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Klima I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Ankleben an einen Reisebus

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Im ersten „Kessel Buntes“ des Jahres 2025 köcheln zwei Entscheidungen zum Klimakleben und zu „Klimaklebern“. Die Thematik hat uns ja in in der vergangenen Zeit reichlich beschäftigt, inzwischen ist die Thematik ein wenig abgeklungen, aber die Gerichte sind – wie man sieht – immer noch mit der Nachbereitung befasst.

Dazu hier zunächst den KG, Beschl. v. 14.11.2024 – 3 ORs 65/24 – 161 SRs 104/24.  Das AG hatte die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Ihre Berufung hiergegen hat das LG Berlin mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe der Tagessätze auf 15 EUR herabgesetzt und der Angeklagten Ratenzahlung gewährt wird.

„Dem Urteil des LG liegen die folgenden Feststellungen zugrunde (Fehler im Original):

„Am 20.04.2023 fanden verschiedene Aktionen der Gruppe [Anm. des Senats: „Letzte Generation“] statt.

Die Angeklagte und drei weitere Personen begaben sich zum M-Hotel in Berlin-Tiergarten, um einen Reisebus zu blockieren, welcher dort übernachtende Teilnehmer der Tagung „Familienunternehmertage“ des Verbandes „DIE FAMILIENUNTERNEHMER“ mit einer vorgesehenen Abfahrtszeit um 8:00 Uhr zu der Tagung bringen sollte. Hierzu wollten die Aktivisten sich an dem Bus ankleben und ihn so an der Abfahrt hindern. Sie wollten hierdurch auf ihre Ziele aufmerksam machen. Das Ziel ihrer Aktion wählten die Aktivisten aus, weil es sich aus ihrer Sicht bei dem Verband um eine Lobbyistenvereinigung handelte, welche für die von ihnen als schädlich angesehenen Strukturen stand.

Auf dem vor dem M.-Hotel liegenden I-Platz stand der entsprechende Reisebus des Unternehmens „P-GmbH“ mit dem Kennzeichen B. Durchgangsverkehr wurde durch die Warteposition des Busses nicht beeinträchtigt.

Gegen 07:50 Uhr klebte die Angeklagte mit Sekundenkleber die Innenfläche ihrer linken Hand und die Finger an die rechte Rückleuchte des Reisebusses. Die Fläche, über die eine Verbindung Hand und Bus entstand, erstreckte sich über den Großteil der Handinnenfläche; weiterhin waren alle fünf Finger mit einem oder mehreren Fingergliedern mit dem Bus verbunden.

Drei weitere Aktivisten klebten ihre Hände zeitgleich auf die gleiche Weise an anderen Stellen des Busses an. Ein fünfter Aktivist wurde von dem Busfahrer von dem Bus weggezogen, bevor der Sekundenkleber trocknen konnte. Er setzte sich anschließend vor dem Bus auf den Boden.

Die Angeklagte und ein neben ihr stehender Aktivist hielten ein Banner mit einem Herz und dem Text „ART. 20A GG = LEBEN SCHÜZEN“.

Die Bewegungsfreiheit des Busses war damit – planmäßig – faktisch aufgehoben, da ein Bewegen des Busses nur noch unter Inkaufnahme schwerer Verletzungen der angeklebten Personen (und je nach Fahrtrichtung der vor dem Bus sitzenden Person) möglich gewesen wäre. Die Teilnehmer der Veranstaltung „Familienunternehmertage“ begaben sich mit anderen Verkehrsmitteln (etwa Taxen) zum Veranstaltungsort.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war beim Ankleben bewusst, dass es eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit im weiteren Verlaufs sein würde, dass die Polizei hinzugerufen werden würde, um die Bewegungsfreiheit des Busses wieder herzustellen, dass die Polizei hierzu auf eine rechtmäßige Weise, die Aktivisten von Ort und Stelle verweisen könnte, und dass die Polizei, würden die Aktivisten der Wegweisung keine Folge leisten, diese sodann nötigenfalls wegtragen würde.

Der Angeklagten und den übrigen Aktivisten war es beim Ankleben weiterhin bewusst und sie setzen es zielgerichtet ein, dass ab dem Trocknen des Sekundenklebers sich ihre Hände nur noch ablösen lassen würden entweder durch kraftvolles Abreißen unter Inkaufnahme von Verletzungen an der jeweils angeklebten Hand oder aber, wenn man solche Verletzungen vermeiden wollte, durch ein vorsichtiges und zeitaufwändiges Hin- und Herbewegen der Hand, gegebenenfalls unterstützt von Hilfsmitteln wie Öl. Sie gingen davon aus, dass beliebige, nicht näher bestimmte Dritte – wie der Busfahrer, Fahrgäste, Hotelmitarbeiter oder andere Personen, aber eben auch hinzugerufene Polizisten versuchen würden, sie von dem Bus zu entfernen, um dessen Bewegungsfreiheit wiederherzustellen. Sie rechneten weiterhin damit, dass jedenfalls Polizeibeamte sie nicht gewaltsam vom Bus abreißen würden.

