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StPO III: Urteilsgründe des Verwerfungsurteils, oder: Wiedergabe/Würdigung der Entschuldigungsgründe

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Und dann habe ich noch den BayObLG, Beschl. v. 07.04.2025 – 206 StRR 105/25 – zu den Urteilsgründen betreffend die Entschuldigungsgründe in einem Berufungsverwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO.

Das AG hatte den wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte u. a. verurteilt. Das LG hat die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten verworfen. Zur Begründung der Verwerfung hat es ausgeführt, der zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladene und über die Folgen eines nicht oder nicht genügend entschuldigten Ausbleibens belehrte Angeklagte sei ohne hinreichende Entschuldigung nicht erschienen. Das LG hat zur weiteren Begründung dann noch ausgeführt:

„Eine Nachfrage bei der das Attest über eine angebliche Verhandlungsunfähigkeit ausstellende Ärztin ergab, dass diese den Angeklagten nicht untersucht hat. Folglich stellt dieses keine hinreichende Entschuldigung dar. Der Verteidiger ist nicht im Besitz einer schriftlichen Vertretungsvollmacht.“

Das reicht dem BayObLG nicht, so dass es das Verwerfungsurteil wegen einer Lücke in der Begründung aufgehoben hat:

1. Das zulässige Rechtsmittel hat auch einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

a) Die Revision ist unter Heranziehung des gebotenen großzügigen Maßstabes noch zulässig (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt im Einzelnen Senat, Beschluss vom 14.11.2024, 206 StRR 388/24, BeckRS 2024, 31758). Eine Verfahrensrüge ist zwar nicht ausdrücklich erhoben. Die Revisionsbegründung ist jedoch auslegungsfähig; es kommt nicht darauf an, wie der Beschwerdeführer die Rüge bezeichnet, entscheidend ist ihre wirkliche rechtliche Bedeutung auf der Grundlage des Revisionsvorbringens (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 344 Rdn. 20a m. w. N.). Hier kann dem Revisionsvortrag (noch) die Zielrichtung entnommen werden, dass das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt habe (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt aaO § 329 Rdn. 48; BeckOK-StPO/Eschelbach, 54. Edition, § 329 Rdn. 67).

b) Die so verstandene Verfahrensrüge, die den formalen Anforderungen an eine solche noch gerecht wird (vgl. insoweit OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.2015, 1 Ss 322/15, BeckRS 2016, 2450, dort Rd. 4), greift auch durch (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807 zu einem vergleichbaren Sachverhalt).

Das Urteil des Landgerichts genügt nicht den von der Rechtsprechung an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 329 StPO ergangenen Verwerfungsurteils zu stellenden Anforderungen. Nach ständiger Rechtsprechung muss das nach § 329 StPO ergangene Urteil so begründet werden, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. So müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Dies folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 05.04.2023, 203 StRR 95/23, zitiert nach juris, dort Rdn. 4).

Im Urteil des Landgerichts findet sich weder eine in sich geschlossene Darstellung der vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe noch ist allein anhand der Entscheidungsgründe nachvollziehbar, warum das Landgericht den Angeklagten nicht als entschuldigt angesehen hat. Aus den dort niedergelegten Erwägungen des Landgerichts lässt sich zwar inzident darauf schließen, dass es zu einer telefonischen Kontaktaufnahme der Vorsitzenden mit der behandelnden Ärztin gekommen sein muss. Welchen näheren Inhalt das Gespräch hatte und mit wem genau es geführt wurde, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Ein Rückgriff auf das Hauptverhandlungsprotokoll oder die Akten ist dem Senat verwehrt. Er kann daher nicht beurteilen, ob die Kammer zurecht angenommen hat, dass der Angeklagte nicht entschuldigt ist, weil ihm ein Erscheinen zur Hauptverhandlung zumutbar war. Allein die Tatsache, dass die Ärztin den Angeklagten am Tag der Hauptverhandlung nicht untersucht hat, führt jedenfalls nicht ohne weiteres dazu, dass eine Verhandlungsunfähigkeit nicht vorgelegen hat; dies hängt u. a. von der Art der Erkrankung und den (Vor-)Kenntnissen der Ärztin von der Krankheit und dem Angeklagten ab.

Zwar rechtfertigt ein Verstoß gegen die Pflicht des Berufungsgerichts, das Entschuldigungsvorbringen lückenlos darzustellen und umfassend zu würdigen, die Aufhebung eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO dann nicht, wenn das angefochtene Urteil nicht auf diesem Fehler beruht, wovon insbesondere dann auszugehen ist, wenn das übergangene Vorbringen des Angeklagten ganz offensichtlich ungeeignet wäre, das Ausbleiben zu entschuldigen (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807, Rdn. 11 m w. N.). Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten kann hiervon jedoch vorliegend nicht ausgegangen werden.“

OWi III: Verwerfung nach Terminsverlegungsantrag, oder: Anforderungen an das Verwerfungsurteil

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Und im letzten Posting zu den OWi-Entscheidungen dann etwas Verfahrensrechtliches, nämlich noch einmal etwas zu den Urteilsgründen eines nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 02.02.2023 – 201 ObOWi 1555/22. Das ist ja eine Stelle, an der immer wieder Fehler gemacht werden.

