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Terminsverlegung und faires Verfahren, oder: Wenn das AG die Terminsschwierigkeiten selbst verursacht hat

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Und als dritte Entscheidung dann der LG Wiesbaden, Beschl. v. 06.06.2018 – 6 Qs 38/18, den mir der Kollege Zipper aus Schwetzingen geschickt hat. Thematik: Dauerbrenner „Terminsverlegung und faires Verfahren“, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten und einer Mitangeklagten u.a. Vorenthalten vonArbeitsentgelt und Steuerhinterziehung zur Last. Nach „Zulassung der Anklage zur Verhandlung vor dem Amtsgericht – Strafrichter (Abteilung 71 des AG Wiesbaden) mit Beschluss vom 21.11.2017 wird vom Strafrichter der Abteilung 71 Termin zur Hauptverhandlung am 24.01.2018 bestimmt. Dieser Termin wird sodann aus „dienstlichen Gründen“ aufgehoben, weil übersehen worden war, dass nach der Geschäftsverteilung des AG Wiesbaden offensichtlich Sonderdezernate für Steuerstrafsachen eingerichtet sind, was die Zuständigkeit einer anderen Abteilung des AG begründete, nämlich der Abteilung 79. Die Abladung des Angeklagten  kam mit dem Vermerk „unter der angegeben Anschrift nicht zu ermitteln“ in den Postrücklauf. Mit Terminierung des aktuellen Hauptverhandlungstermins am 07.06.2018 und am 05.04.2018 wurde gleichwohl – erfolglos – versucht, den Angeklagten unter der nicht mehr aktuellen Anschrift zu laden. Eine Einwohnermeldeauskunft am 24.04.2018 ergab, dass der Angeklagte seit dem 15.10.2017 unter der aktuellen Adresse gemeldet ist. Offensichtlich ohne Kenntnisnahme dieser Einwohnermeldeauskunft vom 24.02.2018 beauftragte das AG sodann am 14.05.2018 die Polizeistation Idstein mit der „Überprüfung der Meldeadresse des Angeklagten, gegebenenfalls Aufenthaltsermittlung und Übergabe der Terminsladung gegen EB falls er angetroffen werden sollte“. Auf diesem Wege wurde der Angeklagte sodann am Freitag, den 25.05.2018, zum Termin am 07.06.2018 geladen. Sein – früherer – Verteidiger hatte zwischenzeitlich am 16.05.2018 ohne Angabe von Gründen mitgeteilt, dass er den Angeklagten nicht mehr verteidige.

Am 30.05.2018 meldete sich der aktuelle Verteidiger des Angeklagten, der Kollege Zipper, und bat neben Akteneinsicht um Aufhebung des Termins am 07.06.2018 und Anberaumung eines neuen Termins unter Beifügung seiner Ladung als Verteidiger in einer Strafsache vor dem AG Mannheim zu einer Hauptverhandlung am 07.06.2018 mit 13 Zeugen und der Mitteilung, dass ihn der Angeklagte erst am Montag, dem 28.05.2018, mandatiert habe.

Das AG weist den „Aussetzungsantrag vom 30.05.2018″ zurück und gewährt dem Verteidiger Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle. Bezug genommen wurde dabei auf § 228 Abs. 2 StPO, der bei Verhinderung des Verteidigers dem Angeklagten – unbeschadet einer notwendigen Verteidigung nach § 145 StPO – kein Recht einräumt, eine Aussetzung der Verhandlung Abbruch der Verhandlung. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das LG Wiesbaden als zulässig und begründet angesehen:

„Der angefochtene Beschluss lässt eine diesbezügliche Ermessensausübung vermissen. Gleiches gilt für den Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 04.06.2018 <369R>, der lediglich darauf verweist, dass die Sache bei Wechsel in das Steuerdezernat bereits terminiert gewesen sei.