Ziel des Anklebens war unter anderem – unter den vorbeschriebenen Prämissen für polizeiliches Handeln – die Umsetzung der als möglichen und wahrscheinlich angesehenen polizeilichen Anordnung, sich zu entfernen, welche die Polizei ohne Ankleben durch ein einfaches Wegtragen hätte durchsetzen können, zu erschweren. Die Polizeibeamten sollten in eine zeitaufwändige Ablöseprozedur gezwungen werden, die Blockade sollte hierdurch verlängert werden und die Aufmerksamkeit für die Ziele sollte durch die damit einhergehende nachhaltigere Störung vergrößert werden.

Tatsächlich rief der Busfahrer die Polizei zur Hilfe.

Zunächst traf ein Streifenwagen des Polizeiabschnitts A28 der Polizei Berlin ein. Gegen 08:11 Uhr kamen hinzugerufene Kräfte des 2. Zuges der 31. Einsatzhundertschaft der Polizei Berlin vor Ort an und übernahmen die weiteren Maßnahmen.

Der Einsatzleiter PHK K kam zu der Einschätzung, dass die Aktion Versammlungscharakter habe und stufte sie als Versammlung im Sinne des VerfG Bln ein. Er erkundigte sich nach einem Versammlungsleiter, ihm wurde aber kein solcher benannt.

Sodann tätigte PK M um 08:34, um 08:40 und um 08:52 Uhr drei – polizeiintern standardisiert und den Beamten als schriftlicher Mustertext zur Verfügung stehenden – Verfügungsdurchsagen durch, mit denen die Versammlung als unerlaubte Versammlung eingestuft und auf die gegenüberliegende Seite verlegt wurde, sodann, als die Angeklagten und die übrigen Aktivisten keine Anstalten machten, sich selbständig abzulösen und auf die andere Straßenseite zu begeben, Zwangsmittel angedroht und schließlich die Auflösung der Versammlung nach § 14 Abs. 1 VerFG Bln angeordnet wurde.

Sodann setzten die Polizeibeamten die Auflösung durch.

Hierzu lösten sie in der Zeit von 08:52 bis 09:17 die Angeklagte und die drei anderen angeklebten Aktivisten durch Einpinseln der Ränder der Kontaktflächen zwischen Händen und Bus mit Speiseöl und durch vorsichtiges Hin- und Herbewegen der Hände ab. Es ist nicht auszuschließen gewesen, dass Polizeibeamte in Erwartung des weiteren Ablaufes auch schon vor Erlass der Verfügung, mit welcher die Versammlung letztlich aufgelöst wurde, Öl auf die angeklebten Hände der Aktivisten gaben.

Konkret das Ablösen der Angeklagten wurde POM S in der Zeit von 09:05 Uhr bis 09:17 Uhr durchgeführt.

Nach dem Ablösen begaben sich die Angeklagte und die weiteren Aktivisten freiwillig vom Ort weg bzw. stellten sich den polizeilichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen.“

Mit ihrer Revision hat die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Sie beanstandet insbesondere die Würdigung der Strafkammer, wonach es sich bei dem Ankleben an den Reisebus um Widerstand mit Gewalt i.S.d. § 113 Abs. 1 StGB handelt sowie die Annahme einer rechtmäßigen Diensthandlung durch die Polizeibeamten, § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB.

Die Revision hatte beim KG keinen Erfolg. Hier die Leitsätze zu dem KG-Beschluss:

1. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.

2. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

3. Die gezielte Beeinträchtigung privaten Eigentums, die sich nicht als zwangsläufige Folge einer Demonstration ergibt, sondern deren maßgeblicher Bestandteil ist, ist eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i.S.d. des Versammlungsgesetzes bzw. Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlin.

Klima: Klimastraßenkleber leisten Widerstand, oder: Bedeutung der Ablösedauer

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und dann habe ich hier noch den KG, Beschl. v. 10.07.2024 – 3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24zu einem Klimakleberfall.

AG/LG haben die Angeklagte wegen (gemeinschaftlicher) Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Am 12. Juli 2022 beteiligte sich die Angeklagte an einer Straßensitzblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf der BAB 111 im Bereich der Ausfahrt H-Damm in Berlin. Sechs weitere Personen und sie setzten sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans um 8:45 Uhr am Ende der Autobahnabfahrt auf die Fahrbahnen, wobei sie sich so gleichmäßig über alle drei Fahrbahnen der Ausfahrt verteilten, dass zwischen ihnen kein Fahrzeug mehr durchfahren konnte, ohne sie zu gefährden bzw. zu verletzen.  Die Angeklagte saß dabei auf der von den Fahrzeugen aus gesehen ganz rechten Fahrbahn. Als die hinzugerufene Polizei erschien, klebten sich ein Aktivist und drei Aktivistinnen, unter anderem die Angeklagte, mit jeweils einer Hand mittels Sekundenkleber auf der Fahrbahn fest, um sich so fest mit dieser zu verbinden. Die Absicht der Angeklagten war es dabei, die Störung des Verkehrs dadurch möglichst in die Länge zu ziehen, dass die von ihr erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Straße erheblich erschwert würden. Die Angeklagte klebte sich zumindest auch deswegen fest, um sich der von ihr erwarteten polizeilichen Räumung nach Auflösung der Versammlung zu widersetzen.

