Schlagwort-Archive: Wahlanwalt

Pflichti II: Der „Verdrängler“ wird nicht beigeordnet

© fotomek - Fotolia.com

© fotomek – Fotolia.com

Der zweite Streich nach dem dem KG, Beschl. v. 09.02.2016 – (4) 121 Ss 231/15 (5/16) (vgl. dazu Pflichti I: Rechtsfragen aus Bereichen außerhalb des Kernstrafrechts) ist dann der KG, Beschl. v. 10.02.2016 – 4 Ws 10/16. In ihm hat das KG eine Entscheidung des LG Berlin abgesegnet, mit dem das die Bestellung eines Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger abgelehnt hat. Begründung:

„b) ….. Der Vorsitzende der Jugendkammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beiordnung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger in aller Regel nicht in Betracht kommt, wenn dieser zuvor durch die Übernahme eines Wahlmandats die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers gemäß § 143 StPO bewirkt und diesen aus seiner Verteidigerstellung verdrängt hat. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Wahlverteidiger, der die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers erwirkt, seinen Beiordnungsantrag in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Entpflichtung oder mit zeitlicher Verzögerung stellt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 24. September 2012 – III-2 Ws 678/12 – [juris] m.w.Nachw.).

Mit der Übernahme des Wahlmandates trägt der Verteidiger regelmäßig das Risiko, dass sich das Verfahren anders, nämlich kostenintensiver entwickelt als (von ihm) vorhergesehen oder erhofft. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn es sich um eine so unwesentliche Abweichung von dem (von der Kammer vorgesehenen und mit dem Wahlverteidiger abgestimmten) Verfahrensverlauf handelt wie das Erfordernis, nach Aussetzung der Hauptverhandlung zur Einholung eines (wegen der unklaren Personalien des Angeklagten erforderlichen) Altersbestimmungsgutachtens einen zweiten Hauptverhandlungstermin wahrzunehmen, zumal zum Zeitpunkt der Übernahme des Wahlmandats durch Rechtsanwalt M und Stellung des Antrags, Rechtsanwalt E zu entpflichten, am 17. August 2015  – vor Erhebung der Anklage – noch gar nicht absehbar war, wie sich das Verfahren entwickeln würde und ob es (wie es dann von der Jugendkammer nach Trennung der Verfahren gegen den Beschwerdeführer und den erwachsenen Mitangeklagten vorgesehen war) nach eintägiger Hauptverhandlung abgeschlossen werden könnte.

Ob dem Angeklagten ausnahmsweise dann der Wahlverteidiger, der zuvor einen Kollegen aus seiner Stellung als Pflichtverteidiger verdrängt hat, zum Pflichtverteidiger zu bestellen sein könnte, wenn dieser wegen im Laufe eines längeren Verfahrens unvorhergesehen eingetretener Mittellosigkeit des Angeklagten oder seiner Angehörigen das Mandat niedergelegt hat und der ehemalige Pflichtverteidiger wegen des Zeitablaufs und der Entwicklung, die das Verfahren inzwischen genommen hat, die Verteidigung zu diesem Zeitpunkt nicht erneut übernehmen kann, muss der Senat nicht entscheiden. Denn vorliegend handelte es sich – abgesehen davon, dass Rechtsanwalt M das Mandat nicht niedergelegt hat, obwohl sein „Mandant bzw. seine familiären Unterstützer“ nach dem Vorbringen in seinem Schriftsatz vom 17. Dezember 2015 im Nachgang zum Hauptverhandlungstermin am 22. Oktober 2015 und vor dem 15. Dezember 2015, „wie befürchtet, mittellos“ geworden sei(en) – jedenfalls nicht um ein längeres oder sich sonst in Abweichung von dem bei Mandatsübernahme zu erwartenden Verfahrensgang erheblich ausweitenden Verfahren, in welchem ein erneutes Tätigwerden des ehemaligen Pflichtverteidigers aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht gekommen wäre.“

