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OWi I: Hier mal wieder Fortbildung durch das OLG, oder: Die Grundsätze der Lichtbildidentifizierung

Heute will ich dann mal wieder drei OLG-Entscheidungen zu OWi-Fragen vorstellen, die bei mir in den letzten Tagen eingetrudelt sind. Alle drei Entscheidungen enthalten aber nichts Neues, sondern behandeln Fragen, die in der Rechtsprechung der OLG schon länger geklärt sind.  Was mich bei solchen Entscheidungen immer wundert, ist der Umstand, dass diese „alte“ Rechtsprechung offenbar aber nicht bei allen AG angekommen bzw. dort bekannt ist, ich will nicht behaupten, dass man sie kennt, aber nicht beachtet.

Ein „schönes“ Beispiel ist der gleich die erste Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.07.2023 – 1 ORBs 77/23. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 600,00 EUR verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die beim OLG Erfolg hat. Dem OLG reichen die Ausführungen des AG zur Täteridentifizierung nicht:

„Das zulässige Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge (jedenfalls vorläufig) Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die zugleich erhobene Verfahrensrüge nicht bedarf. Das Urteil unterliegt der Aufhebung, weil die Beweiswürdigung zur Identität des Betroffenen mit dem bei Begehung des Verkehrsverstoßes abgelichteten Fahrzeugführer lückenhaft ist und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.

1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts soll der Betroffene am mit einem PKW der Marke pp. statt der mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug der an-zurechnenden Toleranz mit einer Geschwindigkeit von 172 km/h befahren haben. Seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen stützt das Amtsgericht auf folgende Erwägungen:

„Auf den Lichtbildern Seiten I, II und 1 ist das vom System PoliScan Speed gemachte Foto zu sehen, auf dem der PKW und der Fahrzeugführer gut zu erkennen sind. Der Auswerterahmen des Messgeräts liegt ordnungsgemäß auf der Front des Fahrzeuges auf und erfasst sowohl das Kennzeichen, als auch einen Teil der Fahrbahn. Auf der Ausschnittsvergrößerung, auf der der Fahrzeugführer zu erkennen ist, war der Betroffene zwanglos als Fahrzeugführer zu erkennen. Hohe Stirn, rundes Gesicht, relativ große Ohren sind die Kennzeichen, die der Fahrzeugführer aufweist, aber auch der Betroffene. Der Betroffene war für den erkennenden Richter so eindeutig zu identifizieren, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens hierzu nicht bedurfte.“

Zur Sache selbst heißt es im Rahmen der Beweiswürdigung weiter:

„Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll Blatt 3 der Akten, wurde die Messstelle ordnungsgemäß eingerichtet und es ergaben sich keine Be-sonderheiten. Nach der Übersicht der zur Tatzeit geltenden Geschwindigkeitsbegrenzung auf der variablen Anzeige Blatt 4 der Akten waren zur Tatzeit 100 km/h an der Messstelle erlaubt, wie auch sonst die gesamte Zeit, was die Frage aufwirft, welchen Sinn eigentlich die variable Anzeige hat. Das Gerät war jedenfalls geeicht., Blatt 5 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen. Eine Dienstanweisung zur Einrichtung der Messstelle gab es auch, Blatt 6 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen. Die Standorte der Verkehrszeichen ergeben sich aus der Aufstellung Blatt 7 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen, danach gab es ein Verkehrszeichen in Höhe des Kilometers 90.3 und in Höhe des Kilometers 89,2, der Standort des Messgeräts, war dann in Höhe des Kilometers 87.982. Das ist in Ordnung.”

2. Die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen lassen nicht in der erforderlichen Weise erkennen, ob das Amtsgericht sich rechtsfehlerfrei von der Täterschaft des Betroffenen überzeugt hat.

a) Zwar hat über die Frage der Identifizierung eines Betroffenen als die auf dem Messfoto abgebildete Person allein der Tatrichter zu entscheiden. Indes müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Messfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (BGHSt 41, 376, 382).

