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OWi I: Urlaubszeiten bei der Terminierung/Terminsverlegung, oder: Nicht mit dem Kopf durch die Wand

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Heute dann drei OWi-Entscheidungen

Ich starte mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.12.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 642/19 (374/19). Es geht um Terminsverlegung. Das AG hat den Betroffenen in einer Abwesenheitsverhandlung (§ 74 Abs. 1 OWiG) am 29.07.2019 – Betroffener und Verteidiger waren nicht erschienen – wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße verurteilt und zugleich ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. D

Zum Verfahrensgeschehen: Ein zuvor auf den 17.06.2019 anberaumter Hauptverhandlungstermin war ausweislich einer richterlichen Vermerks vom 07.06.2019 wegen Erkrankung der zuständigen Bußgeldrichterin aufgehoben worden. Am 24.06.2019 beraumte die Richterin neuen Hauptverhandlungstermin auf dem 08.07.2019 an. Mit Schriftsatz vom 30.06.2019 bat der Verteidiger des Betroffenen um Verlegung der Hauptverhandlung wegen Terminkollision und wies dies durch eine Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Nauen nach. Unter dem Datum des 04.07.2019 verfügte die Bußgeldrichterin die Terminverlegung auf den 29.07.2019. Mit Schriftsatz vom 09.07.2019 teilte der Verteidiger des Betroffenen dem Bußgeldgericht mit, dass er vom 27.07.2019 bis zum 04.082019 „urlaubsbedingt kanzleiabwesend“ sei und bat um Prüfung, ob die Anberaumung der Hauptverhandlung auf den 26.08.2019 möglich sei. Mit Beschluss vom 11.07.2019 hat das AG Oranienburg den „erneuten Antrag auf Terminverlegung zurückgewiesen“ und zur Begründung ausgeführt, dass schon der voraufgegangene Hauptverhandlungstermin vom 08.07.2019 auf Antrag des Verteidigers wegen Terminkollision verlegt worden sei. Unter dem Datum des 25.07.2019 beantragte der Verteidiger dann, den Betroffenen vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden; zugleich räumte der Betroffene die Fahrereigenschaft ein und erklärte, in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache und zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen. Das AG kam dem Antrag auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht des Betroffenen nach.

Der Betroffene hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die Erfolg hatte:

„2. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Bereits die von dem Betroffenen erhobene Verfahrensrüge, mit der er den Verstoß gegen das Recht, sich in der Hauptverhandlung durch einen gewählten Verteidiger vertreten zu lassen beanstandet (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK, 137 StPO iVm. § 46 Abs. 1 OWiG), greift durch.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 23. Oktober 2019 wie folgt aus.

„Gemäß § 137 Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG kann sich ein Betroffener in jeder Lage des Verfahrens des Beistands durch einen Verteidiger bedienen. Aber selbst im Strafverfahren hat nicht jede Verhinderung des gewählten Verteidigers zur Folge, dass eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden kann (vgl. BGH NStZ 199, 527). In diesen Fällen sind vielmehr das Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung und das Interesse des Staates an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens gegeneinander abzuwägen, wobei im Zweifelsfall das Verteidigungsinteresse Vorrang hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 2019 – 4 RBs 71/19 juris). Dabei sind unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die Bedeutung der Sache, die Persönlichkeit des Betroffenen, die Prozesssituation, die Veranlassung der Verhinderung, die Dauer der Verzögerung, der Umfang der Behinderung der Verteidigungsmöglichkeit und das Verhalten des Betroffenen und seines Verteidigers hierzu u. Ä. in Rechnung zu stellen (vgl. BbgOLG, Beschluss vom 23. März 2012 – 1 Z 54/12 – m. w. N.).