Soweit das Amtsgericht den Angeklagten in der Begründung des Beschlusses unter „Berücksichtigung“ des Grundsatzes eines „fairen Verfahrens“ lediglich darauf verweist, dass er sich bei der Wahl eines (neuen) Verteidigers hätte daran orientieren können (müssen), einen Verteidiger zu wählen, der ihn an dem bereits bestimmten neuen Hauptverhandlungstermin auch vertreten kann, bestehen bei Berücksichtigung des dargestellten Verfahrensganges zudem durchgreifende Bedenken an einem fairen Verfahren. Nachdem das Amtsgericht nämlich zunächst die eigene Geschäftsverteilung versehentlich nicht berücksichtigt und sodann die Nichtzustellbarkeit der darauf erfolgten Abladung des Angeklagten übersehen und mit Verfügung vom 05.04.2018 die Ladung zum neuen Termin am 07.06.2018 unter einer erkennbar nicht ladungsfähigen Anschrift verfügt hatte, wurde weiter auch die Einwohnermeldeauskunft vom 24.04.2018, aus der sich die neue ladungsfähige Anschrift des Angeklagten ergab, nicht zur Kenntnis genommen, weswegen die Ladung des Angeklagten letztlich nicht zeitnah Ende April 2018, sondern erst am 25.05.2018, einem Freitag, erfolgt ist. Zwischenzeitlich hatte der bisherige Verteidiger des Angeklagten am 16.05.2018 ohne Angabe und Ermittlung der Gründe hierfür mitgeteilt, dass er den Angeklagten nicht mehr verteidigt. Jedenfalls vor diesem Hintergrund war es dem Angeklagten nicht zuzumuten, sich kurzfristig einen weiteren (dritten) Verteidiger seines Vertrauens zu suchen, nachdem er unverzüglich bereits am Montag, den 28.05.2018, seinen aktuellen Wahlverteidiger beauftragt hatte, der sodann seinerseits umgehend am 30.05.2018 seine Verhinderung am 07.06.2018 glaubhaft gemacht und um Terminverlegung und Aktensicht gebeten hat. Im Hinblick auf den erhobenen Vorwurf, gemeinschaftlich handelnd in 8 Fällen „als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten zu haben“ und „als Arbeitgeber die für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben“ sowie in 5 weiteren Fällen die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch Steuern verkürzt zu haben, war es dem Angeklagte schließlich auch nicht zumutbar, die Hauptverhandlung ohne einen Verteidiger wahrzunehmen.

Der Entscheidung des LG ist m.E. nichts hinzuzufügen, außer: Man fragt sich, warum das AG, nachdem es selbst verschuldet hat, dass die Hauptverhandlung nicht an dem zunächst geplanten Termin stattfinden konnte, solchen Druck gegenüber dem Angeklagten aufbaut und ihn quasi zwingen will, ohne einen Verteidiger des Vertrauens in der Hauptverhandlung zu gehen. Zu Rechts sieht das LG darin einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

Terminsverlegung, oder: „ernsthaft bemühen muss sich der Vorsitzende“

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Seit längerem gibt es mit dem BGH, Beschl. v. 21.03.2018 – 1 StR 415/17 – wieder eine postiv stimmende Entscheidung des BGH zu Terminsverlegung-/fragen. Ist zwar im/zum Strafverfahren ergangen, ist aber eine Entscheidung, die sich sicherlich auch mancher Bußgeldrichter „hinter die Ohren schreiben sollte“. Denn, wen man die Diskussionen zu Terminsverlegungen an der Stelle, manchmal verfolgt, hat man den Eindruck, dass es die dort in der Regel nicht gibt.

Zur Entscheidung des BGH:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Hauptverhandlung fand am 27. April 2016, 29. April 2016 sowie ab dem 13. Mai 2016 an vier weiteren Tagen statt. Am ersten und zweiten Hauptverhandlungstag waren lediglich der Angeklagte und sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt B. , nicht jedoch der Wahlverteidiger Rechtsanwalt P. anwesend. Rechtsanwalt B. war dem Angeklagten, der mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht einverstanden war, mit Beschluss des Vorsitzenden vom 21. März 2016 zur Verfahrenssicherung als Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt P. beigeordnet worden.

