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StGB I: Gefährliche Körperverletzung, oder: War das ein „hinterlistiger Überfall“?

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Heute dann seit längerem mal wieder drei StGB-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem schon etwas älteren BGH, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 StR 386/20 – zur Frage der „Hinterlist“ im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Grundlage sind folgende Feststellungen des LG:

„1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beabsichtigte der Angeklagte, die Nebenklägerin zu töten. Zu diesem Zweck bewaffnete er sich heimlich mit einem Springmesser und stieg unter dem Vorwand, zu Bekannten gefahren werden zu wollen, zu ihr ins Auto. Auf der Fahrt verhielt er sich friedfertig, um die Nebenklägern in Sicherheit zu wiegen. Er dirigierte sie an eine einsame Stelle, wo er die Enge der Fahrerkabine für die Tat ausnutzen wollte. An einem solchen Ort angekommen, spiegelte er ihr vor, aussteigen zu wollen. Nachdem die ahnungslose Nebenklägerin den Wagen weisungsgemäß angehalten hatte, zog der Angeklagte das Messer. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Entschluss, sie zu töten, jedoch aufgegeben. Stattdessen wollte er sie jetzt nur noch mit dem Tod bedrohen und hierdurch erreichen, dass sie die Beziehung zu ihm fortsetzt. Hierzu stach er dergestalt in Richtung ihres Bauch- und Brustbereichs, dass die Messerspitze jeweils auf ihrem Körper aufsetzte, die Kleidung aber nicht durchstach. Dabei nahm er Verletzungen der Nebenklägerin billigend in Kauf. Tatsächlich erlitt sie unter anderem einen Schnitt an der Handinnenfläche, weil sie in Panik in die Klinge griff und diese von sich wegdrückte.“

Das LG hat auch einen hinterlistigen Überfall im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht:

„Hinterlistig ist ein Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf Ver- deckung der wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Es muss also ein Über- raschungsangriff beabsichtigt, die wahre Absicht verdeckt und der Überfall gezielt in einer für das Opfer überraschenden Weise durchgeführt werden. Hierfür genügen in der Regel das Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit oder ein von Heimlichkeit geprägtes Vorgehen. Das bloße Ausnutzen eines Überraschungsmoments reicht dagegen nicht aus (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 334/08, NStZ-RR 2009, 77).

Hieran gemessen lag ein hinterlistiger Überfall vor. Denn der Angeklagte täuschte Friedfertigkeit vor und stellte der Nebenklägerin eine Falle, indem er sie an einen einsamen Ort lotste und sie dort unter einem Vorwand anhalten ließ, um sie mit seinem verborgenen Messer zu töten. Dass er diese Absicht direkt vor der eigentlichen Tathandlung aufgab und den Angriff nur noch mit bedingtem Verletzungsvorsatz ausführte, steht der Annahme von Hinterlist nicht entgegen. Der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt nicht voraus, dass der Täter bis zur letzten Ausführungshandlung mit Verletzungsabsicht vorgeht.

Welche Vorsatzform für den subjektiven Tatbestand der Körperverletzung mittels hinterlistigen Überfalls erforderlich ist, ist nicht abschließend geklärt. Während die Kommentarliteratur teilweise ausdrücklich einen dolus directus verlangt (MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 224 Rn. 33, 53; BeckOK-StGB/Eschelbach, 48. Ed., § 224 Rn. 47; Matt/Renzikowski/Engländer, StGB, 2. Aufl., § 224 Rn. 16) und die Rechtsprechung regelmäßig das planmäßige Verbergen der „Verletzungsabsicht“ (exemplarisch BGH, Beschlüsse vom 18. September 2019 – 2 StR 156/19, NStZ-RR 2020, 42; vom 2. Mai 2012 – 3 StR 146/12, NStZ 2012, 698), findet sich andernorts der pauschale Hinweis, im Hinblick auf das Grunddelikt genüge bei § 224 StGB grundsätzlich bedingter Vorsatz (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 224 Rn. 32, Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 224 Rn. 9; NK-StGB/Paeffgen/ Böse, 5. Aufl., § 224 Rn. 34; vgl. auch LK/Laufhütte, StGB, 12. Aufl., § 224 Rn. 2, 39; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 13; AnwK-StGB/Zöller, 3. Aufl., § 224 Rn. 19). Unklar ist damit insbesondere die rechtliche Einordnung von Konstellationen, in denen der Täter eines Raubes oder einer Vergewaltigung dem Opfer eine Falle stellt und mit Eventualvorsatz (auch) eine Körperverletzung verwirklicht; ein solcher Täter agiert hinterlistig, aber ohne eine Verletzungsabsicht zu besitzen und zu verdecken.
Der vorliegende Fall ist indes durch eine Zweistufigkeit gekennzeichnet, in welcher der Angeklagte zunächst in Verletzungsabsicht – die als Minus in der Tötungsabsicht enthalten war – vorging und diese planmäßig vor der Nebenklägerin verbarg. Er lockte sein Opfer trickreich in einen Hinterhalt, um es dort über- raschend anzugreifen. Erst danach wechselte sein Vorsatz. Die Verletzung war nun nicht mehr sein Primärziel, er nahm sie im Folgenden nur noch billigend in Kauf. Gleichwohl ging der Angeklagte zäsurlos und überfallartig zum Angriff über, für den er die von ihm zuvor geschaffene Überraschungssituation ausnutzte.
Jedenfalls in einer solchen Konstellation begeht der Täter die Körperverletzung mittels des hinterlistigen Überfalls. Das ergibt sich aus Folgendem:

Der Wortlaut der Vorschrift verlangt keine Einschränkung auf Fälle, in denen der Täter das Opfer absichtlich verletzt. Die drei Komponenten Hinterlist, Überfall und Kausalität („mittels“) erfordern lediglich, dass eine Finte des Täters den überraschenden Angriff auf das Opfer ermöglicht und der Überrumpelungseffekt die Körperverletzung begünstigt. Diese Voraussetzungen sind auch dann erfüllt, wenn der Täter im letzten Moment von seiner Absicht abrückt und das Opfer nur mit Eventualvorsatz verletzt. Denn auch dann liegt die vom Tatbestand geforderte kausale Verknüpfung zwischen List und Körperverletzung vor.
Außerdem ist es gerade die Irreführung, welche die abstrakte Gefährlichkeit im Vergleich zum Grunddelikt erhöht, nicht der Vorsatzgrad bei der eigent- lichen Verletzungshandlung. Befindet sich das Opfer in der Falle, ist seine Verteidigungsmöglichkeit eingeschränkt, unabhängig davon, ob der Täter es absichtlich oder (nur noch) mit bedingtem Vorsatz angreift. In beiden Fällen wirkt das inszenierte Überraschungsmoment fort und ermöglicht oder erleichtert die Körperverletzung.

Auch das Tatunrecht wird durch den späten Vorsatzwechsel allenfalls unwesentlich verringert. Es liegt hier kein bloßes Ausnutzen eines ungeplanten Überraschungsmoments vor, sondern ein gezieltes Täuschungsmanöver des Täters, von welchem er bei der Verletzung Gebrauch macht.

Schließlich fügt sich diese Auslegung von § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB in die Systematik der Vorschrift ein. Bei den anderen Tatvarianten ist ebenfalls anerkannt, dass für die Verwirklichung des Grunddelikts Eventualvorsatz genügt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. November 2014 – 4 StR 200/14, NStZ-RR 2015, 244 mwN; Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173). § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB unterscheidet sich zwar von diesen, weil die Norm mit der „Hinterlist“ ein inneres Merkmal beschreibt, das zielgerichtetes Vorgehen vor- aussetzt. Allen Qualifikationen ist jedoch gemein, dass die entsprechende Begehungsweise die abstrakte Gefährlichkeit der Tat erhöht. Für die subjektive Tatbestandsverwirklichung der anderen Tatvarianten gilt vor diesem Hintergrund, dass es ausreicht, wenn der Täter die Umstände (er-)kennt, die die Steigerung der abstrakten Gefährlichkeit bedingen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133 Rn. 25 mwN; LK/Laufhütte, StGB, 12. Aufl., § 224 Rn. 39). Diese Steigerung oder überhaupt die Verwirklichung des Grunddelikts bezwecken muss er nicht. Übertragen auf das Tatbestandsmerkmal der Hinterlist bedeutet dies, dass der Täter nur wissen muss, dass sein Täuschungsmanöver die Körperverletzung ermöglicht oder erleichtert und potentiell in ihrer Erheblichkeit erhöht.“

Strafzumessung I: Körperverletzung mit Todesfolge, oder: Direkter Vorsatz strafschärfend?

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Ich habe seit längerem keine Strafzumessungsentscheidungen mehr vorgestellt. Heute kommen dann mal wieder drei.