Im vorliegenden Fall ist der Betroffene durch den Bußgeldbescheid nicht nur mit einem Bußgeld, sondern auch mit einem Fahrverbot belegt worden, was nicht nur eine vergleichsweise geringe Sanktion darstellt. Auch ist noch keine auf Prozessverschleppung ausgerichtete Verteidigungsstrategie erkennbar. Wie in der Rüge ausgeführt und durch den Akteninhalt belegt, wurde der erste angesetzte Hauptverhandlungstermin vom 17.06.2019 wegen Erkrankung der Vorsitzenden aufgehoben, Termin zum 08.07.2019 war dann kurzfristig anberaumt worden, die Verhinderung des Verteidigers infolge einer Kollision mit einem Termin am Amtsgericht Nauen belegt. Der neue Hauptverhandlungstermin am 29.07.2019, der ohne den Betroffenen sowie den Verteidiger stattfand, konnte durch den Verteidiger wegen Urlaubs nicht wahrgenommen werden. Eine Abwägung zwischen dem Interesse an einer reibungslosen Durchführung des Verfahrens und dem Verteidigungsinteresse des Betroffenen fällt bei dieser Sachlage zugunsten des Betroffenen aus.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die beiden Termine am 8. Juli 2019 und am 29. Juli 2019 inmitten der Schulferien in Berlin und Brandenburg lagen (20.06.2019 bis. 03.08.2019), mithin Urlaubszeiten bei der Terminierung besonders zu berücksichtigen sind. Die starre Haltung des Bußgeldgerichtes, nur eine Terminverlegung zuzulassen (S. 4 UA), ist jedenfalls für die Ferienzeit dann nicht nachvollziehbar, wenn Anhaltspunkte für eine Prozessverschleppung nicht ersichtlich sind.“

Wenn ich den Verfahrensablauf so lese, frage ich mich: Warum macht man das als Amtsrichter? Der Verteidiger hat doch einen „Ausweichtermin“ vorgeschlagen. Warum terminiert man nicht an dem Tag sondern will „mit dem Kopf durch die Wand“ und unbedingt am 29.07.2019 verhandeln. Und das alles unter der „Prämisse“, dass  und der Richter es war, der am urspünglichen Termin krank war und zu dem Termins-Hin-und Her Veranlassung gegeben hat.

Mehr schreibe ich jetzt lieber nicht: Sonst heißt es wieder, ich würde nur die Amtsrichter schlecht machen.

Kessel Buntes III: Keine Beschwerde gegen Ablehnung der Terminsverlegung, oder: Wir wissen es besser

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Und zum Abschluss dann noch der LG Neuruppin, Beschl. v. 27.01.2020 – 11 Qs 7/20, den ich vom Kollegen C. Hoenig aus Berlin erhalten habe. Der Beschluss ist nun – anders als die heute Morgen und heute Mittag vorgestellten Beschlüsse – weniger schön. Nun ja, das Leben ist kein Ponyhof :-).

Im Beschluss geht es um die Frage der Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die Ablehnung einer Terminsverlegung. Das LG ist da sehr strikt und meint: Bei/mit uns nicht, und zwar auf keinen Fall:

„Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ist gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 305 Abs. 1 StPO unstatthaft. Denn bei der Terminsbestimmung und der Entscheidung über die Verlegung einmal anberaumter Termine handelt es sich um Entscheidungen, die im Sinne von § 305 Satz 1 StPO der Urteilsfällung vorausgehen und die deshalb nicht der Beschwerde unterliegen. Ein gesetzlicher Ausnahmefall der Anfechtbarkeit nach § 305 Satz 2 StPO liegt nicht vor.

Die Kammer folgt auch nicht dem Teil der Rechtsprechung, der eine Beschwerde trotz   305 Satz 1 StPO für zulässig erachtet, wenn eine Terminsverfügung oder eine Entscheidung über einen Terminsverlegungsantrag als rechtswidrig oder ermessensfehlerhaft gerügt wird (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 213 Rn. 8). Denn die Aufzählung der Ausnahmefälle in 305 Satz 2 StPO ist abschließend. Etwa auftretende andere Verfahrensfehler oder Verletzungen von Rechten des Angeklagten/Betroffenen sind einer Überprüfung durch die Rechtsmittelinstanz erst mit dem ergehenden Urteil zugänglich. Diese Möglichkeit der Überprüfung genügt, um den von der Verfassung gebotenen Rechtsschutz zu gewährleisten. Die Entscheidung des Gesetzgebers, im Straf- und Bußgeldverfahren nur ganz bestimmte Entscheidungen einer Überprüfung durch die Rechtsmittelinstanz schon vor dem Urteil zu unterwerfen, ist deshalb zu respektieren.

