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StGB III: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Dann versetze ich mich eben (selbst) in den Dienst

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Und bei der letzten Entscheidung des Tages handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 12.11.2020 – 4 RVs 123/20.

Leider hat der Beschluss keinen Sachverhalt. Man kann also nur vermuten, worum es gegangen ist. Es hat sich um ein Verfahren nach § 113 StGB gehandelt, in dem wohl die Frage eine Rolle gespielt hat, ob der (verletzte [?]) Polizeibeamte „im Dienst“ war. Das OLG bejaht:

„1. Der Nebenkläger, der in seiner Freizeit unterwegs war, konnte sich als Polizeibeamter in den Dienst versetzen (vgl. OLG Hamburg NJW 1976, 2174). Dies hat er auch wirksam getan, da er zum Zwecke der Strafverfolgung (§ 163 StPO) eingeschritten ist und die Diensthandlung in seinem sachlich und örtlich zuständigen Bereich vorgenommen hat (vgl. hierzu: VG Würzburg, Urteil v. 03.03.2015 – W 1 K 13.366).

2. Die vom Nebenkläger vorgenommene Diensthandlung war auch rechtmäßig im Sinne von § 113 Abs. 3 StGB. Nach dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 113 Rdnr. 11 m.w.N.) kommt es nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, auf die formelle Rechtmäßigkeit der Diensthandlung an. Diese ist vorliegend gegeben. Der Nebenkläger war sachlich und örtlich bei Vorliegen eines Anfangsverdachts (§ 163 StPO) einer Straftat (§ 17 TierSchG)  zuständig. Zudem hat er der Angeklagten eröffnet, welcher Straftat er sie beschuldigt und sie entsprechend belehrt. Die ergriffenen Maßnahmen zur Feststellung der Personalien der Angeklagten waren nach § 163 b StPO zulässig, geboten und nicht unverhältnismäßig, da eine mildere Maßnahme, wie etwa das Notieren des Kfz-Kennzeichens, nicht die erforderliche Sicherheit zur Feststellung der Identität der Angeklagten bot. Zudem hätte die Angeklagte das Festhalten durch den Nebenkläger unschwer abwenden können, da sie ihren Personalausweis bei sich trug.“

StPO II: Belehrung bei der Identitätsfeststellung, oder: Widerstand?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem KG, Beschl. v. 08.07.2019 – (3) 121 Ss 86/19 (49/19) – aus Berlin. Es geht um eine Verurteilung wegen Widerstandes (§ 113 StGB). Auf den ersten Blick also materielles Recht, es spielen aber Verfahrensfragen eine Rolle bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung. Dazu das KG:

„a) Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte steht insbesondere nicht die Regelung des § 113 Abs. 3 StGB entgegen.

Nach dieser Vorschrift scheidet die Strafbarkeit der Tat nach § 113 Abs. 1, Abs. 2 StGB aus, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Abzustellen ist hierbei auf die formelle Rechtmäßigkeit (vgl. BGHSt 21, 334), für die das Vorliegen der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des handelnden Beamten, die Einhaltung der gesetzlichen Förmlichkeiten sowie das Bestehen eines vom zuständigen Vorgesetzten erteilten Auftrags bzw. – soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt – die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung maßgeblich ist (vgl. BGH NJW 2015, 3109; KG, Beschluss vom 31. August 2000 – (4) 1 Ss 161/00 (131/00) -, juris).

Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 2) wurde die Feststellung der Identität der Gruppe von Gegendemonstranten, zu der auch der Angeklagte gehörte, von den Zeugen D und E auf Anordnung ihres Dienstvorgesetzten durchgeführt. In einem solchen Fall handelt ein Polizeibeamter stets dann rechtmäßig, wenn er einen von dem sachlich und örtlich zuständigen Vorgesetzten erteilten dienstlichen, nicht offensichtlich rechtswidrigen Befehl im Vertrauen auf seine Rechtmäßigkeit in gesetzlicher Form vollzieht (vgl. KG a.a.O.; Fischer, StGB 66. Aufl., § 113 Rn. 19 m.w.N.). Die Identitätsfeststellung sollte der Namhaftmachung der Mitglieder einer Gruppe von etwa 20 – zum Teil vermummten und Steine mitführenden – Gegendemonstranten dienen, die sich der von den Polizeikräften errichteten Sperrstelle genähert hatten, wobei aus der Gruppe bereits ein Stein in Richtung der Polizeibeamten geworfen worden war.