Zur Erfüllung dieser Anforderungen kann der Tatrichter in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG wegen der Einzelheiten verweisen. Die Verweisung muss deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGH a. a. 0.; OLG Düsseldorf NZV 1994, 202; Thür. OLG NZV 2008, 165). Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüberhinausgehende Ausführungen zur konkreten Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto — weil es die einzelnen Gesichtszüge erkennen lässt — zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist (BGHSt 41, 376, 383; Thür. OLG a.a.O.).

Sieht der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er – wie hier – die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. Das Urteil muss dann Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere ldentifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung dessen Ergiebigkeit ermöglicht wird (BGHSt 41, 376, 384 f.).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen genügt das Urteil den Darlegungserfordernissen nicht. Es enthält weder eine wirksame Bezugnahme auf die in den Akten befindliche Kopie des Radarfotos im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG noch eine Beschreibung, die dem Senat die Prüfung ermöglicht, ob diese Kopie für eine Identifizierung geeignet ist.

c) Die Bezugnahme auf ein Radarfoto muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGHSt 41, 376, 382). Das muss nicht in *der Weise geschehen; dass die Vorschrift des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO angeführt und ihr Wortlaut verwendet wird, obwohl sich dieses Vorgehen als die kürzeste und deutlichste Form der Verweisung aufdrängt (Senat NZV 2007, 254, 255); OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 jeweils m.w.N.). Den Gründen muss aber eindeutig zu entnehmen sein, dass nicht nur der Vorgang der Beweiserhebung beschrieben, sondern durch die entsprechenden Ausführungen das Foto zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht werden soll (Senat a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Hier verweist das angefochtene Urteil weder ausdrücklich auf § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, noch verwendet es den Wortlaut dieser Vorschrift. Den Gründen kann auch sonst nicht entnommen werden, dass das Foto durch Bezugnahme Teil der Urteilsurkunde sein soll. Die bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten — hier: „Seiten 1, II und 1″ — reicht dazu in der Regel nicht aus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. [2023], § 267 Rn. 8 m.w.N.). Zwar mag im Einzelfall aus der Angabe der Blattzahl darauf geschlossen werden können, dass der Tatrichter das Rechtsmittelgericht dazu auffordern wollte, sich durch die Betrachtung der an entsprechender Stelle zu findenden Abbildung einen eigenen Eindruck zu verschaffen, weil die Angabe der Fundstelle sonst keinen Sinn machen würde (so BGH Beschluss vom 28. Januar 2016 — 3 StR 425/15). Ein solches Bewusstsein kann dem Tatrichter aber nicht unterstellt werden, wenn — wie im angefochtenen Urteil — auch die Fundstellen einer Vielzahl in der Hauptverhandlung verlesener Urkunden angegeben werden, die keinesfalls durch Bezugnahme Bestandteil der Urteilsgründe werden können.

d) Die Ausführungen zum Vergleich des Betroffenen mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person sind für den Senat nicht nachvollziehbar, weil sie sich in einer Aufzählung dreier wenig markanter, vom Tatrichter für übereinstimmend erachteter physiognomischer Merkmale erschöpfen, im Übrigen aber weder Aufschluss über die Bildqualität geben noch die erforderliche ausführliche Beschreibung der auf dem Foto erkennbaren IdentifizierungsMerkmale der abgelichteten Person enthalten.

Aufgrund dieser nur lückenhaften Ausführungen vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Verurteilung des Betroffenen zu Recht erfolgt ist.“

Also kleine Fortbildung des OLG in Sachen Identifizierung anhand eines Lichtbildes. Und zur Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verspätung legt das OLG dann noch einen drauf:

„4. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich ergänzend darauf hin, dass auch die mit der Verfahrensrüge beanstandete Behandlung des Beweisbegehrens rechtlichen Bedenken begegnet.