Das gilt, entgegen einem anderen Teil der Rechtsprechung (so etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 21.06.2005, 5 Ws 81/05), selbst dann, wenn das Beschwerdevorbringen es möglich erscheinen lässt, dass ein schwerwiegender und evidenter Rechtsfehler vorliegt. Denn aufgrund der vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 305 Satz 1 StPO vorgenommenen Kompetenzenverteilung ist die Kammer unter keinen Umständen zu einer Entscheidung darüber berufen, ob eine Entscheidung in den hiervon geregelten Fällen überhaupt rechtsfehlerhaft ist. Diese Entscheidung obliegt vielmehr im Bußgeldverfahren ausschließlich dem Rechtsbeschwerdegericht. Die Kammer ist aber nicht berechtigt, einen Teil der Prüfungskompetenz des Rechtsbeschwerdegerichts dadurch an sich zu ziehen, dass sie im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens das Ergehen einer erstinstanzlichen Entscheidung oder ihren Inhalt vorab determiniert.“

Das ist – leider – eine dieser typischen „Besserwisserentscheidungen“ nach dem Motto: was schert uns die h.M. Wir wissen es besser.

OWi I: Einspruchsverwerfung, oder: Nicht, wenn die Fürsorgepflicht die Terminsverlegung gebietet

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Der Tag heute ist drei verfahrensrechtlichen Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren gewidmet.

Bei der ersten Entscheidung handelt es sich um den KG, Beschl. v. 8.10.2019 – 3 Ws (B) 282/19. Ergangen ist sie nach einer Verurteilung des Betroffenen wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes. Der Verteidiger hatte vor der Hauptverhandlung beanstandet, dass ihm die Messdaten im tuff-Format nicht gewährt worden ist. Diese Daten erhielt er erst am Tag vor dem Hauptverhandlungstermin. Noch am selben Tag beantragte er die Verlegung des Hauptverhandlungstermins, da ihm die Einsicht in die nun vorliegenden Messdaten noch nicht möglich gewesen und beabsichtigt sei, diese an den von der Verteidigung beauftragten Sachverständigen zur Auswertung zu übermitteln. Das AG hat am Folgetag den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid verworfen, da er im Hauptverhandlungstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war, obgleich er nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden gewesen ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Aussetzungsantrag des Verteidigers, der dem Gericht am Hauptverhandlungstag zuging und mit dem der Verteidiger erneut Akteneinsicht beantragt, um die Falldatei im Tuff-Format einzusehen, werde nicht stattgegeben. Es habe bereits ausreichend Gelegenheit zur Akteneinsicht bestanden. Die Akte mit den entsprechenden Rohmessdaten sei an den Verteidiger zur Akteneinsicht übersandt worden. Bereits fünfmal seien Termine anberaumt und auf Anträge der Verteidigung verlegt worden.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war erfolgreich:

„Die Rechtsbeschwerde führt auf die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Das nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangene Verwerfungsurteil hat keinen Bestand, weil das Amtsgericht durch die Ablehnung des Terminverlegungsantrages gegen seine prozessuale Fürsorgeflicht verstoßen hat.

Das Gericht hat den Einspruch des Betroffenen ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen, wenn dieser ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, obwohl er nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, § 74 Abs. 2 OWiG. Die Entschuldigung eines Ausbleibens im Termin ist dann als  genügend anzusehen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. August 2018 — 3 Ws (B) 194/18 -, juris).

Der Betroffene war in diesem Sinne genügend entschuldigt, da der Verteidigung die Einsichtnahme in die vom Gericht beigezogenen Daten ohne eigenes Verschulden vor der Hauptverhandlung nicht möglich war und das Gericht angesichts dessen mit der Ablehnung des darauf gestützten Terminverlegungsantrags seine Fürsorgepflicht verletzt hat.

1. Die Umsetzung der dem Verteidiger formal gewährten Akteneinsicht konnte vor dem Hintergrund des Umstandes, dass ihm die Mitteilung hierüber erst am Tag vor dem Hauptverhandlungstermin zugegangen ist, nicht in zumutbarer Weise erfolgen.

Das Recht eines Betroffenen, sich nach §§ 137 Abs. 1 Satz 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, umfasst vor dem Hintergrund des darin zum Ausdruck kommenden Rechts auf ein faires Verfahren auch die Befugnis, sich im Ordnungswidrigkeitenverfahren von einem  gewählten Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (vgl. OLG Thüringen VRS 113, 322; BayObLG, Beschluss vom 31. Oktober 2001 – 1 ObOWi 433/01  juris m.w.N.). Diesem ist gemäß § 147 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Akten zu gewähren, worunter auch jene Aktenbestandteile zählen, die vom Gericht beigezogen worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03 – und Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81 -, jeweils bei juris; OLG Karlsruhe NStZ 1982, 299).

