussetzung ist jedoch in Fällen, die § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO unterfallen, dass bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, der Beschuldigte werde vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen, und dass die Haft zur Abwendung dieser Gefahr erforderlich ist. Um die innere Neigung des Angeklagten zur Begehung weiterer – erheblicher – Straftaten feststellen zu können, bedarf es in aller Regel der (freibeweislichen) Feststellung äußerer Indiztatsachen, die einen entsprechenden Rückschluss mit der gebotenen Sicherheit zulassen (vgl. Lind a.a.O., § 112a Rdn. 55).

Es bedarf keiner Klärung durch den Senat, ob die von der Staatsanwaltschaft zitierten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (von denen keines zu einer Verurteilung des Angeklagten geführt hat) im Zusammenwirken mit der im hiesigen Verfahren abgeurteilten Tat den Schluss rechtfertigen, etwaig vom Angeklagten zu erwartende Straftaten überschritten die Erheblichkeitsgrenze des § 112a Abs. 1 Satz 1 StPO. Denn ohnehin lässt sich die Gefahr, der Angeklagte werde noch vor Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils weitere (vergleichbare) Taten begehen, nicht auf der Grundlage bestimmter Tatsachen tragfähig begründen. Die im Rahmen dessen durchzuführende Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens. Dabei sind auch Indiztatsachen zu berücksichtigen und zu würdigen, wie Vorstrafen des Angeklagten und die zeitlichen Abstände zwischen ihnen sowie seine Persönlichkeitsstruktur und Lebensumstände (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.Januar 2020 – 2 Ws 1/20 -, juris m.w.N.; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 11. Mai 2020 – 1 Ws 44/20 -, juris m.w.N.; Thür. OLG StV 2013, 773; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 112a Rdn. 14 m.w.N; Graf in KK-StPO 8. Aufl., § 112a Rdn. 19).

Eine hohe Wahrscheinlichkeit, der Angeklagte werde sein strafbares Verhalten fortsetzen, ist auf der Grundlage der vorliegenden Indiztatsachen nicht zu belegen.

aa) Der Angeklagte wurde in dem hiesigen Verfahren erstmalig verurteilt. Die von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdeschrift zum Beleg seiner Gefährlichkeit zitierten Verfahren wurden sämtlich eingestellt, die Verfahren zu den Geschäftszeichen 252 Js 1739/19, 3021 Js 6130/21 und 252 Js 1739/19 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO, das Verfahren zu 252 Js 4436/22 nach § 154 StPO im Hinblick auf das hiesige Verfahren. Aus ihnen lassen sich deshalb keine hinreichend sicheren Schlüsse ziehen, die künftige (vergleichbare) Straftaten des Angeklagten zu belegen geeignet sind. Unerheblich ist dabei, ob die Verfahren eingestellt worden sind, weil Tatzeugen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht haben, der Tatnachweis aus anderen Gründen nicht geführt werden konnte oder dies aus Gründen der Prozessökonomie geschehen ist.

bb) Soweit die Staatsanwaltschaft auf Verfahren Bezug nimmt, in denen die Geschädigte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch gemacht hat, tritt hinzu, dass ein Rückgriff auf polizeiliche oder staatsanwaltliche Vernehmungen von Zeugen, die hernach von ihrem Recht aus § 52 StPO Gebrauch gemacht haben, zur Folge hätte, dass der Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts, dem Zeugen einen Gewissenskonflikt zu ersparen und die Familienbande, die den Angeklagten mit dem Zeugen verknüpft, zu schonen (vgl. Bertheau/Ignor in Löwe-Rosenberg a.a.O., § 52 Rdn. 53 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 52 Rdn. 1 m.w.N.), und das daraus resultierende Verwertungsverbot (vgl. Bader in KK-StPO 8. Aufl., § 52 Rdn. 43a m.w.N.) ins Leere liefen. Das wäre nicht nur bei einer – anerkannt unzulässigen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdn. 23; Percic in MüKo-StPO, § 52 Rdn. 43a; Bader a.a.O.; alle m.w.N.) – Verwertung von vorangegangenen nicht richterlichen Vernehmungen im strengbeweislichen Verfahren in der Hauptverhandlung der Fall, sondern auch dann, wenn die Erkenntnisse aus einer solchen Vernehmung zur Begründung eines Haftbefehls freibeweislich herangezogen würden; das aus der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrecht resultierende Verwertungsverbot wäre in beiden Fällen gleichermaßen ausgehöhlt.

