Schlagwort-Archive: Voraussetzungen

Nochmals zur Anordnung der Fahrtenbuchauflage, oder: Mitwirkungspflicht kein „doppeltes Recht“

© euthymia – Fotolia.com

Und dann die zweite Entscheidung, und zwar der OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.02.2025 – 3 M 4/25 – zur Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstelles hatte keinen Erfolg:

„1. Die Beschwerde wendet zunächst ein, dass sich aus der beim Verwaltungsvorgang befindlichen Anhörung im Bußgeldverfahren vom 12. März 2024 und der auf den 16. April 2024 datierenden Erinnerung an diesen Anhörungsbogen zwar ergebe, dass der Antragsteller als Beschuldigter eines Bußgeldverfahrens wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes am 7. März 2024 geführt worden sei. Einem Beschuldigten stehe jedoch ein Aussageverweigerungsrecht zu, so dass diesem und so auch dem Antragsteller eine mangelnde Mithilfe bei der Ermittlung des Fahrzeugführers nicht mit der Konsequenz des Führens eines Fahrtenbuchs vorgehalten werden könne, solange das Ermittlungsverfahren gegen ihn nicht eingestellt worden sei. Einen Zeugenfragebogen, der nach Einstellung des ursprünglich gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens hätte versandt werden müssen, existiere nicht. Mache ein Beschuldigter eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens keine oder nicht ausreichende Angaben, um den Fahrzeugführer zu ermitteln, könne dies nicht zu einer Fahrtenbuchauflage führen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, für ihn habe als Beschuldigter keine Obliegenheit zur Mitwirkung bestanden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender – bzw. unzureichender – Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, nicht besteht. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen. Insbesondere steht die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts der Anwendbarkeit des § 31a StVZO unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegen (im Einzelnen: vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2023 – 8 B 157/23 – juris Rn. 7 ff. unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts).

Soweit der Vortrag der Beschwerde darauf abzielen sollte, dass der Antragsteller als Zeuge zu befragen gewesen wäre und deshalb die für die Aufklärung einer Zuwiderhandlung im Straßenverkehr zuständige Behörde nicht alle nach pflichtgemäßem Ermessen angezeigten Maßnahmen ergriffen haben könnte, rechtfertigt auch dies die Abänderung des Beschlusses nicht. Denn eine Zeugenstellung des Antragstellers kam vorliegend aus Rechtsgründen schon nicht in Betracht. Die Bußgeldbehörde hat den Antragsteller förmlich als Betroffenen angehört und durfte aufgrund der durchgeführten Ermittlungen fortgesetzt davon ausgehen, dass zumindest ein entsprechender Anfangsverdacht gegen ihn besteht. Die am Verfahren beteiligten Personen sind keine Zeugen, soweit die Entscheidung im Bußgeldverfahren unmittelbar gegen sie ergehen und in ihre Rechte eingreifen kann. Sie dürfen nicht als Zeugen vernommen werden, soweit das Verfahren ihre Sache betrifft; bereits bei Verdachtsgründen, die eine Verfolgung gegen eine bestimmte Person nahelegen, ist diese als Betroffener mit den gegebenen Verteidigungsmöglichkeiten anzuhören und nicht als Zeuge zu vernehmen. Diese Unterscheidung wird nicht zuletzt durch die verschiedenartigen Pflichten bzw. Rechte von Betroffenen einerseits und als Zeugen zu vernehmenden Personen andererseits bedingt. So ist ein Zeuge auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich – sofern nicht aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht in Betracht kommt – sowohl auf Aufforderung zum Erscheinen bei der Verwaltungsbehörde als auch zur Aussage in der Sache verpflichtet; bei unberechtigter Weigerung kommen Ordnungsmittel wie etwa die Verhängung eines Ordnungsgeldes oder als letzte Maßnahme sogar die Erzwingungshaft in Betracht. Für den Betroffenen besteht dagegen auch im Verfahren wegen der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit keine Verpflichtung, zur Sache auszusagen, hierüber ist der Betroffene auch ausdrücklich zu belehren. Jedenfalls wenn – wie hier – sich der Tatverdacht der Bußgeldbehörde zumindest auch gegen den Kraftfahrzeughalter selbst richtet, scheidet dessen Vorladung und Vernehmung als Zeuge aus Rechtsgründen aus (zum Ganzen: vgl. VGH BW, Beschluss vom 10. August 2015 – 10 S 278/15 – juris Rn. 11 m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller mit Sicherheit als Fahrer ausschied, mithin das gegen ihn geführte Ordnungswidrigkeitenverfahren bereits vor Ablauf der Verfolgungsverjährung mit der Folge hätte eingestellt werden müssen, dass er als Zeuge zu befragen gewesen wäre. Die bloße fernmündliche Mitteilung des Antragstellers gegenüber der Zentralen Bußgeldstelle am 23. April 2024, wonach er nicht der Fahrer gewesen sei und drei seiner – namentlich nicht bezeichneten – Mitarbeiter, die sich sehr ähnlich sähen, als Fahrer in Betracht kämen, lässt einen solchen Schluss nicht zu.

2. Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht bei der angegriffenen Entscheidung nicht unberücksichtigt gelassen, dass sich der Antragsteller unmittelbar nach dem Erhalt des Schreibens vom 16. April 2024 telefonisch gemeldet und mitgeteilt habe, dass er drei ähnlich aussehende Mitarbeiter habe, deren Namen er ohne Weiteres benennen könne, wobei die Benennung der Namen jedoch mit den Worten abgelehnt worden sei, dass man dann weiter ermitteln müsse. …..“

KCanG/BtM II: BGH zur Neufestsetzung von Strafen, oder: Keine analoge Anwendung der Regelungen

Bild von chiplanay auf Pixabay

Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 6 StR 542/24.

Das LG hat den Angeklagten wegen Zwangsprostitution in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der BGHh beanstandet die Gesamtstrafenbildung, weil das LG die für die einbezogenen Strafen wesentlichen Zumessungserwägungen nicht mitgeteilt hat. Bei der Sachlage sei eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Gesamtstrafenbildung nicht möglich.

So weit, so gut: Interessant wird der Beschluss mit der ergänzenden Stellungnahme des BGH zu der Antragsschrift des GBA – insoweit dann KCanG:

„Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine Neufestsetzung der Strafen aus der früheren Verurteilung, die sich auf Handeltreiben mit Cannabis beziehen, nicht in Betracht. Der Hinweis auf Art. 316p EGStGB iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB verfängt nicht. Denn Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB erweitert den Anwendungsbereich des Art. 313 Abs. 1 EGStGB auf Fälle, in denen der Angeklagte wegen tateinheitlicher Verwirklichung (§ 52 StGB) einer Strafvorschrift verurteilt wurde, „die aufgehoben ist oder die den Sachverhalt, welcher der Verurteilung zugrunde lag, nicht mehr unter Strafe stellt oder mit Geldbuße bedroht“, und sieht als Rechtsfolge die Neufestsetzung der Strafe vor (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 155, 192; OLG Köln, Beschluss vom 12. September 2024 – 2 Ws 553/24; BeckOK-StGB/Seel, 63. Ed., Art. 313 EGStGB Rn. 9). Die Voraussetzungen dieser Norm sind nicht gegeben. Denn das Handeltreiben mit Cannabis ist nach wie vor strafbar (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 4 KCanG); zudem fehlt es an einer tateinheitlichen (Vor-)Verurteilung.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist für eine analoge Anwendung des Art. 316p iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB, der verfassungsrechtlich unbedenklich ist, kein Raum. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Frage, ob und in welchem Umfang der rückwirkende Erlass nicht vollstreckter Strafen und die Tilgung entsprechender Verurteilungen in Betracht kommt, wurde im Gesetzgebungsverfahren angesichts der damit einhergehenden Belastungen der Landesjustiz ausführlich erörtert (vgl. dazu einerseits den Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drucks. 20/8704, S. 134, 155 sowie andererseits die Stellungnahme des Bundesrats BT-Drucks. 20/8704, S. 192; vgl. ferner Engel ZRP 2024, 50). Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber den Wortlaut der Vorschriften versehentlich zu eng gefasst und weitergehende Amnestieregelungen nicht im Blick hatte.