Die Verteidigung kann zwar, soweit es zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grundsätzlich auch in solche Unterlagen Einsicht nehmen, die sich nicht bei den Akten befinden, da sie ohne Kenntnis aller  Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen kann, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2018 — 3 Ws (B) 133/18 -, juris). Sind aber derartige Unterlagen vom Gericht beigezogen worden, hat es der Verteidigung die Einsicht in diese – in zumutbarer Weise (vgl. OLG Hamm NJW 1972, 1096) – zu ermöglichen.

Zwar hat die Tatrichterin die Einsichtnahme in die Dateien im tuff-Format genehmigt, allerdings war es dem in Gotha ansässigen Verteidiger angesichts des Umstandes, dass dieser erst am Tag vor dem Hauptverhandlungstermin Kenntnis vom Eingang der Unterlagen erlangte, faktisch nicht mehr möglich, die Akteneinsicht in zumutbarer Weise wahrzunehmen. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, dass es der Verteidigung gerade darum bestellt war, die erforderten Unterlagen dem von ihr hinzugezogenen Sachverständigen zur Prüfung zu übergeben, was dem Amtsgericht aufgrund der Übersendung dessen vorläufiger Einschätzung und der entsprechenden Mitteilungen durch den Verteidiger bekannt war.

2. Die gerichtliche Fürsorgepflicht hätte es daher erfordert, dem Terminverlegungsantrag zu entsprechen.

Das Gericht hat über einen Terminaufhebungsantrag der Verteidigung nach  pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wobei maßgeblich ist, ob die gerichtliche Fürsorgepflicht eine Terminverlegung gebietet (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juli 2014 – 3 Ws (B) 255/14 -, juris). Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden, der jedoch gehalten ist, über derartige Anträge unter Berücksichtigung  der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebotes der Verfahrensbeschleunigung und der • berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu entscheiden (vgl. BGH NStZ 1998, 311; Senat, Beschluss vom  30. Juli 2014 a.a.O.). Bei dieser Güterabwägung ist insbesondere das Verteidigungsinteresse des Betroffenen zu berücksichtigen, welchem im Zweifel Vorrang einzuräumen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Juni 2015 — 3 RBs 200/15 -, BeckRS 2015, 16614). So kann das Recht auf ein faires Verfahren sowie die gerichtliche Fürsorgepflicht eine Terminverlegung gebieten (vgl. OLG Köln DAR 2005, 576; Senat NZV 2003, 433; BayObLG zfs 1994, 387; Bohnert/Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl., § 74 Rn. 17 m.w.N.).

Der Umstand, dass ein Terminverlegungsantrag gestellt wurde, begründet zwar nicht bereits für sich genommen einen ausreichenden Entschuldigungsgrund für das Nichterscheinen des Betroffenen. Jedoch ist ihm die Teilnahme am Hauptverhandlungstermin regelmäßig dann unzumutbar; wenn der mit der Begründung seiner Verhinderung rechtzeitig vom Verteidiger gestellte Verlegungsantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt worden ist (vgl. Senat DAR 2012, 395; OLG Bamberg StraFo 2011, 232; Krumm in Blum/Gassner/Seith, OWIG, § 74 Rn. 24 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dessen kann auch das Nichterscheinen des Betroffenen selbst im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG genügend entschuldigt sein, wenn eine sachgerechte Terminvorbereitung durch Maßnahmen des Amtsgerichts verhindert worden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. Juli 1990 — 2 Ob OWi 148/90 -,  juris) oder eine beantragte Akteneinsicht faktisch verweigert worden ist (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2004 – 1 Ss 65/04 –  juris).

Diese Maßstäbe zugrunde legend durfte das Amtsgericht — worauf die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Stellungnahme vom 16. August 2019 zutreffend hinweist — nicht allein auf das als unentschuldigt angesehene Ausbleiben des Betroffenen selbst abstellen. Vielmehr wäre dem Terminverlegungsantrag des Verteidigers vom 27. September 2018 zu entsprechen gewesen.