Die Ablehnung von Beweisanträgen nach § 77 Abs. 2 Nr. 2, § 244 Abs. 3, Abs. 4 S. 1 StPO hat auch im Bußgeldverfahren durch begründeten Gerichtsbeschluss zu erfolgen, wobei sich die Begründung nicht auf eine Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken darf (BGH Beschl. v. 24.10.1979, NStZ 1981, 96 [Pf/M]; OLG Köln VRS 74, 372; 75, 119; VRS 88, 203). Mindestvoraussetzung ist, dass der Antragsteller über die zur Ablehnung führenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Gerichts aufgeklärt und dadurch in die Lage versetzt wird, die weitere Verfolgung seiner Rechte entsprechend einzurichten. (st. Rspr., vgl. etwa BGHSt. 19, 24, 26 = NJW 1963, 1788; BGH NStZ 1983, 568; OLG Düsseldorf NJW 1970, 625; OLG Köln VRS 39, 70; KG VRS 39, 434; OLG Koblenz VRS 52, 206). Darüber hinaus muss die Begründung auch so beschaffen sein, dass sie im Falle der Rechtsbeschwerde dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung der Entscheidung ermöglicht (BGHSt. 2, 284, 286 = NJW 1952, 714; BayObLG DAR 1974 187 [Rü]).

Bei der Zurückweisung eines Beweisantrages wegen verspäteten Vorbringens (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) ist im Beschluss zu begründen, weshalb nach Auffassung des Gerichts für die späte Antragstellung kein verständiger Grund vorliegt. Zur rechtlichen Überprüfung des Beschlusses ist in der Begründung auch mitzuteilen, in welchem Verfahrensstadium der Antrag gestellt worden ist. Schließlich muss der Beschluss darlegen, dass und weshalb eine Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde und dass diese Folge bei rechtzeitigem Vorbringen vermieden worden wäre.“

Vielleicht hat es ja geholfen…..

OWi II: Geschwindigkeitsmessung mit Provida, oder: Nachträgliche Auswertung vom ProViDa-Video erlaubt

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Als zweite Entscheidung dann das AG Dortmund, Urt. v. 14.02.2023 – 729 OWi-264 Js 110/23 -12/23 – zur Geschwindigkeitsüberschreitung und Zulässigkeit der nachträglichen Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeitsfeststellung durch nachträgliche Auswertung eines ProViDa-Videos. Das AG sagt: Ist zulässig und ist dann wie folgt vorgegangen:

„Das Gericht hat das Video des Vorfalls in Augenschein genommen und auch die bei-den Videoprints, anhand derer die Messung stattgefunden hat.

Zunächst war festzustellen bei Inaugenscheinnahme des Videofilms, dass das Video im Bereich startete, indem die Geschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt wurde. Zu Beginn des Videos sind also die beidseitigen 80 km/h-Beschilderungen erkennbar und auch das Fahrzeug des Betroffenen, hinter das sich das Fahrzeug um 15:25:29 Uhr setzte.

Die Zeitangabe konnte das Gericht feststellen durch urkundsbeweisliche Verlesung des oberen rechten Datenfeldes des Messgerätes, eingespielt in die Videoaufnahme des Messsystems. In diesem Bereich unmittelbar vor der Front, ggf. eine Fahrzeug-länge davor, war zu dieser Zeit die linksseitige Beschilderung 60 km/h an der Fahr-bahn und ebenso die rechtsseitige Beschilderung sichtbar, an der der Betroffene vorbeigefahren ist und die er bei ordnungsgemäßer Sorgfalt im Straßenverkehr hätte beachten können und müssen.