Gegen die vom Beschwerdeführer geforderte Neubemessung rechtskräftiger Strafen im Rahmen nachträglicher Gesamtstrafenbildung sprechen schließlich auch Sinn und Zweck des § 55 StGB. Grundgedanke der Vorschrift ist, dass Täter durch die getrennte Aburteilung von Taten, bei denen die Voraussetzungen der §§ 53, 54 StGB vorliegen, weder besser noch schlechter, sondern so gestellt werden, als wären alle Taten gemeinsam abgeurteilt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; Schäfer/
Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1228 mwN). Die von der Verteidigung begehrte Neufestsetzung der Strafen würde hingegen zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen Privilegierung von Mehrfachtätern führen, bei denen eine Entscheidung nach § 55 StGB vor Inkrafttreten des KCanG nicht getroffen worden ist.“

Pauschgebühr I: Mal wieder „den Igel in der Tasche“, oder: 6,11 EUR/Stunde sind zumutbar

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann am Gebührenfreitag zwei Entscheidungen zur Pauschgebühr, und zwar einmal für den Wahlanwalt, also § 42 RVG, und einmal für den bestellten Beistand des Nebenklägers, also § 51 RVG, und zwar jeweils für Tätigkeiten im Revisionsverfahren.

„Pauschgebühr“? Der ein oder andere wird sich sagen: Ja, da war doch mal was. Richtig. Früher gab es den § 99 BRAGO. Da war es schon nicht ganz einfach, eine Paischgebühr zu bekommen.
Nach Einführung des RVG hat die Gewährung von Pauschgebühren für den Pflichtverteidiger gem. § 51 RVG drastisch abgenommen. Noch schwerer/aussichtloser ist es für den Wahlanwalt, wenn er nach § 42 RVG die Feststellung einer Pauschgebühr beantragt. Das beweist dann auch mal wieder der OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.02.2025 – 1 AR 15/24.

Der Rechtsanwalt war Wahlverteidiger des Angeklagten in einem Verfahren wegen Bestechlichkeit. Nach Abschluss des Verfahrens hat er dann die Feststellung einer Pauschgebühr in Höhe von 2.442 EUR für das Revisionsverfahren beantragt. Das OLG hat den Antrag abgelehnt:

„Der Antrag ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 S. 1 RVG nicht vorliegen. So kann der Senat zunächst keinen besonderen Umfang des Verfahrens erkennen. Dabei ist dem Antragsteller zwar durchaus zuzugeben, dass er im Interesse des Angeklagten eine immerhin 47 Seiten umfassende Revisionsbegründung gefertigt hat, die sorgsam die einzelnen Angriffspunkte gegen das Urteil aufarbeitet. Schon angesichts der existenzgefährdenden Bedeutung, die das Verfahren für den Angeklagten hatte, wäre es zudem fraglos unangemessen, den Verteidiger darauf zu verweisen, dass das Urteil auch durch eine knappere Revisionsbegründung hätte zu Fall gebracht werden können. Es war richtig und ist vom Senat nicht zu kritisieren, dass der Antragsteller den sichersten Weg gewählt hat. Auch hatten die Akten, die der Verteidiger allerdings nur unter dem Blickwinkel des Revisionsverfahrens (insbesondere zur Prüfung von Verfahrensrügen) in den Blick nehmen musste, bei Abfassung der Revisionsbegründung einen nicht unerheblichen, wenngleich nicht außerordentlichen Umfang erreicht (6 Bände). Auf der anderen Seite hat der Senat aber auch zu berücksichtigen,

– dass nicht selten weitaus umfangreichere Revisionsbegründungen gefertigt werden,
– die für die Sachrüge maßgeblichen Gründe des angefochtenen Urteils mit 41 Seiten nicht außergewöhnlich umfangreich sind,
– es nur um eine Tat ging und
– auch lediglich eine Person angeklagt war.