Der Festlegung der Hauptverhandlungstermine vorausgegangen war eine Anfrage des Vorsitzenden an die Verteidiger der insgesamt drei Angeklagten für eine Terminierung der Hauptverhandlung auf den 27. April 2016 und 29. April 2016 sowie im Zeitraum vom 11. Mai bis 25. Mai 2016. Auf diese Terminanfrage hatte der Wahlverteidiger Rechtsanwalt P. mitgeteilt, dass er am 27. April 2016 und 29. April 2016 wegen anderweitiger – konkret bezeichneter – Termine verhindert sei, im Zeitraum vom 11. Mai bis 25. Mai 2016 aber Termine wahrnehmen könne. Der Vorsitzende teilte sodann mit Schreiben an die Verfahrensbeteiligten vom 11. April 2016 mit, dass die Hauptverhandlung für den Fall der Anklagezulassung am 27. April 2016, 29. April 2016 sowie ab dem 13. Mai bis zum 25. Mai 2016 an fünf weiteren, im einzelnen bezeichneten Terminen stattfinden werde, und bat um verbindliche Terminreservierungen. Gegen die Terminierung wandte sich der Wahlverteidiger sodann mit einem Schreiben vom 12. April 2016 und einem Verlegungsantrag vom 13. April 2016. Auf beide Schreiben reagierte die Strafkammer nicht.

Am ersten Hauptverhandlungstag übergab der Pflichtverteidiger Rechtsanwalt B. ein Schreiben von Rechtsanwalt P. vom 27. April 2016, in dem dieser unter Hinweis auf den zuvor geschilderten Sachverhalt eine Verletzung der Verteidigungsrechte seines Mandanten geltend machte und zudem mitteilte, der Angeklagte werde in seiner Abwesenheit nur Pflichtangaben machen. Das Gericht wies am dritten Hauptverhandlungstag im Zusammenhang mit einem Antrag von Rechtsanwalt P., den dieser unter Bezugnahme auf das zuvor genannte Schreiben begründet hatte, unter anderem darauf hin, dass sich in der Akte ein „Terminverlegungsantrag vom 12. April 2016“ befinde. Dieser sei von der Geschäftsstelle nicht eigens vorgelegt und deshalb nicht formal verbeschieden worden; im Übrigen hätte eine Verlegung des Termins aufgrund der Terminlage der anderen Verfahrensbeteiligten und der Kammer nicht erfolgen können.

2. Diese Verfahrensweise war rechtsfehlerhaft. Sie verletzte den Angeklagten in seinem Recht auf Verteidigung durch den gewählten Verteidiger aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) MRK, § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO und verstieß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Bei der hier gegebenen Sachverhaltskonstellation bedurfte angesichts der Nichtbescheidung des Schreibens vom 12. April 2016 und des Übergehens des Terminverlegungsantrags vom 13. April 2016, zu dessen Vorlage und Verbleib die Strafkammer keine Erklärung abgegeben hat, keines (Aussetzungs-)Antrags in der Hauptverhandlung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Juli 1996 – 2 StRR 90/96, BayObLGSt 1996, 94, 95; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Oktober 1997 – 3 Ss 286/97, StV 1998, 13, 14; Jäger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 213 Rn. 19; Arnoldi in Münchener Kommentar, StPO, § 213 Rn. 18; siehe allgemein zum Meinungsstand hinsichtlich der Zulässigkeitsanforderungen an die Revision bei Terminverfügungen des Vorsitzenden: Britz in Radtke/Hohmann, StPO, § 213 Rn. 17 f.). Der Senat kann deshalb dahinstehen lassen, ob in dem Schreiben des Wahlverteidigers vom 27. April 2016, in dem auf die Nichtbescheidung der zuvor genannten Schreiben hingewiesen wurde, nicht ein entsprechender Aussetzungsantrag gesehen werden müsste.