Auf dem Video war dann sichtbar, wie der Betroffene im gleichbleibenden Abstand vor dem Polizeifahrzeug auf der linken Fahrspur herfuhr. Anhand der für das Polizei-fahrzeug durch das Messgerät stets eingespielten Geschwindigkeit, die das Gericht jeweils urkundsbeweislich verlesen konnte und die sich rechts unter im Video erkennen ließ, konnte festgestellt werden, dass der Betroffene stets die zulässige Höchst-geschwindigkeit während des gesamten zwischen 15:25:22 Uhr und etwa 15:29 Uhr gefertigten und in Augenschein genommenen Videos überschritten hat, bis nach dem geschwindigkeitsbegrenzenden 80-Km/h-Bereich ein Bereich von 120 km/h Höchst-geschwindigkeit folgt.

Bei Inaugenscheinnahme der maßgeblichen Prints der Messung (hier eingefügt; auf die beiden Prints wird wegen der Einzelheiten – insbesondere zur Größe des Fahr-zeugs des Betroffenen auf der linken Fahrspur, des gleichbleibenden Abstands zum videografierenden Polizeifahrzeug, der Erkennbarkeit der Beschilderung und der 2-spurigen Fahrbahnführung – verwiesen gem. § 267 Abs. 1 Nr. 3 StPO) konnte das Gericht feststellen, dass beide Prints aus einer Nachfolgesituation um 15:25:31 Uhr (unteres Print) und 15:25:37 Uhr (oberes Print) gefertigt wurden. Wegen der eingespielten und von der Eichung des Gerätes umfassten Uhrzeitangabe wurden die Datenfelder der Prints urkundsbeweislich verlesen. Das Polizeifahrzeug befand sich zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Fahrzeug des Betroffenen auf dem linken Fahrstreifen und folgte diesem im gleichmäßigen Abstand. Ein Vergleich der Prints ergab dabei, dass das Fahrzeug des Betroffenen sich von dem Fahrzeug der Polizei geringfügig entfernte während der festgestellten Messstrecke, so dass dies eine zusätzliche Sicherheit zu Gunsten des Betroffenen bei der Geschwindigkeitsberechnung bot.

Das Gericht hat anhand der eingespielten und urkundsbeweislich verlesenen Daten in dem 1. genannten gefertigten Print einen Stand des Wegstreckenzählers von 188.981 Metern feststellen können und bei dem 2. Bild von 15:25:37 Uhr einen Weg-streckenzählerstand von 189.177 Metern. Hieraus ließ sich eine Differenz von 196 Metern für die freigewählte und freiwählbare Messstrecke feststellen.

Anhand der beiden Prints und der darin enthaltenen urkundsbeweislich verlesenen Datenfelder hat das Gericht dann auch die Zahl der einzelnen von dem Messgerät genutzten Einzelbilder zur Aufzeichnung feststellten können. Diese ergaben sich aus einem Vergleich des Einzelbildzählers auf dem 1. zeitlich gefertigten Lichtbild von 334.009 Bildern und bei dem 2. gefertigten Lichtbild von 334.167 Bildern, woraus sich eine Differenz von 158 Bilder für die gewählte Messstrecke ergab. Jedes dieser Bilder ist entsprechend der Bedienungsanleitung des ProViDa-Messgerätes und der technischen Gegebenheiten des Messsystems 0,04 Sekunden lang, so dass sich eine Messzeit von 6,32 Sekunden errechnen lässt.

Die Geschwindigkeit war dann zu berechnen anhand der Formel: 196 Meter Mess-strecke x 3,6 : 6,32 Sekunden. Hieraus ergab sich eine zu bestimmende Geschwindigkeit von 111,65 km/h. Hiervon hat das Gericht einen Toleranzabzug entsprechend der Bedienungsanleitung von 6 km/h vorgenommen, so dass sich nach Streichung der Nachkommastellen eine Geschwindigkeit von 105 km/h als vorwerfbare Geschwindigkeit ergab und folgerichtig eine Überschreitung von 45 km/h. Diese Art der Geschwindigkeitsfeststellung ist anerkannt, auch wenn sie kein standardisiertes Messverfahren darstellt (hierzu etwa: OLG Hamm Beschl. v. 22.6.2017 – 1 RBs 30/17, BeckRS 2017, 122484; AG Castrop-Rauxel Urt. v. 26.8.2022 – 6 OWi-264 Js 1170/22-486/22, BeckRS 2022, 22074; AG Lüdinghausen Urt. v. 20.4.2015 – 19 OWi-89 Js 1431/14-139/14, BeckRS 2015, 10022).“

StPO II: Wiedererkennen eines Unbekannten, oder: Schwierig, daher vertiefte Urteilsbegründung?