Und an erster Stelle steht der BGH, Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 20/21. Das LG hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte:

„Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im engeren Sinne isoliert strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte „mit direktem Vorsatz“ handelte. Der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1, 227 StGB) setzt vorsätzliches Handeln im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes der Körperverletzung voraus. Die isolierte strafschärfende Wertung von dolus directus (Wissentlichkeit) verstößt ungeachtet der Frage, ob direkt vorsätzliches Handeln als (normativer) Regelfall (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8; vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3; jeweils für § 212 StGB; ablehnend BGH, Beschluss vom 7. Juni 2017 – 4 ARs 22/16, NStZ-RR 2017, 238) oder als typischer Fall der Tatbestandsverwirklichung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 351; vom 25. Februar 1997 – 4 StR 409/96 Rn. 8; vom 23. Oktober 1992 – 2 StR 483/92, StV 1993, 72 und vom 8. Februar 1978 – 3 StR 425/77 Rn. 3) anzusehen ist, gegen § 46 Abs. 3 StGB (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8; Urteil vom 14. August 2008 – 4 StR 223/08, NStZ 2008, 624 und Beschluss vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4).

Auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe vermag der Senat die im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne isoliert hervorgehobene strafschärfende Erwägung, dass der Angeklagte die Körperverletzungshandlung – das heftige Schütteln des Säuglings – mit direktem Vorsatz beging, nicht dahin zu verstehen, dass das Tatgericht mit dieser Wendung lediglich die konkrete Tatausführung näher umschrieben hat.

Der Senat vermag ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen.“

StGB I: Die Morphinspritze beim unheilbar Kranken, oder: Mutmaßliche Einwilligung?

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Heute stelle ich dann wieder StGB-Entscheidungen vor, das habe ich schons eit längerem nicht mehr gemacht.

Und als erste Entscheidung bringe ich dann den BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 2 StR 434/19 – zur Körperverletzung bzw. zu den Grundsätze der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes. Ein heikles Thema also-

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde – die Zusammenfassung habe dem StRR 12/2020 entnommen, wo der Kollege Stehr aus Göppingen die Entscheidung vorgestellt hat:

Der Angeklagte arbeitete als examinierte Pflegekraft in einem Altersheim. Ein unter gesetzlicher Betreuung stehender Patient litt im Endstadium unter Lungenkrebs. Sein Zustand zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt war präfinal, also todgeweiht. Dessen Arzt rechnete mit einem krankheitsbedingen Ableben in den nächsten Stunden, höchstens Tagen. Der unter sehr starken Schmerzen Leidende aß nichts mehr und litt unter erheblichen Schmerzen. Nur durch leichtes Kopfnicken oder einfachen Worten gelang die Kommunikation. Auf Grund der Schmerzen und des präfinalen Zustands verordnete dessen Arzt erhebliche Dosen schmerzstillender Medikamente. In Abstimmung mit dem Palliativteam wurde „vorsorglich“ 5mg Morphin, subkutan verordnet. Das Morphin sollte dann verabreicht werden, wenn auf Grund der Schmerzen ein Schlucken der anderen Medikamente nicht mehr möglich sei.

Der Angeklagte hatte die Nachtschicht, zusammen mit seiner unerwiderten Liebe, einer ungelernten Pflegekraft. Diese stellte am Patienten um 22:30 Uhr fest, dass dieser unter starken Schmerzen litt. Der ärztlichen Verordnung entsprechen injizierte der Angeklagte 5mg Morphin, aus einer 10mg Ampulle. Es kam zur beabsichtigten Schmerzlinderung. Um 6:00 Uhr bejahte der spätere Verstorbene erneut starke Schmerzen. Dem Angeklagten und der Pflegekraft tat der später Verstorbene – „trotz ihrer Erfahrungen in der Pflege“ – „unglaublich“ leid.

Der Angeklagte unterließ es daraufhin den Patienten erneut nach einer Morphinspritze zu fragen. Obwohl der Angeklagte wusste dass die erste Spritze, wie verordnet, mit 5mg Morphin ausreichend wirkte, er den verordnenden Arzt oder den gesetzlichen Betreuer hätte jederzeit erreichen können, verabreichte er nun 10mg Morphin subkutan. Hierbei war seine Motivation seine unerwiderte Liebe mit seinem mitfühlenden Verantwortungsbewusstsein für den sterbenden Leidenden zu beeindrucken. Dass die Atmung dadurch stark beeinträchtigt wird, wusste und wollte der Angeklagte, da er seine Aktion auch als „weggespritzt“ ihr gegenüber bezeichnete.