cc) Auch die dem Senat verfügbaren Erkenntnisse zu den persönlichen Lebensumständen des Angeklagten lassen keine hinreichend präzisen Schlüsse auf künftige vergleichbare Straftaten des Angeklagten zu, der ein Teilgeständnis abgelegt und sich ausweislich des Nichtabhilfevermerks bei der Geschädigten entschuldigt hat. Zugleich hat die Geschädigte in einem an den Angeklagten gerichteten Brief vom 7. August 2022 mitgeteilt, dass sie ihm verzeihe. Dies spricht gegen die Begehung künftiger Taten vergleichbarer Schwere. Ob und inwieweit das Verhalten des Angeklagten und der Geschädigten lediglich prozesstaktischer Natur gewesen ist, vermag der Senat nicht zu beurteilen….“

U-Haft III: Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: Invollzugsetzung des Haftbefehls nach neuen Taten

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Und dann habe ich noch folgende U-Haft-Entscheidung, nämlich den LG Würzburg, Beschl. v. 12.12.2022 – 1 Qs 192/22.

Es geht um einen Haftbefehl, der auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, also § 112a StPO, gestützt ist. Der ist außer Vollzug gesetzt worden. Der Angeklagte begeht dann neue Straftaten und es stellt sich die Frage der Invollzugsetzung (§ 116 Abs. 4 StPO).

Im Verfahren wird um diese Frage gestritten, die vom LG in einem umfangreich begründeten Beschluss – ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext – bejaht wird. Hier wegen des Umfangs der Begründung nur die Leitsätze, die lauten:

1. Eine auf den Haftgrund der „Wiederholungsgefahr“ gestützter Haftbefehl kann nach § 116 Abs. 4 StPO wieder in Vollzug gesetzt werden, wenn der Beschuldigte neue gleichartige Straftaten begeht und dadurch das in ihn gesetzte Vertrauen zerstört.

2. Die neuen Taten müssen weder gegenüber dem gleichen Geschädigten erfolgen, noch im gleichen Verfahren verfolgt werden. Stets ist aber zumindest ein dringender Tatverdacht erforderlich.

U-Haft II: Schwerkriminalität und Fluchtgefahr, oder: Ohne Haftgrund gibt es keinen Haftbefehl

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den LG Stuttgart, Beschl. v. 05.08.2022 – 14 Qs 21/22 -, den mir der Kollege Stehr aus Göppingen geschickt hat.

Am 19.04.2022 erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den zum damaligen Zeitpunkt auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten u.a. wegen der Vorwürfe der Vergewaltigung und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern Anklage beim AG Esslingen – Jugendschöffengericht als Jugendschutzgericht-. Nachdem der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts gegenüber der Staatsanwaltschaft Bedenken hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts geäußert hatte, nahm die Staatsanwaltschaft am 23.06.2022 die Anklage zurück und erhob nunmehr Anklage beim AG – Schöffengericht – Esslingen. Zugleich beantragte sie nun erstmals den Erlass eines Haftbefehls gegen den Angeschuldigten. Am 11.07.2022 hat das AG im Umfang der Anklageschrift einen auf die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität gestützten Haftbefehl erlassen. Der Beschuldigte habe im Falle einer Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe im nicht bewährungsfähigen Bereich zu rechnen. Soziale Bindungen oder andere Faktoren, welche dem in Ansehung der zu erwartenden Strafe bestehenden Fluchtanreiz entgegenwirken könnten, seien derzeit nicht bekannt. Ebenfalls sei in den dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten ein hohes Maß an krimineller Energie zu erkennen, da er über einen längeren Zeitraum hinweg verschiedene minderjährige Geschädigte über soziale Netzwerke kontaktiert und diese gezielt zur Ermöglichung sexueller Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen manipuliert haben solle. Ebenso lägen die Voraussetzungen von § 112 Abs. 3 StPO vor.