Allerdings tendiert der Senat dazu, das Verfahren insbesondere wegen der problematischen Würdigung der Beweislage, was bereits zu einer Aufhebung eines freisprechenden Urteils durch den Senat geführt hatte. durchaus als schwierig anzusehen.

Letztlich kann es aber dahinstehen, ob das Verfahren allein aus diesem Grund trotz des überschaubaren Tatvorwurfs schon als besonders schwierig anzusehen ist. Denn eine Pauschgebühr kann jedenfalls deshalb nicht bewilligt werden, weil es dem Antragsteller zugemutet werden kann, die Gebühren innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu bestimmen. Die Bewilligung einer Pauschgebühr über die gesetzlichen Wahl-verteidigerhöchstgebühren hinaus nach § 42 RVG ist an noch engere Voraussetzungen geknüpft als das bei § 51 RVG der Fall ist (OLG Celle, Beschluss vom 11. Mai 2017, 1 AR(P) 11/17, juris, Rn. 4). Denn dem Wahlverteidiger wird im Gegensatz zum Pflichtverteidiger kein Beitrag für das Allgemeinwohl abverlangt (OLG München, Be-schluss vom 22. Januar 2021, 1 AR 251/201 AR 266/20, juris, Rn. 34). Diese engen Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Vielmehr hält der Senat vor dem Hintergrund des Prinzips der Mischkalkulation (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, 1 StR 277/17, juris, Rn. 9 m.w.N.) angesichts der dargestellten Kriterien im Rahmen seines Ermessens die gesetzliche Vergütung für ausreichend.

Dass der Verteidiger vorträgt, er habe für die 47 Seiten umfassende Revisionsbegründung „deutlich über 200 Stunden“ gearbeitet und in dieser Zeit keine anderen Mandantentermine durchgeführt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die individuell aufgewendete Arbeitszeit ist nicht der unmittelbare Maßstab (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 1995, 1 StR 158/95, juris, Rn. 9; OLG München. Beschluss vom 22. Januar 2021, 1 AR 251/201 AR 266/20, juris, Rn. 38), weil sich der Senat bei der gebotenen Beurteilung primär an den objektiv bewertbaren, ihm anhand der Akten zugänglichen Umständen orientieren muss.“

Es wird den Kollegen Wahlanwalt freuen, dass der Revisionssenat des OLG seine im Revisionsverfahren erbrachten Tätigkeiten offenbar anerkennt und ihm nicht vorhält, dass nicht 47 Seiten Revisionsbegründung notwendig gewesen wäre, um das angegriffene Urteil „zu Fall zu bringen“. Noch mehr hätte es ihn allerdings gefreut, wenn das OLG diese Arbeit auch „monitär“, nämlich durch Feststellung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG anerkannt hätte. So weit will man mit der Anerkennung dann aber offenbar doch nicht gehen und verweist den Verteidiger für die Erstellung der Revisionsbegründung auf die Wahlanwaltshöchstgebühr. Das sind bei der Nr. 4130 VV RVG, weil der Mandant nicht inhaftiert war, wofür der Antrag des Wahlanwalts spricht, 1.221 EUR. Beantragt hatte der Verteidiger 2.442 EUR. Und das bei mehr als 200 Stunden Arbeit, 46 Seiten Revisionsbegründung und sechs Bänden Akten. Da hält man 1.221 EUR, also rund 6,11 EUR/Stunde, für zumutbar. Die beantragten 12,22 EUR/Stunde wären schon nicht viel mehr als ein Trostpflaster gewesen, aber immerhin. Es ist in meinen Augen schon erstaunlich, was Gerichte Rechtsanwälten manchmal zumuten.