Die Versammlung war nicht angemeldet. Durch EPHK Z wurde um 8:54 Uhr über Lautsprecher durchgesagt, dass wegen der Grundrechtseinschränkung für die blockierten Autofahrer der Versammlung ein neuer Ort auf dem Gehweg zugewiesen würde. Dies wurde um 9:00 Uhr nochmals wiederholt. Nachdem die Aktivistinnen und Aktivisten sich nicht an den neuen Versammlungsort begeben hatten, wurde die Versammlung durch Lautsprecherdurchsage durch EPKH Z um 9.08 Uhr aufgelöst. Die Angeklagte befolgte die Aufforderung, die Straße zu verlassen, nicht. Da sie festgeklebt war, konnten die Polizeibeamten sie – wie sie wusste – nicht einfach wegtragen, sondern mussten sie erst von der Straße lösen. Die Ablösung ihrer Hand dauerte von 9:39 Uhr bis 10:05 Uhr. Sodann wurde sie von zwei Polizeibeamten von der Straße getragen.

Die Angeklagte handelte zusammen mit den übrigen Aktivistinnen und Aktivisten, um mindestens die auf der Autobahnabfahrt befindlichen Fahrzeugführer bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte bzw. bis zu einer rückwärtigen Ableitung aus der Autobahnabfahrt an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels und im Speziellen gegen zu hohen Ölverbrauch zu erzielen. Wie von der Angeklagten und ihren Mitgliedern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, welche die gesamte Breite der – im unteren Bereich über zwei und im oberen Bereich über drei Fahrspuren verfügenden – Fahrbahn der Autobahnabfahrt einnahm, zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Bereits um 8:46 Uhr war die Autobahnausfahrt zwischen ihrem Beginn bei der Autobahn bis zu der von der Angeklagten und ihren Mittätern gebildeten Menschenkette im oberen Bereich am H-Damm, also über eine Länge von etwa 150 m, vollständig mit Fahrzeugen gefüllt, unter anderem einem Bus der BVG. Diesen Fahrzeugen war es zunächst nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Erst nach und nach vermochten die Fahrzeuge – abgeleitet von den Verkehrsdiensten der Polizei – rückwärts von der Autobahnausfahrt auf die Autobahn zurückzufahren und ihren Weg fortzusetzen – wenn auch nicht über die zuvor beabsichtigte Autobahnausfahrt H-Damm. Die Zeugin X, die in der 3. Reihe der blockierten Fahrzeuge stand, steckte dort bis mindestens 9:05 Uhr fest, bevor sie rückwärts von der Polizei auf die Autobahn geleitet wurde. 

Am 15. Juli 2022 strömte die Angeklagte gemeinsam mit zahlreichen weiteren Personen durch das Unterholz neben der Autobahn BAB 103 auf die Fahrbahn der Autobahnausfahrt Sachsendamm einige Meter vor der Ampel auf dem Sachsendamm. Der Polizei war es aufgrund der Anzahl der Aktivistinnen und Aktivisten nicht möglich, diese daran zu hindern, sich – entsprechend eines zuvor gemeinsam gefassten Tatplanes – auf die Fahrbahn zu setzen und teilweise dort zu verkleben. Die Aktivistinnen und Aktivisten formten spätestens um 7:45 Uhr zwei Blockadelinien etwa 15 m voneinander entfernt und schlossen zwischen beiden Linien einen Lkw ein. Die gesamte Breite der drei Fahrspuren wurde durch die Aktivistinnen und Aktivisten blockiert, wobei die Angeklagte – von den zum Stillstand gebrachten Fahrzeugen aus gesehen – in der ersten Blockade, die aus 18 Aktivisten und Aktivistinnen gebildet wurde, links vorne saß. Sie benetzte ihre Hand mit Sekundenkleber und klebte sich auf die Fahrbahn. Damit wollte sie die Störung durch die Blockade möglichst in die Länge zu ziehen, indem die Bemühungen der eingesetzten Polizeibeamten, sie nach der von der Angeklagten erwarteten Auflösung der Versammlung von der Straße zu entfernen, erheblich erschwert und in die Länge gezogen werden sollten.

Durch die Blockade kam es – wie von der Angeklagten beabsichtigt – zu einem erheblichen Rückstau sämtlicher Verkehrsteilnehmer, die sich zum Zeitpunkt des Blockierens auf den Fahrspuren im Bereich zwischen der A 100 und der Blockade befanden. Der Berufsverkehr auf sämtlichen Spuren der Autobahnabfahrt kam mindestens im Bereich bis zur BAB 100 zum Erliegen. Jedenfalls bis 8:30 Uhr standen noch Fahrzeuge auf der Autobahnausfahrt, bevor sie rückwärts von der Polizei aus der Abfahrt abgeleitet wurden und ihren Weg fortsetzen konnten.