b) Die Rüge ist auch begründet. Grundsätzlich hat ein Angeklagter das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt allerdings nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte (BGH, Beschlüsse vom 29. August 2006 – 1 StR 285/06, NStZ 2007, 163, 164 Rn. 5 und vom 18. Dezember 1997 – 1 StR 483/97, NStZ 1998, 311, 312; Wessing in BeckOK StPO, 29. Ed. 1.1.2018, § 137 Rn. 4 mwN). Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden und steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen (§ 213 StPO). Der Vorsitzende muss sich jedoch ernsthaft bemühen, dem Recht des Angeklagten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, soweit wie möglich Geltung zu verschaffen und einem nachvollziehbaren Begehren dieses Verteidigers bezüglich der Terminierung im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer und anderer Verfahrensbeteiligter sowie des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2010 – 1 StR 123/10, NStZ-RR 2010, 312, 313; vom 6. November 1991 – 4 StR 515/91, StV 1992, 52, 53 und vom 11. September 1986 – 1 StR 472/86, NStZ 1987, 34 f.). Ein derartiges Bemühen des Vorsitzenden ist vorliegend weder bei der Bestimmung der Hauptverhandlungstermine nach vorheriger Terminanfrage bei den Verfahrensbeteiligten noch hinsichtlich des nachfolgenden Schreibens und des Verlegungsantrags des Wahlverteidigers, der erkennbar das Vertrauen des Angeklagten genoss, ersichtlich. Eine andere Terminierung dürfte vorliegend auch nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen sein, da die Strafkammer mit der Hauptverhandlung am 13. Mai 2016 hätte beginnen können, die Verzögerung mithin zeitlich nicht erheblich ins Gewicht gefallen wäre.

c) Der Fehler führt zur Aufhebung des Urteils, weil sich nicht ausschließen lässt, dass die Hauptverhandlung bei Anwesenheit des Wahlverteidigers auch an den ersten beiden Hauptverhandlungstagen, an denen sich die Mitangeklagten zur Sache geäußert haben sowie Zeugen und Sachverständige gehört wurden, zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis geführt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1989 – 2 StR 352/89, BGHSt 36, 259, 262; Beschluss vom 6. Juli 1999 – 1 StR 142/99, StV 1999, 524).“

Und jetzt bitte keine Kommentare, wie belastet die Amtsrichter sind und was alles nicht geht……

Wenn „Gottvater“/der Richter einmal anruft, oder: Die gescheiterte Terminsabsprache

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Ob ein Tag für mich ein „guter Tag“ ist/war,  hängt immer auch ein wenig davon ab, was an Entscheidungen u.a. so aufläuft. Und das war gestern nicht so gut. Denn: Es hat in der Facebook-Gruppe „Strafverteidiger“ das erstaunte (?) Posting eines Kollegen gegeben, der sich gerade beim AG Chemnitz mit einer Terminsverlegungsgeschichte herumärgert. Und die ist, um es mal vorsichtig auszudrücken „schon bemerkenswert“.

Der Kollege schildert folgenden Sachverhalt:

…. Ich habe ursprünglich mal eine Terminsverlegung recht spät beantragt, mich dafür entschuldigt und die Terminsaufhebung bekommen. Da ich um Absprache des Termins bitte, hat der Richter mich sogar angerufen, ich war zu diesem Zeitpunkt aber in einer Verhandlung, konnte also nicht ans Telefon. Anstatt mir eine Nachricht zu hinterlassen, setzt er einfach einen neuen Termin fest und beschwert sich in dem Terminsschreiben, dass er mich um 09:42 Uhr nicht erreichen konnte.

An dem neuen Termin verteidige ich in einer Totschlagssache vor unserem LG, muss also erneut Verlegung beantragen. Jetzt kommt das anliegende Schreiben…...

Der Kollege fragt, ob es Sinn macht gegen den AG Chemnitz, Beschl. v. 09.03.2018 – in 19 Ds 910 Js 31761/17– Beschwerde einzulegen. Und ich meine, es macht Sinn. Denn der Amtsrichter hat folgendes ausgeführt:

„Der Terminsverlegungsantrag des Angeklagten wird abgelehnt. da ein wichtiger Grund für die Terminverlegung nicht vorliegt.