So war es auch hier, was zur Aufhebung der Verwerfungsentscheidung geführt hat:

„Die im Zulassungsantrag sowie zur Begründung der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge genügt den formellen Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG. Es ist geboten, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

1. Der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge liegt folgender, durch die Prozessakten bewiesener Verfahrensgang zugrunde:

Das Amtsgericht Kelheim bestimmte mit Verfügung vom 11.05.2022 (erstmals) Hauptverhandlungstermin auf den 24.06.2022, wobei die Ladungen dem Betroffenen am 13.05.2022 und seinem Verteidiger am 16.05.2022 zugegangen sind.

Mit Schriftsatz vom 16.05.2022, beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tag, beantragte der Verteidiger Terminsverlegung mit der Begründung, er befinde sich in der Zeit vom 14.06.2022 bis 28.06.2022 im Urlaub. Eine Entscheidung über das Terminsverlegungsgesuch ist nicht erfolgt

Zum Hauptverhandlungstermin am 24.06.2022 erschienen weder der Betroffene noch der Verteidiger. Das Amtsgericht verwarf deshalb den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 02.03.2022 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Das Urteil enthielt lediglich den Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG, ansonsten aber keinerlei Entscheidungsgründe.

Dementsprechend fand auch der Terminsverlegungsantrag keine Erwähnung.

2. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die Aufhebung eines Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs dann veranlasst, wenn es sich — wie hier — nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängt, dass das Urteil einer einschlägigen Verfassungsbeschwerde nicht standhalten würde. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass das Gericht Anträge und Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und diese insbesondere auch in seine Entscheidungen einbezieht. Diesbezüglich bestehen vorliegend durchgreifende rechtliche Bedenken, da das Amtsgericht weder das Terminsverlegungsgesuch durch Beschluss verbeschieden hat noch dieses in den Urteilsgründen erwähnt hat.

Insbesondere genügt die Urteilsbegründung nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils zu stellen sind, Danach muss ein Urteil, das den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, sich grundsätzlich mit möglichen Entschuldigungsgründen auseinandersetzen (vgl. Beck0K/Bär 37. Ed. 01.01.2023 OWiG § 80 Rn. 26). Der Richter hat mit einer die rechtliche Nachprüfung eröffnenden Begründung darzulegen, weshalb er trotz beachtlicher Hinweise für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen diese Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben als nicht ausreichend bewertet (vgl. KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 74 Rn. 40 m.w.N.). In diesem Zusammenhang muss sich der Tatrichter auch mit einem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers auseinandersetzen und ggf. darlegen, warum er diesem Gesuch nicht entsprochen hat (vgl. BayObLG DAR 2002, 463f.). Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2015 —111-3 RBs 200/15 bei juris). Dem Betroffenen ist es nämlich im Regelfall nicht zuzumuten, den Termin in Abwesenheit des Verteidigers wahrzunehmen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 30a m.w.N.). Eine Erörterung, aus welchen Gründen dem Terminsverlegungsgesuch nicht entsprochen wurde, war insbesondere nicht deshalb entbehrlich, weil der Verlegungsantrag von vorneherein unbegründet oder mutwillig gewesen wäre; vielmehr liegt nahe, dass ihm in Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 c) EMRK hätte entsprochen werden müssen (vgl. BayObLG 201 ObOW 1555/22 a.a.O.). Es entspricht zudem der Übung der Amtsgerichte, dass (zumindest) einem mit Sacher-wägungen begründeten ersten Terminsverlegungsgesuch des Verteidigers entsprochen wird.

In dieser Nichtberücksichtigung bzw. Nichterörterung des geschilderten Entschuldigungsgrundes (Terminsverlegungsantrag des Verteidigers) liegt bereits nicht nur ein Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BayObLG a.a.O.; OLG Köln NZV 1999, 264; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 80 Rn. 41e). Durch die vom Gesetz nicht gedeckte Verfahrensweise der Tatrichterin blieb zudem das bei Durchführung der Hauptverhandlung zur Sache seitens der Verteidigung angekündigte Vorbringen des Betroffenen zur Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Schuldvorwurfs rechtsfehlerhaft unberücksichtigt. Auch mit der Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wurde deshalb nicht nur gegen einfaches Verfahrensrecht verstoßen, sondern insbesondere auch dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in der Sache selbst unzulässigerweise beschnitten (vgl. BayObLG, Beschl. v. 11.01.2001, Az. 2 ObOWi 607/00 bei juris).

3. Auf den Antrag des Betroffenen war daher dessen Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Kelheim vom 24.06.2022 zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 OWiG) und diese erweist sich aus denselben Erwägungen als begründet.“