Nach der Festnahme des Angeschuldigten wird der Haftbefehl seit dem 19.7.2022 vollzogen. Die Haftbeschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg:

„Zwar ist der Beschwerdeführer der im angegriffenen Haftbefehl bezeichneten Taten dringend verdächtig. Es fehlt jedoch an einem Haftgrund im Sinne des § 112 Abs. 2 und Abs. 3 StPO.

Soweit sich die Anordnung der Untersuchungshaft auf den Haftgrund der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO stützt, geht dies fehl, da bereits die formellen Voraussetzungen der Vorschrift nicht gegeben sind. In Abs. 3 findet sich dem Wortlaut nach eine atypische Ermächtigung zur Anordnung der Untersuchungshaft in den dort abschließend aufgeführten Fällen von Katalogtaten der Schwerkriminalität ohne Hinzutreten eines Haftgrundes im Sinne von § 112 Abs. 2 StPO. Aufgrund des vom Gesetzgeber gewählten Enumerationsprinzips findet die Vorschrift hingegen keine Anwendung, wenn die Norm nicht ausdrücklich im Katalog des Abs. 3 enthalten ist (vgl. MüKoStPO/Böhm/Werner, 1. Aufl. 2014, StPO § 112 Rn. 88). So liegen die Dinge hier. Anknüpfungspunkt für die Charakterisierung als Katalogtat ist damit deren Bezeichnung nach Paragraph, Absatz, Nummer usw.. Nachdem die Vorschrift des § 176a Abs. 1 StGB in dieser abschließenden Aufzählung nicht enthalten ist, liegen bereits die formellen Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 StPO nicht vor, so dass auch die Frage nach der Identität des Regelungsgehalts von § 176a StGB a.F. und § 176c Abs. 1 StGB keiner Beantwortung mehr bedarf.

Ebenfalls besteht ein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO – auch unter Berücksichtigung der erheblichen Straferwartung – nicht. Denn allein die hohe Straferwartung vermag die Fluchtgefahr nicht begründen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 112 Rn. 24 m.w.N,). Daher ist die Straferwartung nur der Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass er die Annahme rechtfertigt, der Beschwerdeführer werde ihm nachgeben und wahrscheinlich flüchten. Entscheidend ist, ob bestimmte Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, ein Beschuldigter werde dem in der Straferwartung liegenden Fluchtanreiz nachgeben (OLG Hamm, Beschluss vom 19. Februar 2013 — 5 Ws 59/13). Die danach vorzunehmende Gesamtwürdigung ergibt, dass hier der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht anzunehmen ist: Der Beschwerdeführer verfügt über einen festen Wohnsitz und ist aufgrund seiner ausgeübten Erwerbstätigkeit sozial eingebunden. Er ist selbstständig und habe Haus und Hof. Beides sind Umstände, die mit einer längeren Abwesenheit des Beschwerdeführers nicht verträglich sind. Überdies würde er im Fall seiner Flucht oder seines Untertauchens seinen krebskranken Vater zurücklassen. Ferner hat er bereits seit Anfang Juli 2021 Kenntnis von den Tatvorwürfen im Raum Ulm (l. A. des Haftbefehls), wobei Vorkehrungen, die darauf schließen ließen, er werde sich dem Verfahren durch Flucht entziehen, nicht getroffen wurden. Auch ist davon auszugehen, dass der anwaltlich beratene Beschwerdeführer eine grobe Vorstellung über die Höhe der zu erwartenden Rechtsfolgen hat. Nach alledem überwiegt nach Auffassung der Kammer die Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte sich dem Verfahren stellen wird. Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist mithin nicht gegeben.

Schließlich ist die Anordnung der Untersuchungshaft auch nicht aufgrund von Wiederholungsgefahr gern. § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO geboten. Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet sein, die eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die Gefahr besteht, er werde gleichartige Taten wie die Anlasstaten bis zur rechtskräftigen Verurteilung in der den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache begehen (KK-StPO/Graf, 8. Aufl, 2019, StPO § 112a Rn. 19). Erforderlich ist eine innere Neigung oder wenigstens Bereitschaft der Begehung von Straftaten, auf welche vor allem aus äußeren Tatsachen geschlossen werden kann. Insoweit sind auch Indiztatsachen zu berücksichtigen und zu würdigen, wie etwa die Vorstrafen des Beschuldigten und die zeitlichen Abstände zwischen ihnen sowie die Persönlichkeitsstruktur und die aktuellen Lebensumstände des Beschuldigten (BeckOK StPO/Krauß, 43. Ed. 1.4.2022, StPO § 112a Rn. 13). Solche Indiz-tatsachen, die die erforderliche Wiederholungsgefahr zu begründen geeignet wären, sind vorliegend nicht vorhanden. Der Beschwerdeführer ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Ebenfalls liegen keine Hinweise auf weitere sexualstrafrechtliche Verfehlungen des Beschwerdeführers vor. Daher besteht die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht.“