Knapp 3 Stunden später verstarb der Patient am Krebsleiden – nicht  – an der Morphininjektion. Das LG hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten – deren Vollstreckung auf Bewährung ausgesetzt wurde – verurteilt…. „

Die Revision des Angeklagten war mit der Sachrüge erfolgreich:

„2. Die Revision ist begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen und Wertungen tragen den Schuldspruch wegen Körperverletzung nicht.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung zu bewerten, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt. Selbst ein im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommener Eingriff erfüllt den Straftatbestand. Er kann nur durch wirksam erklärte oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 73 mwN).

b) Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist hier jedenfalls die Verneinung einer Rechtfertigung der Handlung des Angeklagten. Das Landgericht hat fehlerhaft die Prüfung einer mutmaßlichen Einwilligung unterlassen, weil es aus der bewussten Umgehung bzw. eigenmächtigen Erweiterung einer ärztlichen Verordnung durch den Angeklagten als Nichtarzt eine generelle Unmöglichkeit der Rechtfertigung der Körperverletzung durch (mutmaßliche) Einwilligung abgeleitet hat.

aa) Nach den Urteilsfeststellungen ist eine Einwilligung in die konkrete Handlung des Angeklagten nicht erklärt worden. Ob von einer mutmaßlichen Einwilligung, die in Betracht kommt, wenn eine ausdrückliche Einwilligung aufgrund vorübergehender Einwilligungsunfähigkeit nicht oder nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, auszugehen ist, wäre jedoch durch Gesamtschau aller Umstände zu prüfen gewesen (vgl. auch Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 78).

(1) Die Grundsätze der Rechtfertigung von Maßnahmen zur Ermöglichung eines schmerzfreien Todes sind nicht ausnahmslos auf Handlungen durch einen Arzt oder aufgrund ärztlicher Anordnung beschränkt (Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 78; Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 205 f.; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544, 550). Im Ausnahmefall kann auch ein Nichtarzt medizinische Maßnahmen zur Leidensminderung durchführen, wenn sie der Sache nach den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen und sich im Rahmen einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten bewegen. Dies gilt auch deshalb, weil das Unterlassen einer vom Patienten erwünschten Schmerzbekämpfung durch einen Garanten eine Körperverletzung sein kann (Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 78 mwN; Urteil vom 30. September 1955 – 2 StR 206/55, BeckRS 1955, 31192233).

(2) Beim Sterben eines unheilbar Kranken, dem unmittelbar vor dem Tod nur noch durch Schmerzbekämpfung geholfen werden kann, besteht eine besondere Ausnahmesituation (vgl. auch Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 79 mwN). Tritt deshalb der Gesichtspunkt des Handelns aufgrund einer ärztlichen Verordnung in den Hintergrund, schließt die Eigenschaft des Handelnden als Nichtarzt oder sein Handeln unter Abweichung von einer ärztlichen Anordnung die Rechtfertigung einer Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung nicht zwingend aus, wie es das Landgericht jedoch rechtsfehlerhaft vorausgesetzt hat.

bb) Die Strafkammer hätte daher eine Gesamtwürdigung aller Umstände vornehmen müssen, die für den mutmaßlichen Patientenwillen von Bedeutung sein können. Dabei wäre zu berücksichtigen gewesen, dass im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten der Inhalt seines Willens aus seinen persönlichen Umständen, individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen zu ermitteln ist (Senat, Beschluss vom 25. März 1988 – 2 StR 93/88, BGHSt 35, 246, 249 f.; BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). Hinweise dafür können etwa Gespräche des Geschädigten mit seinem Betreuer „über eine mögliche Patientenverfügung, die er jedoch nicht (bzw. nicht mehr) unterzeichnete“, liefern. Weitere Indizien können sich aus dem Verhalten des Patienten in dem Pflegeheim ergeben. Welche Äußerungen M. dort gemacht hat, insbesondere gegenüber dem Angeklagten, mit dem er sich nach seiner Aufnahme in das Pflegeheim sofort „verstanden“ habe, teilt das angefochtene Urteil nicht mit.