Um 7:47 Uhr wurde durch PHK A gegenüber den Protestierenden eine erste beschränkende Verfügung erlassen mit dem Inhalt, dass es sich vorliegend um eine nicht angezeigte Versammlung handele, das Verhalten der Aktivisten und Aktivistinnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und deswegen die Fahrbahn zu verlassen sei und die Versammlung zum neu zugewiesenen Versammlungsort auf dem Gehweg zu verlegen sei. Um 7:50 Uhr wies PHK A erneut auf den neu zugewiesenen Versammlungsort hin und gab bekannt, dass bei einem weiteren Nicht-Nachkommen der Beschränkung polizeiliche Maßnahmen folgen würden auch unter Anwendung von unmittelbarem Zwang. Schließlich wurde die Versammlung um 7:56 Uhr durch PHK A aufgelöst. Die Aktivisten und Aktivistinnen wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Polizei unmittelbaren Zwang gegen sie einsetzen würde, sollte der Auflösungsverfügung nicht nachgekommen werden. Die Angeklagte kam der Auflösungsverfügung nicht nach. Das Ablösen der Hand der Angeklagten, die sich mit ihrer Hand auf der Fahrbahn festgeklebt hatte, dauerte über 40 Minuten lang, nämlich von 8:17 Uhr bis 9:01 Uhr.  Die Ablösung einer weiteren Person dauerte bis 9:15 Uhr.

Im Vorfeld dieser beiden nicht als Versammlungen angemeldeten Aktionen wurde von der Gruppierung „Angehörige der letzten Generation“ im Internet angekündigt, es werde Aktionen im Berliner Stadtgebiet geben. Konkrete Zeitpunkte und Orte wurden jedoch nicht genannt. Die Aktivistinnen und Aktivisten breiteten während der Blockaden jeweils zumindest ein Transparent vor sich aus, auf dem es hieß: „Öl sparen statt bohren“.  Ziel war jeweils eine möglichst große – auch mediale – Aufmerksamkeit für dieses Anliegen.“

Das KG hat die Revision verworfen. Hier die Leitsätze der Entscheidung, die m.E., nachdem die Fragen derzeit nicht mehr so aktuell sind, genügen:

1. Eine Bewertung des Gerichts, ob das Anliegen als nützlich und wertvoll einzuschätzen und ob das verfolgte Ziel nach gerichtlicher Beurteilung zu billigen ist, verbietet sich, weil der Staat gegenüber der Grundrechtsbetätigung der Bürger auch im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse inhaltsneutral bleiben muss.

2. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.

3. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

4. Indem der Täter die mit Sekundenkleber benetzte Hand so auf die Fahrbahn drückt, dass Hand und Fahrbahn eine feste Verbindung eingehen, leistet er Widerstand mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB, wenn hierdurch vorsatzgemäß die nach Auflösung der Versammlung erfolgende polizeiliche Räumung der Fahrbahn durch Polizeibeamte deutlich erschwert wird.

5. Die Ablösedauer ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die zu überwindenden Kräfte wirken. Ein schnelles, aber kurzzeitig kraftintensives Wegreißen kann ebenso für einen Widerstand „mit Gewalt“ sprechen wie eine vorsichtige Methode, bei der die die Vollstreckungsmaßnahme erschwerenden Kräfte über einen längeren Zeitraum gelöst werden.

StPO I: Einspruchsbeschränkung beim Strafbefehl, oder: Ausreichende Feststellungen getroffen?

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Es ist Ostermontag, hier geht es aber heute normal weitern. Feiern war gestern. Ich stelle dann zwei StPO-Entscheidungen vor.

Ich beginne hier mit einer Entscheidun aus dem Strafbefehlsverfahren, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 31.01.2024 – 1 ORs 1/24 – 161 Ss 3/24 – zur Frage der ausreichenden Feststellungen in einem Strafbefehl im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Einspruchbeschränkung. Dazu führt das KG da aus, was auch für eine Berufungsbeschränkung gilt: nämlich:

„a) Entgegen der Revisionsbegründung ist das Landgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen. Die Wirksamkeit der Beschränkung hat das Rechtsmittelgericht, ungeachtet dessen, in welchem Verfahrensstadium diese vorgenommen worden ist, wegen der damit verbundenen Frage der (Teil-)Rechtskraft der Entscheidung stets vom Amts wegen zu prüfen. Dabei steht nicht jeder Fehler im nicht angefochtenen Teil der Entscheidung der Wirksamkeit der Beschränkung entgegen. Vielmehr hat das Rechtsmittelgericht im. Fall eines auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittels die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung grundsätzlich auf der Basis des Schuldspruchs des angefochtenen Urteils vorzunehmen, auch wenn dieser auf einer rechtsfehlerhaften Subsumtion und damit unzutreffenden rechtlichen Einordnung des Tatgeschehens beruht (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 290; Schmitt in; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, § 318 Rn 17a; jew. m.w.N.). Erst wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind; dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat, ist die Beschränkung unwirksam (vgl. BGH NStZ 2018, 367 m.w.N.).

Art und Umfang der Schuld des Angeklagten sind in dem Strafbefehl in einem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmt.“

Außerdem hat das KG dann u.a. noch zu den erfoderlichen Feststellungen bei der gefährlichen Körperverletzung Stellung genommen, und meint zum „gefährlichen Werkzeug“

Zu der Frage der Geeignetheit eines Gegenstandes zur Verletzung von Menschen, müssen nicht ausdrücklich zur Beschaffenheit usw. Feststellungen getroffen werden, wenn sich die Geeignetjeit bereits aus der hier festgestellten Art der konkreten Verwendung ergibt.