Eine „schöne“ Entscheidung. Hinzuweisen ist insbesondere auf die Ausführungen zur „Schwerkriminalität“. Denn es wird oft übersehen, dass auf diesen Haftgrund nur in den in § 112 Abs. 3 StPO enumerativ aufgezählten Fällen abgestellt werden kann/darf. Zudem ist die Regelung darüber hinaus verfassungskonform auszulegen. Denn der Haftgrund der Schwerkriminalität ist (nur) dann gegeben, wenn der Beschuldigte einer in § 112 Abs. 3 genannten Straftat – ungeachtet des im Einzelfall zu erwartenden Strafmaßes – dringend verdächtig ist und Umstände vorliegen, welche die Gefahr begründen, dass ohne seine Festnahme die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte; ausreichend ist dabei schon die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunklungsgefahr (BVerfGE 19, 342, 350 f.; zuletzt BGH, Beschl. v. 13.7.2022 – StB 28/22 – m.w.N.).

Berichterstattung der StA über Anklageerhebung, oder: Richtiger Zeitpunkt und Wiederholungsgefahr

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, das VG Saarland, Urt. v. 12.05.2022 – 1 K 966/20 – hat nichts mit Verkehrsrecht zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Entscheidung im Nachgang zu einem Strafverfahren. Es geht nämlich um den Zeitpunkt von staatsanwaltlichen Pressemitteilungen, hier zu einer Anklageschrift, und zur Frage der Wiederholungsgefahr.

Gegenstand des Klageverfahrens ist die Beantwortung einer Presseanfrage durch eine Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren. Am 06.12.2019 erhob die Staatsanwaltschaft u. a. gegen den Kläger Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts A-Stadt wegen gemeinschaftlicher wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen in sieben Fällen jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechung (Az. 8 KLs 5 Js 135/14 (29/19)). Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft.

Am 04.12.2019 war dem Verteidiger/Klägervertreter umfassend (elektronisch) Einsicht in die mehrere tausend Blatt umfassenden Strafakten gewährt worden. Mit E-Mail vom 09.12.2019, einem Montag, um 12.28 Uhr fragte ein Journalist des Saarländischen Rundfunks beim  Pressedezernenten der Staatsanwaltschaft nach dem aktuellen Sachstand des gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahrens, so insbesondere, ob Anklage erhoben wurde, welche konkreten Vorwürfe gemacht werden und ob zwischenzeitlich eine Schadenssumme ermittelt werden konnte.

Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 14.16 Uhr informierte der Pressedezernent die Verteidiger des Klägers – u. a. den hiesigen Klägervertreter – wie folgt:

„[…] aufgrund einer vorliegenden Presseanfrage darf ich Sie gemäß Nr. 23 RiStBV darüber unterrichten, dass in der Sache 05 Js 135/14 – wie aus der Anlage ersichtlich – gegen Ihre Mandanten Anklage zum Landgericht A-Stadt erhoben wurde. Ich beabsichtige die vorliegende Presseanfrage in Kürze zu beantworten.“

Der E-Mail angefügt war die 51-seitige Anklageschrift als PDF, die dem Kläger oder seiner Verteidigung bis dato noch nicht zugegangen war.

Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 14.30 Uhr erklärte der vormalige Mitverteidiger des Klägers – dessen zweiter Sohn am Abend des 08.12.2019 geboren worden war und der sich am Nachmittag des 09.12.2019 im Stationszimmer seiner Ehefrau im Krankenhaus aufhielt – gegenüber dem Pressedezernenten, dem die vorgenannten Umstände nicht bekannt waren, dass er beabsichtige, im Laufe des Tages Stellung zu nehmen, und beantragte, bis dahin zuzuwarten.

Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 15.04 Uhr antwortete der Pressedezernent dem vormaligen Mitverteidiger, dass er die Presseanfrage um 15.30 Uhr beantworten werde. Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 15.45 Uhr antwortete der Pressedezernent dem Journalisten des Saarländischen Rundfunks u. a. wie folgt:

„[…] Mit Anklage vom 06.12.2019 wurden der 67-jährige deutsch-französische Staatsangehörige S., der 61-jährige französische Staatsangehörige L. sowie der 68-jährige deutsche Staatsangehörige H. wegen gemeinschaftlichen wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen in sieben Fällen jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechung (S.) bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (L. und H.) zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts A-Stadt angeklagt. […]“

Am 09.12.2019 um 19.34 Uhr teilte der Verteidiger dem Pressedezernenten per E-Mail Folgendes mit:

„[…] haben Sie verbindlichen Dank für die Mitteilung. Umgekehrt bin ich Ihnen dankbar für die Information, welche Presseanfrage auf welcher Grundlage Ihnen vorliegt. Meine Pflicht tue ich, darauf hinzuweisen, dass aus sicher gut nachvollziehbaren Gründen unser Mandant an einer identifizierenden Berichterstattung nicht interessiert ist […].“

Am 09.12.2019 um 19.54 Uhr war ein entsprechender Bericht auf der Homepage der „Saarbrücker Zeitung“ online. Um 20.00 Uhr antwortete der Pressedezernent dem Klägervertreter per E-Mail: „[…] ich bedaure Ihnen mitteilen zu müssen, dass eine Übersendung der Presseanfrage nicht der geübten Praxis der Staatsanwaltschaft A-Stadt entspricht. Die Beauskunftung erfolgte auf Grundlage des saarländischen Mediengesetzes. Gleichwohl kann ich Ihnen versichern, dass hiesige Behörde stets darauf achtet, eine angemessene Anonymisierung zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte vorzunehmen.“

Der Kläger/Angeklagte hat in Bezug auf die vorgenannte Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Feststellungsklage erhoben. Die hatte keinen Erfolg:

„Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist bereits unzulässig.

Sie ist zwar als Feststellungsklage statthaft i. S. d. § 43 Abs. 1 Halbsatz 1 VwGO, dem Kläger fehlt jedoch das erforderliche (allgemeine) Rechtsschutzbedürfnis. Er möchte – wie sich insbesondere aus seinem Antrag unzweifelhaft ergibt – festgestellt wissen, dass die Staatsanwaltschaft nicht berechtigt war, die benannte Presseerklärung vom 09.12.2019 zum streitgegenständlichen Zeitpunkt abzugeben. Das diesbezügliche Rechtsschutzbedürfnis ist jedoch entfallen, nachdem der Beklagte dem Begehren des Klägers insofern Rechnung getragen hat, als dass er jedenfalls mit Schriftsatz vom 03.05.2022 ausdrücklich zugestanden hat, „dass die Frist zwischen der Bekanntgabe der beabsichtigten proaktiven Presseerklärung an den Klägervertreter und deren anschließende Veröffentlichung, auch im Hinblick auf die Komplexität des Sachverhalts und den Inhalt und Umfang der Anklageschrift, zu knapp bemessen“ war. Nachdem der Beklagte damit selbst – und vom Klägervertreter mit Schriftsatz vom 06.05.2022 noch einmal ausdrücklich begrüßend – eingeräumt hat, dass die zeitliche Ausgestaltung der streitgegenständlichen Pressearbeit der Staatsanwalt rechtswidrig war, besteht für eine entsprechende gerichtliche Entscheidung kein Bedürfnis. Durch eine solche könnte die Rechtsstellung des Klägers nicht (mehr) verbessert werden (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 13.12.2021, 2 A 178/21, juris Rn. 39).

2. Darüber hinaus verfügt der Kläger auch nicht über das von § 43 Abs. 1 Halbsatz 2 VwGO vorausgesetzte berechtigte Interesse an einer baldigen Feststellung.