Die Beachtung ärztlicher Anordnungen gehört zwar im Regelfall ebenfalls zu dem, was als gemeinhin vernünftig anzusehen ist. Jedoch kann beim eigentlichen Sterbevorgang unmittelbar vor dem Tod auch die Schmerzbekämpfung mit allen verfügbaren und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Mitteln als vernünftig und deshalb dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechend anzusehen sein (Senat, Urteil vom 30. Januar 2019 – 2 StR 325/17, BGHSt 64, 69, 80 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier festgestellt – die ärztlich verordnete Schmerzmedikation an der Untergrenze des medizinisch Angemessenen gelegen hat. Bei der Gesamtwürdigung ist überdies in den Blick zu nehmen, wie nahe der Patient dem Tode war (BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 263). An einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände fehlt es jedoch im angefochtenen Urteil.

cc) Eine mutmaßliche Einwilligung scheidet im Übrigen nicht schon dann ohne Weiteres aus, wenn der Angeklagte – auch – aus einem anderen Motiv gehandelt hat, nämlich um die Zeugin A. durch seine Entschlossenheit zu beeindrucken. Tritt ein anderes Motiv zu einem auch vorhandenen Willen, im Einklang mit dem mutmaßlichen Patientenwillen zu handeln hinzu, steht dieser neue Beweggrund der Annahme eines subjektiven Rechtfertigungswillens nur dann entgegen, wenn dieses hierdurch völlig in den Hintergrund gedrängt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2001 – 1 StR 487/00, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 14; vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, juris Rn. 7; jeweils mwN).“

StGB III: Abschütteln von der Motorhaube, oder: Das Leben gefährdende Behandlung

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Und als letzte Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 24.03.2020 – 4 StR 646/19. Eine Entscheidung zur gefährlichen Körperverletzung – mit verkehrsrechtlichem Einschlag 🙂 .

Der Angeklagte ist vom LG u.a. „schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden.

Zugrunde gelegt hat das LG folgende Feststellungen:

„Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte dem Geschädigten einen „Denkzettel verpassen“ und beschloss daher, mit seinem Pkw von hinten den Geschädigten, der auf einem dunklen, nur punktuell erleuchteten Gehweg links neben der Fahrbahn „lief“, anzufahren und zu Fall zu bringen. Dazu fuhr der Angeklagte auf den Gehweg und näherte sich mit höherem Tempo „als die Laufgeschwindigkeit“ dem Geschädigten. Als der Geschädigte den Lichtkegel bemerkte, sprang er hoch und fiel auf die Motorhaube des Pkw, wo er durch die unverminderte Fahrgeschwindigkeit auf die Höhe der Windschutzscheibe abgetrieben wurde und Halt suchte. Der Angeklagte – vom Sprung des Geschädigten auf die Motorhaube überrascht – gab nun Gas und lenkte den Pkw abrupt nach rechts, um den Geschädigten abzuschütteln. Dabei nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf, dass sich der Geschädigte bei einem Sturz auf den Gehweg nicht unerheblich verletzen würde. Der Geschädigte stürzte auf den Gehweg, wo er in der unmittelbaren Nähe des Fahrzeugs, das der Angeklagte zum Stillstand abgebremst hatte, zum Liegen kam. Durch den Aufprall auf den Boden erlitt der Geschädigte eine Vielzahl von flächigen Schürfwunden im Gesicht, an beiden Händen und Knien sowie am Becken.“

Dem BGH reichen diese Feststellungen für die gefährliche Körperverletzung nicht. Er hat auf die Sachrüge hin aufgehoben:

„2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils. Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht.

a) Weder den Feststellungen des angefochtenen Urteils noch den Ausführungen des Landgerichts zur Beweiswürdigung lässt sich entnehmen, dass in objektiver Hinsicht im Anfahren oder „Abschütteln“ des Geschädigten von der Motorhaube des Fahrzeugs eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB lag.

Zwar muss die Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2004 – 4 StR 43/04, NStZ 2004, 618; Beschluss vom 23. Juli 2004 – 2 StR 101/04, NStZ 2005, 156, 157; BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 – 4 StR 575/09 Rn. 6). Maßgeblich ist demnach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 38/13; Beschluss vom 24. November 2015 – 3 StR 444/15 Rn. 6).