 

StGB III: Widerstand durch Festkleben auf der Straße, oder: Das hätte das KG gern in den Urteilgründen

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Ich hatte heute Morgen zwar geschrieben, dass es heute drei StGB-Entscheidungen vom BGH gibt. Nun, ist dann doch nicht so. Ich habe das Programm umgestellt.

Ich bin nämlich im Laufe des Tages auf den KG, Beschl. v. 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23 – gestoßen und möchte den dann doch heute sofort bringen. Denn es geht um eine Frage, die die Gerichte ja in der letzten Zeit vermehrt beschäftigt hat. Und dazu gibt es bisher wenig obergerichtliche Rechtsprechung, nämlich zur Frage des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte bei Festkleben auf Fahrbahn. Dazu dann also jetzt das KG:

Das AG hat die Angeklagte am 12.01.2023 wegen „gemeinschaftlich begangener“ Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer zu einer Geldstrafe verurteilt. Das AG istvon folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich die ledige Angeklagte, die Studentin ist und eine Halbwaisenrente in unbekannter Höhe bezieht, von 8:00 bis 9:40 Uhr auf dem Autobahnzubringer A 111 im Bereich K.-Damm/H.Damm in B. an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der sich sie und drei weitere Personen aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn der viel befahrenen Straße setzten, um so die auf der Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch Polizeibeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Wie von ihr beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade bis zu deren Auflösung zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines ca. 60 Minuten andauernden Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge über mehrere hundert Meter. Zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade befestigte sie zeitgleich ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn, so dass die Polizeibeamten sie erst nach Lösung des Klebstoffs, die eine bis eineinhalb Minuten in Anspruch nahm, von der Straße tragen konnten.“

Das KG hat aufgehoben. Ihm reicht die Beweiswürdigung des AG nicht:

 „Auf der Grundlage dieses Maßstabs erweist sich das angefochtene Urteil als lückenhaft. Denn ihm ist nicht zu entnehmen, worauf das Amtsgericht seine Annahme gestützt hat, die Angeklagte habe sich auf der Fahrbahn festgeklebt, um die erwartete polizeiliche Maßnahme zur Räumung der Blockade zu erschweren (UA S. 2). Dies ist weder den mitgeteilten Zeugenaussagen noch dem mitgeteilten Inhalt des Geständnisses zu entnehmen. Dass es glaubhaft sei, weil es dem “aktenkundigen Ermittlungsergebnis” (UA S. 3) entspreche, und die Angeklagte es „uneingeschränkt“ abgelegt habe (UA S. 6), führt zu keiner anderen Betrachtung, weil das bloße Abgleichen des Geständnisses mit der Aktenlage keine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGH NStZ 2023, 57 m.w.N.). Als allgemeinkundig kann der Umstand, die Angeklagte habe sich festgeklebt, um die Räumung durch die Polizei zu erschweren, nicht angesehen werden (zur Allgemeinkundigkeit vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 –  3 StR 508/17 -. juris; LG Berlin, Urteil vom 18. Januar 202 – (518) 237 Js 518/22 Ns (31/22) -, juris). Dazu hätte es weiterer Ausführungen bedurft.“

Und dann gibt es noch folgende „Anmerkungen“:

„3. Da bereits der unter 1. dargelegte Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils führt, kam es zwar auf das weitere Rügevorbringen der Angeklagten nicht mehr an, der Senat merkt aber dazu folgendes an:

a) Auch die auf die Verwerflichkeitsprüfung beziehende Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft. Das Amtsgericht hat seine Schlussfolgerung (durch wörtliche – kommentarlose – Wiedergabe einer etwa sechs Monate vor Beginn der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung), die Tat der Angeklagten sei verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB, auf die “teilweise Dringlichkeit der blockierten Transporte” und auf den Umstand gestützt, dass die Aktion unangekündigt gewesen sei (UA S. 5). Unklar bleibt allerdings, auf welcher tatsachenbegründeten Beweiswürdigung diese Schlussfolgerung beruht; auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht. Diese ergeben sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.

Zwar stützt sich das Amtsgericht zur Begründung der Höhe des einzelnen Tagessatzes auf lückenhafte Feststellungen. Denn es hat ausgeführt, die Höhe des einzelnen Tagessatzes gemäß § 40 Abs. 2 StGB geschätzt zu haben, verschweigt aber, auf welcher tatsächlichen Grundlage es die Schätzung vorgenommen hat; die Mitteilung, die Angeklagte sei Studentin und beziehe eine Halbwaisenrente, lässt keine konkreten Rückschlüsse auf die Höhe des Einkommens zu. Allerdings hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die als Studentin in L. lebende Angeklagte über ein unter 600,- Euro liegendes Einkommen verfügt, weswegen sie dieser Rechtsfehler nicht beschwert……

5. Zur weiteren Sachbearbeitung weist der Senat auf Folgendes hin:

„a) Grundsätzlich kommt eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.