Und wenn dann wenigstens noch die Begründung für die Ablehnung des Antrags passen würde. Natürlich wabert auch wieder etwas „Außergewöhnliches“ – „nicht außergewöhnlich umfangreich gewesen“ – durch die Gründe, wozu sich jeder Kommentar erübrigt, außer nur: Es kommt auf „außergewöhnlich“ nicht an, wobei ich nicht verkenne, dass bei der Pauschgebühr des Wahlanwalts nach § 42 RVG von den OLG ein anderer Maßstab als bei § 51 RVG zugrunde gelegt wird. Aber: Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang, dass „nicht selten weitaus umfangreichere Revisionsbegründungen gefertigt werden“? Das ist sicherlich richtig, spielt aber doch für dieses Verfahren keine Rolle, da hier nur die konkreten Verfahrensumstände zu berücksichtigen sind. Und was soll es bedeuten, dass „es nur um eine Tat gegangen ist und auch lediglich eine Person angeklagt gewesen ist“? Welche konkreten Auswirkungen soll das haben? Das erschließt sich nicht und wird auch nicht von der angeführten Rechtsprechung unterstützt, da es sich dabei weitgehend um Entscheidungen handelt, die zu § 51 RVG ergangen sind. Daher zieht auch das Argument „Mischkalkulation“ nicht. Das ist schon beim Pflichtverteidiger bedenklich, kann aber bei einem Wahlanwalt m.E. keine Rolle spielen. Und auch das Argument „individuell aufgewendete Arbeitszeit ist nicht der unmittelbare Maßstab (vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.1995 – 1 StR 158/95; OLG München, Beschl. v. 22.1.2021 – 1 AR 251/20 – 1 AR 266/20“ muss man hinterfragen. Abgesehen davon, dass es sich ebenfalls um Entscheidungen handelt, die zur Pauschgebühr des Pflichtverteidigers ergangen sind, die des BGH noch zu § 99 BRAGO (sic!!), hat man die Arbeitszeit zumindest „als Indiz für Umfang oder Schwierigkeit des Verfahrens“ angesehen. Im Bezirk des OLG Braunschweig scheint das aber alles leider keine Rolle zu spielen.

Nur zur Abrundung: Der Verteidiger wäre mit seinem Antrag wahrscheinlich beim BGH besser aufgehoben gewesen. Denn der scheint mit, wenn ich mir seine Rechtsprechung dann anschaue, manchmal doch „großzügiger“ zu sein. Manchmal 🙂 .

StPO III: Mündliche Durchsuchungsanordnung, oder: Wenn die Durchsuchung erst nach einem Monat erfolgt

Bild von Pete Linforth auf Pixabay

Im dritten Posting komme ich dann auf den LG Regensburg, Beschl. v. 21.01.2025 – 10 Qs 8/25 -, den ich neulich schon einmal wegen der vom LG auch entschiedenen Pflichtverteidigungsfrage vorgestellt hatte.

Heute geht es um den zweiten Punkt, zu dem das LG Stellung genommen hat, nämlich zu den Voraussetzungen für die mündliche Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme. Die hat das LG verneint.

Die Staatsanwaltschaft leitete am 07.05.2024 gegen die Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ein. Anlass für das Ermittlungsverfahren bildete die Zeugenaussage eines Nachbarn der Beschwerdeführerin vom 15.04.2024 bei der örtlich zuständigen Polizeiinspektion, der insbesondere von auffälligem Publikumsverkehr in der Wohnung der Beschwerdeführerin berichtete. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 07.05.2024 bei dem Amtsgericht – Ermittlungsrichter – mündlich den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses betreffend die Person, die Wohnung und die Fahrzeuge der Beschwerdeführerin, um dort nach Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien, Vermögenswerte und technische Geräte, welche im Zusammenhang mit dem Handel mit Betäubungsmitteln stehen, zu suchen. Der Ermittlungsrichter ordnete um 14:16 Uhr mündlich die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin an. Vollzogen wurde die angeordnete Durchsuchung am 06.06.2024. Dabei wurde insbesondere eine Plombe mit 0,23 g Heroin und eine weitere Plombe mit 0,18 g Methamfetamin aufgefunden.