Für Rechtsverhältnisse, die sich – wie das vorliegend zu prüfende – auf einen vergangenen Zeitpunkt beziehen, bestimmt sich dieses berechtigte Feststellungsinteresse anhand der zur Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entwickelten Fallgruppen (BeckOK VwGO/Möstl, 59. Ed. (Stand: 01.10.2021), VwGO § 43 Rn. 25). Danach können insbesondere eine Wiederholungsgefahr, ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, ein Rehabilitationsinteresse und eine Präjudizwirkung für Staatshaftungsprozesse ein solches Interesse begründen (VG Regensburg, Urteil vom 23.07.2019, RO 4 K 17.1570, juris Rn. 27). Die gerichtliche Entscheidung muss dabei geeignet sein, die Position des Klägers zu verbessern; als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Übrigen (noch) vorliegen (siehe BVerwG, Urteil vom 16.05.2013, 8 C 14/12, juris Rn. 20, und Urteil vom 20.06.2013, 8 C 39/12, juris Rn. 19, zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Vorliegend lässt sich für den benannten Zeitpunkt jedoch mit keiner der benannten und fallbezogen allein in Betracht kommenden Fallgruppen ein berechtigtes Feststellungsinteresse begründen.

a) Der Kläger hat zunächst nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass er aufgrund bestehender Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung hat. Wiederholungsgefahr setzt die konkrete Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten rechtlichen und tatsächlichen Umständen eine vergleichbare Verwaltungsmaßnahme getroffen wird (BVerwG, Urteil vom 16.05.2013, 8 C 14/12, juris Rn. 21, und Urteil vom 20.06.2013, 8 C 39/12, juris Rn. 19 f.). Eine solche ist vorliegend nicht anzunehmen.

Zwar ist das der streitgegenständlichen Presseerklärung vom 09.12.2019 zugrundeliegende Strafverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, auch führt die Staatsanwaltschaft noch weitere Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und ist damit weiterhin potentiellen Presseanfragen ausgesetzt. Dennoch geht das Gericht nicht von einer konkreten Gefahr einer Wiederholung der beanstandeten Pressearbeit aus. Denn der Beklagte hat nachvollziehbar vorgetragen, die Staatsanwaltschaft habe den vorliegenden Fall zum Anlass genommen, ihre zuvor geübte Praxis zu ändern. Bereits seit etwa März 2020 würden Presseinformationen im Zusammenhang mit der Erhebung von Anklagen – sei es in Form der Beantwortung von Presseanfragen, sei es in Form proaktiver Presseerklärungen – frühestens vorgenommen, nachdem diese dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger – anders als im vorliegenden Fall – seit mindestens einem Werktag vorliegen. Hierüber werde der Verteidiger in Fällen, in denen die Übermittlung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft vor der gerichtlich angeordneten Zustellung erfolgt, mit dieser Übermittlung hingewiesen, so dass er in der Lage sei, Umstände geltend zu machen, die ein längeres Zuwarten erforderlich erscheinen lassen könnten. Diese geänderten Vorgaben stehen im Einklang mit Nr. 23 RiStBV i. V. m. § 5 SMG und sind nicht zu beanstanden – was auch der Kläger nicht in Abrede stellt.

Es bestehen des Weiteren keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft sich nicht an diese geänderten Vorgaben halten würde. Soweit der Kläger anführt, die Staatsanwaltschaft (oder Polizei) habe auch in anderen Strafverfahren und auch in einem früheren Stadium des der streitgegenständlichen Presseerklärung zugrundeliegenden, gegen ihn geführten Verfahrens gegen presserechtliche Vorgaben verstoßen, so betreffen diese Vorwürfe – unabhängig davon, ob sie zutreffen oder nicht – entweder nicht gänzlich den Kläger, stehen nicht im Zusammenhang mit einer Anklageerhebung oder liegen bereits länger als März 2020 zurück. Entgegen der Ansicht des Klägers lassen diese – von ihm angeführten – Einzelfälle jedenfalls nicht darauf schließen, die Staatsanwaltschaft würde (in vergleichbaren Fällen) presserechtliche Vorschriften grundsätzlich nicht hinreichend beachten, so dass auch hinsichtlich des Klägers eine Wiederholung der beanstandeten Pressearbeit konkret drohen würde. Soweit der Kläger im Übrigen behauptet, es ergäben sich – auch im Zusammenhang mit einem nichtöffentlichen Haftprüfungstermin des Klägers im Juli 2020 – Anhaltspunkte dafür, dass Informationen durch die Staatsanwaltschaft unzulässigerweise an die Presse „durchgestochen“ worden seien, so sind diese diesseits nicht ersichtlich. Die im durch den Kläger benannten Artikel der „Saarbrücker Zeitung“ über den Hauptverhandlungstermin vom 09.10.2020 zitierten Äußerungen der Staatsanwaltschaft gehen offensichtlich nicht auf eine entsprechende Presseauskunft zurück, sondern beruhen auf einer Schilderung der öffentlichen Hauptverhandlung. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem durch den Kläger vorgetragenen Umstand, dass der Generalbundesanwalt die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft noch im Rahmen des Revisionsverfahrens verteidigt haben soll. Denn dessen Einschätzung ist für das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren ohne Belang.