Der Verteidiger hat vorgetragen. dass er auch am nunmehrigen Termin wegen eines anderen Gerichtstermins verhindert sei Dies nötigt nicht zur erneuten Terminsverlegung. § 228 Abs. StPO stellt ausdrücklich klar, dass die Verhinderung des Wahlverteidigers keinen Anspruch auf Terminsverlegung begründet. Vorliegend kommt hinzu, dass der Termin wegen Verhinderung des Verteidigers bereits verlegt worden ist

Auf Wunsch des Verteidigers hat der unterzeichnete Amtsrichter zudem versucht. mit dessen Kanzlei am Freitag. dem 16.2.2018 um 9.42 Uhr einen neuen Termin abzusprechen. Hierbei handelt es sich gewiss nicht um einen Anruf zur Unzeit. Vielmehr kann erwartet werden. dass – zumal wenn der Anwalt ausdrücklich um telefonische Terminsabsprache bittet,- ein Anruf zu einer solchen Zeit entgegen genommen wird. Hierfür hat der Anwalt durch geeignete Kanzleiorganisation zu sorgen, anstatt den Richter darauf zu verweisen, sein Anliegen auf einen Anrufbeantworter zu sprechen, die Akte erst einmal beiseite zu legen und darauf zu warten, dass der Verteidiger sich zurück meldet. Der Richter ist gegenüber dem Verteidiger nämlich kein Bittsteller, sondern Inhaber der Terminshoheit (§ 213 StPO). Wenn ein Richter also überhaupt den Versuch einer telefonischen Terminsabsprache unternimmt, handelt er – im Interesse des Angeklagten – bereits überobligatorisch.

Sehr zutreffend führte der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg im Beschluss vom 8.10.2012 (2 Ss (B) 101/12) insoweit aus:

„ist das Verteidiger indes fernmündlich während üblicher Bürozehen nicht zu erreichen oder erklärt die fernmündlich erreichte Mitarbeiterin, sie könne keine Termine vereinbaren, weil der Verteidiger sich dies selbst vorbehalten habe, indes zur Zeit nicht im Büro sei, ist die Terminsabsprache aus Gründen, die in der Sphäre des Verteidigers liegen, gescheitert. Dann ist es dem Betroffenen zuzumuten, sich einen  anderen Verteidiger zu suchen, der an dem dann ohne Absprache anberaumten Termin vertretungsbereit ist.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Gericht macht sich die Ausführungen zur eigen und verweist den Angeklagten darauf, sich einen anderen oder weiteren Verteidiger zu suchen. „

Muss man es zweimal lesen, dann erschließt sich erst voll, von welchem Selbstverständnis der Amtsrichter offenbar getragen wird: ICH bin RICHTER und ich rufe an und dann hat das auch zu klappen.  Denn ich muss das nicht, sondern ich handele „überobligatorisch“. Und das hast du Verteidiger und du Angeklagter so hinzunehmen (wie war das noch mit dem Verfahrenssubjekt?).

In meinen Augen ungeheuerlich und es zeugt von einem „Gottvater ähnlichen“ richterlichen Selbsterständnis, das ich nicht mehr erwartet hatte. Hat sich der „Kollege Richter“ eigentlich mal überlegt, wie oft Verteidiger und/oder Parteien bei Gericht anrufen (müssen), um ggf. einen Richter zu erreichen? Wer kennt die Auskünfte der armene Geschäftsstellen nicht: Der Richter ist nocht nicht im Haus, ist nicht mehr im Hause, ist in der Sitzung, ist zu Tisch und/oder ist in Urlaub? Kann/Muss man so miteinander umgehen, zumal, wenn es sich bei dem Verteidiger um einen Einzelkämpfer handelt? M.E. sollte sich die Justiz nicht digitalisieren, sondern erst mal an den Stellen ihre Hausaufgaben machen und ihren Mitarbeitern beibringen, dass sie auch ein Dienstleistungsbetrieb ist, mit dem andere zusammen arbeiten müssen. Das wäre mal eine Aufgabe für den Deutschen Richterbund und nicht immer nur das Rufen nach neuen strengeren Gesetzen. Welcher Zacken fällt dem Amtsrichter eigentlich aus der Krone, wenn er den Verteidiger noch einmal anruft. Das braucht im Zweifel weniger Zeit und Ressourcen als den o.a. Beschluss zu schreiben.