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Und im zweiten Posting dann zwei BGH-Entscheidungen zum „Wiedererkennen“, also Beweiswürdigungsfragen.

Zunächst der recht aktuelle BGH, Beschl. v. 25.05.2023 – 5 StR 483/22. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Mengeverurteilt. Dagegen die Revision, die erfolgreich war:

„2. Die Verurteilung in den Fällen II.1 und II.2 hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt, der Angeklagte habe an zwei nicht näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 18. August bis 2. Oktober 2018 an den gesondert verfolgten Gr. im Stadtgebiet von D.     im ersten Fall (II.1) mindestens 100 Gramm Crystal zum Preis von 4.500 Euro und im zweiten Fall (II.2) ein Kilogramm Marihuana zum Preis von 3.000 Euro sowie 150 Gramm Crystal zum Preis von 6.000 Euro verkauft und übergeben. Die Betäubungsmittel hatten einen durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 65 Prozent S-Methamphetamin-Base (Crystal) und 4 Prozent THC (Marihuana).

b) Das Landgericht hat die Feststellungen zum Tathergang und seine Überzeugung von der Täterschaft des – hierzu schweigenden – Angeklagten maßgeblich auf die Angaben des Zeugen K. gestützt. Allein dieser Zeuge hatte den Angeklagten als Täter identifiziert, allerdings nur anlässlich seiner eigenen polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Zeuge hatte bekundet, im Tatzeitraum gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Gr.         mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. In diesem Rahmen sei es bei zwei Gelegenheiten zur Übergabe größerer Betäubungsmittelmengen (wie festgestellt) durch „Tschetschenen“, darunter den Angeklagten, gekommen. Der Zeuge habe den gesondert Verfolgten mit dem Pkw zum Übergabeort, einem Hinterhof in D. gefahren. Dort habe er aus kurzer Entfernung beobachtet, wie drei „Tschetschenen“ zur Abwicklung des Geschäfts in einen dort stehenden Pkw BMW mit B.-er Kennzeichen eingestiegen seien. Der gesondert Verfolgte habe die Betäubungsmittel vom „Hauptakteur“ überreicht bekommen. Diesen habe der Zeuge später bei der Polizei „anhand der Lichtbildmappe“ als den Angeklagten identifiziert. Die weiteren Ermittlungen der Polizei ergaben, dass ein Pkw mit B.er Kennzeichen auf den Angeklagten zugelassen gewesen war und dieser, so wie vom Zeugen K.  in Bezug auf den „Verkäufer“ berichtet worden war, „etwas, mit Boxen“ „zu tun“ gehabt habe.

c) Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. August 2020 – 1 StR 178/20, NStZ 2021, 184, 185 mwN) als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

aa) In schwierigen Beweislagen, zu denen Konstellationen zählen, in denen – wie hier – der Tatnachweis im Wesentlichen auf dem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht, ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. April 2003 – 2 BvR 2045/02, NJW 2003, 2444, 2445; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283). Um die tatgerichtliche Würdigung nachvollziehen zu können, bedarf es zudem eines Abgleichs der Beschreibung des Zeugen mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 – 5 StR 593/05, NStZ-RR 2006, 212). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.