In Reaktion auf den Antrag des Verteidigers vom 31. Juli 2018 hätte das Amtsgericht mit Verfügung vom 15. August 2018 die Übermittlung der Messdaten im tuff-Format beim Polizeipräsidenten in Berlin erfordert, welche am 13. September 2018 dort eingingen. Am 17. September 2018 verfügte die zuständige Richterin, dass der Verteidiger über den Eingang dieser Daten sowie die auch insoweit gewährte Akteneinsicht unterrichtet werde. Nach dem nicht widerlegten Vortrag der  Rechtsbeschwerde ging diese Nachricht erst am 27. September 2018 beim in Gotha ansässigen Verteidiger des Betroffenen ein, weshalb sich dieser veranlasst sah, mit am gleichen Tage per Fax an das Gericht übermitteltem Schriftsatz die Aufhebung des für den Folgetag angesetzten Hauptverhandlungstermins zu beantragen.

Da die Einsicht in die nun erstmals vom Gericht beigezogenen Daten im tuff-Format der Verteidigung aus tatsächlichen Gründen vor dem Hauptverhandlungstermin nicht ermöglicht worden war, wäre dieser auf den Antrag des Verteidigers aufzuheben gewesen, um Gelegenheit zu geben, die Akteneinsicht umzusetzen. Dies gilt vor allem, da die Verteidigung die Beiziehung und die entsprechende Akteneinsicht rechtzeitig beantragt hatte. Kommt das Gericht einem solchen Beiziehungsantrag nach, ist es gehalten, der Verteidigung die tatsächliche Möglichkeit zur Kenntnisnahme der beigezogenen Unterlagen einzuräumen.

Die Begründung des Amtsgerichts, dem Verteidiger sei bereits in der Vergangenheit Akteneinsicht gewährt worden, verfängt angesichts dessen nicht. Denn es ist auszuschließen, dass die erst kurz vor dem Hauptverhandlungstermin beigezogenen Unterlagen seinerzeit bereits Aktenbestandteil gewesen sind. Derartiges ist auch vor  dem Hintergrund nicht naheliegend, dass das Gericht dem Verteidiger mit Verfügung vom 17. September 2018 unter Bezugnahme auf den Eingang ergänzender  Unterlagen erneut Akteneinsicht gewährte. Unter den gegebenen Umständen konnte der Betroffene darauf vertrauen, dass das Amtsgericht seiner Fürsorgepflicht folgend dem umgehend gestellten Antrag auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins entsprechen werde.

Schließlich stand der Gewährung von Akteneinsicht nicht entgegen, dass eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers nicht zu den Akten gelangt war. Sollte das Amtsgericht Zweifel an der Bevollmächtigung des Verteidigers gehabt haben – wofür sich keine Anhaltspunkte ergeben -, so hätte es unverzüglich hierauf hinweisen müssen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht a.a.O.).“

Das kleine 1 x 1 der Terminsverlegung/Terminierung, oder: „Angefressenes“ Beschwerdegericht

entnommen openclipart.org

Die zweite landgerichtliche Entscheidung stammt dann aus dem Problembereich: Terminsverlegung. Die war vom Verteidiger – rechtzeitig vor dem anberaumten Haupverhandlungstermin – beantragt worden. Das AG hatte sie abgelehnt. Das LG Stuttgart hat im LG Stuttgart, Beschl. v. 25.09.2019 – 7 Qs 59/19 – dann „Tacheles“ geredet:

„1. Grundsätzlich hat ein Angeklagter das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt allerdings nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden kann. Die Terminierung ist Sache des Vorsitzenden und steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen (§ 213 StPO). Der Vorsitzende muss sich jedoch ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, soweit als möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten des Gerichts und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragen (vgl. BGH NJW 2018, 1698, 1699). Zu berücksichtigen ist ferner, ob dem Angeklagten auf Grund rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten die Wahrnehmung des Termins ohne seinen Verteidiger unzumutbar ist und das Verlegungsgesuch rechtzeitig gestellt und auf gewichtige Gründe gestützt worden ist (vgl. OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2014, 250, 251).