Wie man es als Richter machen sollte, das zeigt der vom AG herangezogene OLG Naumburg, Beschl. v. 08.10.2012 – 2 Ss (B) 101/12, aus dem das AG dann aber (leider) nur die „unschöne“ Passage zitiert. Das OLG hat vorab nämlich einige Verhaltensmaßregeln gegeben, die in eine andere Richtung gehen. Insoweit sehr schön. Aber m.E. entwertet der Beschluss sich leider teilweise selbst (ein wenig). Denn, was soll in einem OLG-Beschluss die Passage mit dem „Sankt-Nimmerleinstag“:

„Gleiches gilt, wenn mehrere Terminsvorschläge des Gerichts dahingehend beantwortet werden, dass der Verteidiger verhindert ist, er hat sich dann „mehr auf den Teller getan, als man aufessen kann“ (vergl. dazu Basdorf u. a., Kleines Strafrichterbrevier, Seite 24), das Gericht ist nicht verpflichtet, das Verfahren bis zum Sankt Nimmerleinstag auszusetzen, weil der Verteidiger mehr Mandate übernommen hat, als er bewältigen kann.“

Manchmal fragt man sich, ob eigentlich beim „Absetzen“ von Entscheidungen niemand an deren Außenwirkung denkt.

So, und jetzt werden Sie wieder kommen: Die Kommentare, die mir sagen, wie schwer es doch die „armen Einzelrichter“ haben. Dafür eignet sich diese Sache aber sicher nicht. Denn es ist/war einfach eine blöd gelaufene „Terminsverlegungsgeschichte“, in der mit der Keule drauf gehauen wird. Muss das sein?

Terminsverlegung in Fahrverbotssachen „kritisch“, oder: „Butter bei die Fische“

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Zufällig bin ich auf die den AG Castrop-Rauxel, Beschl. v. 12.07.2016 – 6 OWi – 252 Js 234/16 – 23/16 – gestoßen. In ihm geht es um das leidliche Thema der Terminsverlegung. Es handelt sich um eine Fahrverbotssache. Der Verteidiger hatte Terminsverlegung beantragt, u.a. wohl mit der Begründung: Ich bin in den gesamten Sommerferien urlaubsabwesend, ohne dazu weiter auszuführen. Das AG lehnt ab und begründet wie folgt:

„Das Gericht hat bei seiner Ermessensentscheidung folgende Aspekte berücksichtigt:

Im vorliegenden Verfahren geht es um einen so genannten „qualifizierten“ Rotlichtverstoß, d.h. das Rotlicht dauerte möglicherweise länger als eine Sekunde. Als mögliche Rechtsfolge droht dem Betroffenen im Falle einer Verurteilung ein einmonatiges Fahrverbot. Es wurde bereits ein Sachverständigengutachten durch den Sachverständigen G. eingeholt. Der Sachverständige G. ist Sachverständiger im Sachverständigenbüro S. und B.. Dieses Büro und auch der Sachverständige G. sind gerichtsbekannt überregional tätig, was zu langen Bearbeitungszeiten bei diesem Büro führen kann. Aufgrund der Terminsdichte des Sachverständigen G. muss bei einer erneuten Verlegung des Hauptverhandlungstermins mit einem Terminsverlegungsantrag des Sachverständigen und in der Folge mit einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens gerechnet werden. Das wird schon daran deutlich, dass der Sachverständige G. bzgl. des Termins am 15.07.2016 mit Schreiben vom 24.06.2016 wegen eines Termins am Landgericht Münster um Terminsverlegung bitten musste (vgl. Bl. 159 d.A.).

Ferner ist zu berücksichtigen, dass zum Hauptverhandlungstermin neben dem Sachverständigen G. auch noch die drei beteiligten Polizeibeamten als Zeugen zu laden sind, bei denen gegebenenfalls auch mit Terminsverlegungsanträgen zu rechnen ist. Für den Termin am 29.07.2016 wäre hingegen allen drei Zeugen und dem Sachverständigen das Erscheinen zum Gerichtstermin möglich.