bb) Im Urteil fehlen jegliche Angaben dazu, welche Merkmale oder Ausprägungen der Erscheinung des Angeklagten den Zeugen K. im Zeitpunkt seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in die Lage versetzt haben sollen, ihn „anhand einer Lichtbildmappe“ wiederzuerkennen.Darüber hinaus gibt es im Urteil keine Täterbeschreibung. Schon aus diesen Gründen leidet die Beweiswürdigung unter erheblichen Lücken. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung „nicht direkt als den von ihm identifizierten Täter benennen“ „wollte“. Besondere Anforderungen an die Darlegungen des Identifizierungsvorgangs ergaben sich hier aber auch zusätzlich daraus, dass der Zeuge den Angeklagten vor den festgestellten Betäubungsmittelübergaben nicht kannte. Dies folgt aus seinem Bekunden, wonach ihm der gesondert Verfolgte die „Tschetschenen“ als „neue Geschäftspartner“ präsentiert habe, bevor es zu dem Treffen auf einem D.er Hinterhof kam. Für derartige Identifizierungsleistungen gilt: Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf dessen subjektive Gewissheit beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283).

Diese Anforderungen erfüllt das Urteil nicht. Zur konkreten Wahrnehmungssituation des Zeugen bei der jeweiligen Betäubungsmittelübergabe, insbesondere dazu, ob er den Angeklagten hierbei längere Zeit beobachten oder nur kurzzeitig sehen konnte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es kann nicht nachvollzogen werden, wie der Zeuge von seiner Position heraus den Angeklagten als „Fahrer“ und „Hauptakteur“, welcher „etwas mit Boxen zu tun“ habe, ausmachen konnte. Die Wahrnehmung solch markanter Eigenschaften erscheint angesichts dessen, dass die „Tschetschenen“ in einen parkenden Pkw stiegen, ungewöhnlich; erst recht mit Blick darauf, dass die polizeiliche Sachbearbeiterin die Angaben des Zeugen zu diesen Vorfällen als eine „absolute Randnotiz“ bezeichnete. Aufgrund der aufgezeigten Erörterungsmängel entbehrt die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Zeuge habe den Angeklagten „eindeutig“ „anhand der Lichtbildmappe“ identifiziert – ungeachtet dessen, dass auch hier erforderliche Ausführungen zur konkreten Durchführung der Lichtbildvorlage bei der Polizei fehlen (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2023 – 6 StR 110/23) – jeder Grundlage.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Mit der Aufhebung der Schuldsprüche entfallen die in den Fällen II.1 und II.2 verhängten Einzelstrafen.“

Und dann weise ich in dem Zusammenhang noch hin auf den BGH, Beschl. v. 04.04.2023 – 6 StR 110/23. Auch in der Entscheidung hat der BGH die Urteilsgründe zum Wiedererkennen als nicht ausreichend beanstandet – siehe oben 🙂 .

Strafzumessung II: Verringerung des Schuldumfangs, oder: Keine Änderung bei der Strafhöhe?

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Als zweite Entscheidung dann das KG, Urt. v. 21.12.2022 – (3) 121 Ss 165/22 (67/22) – über das ich schon einmal wegen der auch entschiedenen Verfahrensfrage berichtet habe (vgl. StPO I: Ist der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt? oder: Zentraler Aushang im Eingangsbereich reicht).

Heute also noch ein mal wegen der Strafzumessung. Die hat das KG nicht beanstandet:

„2. Auch mit seiner Sachrüge dringt der Angeklagte nicht durch. Die nach wirksamer Berufungsbeschränkung einzig zur Überprüfung stehende Rechtsfolgenentscheidung der Strafkammer ist frei von Rechtsfehlern.

a) Obwohl die Strafkammer trotz hinzugetretener Strafmilderungsgründe auf dieselbe Strafe wie das Amtsgericht erkannt hat, begegnen die Zumessungserwägungen zur verhängten Geldstrafe keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Im Regelfall ist in so gelagerten Fällen aber eine Begründung dafür erforderlich, weil der Angeklagte einen Anspruch darauf hat zu erfahren, warum er trotz Hinzutretens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird wie in der Vorinstanz (vgl. BGH NJW 1983, 54 und NStZ-RR 2013, 113; Senat, Beschluss vom 7. Juli 1997 – (3) 1 Ss 124/97 (52/97) – m.w.N., juris; KG, Beschluss vom 14. Juli 2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) -, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. November 2021 – 1 OLG 53 Ss 97/21 -, juris; OLG München NJW 2009, 160; OLG Bamberg NStZ-RR 2012, 138 m.w.N).