aa) Das Festkleben auf der Fahrbahn, um das Entfernen von dort zu verhindern oder zu erschweren, kann als Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB qualifiziert werden; es ist in seiner physischen Wirkung dem Selbstanketten (vgl. dazu BVerfGE 104, 92; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353) vergleichbar. Hier wie dort liegt eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung vor, die gegen den Amtsträger gerichtet und geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren (vgl. BGHSt 18, 133, 134; NStZ 2023, 108; 2013, 336). Dass Polizeibeamten das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit (vgl. zu diesem Merkmal BGHSt 65, 36 m.w.N.) des Widerstands (a.A. LG Berlin, Beschluss vom 20. April 2023 – 503 Qs 2/23 -, juris). Ob das Festkleben im konkreten Einzelfall als gewaltsamer Widerstand gegen eine Diensthandlung im Sinne von § 113 Abs.1 StGB zu qualifizieren ist, bedarf allerdings der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. zu § 240 StGB Senat DAR 2022, 393). Hierbei sind auch Umfang und Dauer der zur Überwindung des Hindernisses erforderlichen Mittel in den Blick zu nehmen und vom Tatgericht zumindest in Grundzügen – wie es das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung noch ausreichend getan hat – darzulegen. Der Umstand, dass die Polizeibeamten nach den getroffenen Feststellungen eine bis eineinhalb Minuten benötigten, um die Angeklagte von der Fahrbahn zu lösen, ist ein gewichtiges Indiz, dass im vorliegenden Fall für die Annahme von Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB spricht.

bb) Ebenso wenig steht einer Strafbarkeit nach § 113 Abs. 1 StGB entgegen, dass die Widerstandshandlung (hier durch Festkleben auf der Fahrbahn) bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung (Entfernen der Demonstranten von der Fahrbahn) vorgenommen wurde. Zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands genügt es, wenn der Täter gezielt eine Widerstandshandlung vornimmt, die bei Beginn der Vollstreckungshandlung noch fortwirkt (vgl. BGHSt 18, 133; OLG Stuttgart NStZ 2016, 353). Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss allerdings in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten (vgl. BGH a.a.O.). Das Tatgericht hat deshalb dahingehende Feststellungen zu treffen, ob sich der Täter (zumindest auch) festgeklebt hat, um sich der von ihm erwarteten polizeilichen Räumung zu widersetzen.

c) Um den Schluss ziehen zu können, dass eine Nötigung verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB ist, bedarf es einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Tatumstände. Das kommentarlose Einrücken von Textpassagen – hier einer etwa sechs Monate vor der Hauptverhandlung verfassten staatsanwaltlichen Verfügung – genügt dem nicht und ist vielmehr geeignet, das Vertrauen der Bürger in das Bemühen der Gerichte um Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit nachhaltig zu beschädigen.

Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Verwerflichkeit zu ermöglichen, hat das Tatgericht in den Urteilsgründen eine tragfähige Entscheidungsgrundlage darzulegen. Das Gericht wird zumindest folgende Gesichtspunkte zu beachten und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben:

  • Ankündigung der geplanten Blockade/ Anmeldung der Demonstration,

  • Dauer der Blockade,

  • eine präzise Beschreibung des Tatorts, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auch gemäß 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Lichtbilder, Tatortskizzen, Kreuzungspläne und dergleichen mehr verwiesen werden kann,

  • Art und Ausmaß der Blockade, insbesondere die Länge des Staus, sowie etwaige Ausweichmöglichkeiten für die Kraftfahrer vor der blockierten Fahrbahn,

  • die Motive der Angeklagten, insbesondere auch dazu, warum sie sich festgeklebt hat,

  • Zweck/Zielrichtung der Demonstration.“

StGB I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Entkleidung einer Frau im Beisein männlicher Beamter

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Ich stelle heute dann StGB-Entscheidungen vor, die eins gemeinsam haben: Es handelt sich um nicht alltägliche Fallgestaltungen.

Schon etwas älter ist die erste Entscheidung, die ich vorstelle. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 07.12.2022 – 206 StRR 296/22. Das LG hatte die Angeklagte wegen eines Geschehens, das noch in der „Corona-Zeit“ liegt wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung“ verurteilt.

Dagegen die Revision der Angeklagten, die nur teilweise Erfolg hatte. Das BayObLG hat nämlich die Revision wegen eines Teils des Berufungsurteils verworfen, insoweit bitte selbst lesen. Wegen eines weiteren Teils hatte sie hingegen Erfolg. Insoweit geht es um die Frage der Strafbarkeit wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) durch Widerstandshandlungen einer weiblichen Person, die aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung einer Platzverweisung in Gewahrsam genommen und in eine Haftzelle verbracht wurde, gegen ihre Entkleidung, die nach zunächst erfolglosen Maßnahmen weiblicher Polizeibeamtinnen unter Anwendung unmittelbaren Zwangs unter Beteiligung mehrerer männlicher Polizeibeamter bis auf den Slip durchgeführt wurde. Dazu das BayObLG:

„Die Revision erweist sich hingegen als begründet, soweit das Verhalten der Angeklagten im zweiten Teilkomplex des Gesamtgeschehens zu einer Verurteilung geführt hat. Das Berufungsurteil weist insoweit durchgreifende Darstellungs- und Erörterungsmängel auf.