b) Der Kläger hat durch die streitgegenständliche Pressearbeit der Staatsanwaltschaft auch keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff i. S. d. § 432 Halbsatz 2 VwGO erlitten. In Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe gebietet es das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Ursprünglich wurde diese Fallgruppe zwar entwickelt, um Grundrechtseingriffe durch Anordnungen zu erfassen, die unter Richtervorbehalt stehen – worauf der Beklagte zu Recht hinweist -, sie ist aber nicht hierauf beschränkt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.12.1998, 1 BvR 831/89, juris Rn. 25, und Beschluss vom 30.04.1997, 2 BvR 817/90 u. a., juris Rn. 49 ff.).

Hinsichtlich des Klägers ist eine solche Situation dennoch nicht gegeben. Zwar mag er durch das staatsanwaltschaftliche Vorgehen im Zusammenhang mit der Presseerklärung vom 09.12.2019 in seinen Grundrechten – namentlich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und in seinem Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 1 Abs. 1 GG – betroffen worden sein. Die vom Kläger erlittene Beeinträchtigung ist aber nicht derart schwerwiegend, dass eine Klärung der Rechtslage auch noch nach Ende der unmittelbaren Belastung durch das hoheitliche Vorgehen – hier das Informationshandeln der Staatsanwaltschaft – erforderlich wäre……“

U-Haft III: Zulässigkeit von Beschränkungen der U-Haft, oder. Haftgrundbezogene Beschränkungen?

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Und als dritte Entscheidung stelle ich dann den OLG Bremen, Beschl. v. 10.05.2022 – 1 Ws 30/22 – zur Zulässigkeit von Beschränkungen in der U-Haft.

Folgender Sachverhalt: Mit Urteil vom 27.07.2021 hat das LG Bremen den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 26 Fällen verurteilt und die Einziehung eines Betrages von 4.252.086,50 EUR als Wert des Erlangten angeordnet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Angeklagte hat Revision eingelegt.

Das AG Bremen hatte in dieser Sache am 11.09.2020 einen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen, den es auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt hat, und zugleich auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bremen gemäß § 119 Abs. 1 StPO folgende Beschränkungen angeordnet:

  1. Der Empfang von Besuchen bedarf der Erlaubnis.
  2. Besuche sind akustisch zu überwachen.
  3. Die Telekommunikation bedarf der Erlaubnis.
  4. Die Telekommunikation ist zu überwachen.
  5. Der Schrift- und Paketverkehr ist zu überwachen.
  6. Die Übergabe von Gegenständen mit Ausnahme geringwertiger Nahrungs- und Genussmittel bedarf der Erlaubnis.
  7. Der Beschuldigte ist zu trennen von folgenden Personen: B- K.
  8. Die Ausantwortung bedarf der Genehmigung.“

Nach dem ein Antrag des Angeklagten vom 12.01.2021 auf Aufhebung der Trennungsanordnung zunächst ohne Erfolg geblieben ist, hat auf einen weiteren Antrag des Angeklagten vom 03.06.2021 die Vorsitzende der Strafkammer die Trennungsanordnung hinsichtlich aller Personen aufgehoben, bis auf die Trennung des Angeklagten vom Mitangeklagten B. Im Übrigen wurden die Anordnungen aus dem Beschluss des aufrechterhalten. Mit Schriftsatz vom 02.02.2022 beantragte der Angeklagte erneut die Aufhebung der Beschränkungen nach § 119 StPO. Dieser Antrag wurde durch die Vorsitzende d zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„…..

b) Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Antrag des Angeklagten vom 02.02.2022 auf Aufhebung der Beschränkungen nach § 119 StPO mit dem Beschluss vom 01.03.2022 in der Sache zu Recht zurückgewiesen worden.