Bei einer Festnahme zur Identitätsfeststellung gemäß §§ 127 Abs. 1 Satz 2, 163 b Abs. 1 StPO ist die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung im Sinne des § 113 Abs. 3 StGB von der Beobachtung der bei ihr einzuhaltenden wesentlichen Förmlichkeiten abhängig. Nach § 163 b Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz StPO i.V.m. § 163 a Abs. 4 Satz 1 StPO ist dem Betroffenen bei Beginn der ersten Maßnahme zur Identitätsfeststellung zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Zu diesem Zwecke ist er von dem historischen Vorgang zu unterrichten, der dem Tatverdacht zugrunde liegt; eine rechtliche Subsumtion ist indessen nicht erforderlich (vgl. Erb in Löwe-Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 163b Rn. 22 m.w.N.). Diese Belehrung ist wesentliches Formerfordernis der Identitätsfeststellung, sodass ohne sie die auf § 163 b StPO gestützten Maßnahmen grundsätzlich rechtswidrig sind (vgl. OLG Hamm NStZ 2013, 62; OLG Celle StraFo 2011, 363; KG NJW 2002, 3789; OLG Köln StV 1982, 359). Eine Ausnahme gilt bei Gefährdung des Vollstreckungszwecks sowie in Fällen, in denen der Zweck der Identitätsfeststellung ohne Weiteres auf der Hand liegt (OLG Celle a.a.O.; KG NJW 2002, 3789). Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellt sich die Diensthandlung als rechtmäßig dar.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Anlass der Personenkontrolle für den Angeklagten in der konkreten Situation bereits aufgrund der Umstände sowie seines eigenen, vorausgegangenen Verhaltens (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 76) – namentlich des Umstandes, dass er sich an einer polizeilichen Sperrstelle einer etwa 20-köpfigen Gruppe von Gegendemonstranten angeschlossen hatte, die ersichtlich zum Teil vermummt waren und Steine in den Händen hielten – offensichtlich war. Denn eine frühere Mitteilung des Grundes der beabsichtigten Identitätsfeststellung war den Beamten nicht möglich, da hierdurch der Vollstreckungszweck gefährdet worden wäre.

In dem Bestreben, die von seinem Dienstvorgesetzten angeordnete Feststellung der Identität der Mitglieder der Gruppe von Gegendemonstranten, zu denen der Angeklagte gehörte, umzusetzen, bewegte sich der Zeuge E nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils auf den Angeklagten zu und bat diesen, stehen zu bleiben. Der Angeklagte drehte sich jedoch um und rannte davon. In dieser Situation war dem Zeugen eine Mitteilung über die Hintergründe der beabsichtigten Feststellung seiner Personalien nicht möglich. Vielmehr verfolgte der Zeuge den Angeklagten bis er ihn schließlich zu Boden bringen konnte. Bei dem Versuch der Sicherung des Angeklagten kam es zu den verfahrensgegenständlichen Widerstandshandlungen. Nachdem der Angeklagte durch den Zeugen sowie den weiteren, unterstützend herbeigeeilten Zeugen D wieder auf die Beine gestellt worden war, wurde ihm unter Belehrung über seine Rechte sogleich der – nunmehr aktualisierte – Tatvorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eröffnet. Aufgrund der unvermittelt angetretenen Flucht, noch bevor der Zeuge Gelegenheit hatte, mitzuteilen, dass er eine Identitätsfeststellung durchzuführen beabsichtigt, hat der Angeklagte selbst die Belehrung hinsichtlich des der Maßnahme zugrunde liegenden Tatverdachtes zunächst vereitelt. Erst nach der erfolgten Sicherung des Angeklagten ergab sich erneut die Möglichkeit zur Mitteilung des dem Tatverdacht zugrunde liegenden Sachverhaltes, die vom Zeugen genutzt wurde. Ein Versuch, ihm während der Nacheile den Tatverdacht zuzurufen, hätte – unabhängig davon, dass ein solches Vorgehen in dieser Situation kaum der Information des Angeklagten gedient hätte – aufgrund des hierzu zusätzlich erforderlichen Kraftaufwandes ein Aufschließen des Zeugen zum Angeklagten und damit dessen Festnahme gefährdet. Dergleichen war vorliegend nicht geboten. Ferner ist es – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der zu diesem Zeitpunkt für den noch allein mit der Sicherung des Angeklagten befassten Zeugen unübersichtlichen Lage – nicht zu beanstanden, dass die Eröffnung des Tatvorwurfes erfolgte, nachdem der Angeklagte gesichert und wieder aufgerichtet worden war.“

