Heute dann ein Tag mit „Vollmachtsentscheidungen“ – eine Problemtik die die Praxis ja immer wieder bewegt.
„Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren in Verbindung mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes.
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2. Hieran gemessen verletzen die Beschlüsse des Amtsgerichts Linz am Rhein sowie des Landgerichts Koblenz den Beschwerdeführer in seinen Rechten auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz. Die angegriffenen Entscheidungen überspannen in Verkennung der Verfahrensgrundrechte der Landesverfassung die Anforderungen an den Nachweis einer Vollmacht im (gerichtlichen) Bußgeldverfahren.
a) Einfach-rechtlicher Ausgangspunkt für die Verwerfung des Einspruchs durch das Gericht ist § 70 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten – OWiG –. Danach erfolgt eine Verwerfung als unzulässig, wenn die Vorschriften über die Einlegung des Einspruchs nicht eingehalten wurden. Wie sich mit Blick auf § 69 Abs. 1 Satz 1 OWiG ergibt, sind damit in erster Linie die Vorgaben über die form- und fristgerechte Einlegung gemeint (vgl. auch Krumm, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 70 Rn. 3). Nach 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung schriftlich oder zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, Einspruch einlegen. Einspruchsberechtigt ist neben der Person des Betroffenen unter anderem auch der (nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen handelnde) Verteidiger (§ 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG i.V.m. § 297 der Strafprozeßordnung – StPO –) sowie – nach allgemeinen Grundsätzen – der (bevollmächtigte) Vertreter (vgl. nur Krenberger, in: Haus/Krumm/Quarch [Hrsg.], Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 67 OWiG Rn. 3).
aa) Voraussetzung für eine wirksame Einspruchseinlegung durch einen Dritten ist das Bestehen der Bevollmächtigung bereits im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung (Blum/Stahnke, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 67 Rn. 10). Fehlt es an der Vertretungsmacht, ist der Einspruch unwirksam. Bei Nichtbestehen der Verteidigungsbefugnis bzw. Bevollmächtigung ist der durch den Verteidiger eingelegte Einspruch als unzulässig zu verwerfen (vgl. etwa Ellbogen, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 21). Auch durch eine nachträgliche Genehmigung der Stellvertretung kann diese Unwirksamkeit nicht mehr behoben werden (vgl. auch Paul, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 297 Rn. 1).
Für die Bevollmächtigung zur Einlegung eines Einspruchs im Bußgeldverfahren ist keine besondere Form erforderlich, insbesondere kann sie auch mündlich erteilt werden (Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 67 Rn. 13; Blum/Stahnke, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 67 Rn. 12; Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl. 2016, Teil A Rn. 1774). Gleichfalls anerkannt ist, dass die Bevollmächtigung auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist nachgewiesen werden kann (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. Mai 1994 – 1 Ss 113/94 –, juris Rn. 3; Allgayer, NStZ 2016, 192 [193]; Blum/Stahnke, in: Gassner/Seith [Hrsg.], OWiG, 2. Aufl. 2020, § 67 Rn. 10; Lay, in: Dötsch u.a. [Hrsg.], BeckOK Straßenverkehrsrecht, § 67 OWiG Rn. 10 [Oktober 2020]; vgl. auch BGH, Urteil vom 19. August 1982 – 4 StR 387/82 –, juris Rn. 9, zur Strafantragsfrist). Damit hängt die Wirksamkeit des Einspruchs weder davon ab, dass eine schriftliche Vollmacht eingereicht wird, noch ist erforderlich, dass dies innerhalb der Einspruchsfrist des § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgt (Thiele, DAR 1981, 11). Anders gewendet ist der Einspruch wirksam eingelegt, wenn die betreffende Person bevollmächtigt war, als sie ihn einlegte (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 10. April 2007 – 2 St OLG Ss 10/07 –, NJW 2007, 1767 [1768], zur Revisionsbegründung). Dies gilt auch dann, wenn der Nachweis der Bevollmächtigung erst nach Ablauf der Frist des § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgt.