Die Fortdauer der Beschränkungen nach § 119 StPO durfte zulässigerweise auf die Verdunkelungsgefahr gestützt werden, auch wenn der gegen den Angeklagten fortbestehende Haftbefehl lediglich den Haftgrund der Fluchtgefahr nennt, da – wie vorstehend unter 2.a.aa. ausgeführt – die Anordnung von Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO nicht auf die im Haftbefehl angenommenen Haftgründe eingeschränkt ist.

Eine solche Verdunkelungsgefahr, der durch die Anordnung der Beschränkungen zu begegnen ist, ist vorliegend zu bejahen, dies auch unter Berücksichtigung der erhöhten Anforderungen an die Annahme einer solchen Gefahr bei Vorliegen einer, wenn auch mit der Revision angegriffenen, Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz. Die Annahme der Verdunkelungsgefahr ergibt sich vorliegend nicht nur aus dem allgemeinen Erfahrungssatz, dass bei mehreren mutmaßlichen Beteiligten als Mitangeklagten der unkontrollierte Informationsaustausch die Gefahr der Erschwerung oder sogar Vereitelung der Wahrheitsfindung durch eine Absprache des Einlassungsverhaltens mit sich bringt. Vorliegend sprechen auch weitere Umstände des Einzelfalls dafür, hier abweichend vom Regelfall eine fortbestehende Verdunkelungsgefahr anzunehmen: Bei dem Angeklagten ist während der Zeit der Untersuchungshaft ein Smartphone in seinem Haftraum aufgefunden worden, welches er unerlaubt in Besitz hatte und womit seine Neigung zur unerlaubten und nicht offengelegten Kommunikation belegt wurde, die auch der Annahme des Bestehens einer Verdunkelungsgefahr zugrunde liegt. Das Landgericht hat in seinem Urteil auf eine bandenmäßige Begehung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erkannt und damit die Angeklagten dem Kreis der organisierten Kriminalität zugeordnet, bei der in besonderem Maße das Bestehen einer Verdunkelungsgefahr zu besorgen ist. Die Angeklagten haben sich zudem vor dem Landgericht nicht eingelassen und die Verurteilung ist maßgeblich auf die Ergebnisse der Verwertung der Encrochat-Daten gestützt. Daher ergibt sich in besonderem Maße die Gefahr, dass für den Fall einer Aufhebung des Urteils in der Revision die Angeklagten in einer erneuten Tatsacheninstanz durch dann abgestimmte Einlassungen die Wahrheitsermittlung erschweren. Dass die Beschränkungsanordnung auch die Kommunikation mit der Familie des Angeklagten betrifft, ist der bestehenden Verdunkelungsgefahr geschuldet, da auch die Möglichkeit einer Abstimmung des Einlassungsverhalten durch Kommunikation über Dritte zu besorgen ist.

Die Beschränkungsanordnung ist schließlich auch im Hinblick auf die betroffenen Interessen und Rechtsgüter angemessen. Hier ist namentlich zu berücksichtigen die Schwere und die Vielzahl der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität, wegen derer das Landgericht gegen ihn eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren und sechs Monaten verhängt hat. Es ist daher auch bei einer Dauer der Untersuchungshaft unter den Bedingungen der Beschränkungen von nunmehr mehr als 20 Monaten nicht festzustellen, dass die Belastungen hierdurch außer Verhältnis zur Tatschwere stünden sowie zu der Gefahr, dass wegen Verdunkelungshandlungen die Wahrheitsfindung hinsichtlich dieser Taten erschwert oder vereitelt werden könnte. Der Angeklagte kann – wenn auch überwacht – Besuche empfangen und telefonieren und somit insbesondere den Kontakt zu seiner Familie halten. Dass die Anstalt derzeit offenbar Skype-Gespräche nicht ermöglichen kann, beruht auf mangelnden Kapazitäten der JVA, nicht dagegen auf den angeordneten Beschränkungen.“