Bei dem Terminverlegungsantrag hat das Gericht zudem die Terminslage des Spruchkörpers berücksichtigt. Der erkennende Richter befindet sich in der Zeit vom 22. August bis einschließlich 09.09.2016 in Urlaub. Es sind deswegen schon Termine ab dem 20.09.2016 anberaumt, zur Zeit terminiert das Gericht für den 30.09.2016. Eine Verlegung des Termins würde also eine weitere erhebliche Verzögerung mit sich bringen. Diese ist schon deswegen nicht angezeigt ist, weil der Verteidiger mit Schriftsatz vom 16.06.2016 (Bl. 154 d.A.) dargelegt hat, dass aus seiner Sicht der Sachverständige die ihm gestellte Beweisfrage bislang nicht beantwortet hat. Es muss also davon ausgegangen werden, dass weitere Beweisanträge durch die Verteidigung gestellt werden und ggf. nach dem erneuten Hauptverhandlungstermin die Sache noch nicht entscheidungsreif ist. Insoweit muss bei der Terminierung aber auch den kurzen Verjährungsfristen im Ordnungswidrigkeitenrecht und den Besonderheiten der Rechtsprechung  zur Angemessenheit von Fahrverboten Rechnung getragen werden. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist anerkannt, dass bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat (Datum der möglichen Tat hier: August 2015) und Urteil der erzieherische Sinn und Zweck des Fahrverbots an sich infrage gestellt sein kann (vergleiche OLG Celle, Beschluss vom 18.07.2012, Aktenzeichen: 311 SsBs 82/12; Krumm, Das Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Auflage 2014, § 6 Rn. 164 m.w.N.). Regelmäßig wird daher in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte postuliert, dass bei einer Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren ein Fahrverbot in der Regel nicht mehr angeordnet werden kann. Vor diesem Hintergrund sind Terminsverlegungsanträge in Ordnungswidrigkeitensachen, bei denen ein Fahrverbot droht, besonders kritisch zu prüfen. Vom Verteidiger kann gerade deswegen verlangt werden, substantiiert zu den Gründen eines Terminsverlegungsantrages vorzutragen.

Demgegenüber war die anwaltliche Versicherung des Verteidigers, dass er tatsächlich die gesamten Sommerferien, d.h. sechseinhalb Wochen, urlaubsabwesend sei und keinen Gerichtstermin wahrnehmen könne, einer Ermessensprüfung nicht zugänglich. Nach der oben genannten Rechtsprechung, insbesondere des Oberlandesgerichts Schleswig, ist dem Verteidiger zuzumuten, substantiiert darzulegen, dass er über einen Zeitraum der gesamten Ferien urlaubsabwesend ist und keine Termine wahrnehmen kann. Folgte man der Rechtsansicht des Verteidigers, so hätte es die Verteidigung in der Hand, über die schlichte anwaltliche Versicherung ohne konkreten Vortrag dafür zu sorgen, dass innerhalb der Sommerferien keine Gerichtstermine in Strafsachen stattfinden könnten. Damit würde quasi „durch die Hintertür“ eine dem § 227 Abs. 3 S. 1 ZPO (Ehemalige Gerichtsferien) entsprechende Regelung in die StPO eingeführt. Das hat der Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt, eine dem § 227 Abs. 3 S. 1 ZPO entsprechende Regelung findet sich in der StPO nicht.“

Ob das alles so richtig ist, lassen wir mal dahingestellt. Denn im Ergebnis ist die Entscheidung m.E. ok. Denn es hätte für die Ablehnung auch gereicht, wenn das AG sich auf den letzten von ihm angeführten Punkt beschränkt hätte:

„Im Übrigen kommt eine Terminsverlegung zum jetzigen Zeitpunkt auch deshalb nicht in Betracht, weil der Betroffene ausweislich der Vollmacht vom 20.10.2015 hier zwei Wahlverteidigern, nämlich Herrn Rechtsanwalt X. und Herrn Rechtsanwalt Y. Vollmacht erteilt hat (vgl. die Vollmacht Bl. 14 d.A.).“

Es gilt der Grundsatz, dass der Angeklagte nur einen Anspruch darauf hat, von einem Verteidiger seines Vertrauens verteidigt zu werden. Den wendet das AG an.