bb) Was die Anforderungen an den Nachweis der Bevollmächtigung anbelangt, ist nach der Person des Bevollmächtigten zu differenzieren. Wird der Einspruch durch einen Rechtsanwalt eingelegt, spricht – vor dem Hintergrund seiner Stellung als Organ der Rechtspflege (vgl. § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung) – in der Regel eine Vermutung dafür, dass er hierzu bevollmächtigt ist (Kaiser, NJW 1982, 1367 [1369]; Thiele, DAR 1981, 11 mit Fn. 6; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 2005 – 2 Ws 7/05 –, juris Rn. 13, allg. zur Rechtsmitteleinlegung). Der Vorlage einer Vollmachtsurkunde bedarf es – von gesetzlich angeordneten Ausnahmen (vgl. etwa § 51 3 Satz 1 OWiG) abgesehen – grundsätzlich nicht. Hiervon wird namentlich dann auszugehen sein, wenn der Rechtsanwalt namens des Betroffenen tätig wird und Prozesserklärungen abgibt, etwa ein Rechtsmittel einlegt und begründet (Kaiser, NJW 1982, 1367 [1368]; Kurz, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 5). Eine andere Beurteilung ließe sich allenfalls durch das Vorliegen konkreter und gewichtiger, gegen eine Bevollmächtigung des Rechtsanwalts sprechender Anhaltspunkte rechtfertigen (Thiele, DAR 1981, 11). Nur für Fälle, in denen der Einspruch durch einen Dritten, der kein Rechtsanwalt ist, eingelegt wird, gilt eine vergleichbare Vermutungsregel nicht. In dieser Situation erschient es mit Blick auf die Folgen einer Einspruchseinlegung vielmehr vertretbar, den zweifelsfreien Nachweis über die Bevollmächtigung zu fordern (Thiele, DAR 1981, 11).
cc) Vor diesem Hintergrund sind bereits keine berechtigten Zweifel an der Bevollmächtigung des für den Beschwerdeführer tätigen Rechtsanwalts ersichtlich, da dieser den Einspruch „namens“ des Beschwerdeführers eingelegt und das Bestehen einer Vollmacht damit anwaltlich versichert hat. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Passage im Text des – nicht an das Gericht, sondern an die Zentrale Bußgeldstelle gerichteten – Schreibens vom 12. November 2019, wonach der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers die Vertretung der Firma S. übernommen habe. Bei lebensnaher Betrachtung dieses Schriftsatzes spricht vieles für ein offensichtliches Schreibversehen, da im Betreff des genannten Schreibens der vollständige Name des Beschwerdeführers und – noch gewichtiger und aussagekräftiger – das korrekte Aktenzeichen des Bußgeldbescheides genannt wurden. Spätestens unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des Bevollmächtigten vom 16. November 2019, in welchem ausdrücklich und ausschließlich im Namen des Beschwerdeführers – ohne Bezug auf die vorgenannte Firma – Einspruch eingelegt wurde, sprechen mehr Gesichtspunkte für als gegen die Annahme eines bloßen Schreibversehens. Auch die Zentrale Bußgeldstelle hatte ersichtlich keine Bedenken an einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung, sondern gewährte mit Schreiben vom 22. November 2019 die beantragte Akteneinsicht und bewertete kurz darauf den mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 16. November 2019 erhobenen Einspruch als zulässig. Ebenso hat das Amtsgericht über einen Zeitraum von mehreren Monaten zwar um die Vorlage einer Vollmacht gebeten, zugleich aber Ladungen an den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers herausgegeben und mit diesem korrespondiert. Ein solches Verhalten erscheint jedenfalls erklärungsbedürftig, zumal eine Verlängerung der Belastungen durch das Bußgeldverfahren und die mögliche Verursachung von weiteren (Verfahrens-)Kosten im Interesse des Einspruchseinlegenden nicht angezeigt sind, wenn der Einspruch zu verwerfen ist (vgl. auch Gertler, in: Graf [Hrsg.], BeckOK OWiG, § 70 Rn. 3 [Oktober 2020]). Zudem hat das Amtsgericht auf Antrag des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers letzteren mit Beschluss vom 3. Juni 2020 von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden. Die stattgebende Entscheidung über einen solchen nicht vom Betroffenen selbst gestellten Antrag (vgl. § 73 2 OWiG) setzt aber das Bestehen einer Vollmacht (vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 73 OWiG, BT-Drucks. 13/3691, S. 8: „durch den bevollmächtigten Vertreter“) voraus, da über ein Recht des Betroffenen verfügt wird, dessen Ausübung ihm selbst vorbehalten ist (vgl. auch Hettenbach, in: Graf [Hrsg.], BeckOK OWiG, § 73 Rn. 5 [Oktober 2020]). Mit Blick auf den Beschluss vom 3. Juni 2020 ist nicht nachvollziehbar, warum das Amtsgericht die Verwerfung des Einspruchs in seinem Beschluss vom 28. Juli 2020 auf das Fehlen einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung gestützt hat.