bb) Allerdings ist eine Begründung bei Verhängung einer identischen Strafe trotz wesentlicher Veränderung der für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Gefährdung der spezialpräventiven Wirkung ausgeschlossen erscheint, weil etwa die durch den Vorderrichter verhängte Strafe offensichtlich im unteren Bereich des Vertretbaren gelegen hatte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. April 2016 – 2 (6) Ss 110/16 -, juris; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 368; KG, OLG Bamberg und OLG Brandenburg jeweils a.a.O.).

So liegt der Fall hier. Angesichts einer Schadenshöhe von über 3.000,- Euro bewegt sich die verhängte Geldstrafe, insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis – trotz Vorliegens eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB – nicht entzogen worden ist, am unteren Ende des gerade noch Vertretbaren.

b) Ebenso wenig weisen Haupt- und Nebenstrafe in ihrer Gesamtheit Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf.

aa) Verhängt ein Gericht neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe als Hauptstrafe ein Fahrverbot nach § 44 StGB als Nebenstrafe, hat es zu berücksichtigen, dass zwischen beiden eine Wechselwirkung besteht (vgl. OLG Dresden DAR 2022, 577). Die Nebenstrafe darf nur verhängt werden, wenn die Hauptstrafe allein den mit der Nebenstrafe verfolgten spezialpräventiven Zweck nicht erreichen kann und beide zusammen die Tatschuld nicht überschreiten. Das Urteil muss daher erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dieser Beziehung bewusst gewesen ist und die Haupt- und Nebenstrafe aufeinander abgestimmt hat (vgl. Senat DAR 2007, 594; OLG Koblenz DAR 2018, 452; OLG Stuttgart NZV 2016, 292; OLG Hamm NZV 2004, 598).

bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Das Landgericht hat sich nicht nur gründlich und differenziert mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Maßregel nach §§ 69, 69a StGB (Entziehung der Fahrerlaubnis nebst Anordnung einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis) geboten ist oder ob die Nebenstrafe der Anordnung eines Fahrverbots nach § 44 StGB ausreichend ist. Der Gesamtheit der Urteilsgründe ist zudem (noch) mit ausreichender Klarheit zu entnehmen, dass sich die Strafkammer der Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe bewusst war, indem sie insbesondere die Kriterien der Strafzumessung im engeren Sinn im Rahmen der Erörterungen zur Anordnung des Fahrverbots einer nochmaligen Würdigung unterzogen hat (UA S. 4: “Wegen der Unbestraftheit des Angeklagten sowie der übrigen oben erwähnten für ihn sprechenden Umstände konnte jedoch ausnahmsweise von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden.”). Einer ausdrücklichen Klarstellung bedurfte es deshalb nicht.“

OWi III: Verwerfung nach Terminsverlegungsantrag, oder: Anforderungen an das Verwerfungsurteil

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Und im letzten Posting zu den OWi-Entscheidungen dann etwas Verfahrensrechtliches, nämlich noch einmal etwas zu den Urteilsgründen eines nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 02.02.2023 – 201 ObOWi 1555/22. Das ist ja eine Stelle, an der immer wieder Fehler gemacht werden.