Und dann war da noch… Die Verschärfung der Strafen bei Gewalt gegen Einsatzkräfte

Es heißt in einer Mitteilung des BT vom 07.07.2011, die auch bei Heymanns Strafrecht über die Ticker gelaufen ist:

Bundestag verschärft Strafen bei Gewalt gegen Einsatzkräfte

Das im Strafgesetz geregelte Strafmaß bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wird von zwei auf drei Jahre angehoben. Der Bundestag folgte 07.07.2011 mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen von Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion einer Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 17/6505) zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuchs (BT-Drs. 17/4143).

Die Bundesregierung hatte ihren Gesetzentwurf damit begründet, dass Polizisten immer wieder Opfer von Gewalt würden. In den letzten Jahren habe es bei diesen Delikten eine Steigerung von mehr als 30 Prozent gegeben. Abgelehnt wurde ein Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs. 17/2165), der ähnliche Ziele verfolgte.

Folgende Dokumente finden Sie im Internetangebot des Deutschen Bundestages:

Den Gesetzentwurf des Bundesrates: BT-Drs. 17/2165 (PDF)
Den Gesetzentwurf der Bundesregierung: BT-Drs. 17/4143 (PDF)
Die Beschlussempfehlung samt Bericht des Rechtsausschusses: BT-Drs. 17/6505 (PDF)

Weitere Beiträge zum Gesetzgebungsverfahren:

15.12.2010 Polizisten schützen – Strafen verschärfen
10.11.2010 Saarländischer Innenminister fordert härtere Sanktionen bei Gewalt gegen Polizeibeamte
14.10.2010 Besserer Schutz für Polizeibeamte – Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf
28.06.2010 Bundesrat initiiert Strafrechtsänderungsgesetz
20.05.2010 Kürzere Wartezeiten bei Organspenden – Europäisches Parlament beschließt Richtlinie zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organtransplantationen
10.05.2010 Bundesrat will Schutz von Einsatzkräften verbessern
18.02.2009 Andere Akzente bei verbesserten Bedingungen für Organtransplantation vom Bundesrat gesetzt

Manchmal möchte man ja schon mal hinter die Kulissen

einer Revisionsentscheidung schauen, habe ich gedacht, als ich den Beschl. des BGH v. 02.11.2010 – 4 StR 451/10 gelesen habe. Da stellt der BGH einen Teil ein und führt zur Begründung (nur) aus:

„Der Senat stellt das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit die Angeklagte im Fall II. 5 der Urteilsgründe wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden ist, weil es die bisherigen Feststellungen zweifelhaft erscheinen lassen, ob die ohne richterliche Anordnung durchgeführten polizeilichen Maßnahmen rechtmäßig waren.“

Schade, dass man nicht erfährt, welche polizeilichen Maßnahmen rechtlich zweifelhaft waren. Vielleicht eine Blutentnahme, weil keine richterliche Anordnung vorlag. Wir werden es wohl leider nicht erfahren :-(.

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte soll härter bestraft werden

Nach einem Beschluss des Bundeskabinetts vom 13.10.2010 soll Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte soll härter bestraft werden. Mit dem entsprechenden Gesetzentwurf wird damit der Koalitionsvertrag umgesetzt, indem der bestehende Strafrahmen bei einfachen Widerstandshandlungen von zwei auf drei Jahre erhöht wird. Schärfer wird künftig nicht nur bestraft, wer eine Waffe dabei hat, sondern auch, wer gefährliche Werkzeuge mit sich führt. Daneben werden Feuerwehrleute und Rettungskräfte in den strafrechtlichen Schutz einbezogen. Eine Sonderbehandlung von Polizisten – etwa mit einem eigenen Straftatbestand – werde es laut Bundesjustizministerium dagegen genauso wenig geben wie eine drastische Erhöhung des Strafrahmens. Ein besserer Schutz von Polizisten sei keine Frage von Paragraphen, sondern eines Gesamtkonzeptes. Vgl. dazu auch die PM des BMJ mit dem weiterführenden Link zum Gesetzesentwurf und der Kollege Vetter hier.