1. Ein Schuldspruch wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte setzt, was das Landgericht im Ansatz zutreffend gesehen hat, in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 3 StGB die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Diensthandlung voraus (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 114 Rn. 6). Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen fehlt es hieran, wie die Revision zu Recht beanstandet. Auch die Generalstaatsanwaltschaft schließt sich dem in ihrer Stellungnahme vom 21. September 2022 im Ergebnis an; soweit die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft die Entkleidung der Angeklagten in der Haftzelle betreffen, nimmt der Senat hierauf ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen Bezug.

a) Der von der Angeklagten geleistete tätliche Widerstand richtete sich ausweislich der Feststellungen nicht gegen ihre Ingewahrsamnahme als solche gemäß Art. 17 PAG in der zur Tatzeit geltenden, von der aktuellen Rechtslage abweichenden Fassung vom 25. Mai 2018 bis 31. Juli 2021. Gegen ihre Verbringung zur Polizeidienststelle hat sich die Angeklagte nicht gewehrt. Tätlichen Widerstand leistete sie vielmehr erst gegen die ihr in der Haftzelle erteilte Aufforderung, sich (offensichtlich: vollständig oder nahezu vollständig) zu entkleiden, sowie gegen ihre zwangsweise Entkleidung, vorgenommen durch zwei Polizeibeamtinnen, die dabei von männlichen Beamten unterstützt wurden (UA S. 8), wobei der Senat anmerkt, dass in den Urteilsfeststellungen lediglich das Hinzukommen eines männlichen Beamten (POM …) geschildert wird, während sich aus den Aussagen der Zeugen eine Unterstützung durch drei männliche Beamte ergibt (UA S. 14, S. 15), von welchen einer sogar den BH der Angeklagten geöffnet hat (UA S. 15).

b) Ob die Ingewahrsamnahme der Angeklagten nach Art. 17 PAG gerechtfertigt war, begegnet zwar Bedenken, eine abschließende Entscheidung ist aber auf der Grundlage der insoweit lückenhaften Feststellungen weder möglich noch ist sie erforderlich. Selbst wenn eine etwaige weitere Sachverhaltsaufklärung durch den neuen Tatrichter die Beurteilung erlauben würde, dass die Ingewahrsamnahme als solche rechtmäßig war, stellt dies kein Präjudiz für die Rechtmäßigkeit der Entkleidungsanordnung dar. Die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug sind grundsätzlich voneinander zu scheiden (BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 2005, 2 BvR 447/05, juris Rn. 61). Auch wenn die Anordnung der Ingewahrsamnahme rechtmäßig ist, kann sich eine einzelne Maßnahme während des Vollzugs als rechtwidrig erweisen (BVerfG a.a.O.).

c) Die Maßnahme der Entkleidung, gegen die die Angeklagte Widerstand leistete, stellt einen gravierenden, jedenfalls durch die festgestellten Tatsachen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar und war damit rechtswidrig.

(1) Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen allgemein einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG dar (VG Augsburg, Urteil vom 10. Dezember 2021, Au 8 K 20.1952, juris Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009, 2 BvR 455/08, juris Rn. 25 für eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung). Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist auch die Menschenwürde, Art. 1 GG, tangiert. Die Maßnahme einer Entkleidung kann allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutz der in Gewahrsam genommenen Person selbst oder zum Schutz der Beamten vor Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall geboten erscheinen (VG Augsburg a.a.O.).

(2) Der Senat kann den Feststellungen keine tatsächlichen Umstände entnehmen, die die Entkleidung der Angeklagten hätten rechtfertigen können.

aa) Nach den Angaben der als Zeugin vernommenen Polizeibeamtin pp. habe sich die Anordnung auf „Vorschriften der HVOPol“ gestützt (UA S. 8, 14); eine konkrete Bestimmung wurde dabei von ihr nicht genannt. Weiter nach Aussage der Zeugin – der sich die Berufungskammer ohne weitere Erörterung kritiklos angeschlossen hat (UA S. 17) –, seien „in einem BH meistens Metallbügel verarbeitet, die man leicht entnehmen könne und die dann gefährlich sein könnten“ (UA S.17).

Auf diese Behauptungen und Wertungen lässt sich die Maßnahme indessen nicht stützen. Nr. 3 Abs. 1 der Haftvollzugordnung der Polizei (HVPol), die zur Tatzeit in Geltung war (Fassung vom 5. April 1978) und inzwischen außer Kraft ist (seit 1. Mai 2022) ordnete an, dass ein Polizeihäftling sachlich, gerecht und unter Achtung der Menschenwürde zu behandeln sei. Gemäß der auch vom Landgericht herangezogenen Nr. 16 Abs. 1 der HVPol waren Gegenstände des Polizeihäftlings, die u.a. zur Schädigung von Leben und Gesundheit verwendet werden konnten, zu beschlagnahmen; beispielhaft waren Messer, Werkzeuge, Gürtel, Hosenträger u.a. genannt. Nach Nr. 16 Abs. 2 der HVPol war ein Polizeihäftling auf die nach Abs. 1 sicherzustellenden Gegenstände gründlich zu durchsuchen.