Selbst wenn man aber trotz der vorgenannten Umstände die Anforderung eines Nachweises über die Vollmacht als gerechtfertigt ansähe, sind die vom Amtsgericht aus der vorgelegten Vollmachtsurkunde gezogenen Schlussfolgerungen zum Nichtvorliegen einer Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung offenkundig rechtlich unzutreffend. Das Amtsgericht beschränkt sich in der angegriffenen Entscheidung auf die Feststellung, dass der Zeitpunkt der Ausstellung der Vollmachtsurkunde (die zwar keinen konkreten Betreff enthält, aber bei einer Gesamtschau mit dem Übersendungsschriftsatz des Bevollmächtigten dem Verfahren zugeordnet werden kann) nach Ablauf der Einspruchsfrist liege. Dies ist zwar richtig, allein aus diesem Umstand lässt sich aber nicht herleiten, dass eine Vollmacht im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung nicht vorgelegen hat. Maßgeblich sind dann die Gesamtumstände. Auf diese frühe Klarstellung des Reichsgerichts (vgl. Urteil vom 21. November 1912 – I 957/12 –, RGSt 46, 372) wird auch heute noch in der Kommentarliteratur hingewiesen (vgl. etwa Ellbogen, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 19; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 67 Rn. 13 mit Fn. 10; Gertler, in: Graf [Hrsg.], BeckOK OWiG, § 67 Rn. 24 [Oktober 2020]). Vorliegend erfolgte lediglich der Nachweis der Vollmachtserteilung nach Ablauf der Einspruchsfrist; allein hieraus auf das Nichtbestehen der Vollmacht zu schließen, verkürzte die Rechte des Betroffenen unangemessen (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 2005 – 2 Ws 7/05 –, juris Rn. 10, zur Berufungsfrist). Vielmehr musste sich in der vorliegenden Konstellation das Bestehen einer Vollmacht im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung für das Amtsgericht geradezu aufdrängen. Es fehlt insbesondere eine nachvollziehbare Erklärung für die (implizite) Annahme des Amtsgerichts, der Beschwerdeführer habe eine Vollmacht erst mit Wirkung vom 30. Mai 2020 an und damit ex nunc erteilen wollen. Eine solche Auslegung zulasten des Beschwerdeführers liegt nicht nahe, denn eine Vollmachtserteilung nach Ablauf der Einspruchsfrist löste im Verhältnis zwischen Mandant und Anwalt zwar Kosten aus, wäre zu diesem Zeitpunkt in der Sache aber nutzlos. Zudem lässt sich ein solches Verständnis auch nicht mit den Rechtsgrundsätzen zur Vollmachtserteilung in Einklang bringen. Wenn eine Vollmacht zur Einlegung eines Einspruchs – nach allgemeiner Auffassung – nicht schriftlich erteilt werden muss, muss auch keine auf den Zeitpunkt der Einspruchseinlegung datierte Vollmachtsurkunde vorliegen.“
Bei solchen Entscheidung frage ich mich immer, warum man dafür eigentlich ein Verfassungsgericht braucht? Aber jedes Ding hat zwei Seiten. Und positiv für die Praxis ist es, dass mal wieder ein Verfassungsgericht zu den Vollmachtsfragen Stellung genommen hat und sich klar positioniert mit dem Satz: „Der Vorlage einer Vollmachtsurkunde bedarf es – von gesetzlich angeordneten Ausnahmen (vgl. etwa § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG) abgesehen – grundsätzlich nicht.“
Ein Umstand ist zudem noch bemerkenswert: Das AG hat nach dem Einspruch des Betroffenen und Abgabe der Akten an das AG Termin zur Hauptverhandlung bestimmt und dann auch noch den Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden (§ 73 Abs. 2 OWiG). Man fragt sich insbesondere, was das Letztere soll, wenn zu dem Zeitpunkt keine ausreichende Bevollmächtigung des Verteidigers vorgelegen hat bzw. man von einer nicht ausreichenden Bevollmächtigung ausgehen musste.