Die Beschuldigte hat beantragt festzustellen, dass die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig war. Damit hatte sie dann erst beim LG Erfolg:

„1. a) Die Beschwerde ist zulässig.

Soweit sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung und der Beschlagnahme richtet, ist nach § 304 Abs. 1 StPO die Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf.

Der Umstand, dass die angeordnete Durchsuchung bereits erledigt und damit prozessual überholt ist, hindert die Zulässigkeit der Beschwerde nicht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Beschwerde gegen eine erledigte richterliche Anordnung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit gleichwohl zulässig, wenn das Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht. Dies ist vor allem bei tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen wie etwa einer aufgrund richterlicher Anordnung vorgenommenen Wohnungsdurchsuchung (Art. 13 GG) der Fall (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2014, StB 10/14).

b) Die Beschwerde ist begründet, da die Voraussetzungen für den Erlass einer bloß mündlich ergangenen Durchsuchungsanordnung nicht vorlagen, was zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses führt (aa), auch wenn die Anordnungsvoraussetzungen im Übrigen vorlagen (bb).

aa) Obwohl die StPO dies nicht ausdrücklich vorschreibt, muss eine richterliche Durchsuchungsanordnung – abgesehen von Eilfällen – schriftlich getroffen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 – 1 BvR 586/62). Als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden trifft den anordnenden Richter die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Der Durchsuchungsbeschluss muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten. Insgesamt dient der Richtervorbehalt der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001 – 2 BvR 1444/00). Darüber hinaus bezweckt das Gebot der umfassenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusses die Erleichterung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschluss vom 18.12.2008 – StB 26/08).

Ein fernmündlicher Antrag des Staatsanwalts auf Gestattung der Durchsuchung und eine fernmündliche Gestattung der Durchsuchung durch den Ermittlungsrichter genügen in Eilfällen den formellen Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Sinne des § 105 Abs. 1 StPO. Die fernmündliche Einholung der richterlichen Gestattung in Eilfällen ermöglicht eine vorbeugende richterliche Kontrolle und ist daher ein effektiverer Rechtsschutz als die Wahrnehmung der Eilkompetenz mit nachträglicher richterlicher Bestätigung (vgl. BGH, Beschluss vom 13.01.2005 – 1 StR 531/04; BVerfG, Beschluss vom 23.7.2007 – 2 BvR 2267/06). Das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot des effektiven Rechtsschutzes begründet für die Strafverfolgungsbehörden in einem solchen Fall die Pflicht, die tatsächlichen Anhaltspunkte des Durchsuchungsverdachts, die Zielrichtung der Durchsuchung sowie die Umstände, die einen Eilfall begründeten, hinreichend zu dokumentieren (BVerfG Beschluss vom 23.7.2007 – 2 ByR 2267/06).

Für den zu entscheidenden Fall lässt sich der Akte entnehmen, dass die Polizei am 07.05.2024 per E-Mail gegenüber der Staatsanwaltschaft beantragt hat, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung der Beschwerdeführerin zu erwirken und den aus ihrer Sicht gegebenen Anfangsverdacht mit den Angaben des Zeugen pp. begründet hat. Dem Antrag der Polizei ist das Protokoll einer Vernehmung des Zeugen vom 15.04.2024 beigefügt (vgl. BI. 3-10 d.A.).

Der vom sachbearbeitenden Staatsanwalt unter dem 07.05.2024 gefertigte Vermerk (BI. 1-2 d.A.) dokumentiert, dass er dem Ermittlungsrichter den Antrag der Polizei samt Vernehmungsprotokoll per E-Mail übersandte und telefonisch für die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines entsprechenden Durchsuchungsbeschlusses stellte. Dem Vermerk ist weiter zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht für ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sah und in welchem Umfang der kontaktierte Ermittlungsrichter um 14:16 Uhr die Durchsuchung der Wohnung, der Person und der Fahrzeuge der Beschuldigten mündlich anordnete.