2. Nach diesen Maßstäben ist die Ablehnung der Terminsverlegung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig:

Zutreffend weist die Beschwerdebegründung darauf hin, dass der Strafrichter sich weder bei den zuvor erfolgten Terminierungen auf den 15. Oktober 2019 und 5. November 2019 noch bei derjenigen auf den 12. November 2019 um eine Terminsabstimmung mit dem Wahlverteidiger, den der Angeklagte bereits vor Erlass des Strafbefehls beauftragt hat und der ersichtlich sein Vertrauen genießt, bemüht hat. Wie die zweifache Verlegung des Termins um wenige Wochen bzw. Tage nahelegt, dürfte eine andere Terminierung der Strafsache, bei der es sich im Übrigen um keine besonders zu beschleunigende Haftsache handelt, auch nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen sein. Die zuvor jeweils mögliche zeitnahe Verlegung der Hauptverhandlung zeigt zudem, dass auch im Fall einer weiteren Terminsverlegung trotz der angeführten, allerdings nicht näher konkretisierten Auslastung des Strafreferats eine ins Gewicht fallende zeitliche Verzögerung nicht zu befürchten ist. Die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten sind nicht nur Bagatelldelikte. Dies und der von ihnen betroffene sensible Deliktsbereich machen es für den Angeklagten unzumutbar, den Hauptverhandlungstermin allein wahrzunehmen oder sich einen neuen Verteidiger zu suchen. Letztlich ist die Verhinderung des Wahlverteidigers wegen der Wahrnehmung anderer Vertretungen in Strafverfahren ein gewichtiger, eine Terminsverlegung rechtfertigender Grund. Der Verlegungsantrag wurde unmittelbar nach Erhalt der Ladung und viele Wochen vor der angesetzten Hauptverhandlung angebracht. In seiner ohnehin nur knappen fallbezogenen Begründung der Ermessensausübung hat der Strafrichter die genannten Gesichtspunkte nicht erkennbar berücksichtigt. Diese erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass bereits zwei Mal eine Terminsverlegung auf Antrag des Wahlverteidigers erfolgt ist. Diese waren jedoch allein auf die eigenen Versäumnisse des Strafrichters zurückzuführen.

Nach alledem wird der Strafrichter nunmehr — tunlichst nach Terminsanfrage beim Wahlverteidiger — einen neuen Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen haben.“

Man merkt m.E., dass das LG „angefressen“ war – „knapp fallbezogen“, „eigene Versäumnisse des Strafrichters“ und „tunlichst nach Terminsanfrage“ -, dass es mal wieder das „kleine 1 x 1“ der Terminierung/Terminsverlegung erläutern musste.

Wenn die Hauptverhandlung um 08.00 Uhr beginnt, oder: Nicht so schlimm, muss der Verteidiger eben früh aufstehen

entnommen wikimedia.org
Urheber Bass2001

Als zweite Entscheidung stelle ich den LG Trier, Beschl. v. 22.03.2018 – 5 Qs 21/18 – vor. Die ist vor einiger Zeit schon in der NZV „gelaufen“. Ich habe Sie mir vom Kollegen Dr. Fromm aus Koblenz, der sie erstritten – besser „erlitten“ hat – besorgt und stelle sie heute vor.

Entschieden hat das LG über einen Terminsverlegungsantrag des Kollegen. Das AG Wittlich hatte nach fernmündlicher Abstimmung mit dem Büro des Kollegen Termin zur Hauptverhandlung auf den 29.03.2018 bestimmt und den Terminsbeginn auf 8:00 Uhr festgelegt. Nach Erhalt der Ladung stellt der Kollege den Antrag, den für den 29.03.2018, 8:00 Uhr anberaumten Termin aufzuheben und neuen Termin zu bestimmen. Zur Begründung hat er vorgetragen, er müsse von seinem Wohnsitz in Dieblich bereits vor 6:00 Uhr abfahren, um pünktlich bei Gericht zu sein. Die erfolgte Terminierung stelle deshalb eine solche zur „Unzeit“ dar und müsse aufgehoben werden.

Den Antrag hat das AG abgelehnt. Dagegen das Rechtsmittel, das beim LG keinen Erfolg hatte:

„Ob die vorliegende Beschwerde gegen die Ablehnung der Verlegung des auf den 29.03.2018, 8:00 Uhr, anberaumten Termins zur Hauptverhandlung überhaupt ein statthaftes Rechtsmittel gegen die angefochtene Entscheidung darstellt, kann vorliegend dahinstehen, da die Beschwerde im Ergebnis jedenfalls unbegründet und daher zu verwerfen ist.