So war es auch hier, was zur Aufhebung der Verwerfungsentscheidung geführt hat:

„Die im Zulassungsantrag sowie zur Begründung der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge genügt den formellen Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG. Es ist geboten, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

1. Der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge liegt folgender, durch die Prozessakten bewiesener Verfahrensgang zugrunde:

Das Amtsgericht Kelheim bestimmte mit Verfügung vom 11.05.2022 (erstmals) Hauptverhandlungstermin auf den 24.06.2022, wobei die Ladungen dem Betroffenen am 13.05.2022 und seinem Verteidiger am 16.05.2022 zugegangen sind.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2022, beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminsverlegung mit der Begründung, er befinde sich in der Zeit vom 14.06.2022 bis 28.06.2022 im Urlaub. Eine Entscheidung über das Terminsverlegungsgesuch ist nicht erfolgt

Zum Hauptverhandlungstermin am 24.06.2022 erschienen weder der Betroffene noch der Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf deshalb den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 02.03.2022 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das Urteil enthielt lediglich den Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG, ansonsten aber keinerlei Entscheidungsgründe.

Dementsprechend fand auch der Terminsverlegungsantrag keine Erwähnung.

2. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die Aufhebung eines Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs dann veranlasst, wenn es sich — wie hier — nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt, dass das Urteil einer einschlägigen Verfassungsbeschwerde nicht standhalten würde. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass das Gericht Anträge und Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und diese insbesondere auch in seine Entscheidungen einbezieht. Diesbezüglich bestehen vorliegend durchgreifende rechtliche Bedenken, da das Amtsgericht weder das Terminsverlegungsgesuch durch Beschluss verbeschieden hat noch dieses in den Urteilsgründen erwähnt hat.

Insbesondere genügt die Urteilsbegründung nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils zu stellen sind, Danach muss ein Urteil, das den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, sich grundsätzlich mit möglichen Entschuldigungsgründen auseinandersetzen (vgl. Beck0K/Bär 37. Ed. 01.01.2023 OWiG § 80 Rn. 26). Der Richter hat mit einer die rechtliche Nachprüfung eröffnenden Begründung darzulegen, weshalb er trotz beachtlicher Hinweise für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen diese Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben als nicht ausreichend bewertet (vgl. KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 74 Rn. 40 m.w.N.). In diesem Zusammenhang muss sich der Tatrichter auch mit einem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers auseinandersetzen und ggf. darlegen, warum er diesem Gesuch nicht entsprochen hat (vgl. BayObLG DAR 2002, 463f.). Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2015 —111-3 RBs 200/15 bei juris). Dem Betroffenen ist es nämlich im Regelfall nicht zuzumuten, den Termin in Abwesenheit des Verteidigers wahrzunehmen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 30a m.w.N.). Eine Erörterung, aus welchen Gründen dem Terminsverlegungsgesuch nicht entsprochen wurde, war insbesondere nicht deshalb entbehrlich, weil der Verlegungsantrag von vorneherein unbegründet oder mutwillig gewesen wäre; vielmehr liegt nahe, dass ihm in Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 c) EMRK hätte entsprochen werden müssen (vgl. BayObLG 201 ObOW 1555/22 a.a.O.). Es entspricht zudem der Übung der Amtsgerichte, dass (zumindest) einem mit Sacher-wägungen begründeten ersten Terminsverlegungsgesuch des Verteidigers entsprochen wird.

In dieser Nichtberücksichtigung bzw. Nichterörterung des geschilderten Entschuldigungsgrundes (Terminsverlegungsantrag des Verteidigers) liegt bereits nicht nur ein Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Köln NZV 1999, 264; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 80 Rn. 41e). Durch die vom Gesetz nicht gedeckte Verfahrensweise der Tatrichterin blieb zudem das bei Durchführung der Hauptverhandlung zur Sache seitens der Verteidigung angekündigte Vorbringen des Betroffenen zur Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs rechtsfehlerhaft unberücksichtigt. Auch mit der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wurde deshalb nicht nur gegen einfaches Verfahrensrecht verstoßen, sondern insbesondere auch dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in der Sache selbst unzulässigerweise beschnitten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.01.2001, Az. 2 ObOWi 607/00 bei juris).

3. Auf den Antrag des Betroffenen war daher dessen Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG) und diese erweist sich aus denselben Erwägungen als begründet.“