Diese Voraussetzungen ergeben die Urteilsgründe auch unter Heranziehung ihres Gesamtzusammenhangs nicht. Denn das Landgericht hat zu den näheren Umständen der Tathandlung keine Feststellungen getroffen. Zwar hat es im Rahmen der Beweiswürdigung die Einschätzung des medizinischen Sachverständigen mitgeteilt, wonach die Verursachung der Schürfwunden vereinbar sei „mit dem Abwurf von der Motorhaube eines fahrenden Pkw – was für sich genommen potentiell lebensgefährlich sei – auf betonierten rauen Untergrund“ (UA S. 23). Damit ist jedoch nur eine bloße Möglichkeit einer lebensgefährlichen Behandlung angesprochen, die abstrakte Lebensgefährlichkeit aber im konkreten Fall nicht belegt. Ob sich der Sachverständige auch für den festgestellten Tathergang zu der potentiellen Lebensgefahr für das Tatopfer verhalten und ob sich das Landgericht diese Ausführungen zu eigen gemacht hat, erschließt sich nicht. Das Vorliegen einer abstrakt lebensgefährlichen Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB versteht sich hier nicht von selbst, da das Urteil keine Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit des Angeklagten enthält. Die Tatsache, dass er das Fahrzeug nach dem Abwurf des Geschädigten sogleich zum Stillstand abbremste, könnte dafür sprechen, dass die Anfahr- und Abwurfgeschwindigkeit gering war.

b) Hinzu kommt, dass der subjektive Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nicht belegt ist.

Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist neben dem zumindest bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Dabei muss der Täter sie nicht als solche bewerten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14 Rn. 12), jedoch muss die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ sein (BGH, Beschluss vom 18. März 1992 – 2 StR 84/92, BGHR § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 6; Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 190/08).

Zu diesen Voraussetzungen verhält sich das Landgericht nicht. Aus den Feststellungen ist lediglich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Geschädigten von der Motorhaube abzuschütteln beabsichtigte, und er zu diesem Zeitpunkt billigend in Kauf nahm, dass sich der Geschädigte dabei nicht unerheblich verletzen würde (UA S. 11). Damit ist jedoch nicht dargetan, dass der Angeklagte über eine einfache Körperverletzung hinaus eine potentielle Gefährdung des Lebens des Tatopfers erkannte und billigte. Angesichts der rudimentären Feststellungen zum Unfallhergang (etwa zur Aufprall-/Abwurfgeschwindigkeit) und angesichts der festgestellten eher geringen Verletzungsfolgen bedurfte es hier der näheren Erörterung zum Vorstellungsbild des Angeklagten.“

 

StGB II: Der Tritt mit dem beschuhten Fuß an den Kopf, oder: Klassiker

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Urheber Falense

Als zweite Entscheidung dann das BGH, Urt. v. 28.08.2019 – 5 StR 298/19. Es nimmt zu einem Klassiker Stellung, nämlich dem Tritt mit dem beschuhten Fuß an den Kopf. Das LG war nur von einer gefährlichen Körperverletzung ausgegangen.

Der BGH sieht es anders:

„1. Die rechtliche Wertung des Landgerichts, dass der Angeklagte auch bei seinem Tritt gegen den Kopf des Nebenklägers lediglich eine vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB begangen habe, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Der Einsatz eines beschuhten Fußes kann die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen. Dabei kann sich die Gefährlichkeit schon aus der Beschaffenheit des Schuhs oder aus der konkreten Art seiner Verwendung ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – 2 StR 253/16, NStZ 2017, 164). Ein Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit ist regelmäßig als gefährliches Werkzeug anzusehen, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird (vgl. BGH, Urteile vom 11. Februar 1982 – 4 StR 689/81, BGHSt 30, 375, 376; vom 23. Juni 1999 – 3 StR 94/99, NStZ 1999, 616, 617, und vom 15. September 2010 – 2 StR 395/10, NStZ-RR 2011, 337; Beschluss vom 13. Mai 2015 – 2 StR 488/14). Allerdings muss sich die gesteigerte Gefährlichkeit der Verletzungshandlung gerade aus dem Einsatz des Schuhs ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 StR 467/14, NStZ-RR 2015, 309, 310).

b) Hier drängt sich nach den Feststellungen eine Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf. Bei den Schuhen handelte es sich um auf der Straße getragene Freizeitschuhe. Besonderheiten des auch aus Leder gefertigten Schuhwerks, die einer gesteigerten Gefährlichkeit von Tritten gegen den Kopf entgegenstehen könnten, sind nicht festgestellt. Angesichts der vom Tatopfer erlittenen Verletzungen und der vorhandenen Bewehrung des Fußes, die stärkeren Tritten Vorschub leistete, kommt es nicht darauf an, mit welchem Teil des Fußes der Angeklagte den Geschädigten traf und wie der Schuh dort beschaffen war (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1999 – 3 StR 94/99, aaO).“

Wie gesagt: Klassiker.