Von einer Entkleidung ist in der Verordnung nicht die Rede. Selbst wenn unterstellt wird, dass in einen BH Metallbügel eingearbeitet sein können – worauf sich die Annahme, dies sei „meistens“ der Fall, stützt, ist nicht dargelegt und dürfte auch tatsächlich nicht zutreffen – erschließt sich dem Senat nicht, warum zur Feststellung, ob ein solcher BH von der Angeklagten getragen wurde, deren vollständige Entkleidung notwendig gewesen sein sollte, insbesondere auch der Bekleidung des Unterkörpers, wobei in den Feststellungen nicht einmal mitgeteilt wird, worin diese Kleidung bestand und ob von dieser irgendeine Gefahr ausgehen konnte. Dass es bedeutend mildere Maßnahmen zur Feststellung, ob der BH der Angeklagten im konkreten Fall tatsächlich so beschaffen war, dass er als Werkzeug zur Schädigung von Leben oder Gesundheit hätte verwendet werden können (z.B. Abtasten durch eine weibliche Beamtin unter der Oberbekleidung, ggf. Ablegen des BH unterhalb der Kleidung durch die Angeklagte), liegt auf der Hand. Feststellungen, wonach solche milderen Eingriffe im konkreten Fall nicht möglich gewesen wären, sind nicht getroffen. Die vollständige Entkleidung der Angeklagten – das Gericht teilt in den Feststellungen nicht mit, ob und welche Kleidungsstücke die Angeklagte anbehalten durfte, lediglich aus einer Zeugenaussage ergibt sich, dass sie wenigstens ihren Slip habe anbehalten dürfen (UA S. 15) – stellt sich im Hinblick darauf als grob unverhältnismäßig und als schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Angeklagten dar.

bb) Dass eine, wie von einer Zeugin geschildert, etwaige „allgemeine Anordnung des Polizeipräsidiums“ und „eine seit Jahren bewährte Praxis“ (UA S. 17) nicht geeignet sind, einen derart gravierenden Eingriff wie das vollständige Entkleiden einer in Polizeigewahrsam genommenen Person unabhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls zu rechtfertigen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Derartige Faktoren können fehlende gesetzliche Eingriffsgrundlagen nicht ersetzen.

cc) Feststellungen dazu, dass sich die Entkleidung der Angeklagten aus anderen Gründen als zum Zweck der Sicherstellung eines etwaig getragenen Büstenhalters mit eingearbeiteten Bügeln als erforderlich erwiesen habe, sind nicht getroffen. Im Übrigen unterlassen es die Urteilsgründe zudem, mitzuteilen, ob und welche Art von BH von der Angeklagten tatsächlich getragen wurde.

(2) Hinzu kommt schließlich noch, dass die Entkleidung der Angeklagten – bei andauerndem Widerstand ihrerseits – unter Hinzuziehung männlicher Beamter stattgefunden hat, wobei sich zudem ein offener Widerspruch zwischen den Feststellungen (UA S. 8: PHM … sei „in die Zelle gekommen, um zu helfen“) und der erhobenen Beweise (UA S. 14): PHM … [männlich] habe sich zusammen mit PHM … [männlich] und PHM … [männlich] in die Zelle begeben, danach sei der Körper der Angeklagten fixiert worden. Schließlich habe der männliche Beamte … den BH-Verschluss geöffnet (UA S. 15).

Die Beteiligung männlicher Beamter an der Entkleidung der Angeklagten beinhaltet zunächst einen eklatanten Verstoß gegen Nr. 16 Abs. 4 HVPol, welcher anordnet dass, bei der körperlichen Durchsuchung von Frauen Männer nicht einmal anwesend sein durften, was nach dem Gesetzeszweck nicht nur für die Durchsuchung des Körpers, sondern auch für eine Durchsuchung gemäß Nr. 16 Abs. 2 HVPol nach Gegenständen im Sinne der Nr. 16 Abs. 1 HVPol zumindest dann gelten musste, wenn diese Durchsuchung in der Bekleidung vorgenommen wurde oder gar mit deren fast vollständiger Entfernung vom Körper der Betroffenen verbunden war. Zudem liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 3 PAG in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 24. Juli 2017, insoweit gleichlautend mit der geltenden Fassung, vor, wonach Personen nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden durften. Dies ist nur dann anders, wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Dafür, dass diese Voraussetzungen vorgelegen hätten, ergibt sich aus den Feststellungen nicht im Ansatz ein Hinweis. Ob ein BH, der als gefährlicher Gegenstand hätte missbraucht werden können, getragen wurde, hätte sich, wie dargelegt, durch Maßnahmen deutlich geringerer Eingriffsintensität als durch das fast vollständige Entkleiden der Angeklagten unter Beteiligung dreier männlicher Beamter feststellen lassen, ggf. sogar unter Festhaltung der bekleideten Angeklagten durch männliche Beamte und Überprüfung der Beschaffenheit des BHs unter der Oberbekleidung durch eine weibliche Beamtin.

d) Soweit die Angeklagte gegen die Maßnahme des zwangsweisen Entkleidens tätlichen Widerstand geleistet hat, kann sie sich somit wegen deren jedenfalls auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsurteils bestehenden Rechtswidrigkeit weder wegen eines tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte nach § 114 StGB noch – vom Berufungsgericht ohnehin übersehen – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB schuldig gemacht haben. Der Schuldspruch wird vom Revisionsgericht aufgehoben.“