Wenn der Wahlanwalt kommt, muss der Pflichtverteidiger i.d.R. gehen

© ernsthermann - Fotolia.com

© ernsthermann – Fotolia.com

Im Moment stehen aufgrund der „Ereignisse“ im Münchner NSU-Verfahren (vgl. dazu mein Posting: Ich behaupte: Es wird nicht reichen Frau Zschäpe und das Posting zu weiteren Entwicklung vom „Terrorismus-Blog unter: Konflikt um Zschäpe-Verteidigerin spitzt sich zu) mal wieder Pflichtverteidigungsfragen im Fokus. Daher dann hier jetzt der Hinweis auf den OLG Dresden, Beschl. v. 05.06.2015 – 3 Ws 47/15, der sich (auch) mit der Frage der Entpflichtung eines Pflichtverteidigers befasst. Allerdings unter anderen Voraussetzungen, nämlich hinsichtlich der Frage: Was ist mit der Pflichtverteidigerbestellung, wenn sich der Beschuldigte einen Wahlanwanlt genommen hat?

Nun, die Frage ist in § 143 StPO geregelt, und zwar eindeutig. Dann „ist“ die Bestellung zurückzunehmen. Und das ist – wie das OLG Dresden ausfeührt – „grundsätzlich zwingend“. Dazu dann weiter:

„Eine Ausnahme von dieser Regel wird nur für den Fall zu machen sein, wenn konkrete Gründe für die Annahme vorhanden sind, andernfalls sei die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung nicht mehr gewährleistet. Hierfür bietet der Akteninhalt keine Anhaltspunkte. Die Berufungskammer hat die in der Sache für erforderlich angesehenen Verhandlungstermine mit dem Wahlverteidiger abgesprochen. Dass er sie nicht wahrnehmen wird oder kann, ist nicht zu befürchten.

Ein im Sinne des § 143 StPO unabwendbares Bedürfnis, die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers abzulehnen, besteht auch nicht deswegen, weil zu befürchten wäre, dass der Wahlverteidiger das Mandat wegen Mittellosigkeit des Angeklagten alsbald wieder niederlegen wird (Meyer-Goßner/Schmitt, § 143 Rn. 2). Zwar ist davon auszugehen, dass der Angeklagte die aus der Wahlverteidigung anfallenden Gebühren aus eigenen Mitteln nicht zu begleichen vermag; indes hat der Wahlverteidiger ausdrücklich und mehrfach schriftlich versichert, „keinen Pflichtverteidigungsantrag“ stellen zu wollen, weil seine Kosten anderweitig gedeckt seien. Der Senat hat keinen Anlass, an dieser Erklärung zu zweifeln. Die Befürchtung des Landgerichts, die „Verzichtserklärung“ des Wahlverteidigers beziehe sich nur auf die bisher angesetzten und mit dem Wahlverteidiger abgesprochene drei Verhandlungstage und werde für den Fall einer sich ausdehnenden Berufungshauptverhandlung u. U. zurückgenommen werden, vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Der Wahlverteidiger hat seine Erklärung in Kenntnis der Sach- und Rechtslage des Verfahrens abgegeben und weiß deshalb, mit welchem Verfahrenslauf, zumindest aus seiner Sicht, zu rechnen ist.“

Bezogen auf das NSU-Verfahren: Selbst wenn Frau Zschäpe sich einen Wahlverteidiger suchen und dieser das Mandat annehmen würde, würde das m.E. an der Bestellung der drei bisherigen Pflichtverteidiger nichts ändern. Man wird eine „Ausnahme“ von der Regel des § 143 StPO annehmen und die dann zmit der bisherigen Prozessdauer und dem Prozessverlauf, in den die Pflichtverteidiger eingearbeitet sind, begründen.

Pauschgebühr und Gebührenbestimmung – auf die Reihenfolge achten

§ 42 RVG sieht auch für den Wahlanwalt die Möglichkeit einer Pauschgebühr vor, die er sich vom OLG feststellen lassen kann. Ist insofern interessant, weil diese Pauschgebühr dann bindend für alle gebührenrechtlichen Verfahren ist, also z.B. auch für die Kostenerstattung nach einem Freispruch. Wenn man als Verteidiger den Weg über § 42 RVG gehen will, dann muss man nur die richtige Schrittfolge beachten. Zunächst sollte der Antrag nach § 42 RVG gestellt werden und nicht etwa die Kostenfestsetzung beantragt werden. Fängt man damit an, dann ist nämlich ggf. der Antrag nach § 42 RVG unzulässig, weil die Gebühren dann vom Verteidiger bestimmt sind.