Für mich ist die Entscheidung übrigens eine Bestätigung – „habe ich ja immer schon gesagt“ -, dass die Vollmacht, wen man sie denn vorlegt, immer nur auf denjenigen Rechtsanwalt ausgestellt sein sollte, der auch tatsächlich verteidigt. Dann ist die o.a. Argumentation nicht möglich.

Wer nicht hören will, muss fühlen…

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Wer kennt ihn nicht den Spruch: „Wer nicht hören will, muss fühlen…“? An ihn wurde ich erinnert beim Lesen des OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.08.2015 – (2 Z) 53 Ss-OWi 299/15 (141/15), ergangen in einem (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren. Das AG hatt in dem Verfahren nach Einspruchseinlegung Termin zur Hauptverhandlung auf den 19.03.2015 anberaumt und den Betroffenen und seinen Verteidiger zu diesem geladen. Mit Schriftsatz vom 27.01.2015 hatte der Verteidiger beantragt, den anberaumten Termin zu verlegen, weil er an jenem Tag bereits vor das LG Berlin geladen sein. Er hat dabei darum gebeten, den Termin auf „die spätere Mittagszeit“ zu verlegen, um ihm die Anreise aus Berlin zu ermöglichen. Mit Verfügung vom 29.01.2015 hat das AG dem Verteidiger mitgeteilt, seine Verhinderung sei nicht belegt. Daraufhin hat der Verteidiger unter dem 19.02. 2015 seine Ladung vor das LG Berlin vom 29.08.2014 zum 19.03.2015, 12.00 Uhr, zu den Akten gereicht. Mit Verfügung vom 24.02.2015 hat das AG dem Verteidiger mitgeteilt, die Ladung des LG Berlin sei an seine Kanzlei gerichtet und belege seine Verhinderung nicht. In der Hauptverhandlung hat das AG dann den Einspruch des Betroffenen gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Das OLG Brandenburg hebt auf:

„Mit dieser Verfahrensweise hat das Amtsgericht zwar nicht dem Betroffenen das rechtliche Gehör versagt (BayObLG, Beschluss vom 31. Mai 1994, Az.: 2 ObOWi 194/94, zitiert nach juris; OLG Hamm BeckRS 2013, 00035). Denn Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet nur das rechtliche Gehör als solches, nicht aber gerade durch einen Rechtsanwalt (BVerfG NJW 1984, 862).

Das Amtsgericht hat aber durch die Ablehnung des Terminsverlegungsantrages des Verteidigers gegen die prozessuale Fürsorgepflicht verstoßen.

Nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 137 Abs. 1 Satz 1 StPO kann sich der Betroffene in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Dies ist Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren und ist nicht auf Fälle notwendiger Verteidigung beschränkt (BayObLG a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Zwar ist die Terminierung grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Dieser ist aber gehalten, über Anträge auf Terminsverlegung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebotes der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Verfahrensbeteiligten zu entscheiden (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2006, 217, Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 213 Rn. 7 m.w.N.). Dabei kommt es maßgeblich auch darauf an, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Verlegung geboten hätte (OLG Karlsruhe a.a.O.).

Hier hat der Verteidiger rechtzeitig und mit nachvollziehbarer Begründung erstmals einen Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung gestellt (vgl. dazu OLG Karlsruhe a.a.O.). Umstände, die die Ablehnung dieses Antrages bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Verteidiger seine Verhinderung durch die Vorlage seiner Ladung vor das Landgericht Berlin hinreichend glaubhaft gemacht. Der Umstand, dass diese Ladung nicht an ihn selbst, sondern an seine Kanzlei gerichtet ist, steht dem nicht entgegen, wenn nicht Anhaltspunkte vorliegen, die entsprechende Erklärungen des Rechtsanwalts zu seiner persönlichen Verhinderung zweifelhaft erscheinen ließen. Das ist hier aber nicht der Fall.“

Tja, wer nicht hören will, muss fühlen. Oder: Wer nicht will, der hat schon, bzw. Das dicke Ende kommt dann hinterher.