Die Beschwerde gegen die Bestimmung oder Aufhebung eines Hauptverhandlungstermins, insbesondere die Ablehnung des Antrags auf Terminverlegung, ist nämlich grundsätzlich gem. § 305 Satz 1-StPO der bestimmt, dass Entscheidungen des erkennenden Gerichts nicht der Beschwerde unterliegen, ausgeschlossen (Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 213 Rdz. 8). Sie kann aber nach einer verbreiteten Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung dann ausnahmsweise als zulässig angesehen werden, wenn sie darauf gestützt ist, dass die Entscheidung des Gerichts rechtswidrig sei, wozu auch die fehlerhafte Ausübung seines Ermessens gehören soll. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung soll nach dieser Ansicht allerdings dem Beschwerdegericht entzogen sein (OLG Celle, NJW 2012, 246; OLG Dresden NJW 2004, 3196; OLG Frankfurt StV 1995, 9; OLG Hamburg StV 1995,11). Prüfungsmaßstab ist damit allein die Vertretbarkeit der Entscheidung.
Da diese Nachprüfung durch die Beschwerdekammer vorliegend ergibt, dass eine fehlerhafte Ausübung des dem Amtsgericht Wittlich zustehenden Ermessens nicht gegeben ist, ist die Beschwerde jedenfalls unbegründet.

Die Entscheidung des Richters, wann Termin zur Hauptverhandlung anberaumt wird, steht grundsätzlich in seinem Ermessen. Das Gericht hat sich dabei insbesondere davon leiten zu lassen, dass das Verfahren beschleunigt durchgeführt werden kann (Meyer-Goßner,. a.a.O. § 213 Rdz.6). Neben der Belastung des Gerichts und der Reihenfolge des Eintritts der Rechtshängigkeit sind jedoch auch berechtigte Wünsche der Prozessbeteiligten zu berücksichtigen (BGH NStZ 1998, 311). Einen Anspruch auf Verlegung eines Termins haben diese jedoch nicht. Vielmehr hat der Richter auch über einen Terminverlegungsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung sowie der Terminplanung des Gerichts zu entscheiden (OLG Hamm, NStZ- RR 2001, 107). Ermessensfehlerhaft ist die Entscheidung lediglich dann, wenn sich das Gericht bei der Ablehnung der beantragten Terminverlegung von sachfremden und damit willkürlichen Beweggründen hat leiten lassen.

So verhält es sich vorliegend indes nicht.

So hat das Amtsgericht den Termintag als solchen mit dem Büro des Beschwerdeführers abgestimmt. Die – relativ frühe – Terminstunde hat das Gericht dagegen mit der gegenwärtigen Arbeitsbelastung und dem Beschleunigungsgebot vor dem Hintergrund drohender Verjährung und damit mit Umständen begründet, die nicht zu beanstanden sind. So hat das Gericht ausgeführt, es sei derzeit wegen gegenwärtigem hohen Geschäftsaufkommens gehalten, auch zu früheren Terminstunden zu terminieren. Zudem mache es die Kürze der geltenden Verjährungsfrist gem. § 26 Abs. 3 StVG erforderlich, die Hauptverhandlung im Anschluss an den Eingang der Sache bei Gericht binnen sechs Monaten zu terminieren. Dies sei aktuell nur unter zeitlicher Ausdehnung der vorhandenen Sitzungstage möglich. Sachfremde Erwägungen lassen diese Ausführungen jedenfalls nicht erkennen. Zu Recht weist das Amtsgericht außerdem darauf hin, dass die gebotene Rücksichtnahme auf die persönlichen Belange der Betroffenen nicht dazu führen kann, dass eine Terminierung innerhalb der Grenzen der Verjährungsvorschriften nicht mehr erfolgen kann. Hinzu kommt, worauf das Amtsgericht ebenfalls bereits richtigerweise hingewiesen hat, dass die Fahrstrecke Koblenz (Kanzleianschrift) – Wittlich ohne Weiteres in einer Stunde bewältigt werden kann, weshalb ein Fahrtantritt zur Nachtzeit gerade nicht erforderlich ist.“

Na ja. Ich erspare mir einen weiter gehenden Kommentar, der Kollege hat in seiner Anmerkung in der NZV dazu schon alles gesagt. Hier nur soviel: Das Ganze riecht nach Retourkutsche (wofür?) oder Druck zur Einspruchsrücknahme, dennw arum kann man nicht den Termin für den nicht ortsansässigen Kollegen verlegen? Und: Wie ist das noch mit der Rechtsprechung zur Übernahme der Übernachtungskosten, wenn der Rechtsanwalt vor 06.00 Uhr die Reise zum Termin antreten muss?

Ja, ich habe gelesen, dass das LG von der Kanzleianschrift ausgeht. Trotzdem für mich nicht nachvollziehbar die Entscheidung.