Für die Kammer ist anhand der Aktenlage allerdings nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Staatsanwaltschaft und auch der Ermittlungsrichter davon abgesehen haben, einen schriftlichen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen bzw. zu erlassen. Hierzu verhält sich der genannte Vermerk des sachbearbeitenden Staatsanwalts nicht. Auch drängt sich die Annahme eines Eilfalls nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls auf (vgl. BVerfG, Beschluss vorn 03. 12. 2002 2 BvR 1845/00):

Die Ermittlungsbehörden hatten jedenfalls seit dem 15.04.2024 (Tag der Einvernahme des Zeugen pp. Kenntnis von den den Anfangsverdacht gegen die Beschwerdeführerin begründenden Tatsachen. Dass am 07.05.2024 die Gefahr eines Beweismittelverlusts durch Erlass eines schriftlichen Beschlusses bestanden hätte, ist nicht erkennbar. Gegen einen Eilfall spricht zudem, dass der mündlich erwirkte Beschluss erst knapp einen Monat (!) später, nämlich am 06.06.2024, vollzogen wurde (vgl. BI. 31 d.A.).

Nachdem ein Eilfall hier nicht feststellbar ist, erweist sich die nur mündliche Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme als formell rechtswidrig.“

StPO I: Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, oder: Voraussetzungen und Subsumtionsfehler

Bild von Here and now, unfortunately, ends my journey on Pixabay auf Pixabay

Heute hier drei StPO-Entscheidungen, und zwar drei Entscheidungen zu Rechtsmitteln, davon zwei zur Berufung.

Zum Warmwetfrn gibt es das KG, Beschl. v. 31.07.2024 – 3 ORs 50/24 – zu Zulässigkeit der Berufungsbeschränkung in Strafsachen.

Das AG hat den Angeklagten wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt.  Nach den Urteilsfeststellungen stieß der Angeklagte den Geschädigten „anlässlich einer verbalen Auseinandersetzung … von vorne, so dass dieser zu Boden ging“. Er entnahm der Brusttasche der Jacke des Geschädigten mindestens 365 Euro Bargeld und weitere Gegenstände. Ausführungen zur inneren Tatseite des Raubs fehlen. Der Angeklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, die er in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das LG hat die Beschränkung für wirksam erachtet und den Angeklagten zu einer geringeren Strafe verurteilt. Seine Revision blieb erfolglos.

Das KG hat umfangreich begründet, warum die Beschränkung wirksam ist und setzt sich insbesondere auch mit der Wirksamkeit in den Fällen des Subsumtionsfehlers des Tatgerichts auseinander. Ich stelle hier wegen des Umfangs nur die Leitsätze ein. Die lauten:

1. Entscheidende Prüfsteine für die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung sind der legitime Gestaltungswille des Angeklagten sowie das Gebot eines bewussten und verständigen Umgangs mit justiziellen Ressourcen („Prozesswirtschaftlichkeit“).

2. Es erscheint überfürsorglich und letztlich paternalistisch-etatistisch, wenn die Justiz im Bereich der Strafrechtspflege über den erklärten Willen des Angeklagten, eine für ihn nachteilige Entscheidung hinzunehmen, ohne dringenden Grund hinweggeht.

3. Die Berufungsbeschränkung ist nur unwirksam, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen abschließend und nicht behebbar unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen.

4. Der dabei anzuwendende Prüfungsmaßstab ergibt sich nicht aus dem Revisionsrecht.

5. Nicht beschränkungshindernd ist im Grundsatz ein dem Tatgericht unterlaufener Subsumtionsfehler. Ein solcher liegt u.a. vor, wenn das tatsächlich festgestellte Tatverhalten den nicht angefochtenen Schuldspruch nicht trägt.

6. Von dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit von Subsumtionsfehlern ist auch nicht abzuweichen, wenn der Schuldspruch einen höheren Strafrahmen vorgibt als das tatsächlich festgestellte Verhalten bei zutreffender Subsumtion (entgegen OLG Köln NStZ-RR 2000, 49).