Das hat jetzt auch das OLG Bamberg, Beschl. v. 17.01.2011 – 2 AR 24/10 beschlossen und sich damit der h.M. angeschlossen. Im Leitsatz heißt es:

„Der Antrag auf Feststellung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG ist unzulässig, wenn das Kosten­festsetzungsverfahren nach § 464 b StPO abgeschlossen ist. Dies gilt auch, wenn das Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts nach § 14 I RVG bereits wirksam ausgeübt wurde (u.a. Anschluss an OLG Celle StraFo 2008, 398 = DAR 2008, 730 f. = NStZ-RR 2009, 31 f. und OLG Jena Rpfleger 2008, 98 = JurBüro 2008, 82 = StRR 2008, 158 f.).“

Fahrtkosten auch für den nicht ortsansässigen Wahlanwalt – Nikolausbeschluss des OLG Nürnberg

bzw. der Wahlanwalt darf nicht hinter dem Pflichtverteidiger zurückstehen, wenn es um den Ersatz von Reisekosten geht. Mit der Frage hat sich jetzt als erstes OLG – nach dem AG Witten – das OLG Nürnberg (Beschl. v. v. 06. 12. 2010, 2 Ws 567/10) auseinandergesetzt. Der Rechtsanwalt war Wahlanwalt des freigesprochenen Angeklagten und machte als „nicht ortsansässiger“ Rechtsanwalt auch seine Reisekosten geltend. Das OLG hat sie festgesetzt und das u.a. mit der Neuregelung des § 142 Abs. 1 StPO begründet:

„Zum anderen weist der Beschwerdeführer zu Recht auf die Änderung des § 142 Abs. 1 StPO zum 1.10.2009 hin. Danach setzt die Bestellung des vom Beschuldigten bezeichneten Verteidigers nicht mehr voraus, dass er bei seinem Vorschlag einen ortsansässigen Rechtsanwalt bezeichnet hat. So kommt insbesondere bei einem schweren Schuldvorwurf dem besonderen Vertrauensverhältnis eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu. Ein solches Vertrauensverhältnis hat der Beschwerdeführer bereits in seinem Schriftsatz vom 31.5.2010 sowie auch in seiner Beschwerde dargelegt. Demnach hätte sich der frühere Angeschuldigte hier – mangels ausnahmsweise entgegenstehender Gründe – des Beschwerdeführers bedienen dürfen. Wenn aber gemäß §§ 141, 142 StPO StPO der Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können, dürfen seine als Wahlverteidiger geltend gemachten Auslagen dahinter nicht zurückbleiben. Dies gilt insbesondere deshalb, als der ebenfalls beauftragte (ortsansässige) Rechtsanwalt B… keine Rechtsanwaltskosten geltend macht.“

Wertgebühren im Strafverfahren – immer interessant

Das RVG sieht u.a. in der Nr. 4142 VV RVG eine Wertgebühr vor. Diese ist nicht nur für den Wahlanwalt „interessant“, sondern auch für den Pflichtverteidiger, da sie ihm grds. in gleicher Höhe zusteht wie dem Wahlanwalt. Die Nr. 4142 VV RVG wird häufig übersehen. Wer denkt im Strafverfahren schon an eine Wertgebühr. In Zukunft muss man noch eher an diese Gebühr denken.

Denn das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschl. v. 20. 7. 2010, III-1 Ws 183/10 den Anwendungsbereich der Gebühr ausgedehnt. Grds. fällt sie nämlich nicht an, wenn es um Tätigkeiten im Hinblick auf die Sicherstellung zur Beschlagnahme nach den §§ 94, 98 als Beweismittel geht. Das OLG geht nun offenbar davon aus, dass  die Beschlagnahme zur Sicherstellung von Beweismitteln  (§§ 94, 98 StPO) allein zu diesem Zweck erfolgt sein muss. Kommt hingegen daneben auch die Sicherstellung im Hinblick auf eine spätere Einziehung in Betracht – wie es offenbar der Fall war – soll die Gebühr Nr. 4142 VV RVG entstehen.

Also: Augen auf, sonst geht Geld verloren.