Terminsverlegung und faires Verfahren, oder: Wenn das AG die Terminsschwierigkeiten selbst verursacht hat

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Und als dritte Entscheidung dann der LG Wiesbaden, Beschl. v. 06.06.2018 – 6 Qs 38/18, den mir der Kollege Zipper aus Schwetzingen geschickt hat. Thematik: Dauerbrenner „Terminsverlegung und faires Verfahren“, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten und einer Mitangeklagten u.a. Vorenthalten vonArbeitsentgelt und Steuerhinterziehung zur Last. Nach „Zulassung der Anklage zur Verhandlung vor dem Amtsgericht – Strafrichter (Abteilung 71 des AG Wiesbaden) mit Beschluss vom 21.11.2017 wird vom Strafrichter der Abteilung 71 Termin zur Hauptverhandlung am 24.01.2018 bestimmt. Dieser Termin wird sodann aus „dienstlichen Gründen“ aufgehoben, weil übersehen worden war, dass nach der Geschäftsverteilung des AG Wiesbaden offensichtlich Sonderdezernate für Steuerstrafsachen eingerichtet sind, was die Zuständigkeit einer anderen Abteilung des AG begründete, nämlich der Abteilung 79. Die Abladung des Angeklagten  kam mit dem Vermerk „unter der angegeben Anschrift nicht zu ermitteln“ in den Postrücklauf. Mit Terminierung des aktuellen Hauptverhandlungstermins am 07.06.2018 und am 05.04.2018 wurde gleichwohl – erfolglos – versucht, den Angeklagten unter der nicht mehr aktuellen Anschrift zu laden. Eine Einwohnermeldeauskunft am 24.04.2018 ergab, dass der Angeklagte seit dem 15.10.2017 unter der aktuellen Adresse gemeldet ist. Offensichtlich ohne Kenntnisnahme dieser Einwohnermeldeauskunft vom 24.02.2018 beauftragte das AG sodann am 14.05.2018 die Polizeistation Idstein mit der „Überprüfung der Meldeadresse des Angeklagten, gegebenenfalls Aufenthaltsermittlung und Übergabe der Terminsladung gegen EB falls er angetroffen werden sollte“. Auf diesem Wege wurde der Angeklagte sodann am Freitag, den 25.05.2018, zum Termin am 07.06.2018 geladen. Sein – früherer – Verteidiger hatte zwischenzeitlich am 16.05.2018 ohne Angabe von Gründen mitgeteilt, dass er den Angeklagten nicht mehr verteidige.

Am 30.05.2018 meldete sich der aktuelle Verteidiger des Angeklagten, der Kollege Zipper, und bat neben Akteneinsicht um Aufhebung des Termins am 07.06.2018 und Anberaumung eines neuen Termins unter Beifügung seiner Ladung als Verteidiger in einer Strafsache vor dem AG Mannheim zu einer Hauptverhandlung am 07.06.2018 mit 13 Zeugen und der Mitteilung, dass ihn der Angeklagte erst am Montag, dem 28.05.2018, mandatiert habe.

Das AG weist den „Aussetzungsantrag vom 30.05.2018″ zurück und gewährt dem Verteidiger Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle. Bezug genommen wurde dabei auf § 228 Abs. 2 StPO, der bei Verhinderung des Verteidigers dem Angeklagten – unbeschadet einer notwendigen Verteidigung nach § 145 StPO – kein Recht einräumt, eine Aussetzung der Verhandlung Abbruch der Verhandlung. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das LG Wiesbaden als zulässig und begründet angesehen:

„Der angefochtene Beschluss lässt eine diesbezügliche Ermessensausübung vermissen. Gleiches gilt für den Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 04.06.2018 <369R>, der lediglich darauf verweist, dass die Sache bei Wechsel in das Steuerdezernat bereits terminiert gewesen sei.

Soweit das Amtsgericht den Angeklagten in der Begründung des Beschlusses unter „Berücksichtigung“ des Grundsatzes eines „fairen Verfahrens“ lediglich darauf verweist, dass er sich bei der Wahl eines (neuen) Verteidigers hätte daran orientieren können (müssen), einen Verteidiger zu wählen, der ihn an dem bereits bestimmten neuen Hauptverhandlungstermin auch vertreten kann, bestehen bei Berücksichtigung des dargestellten Verfahrensganges zudem durchgreifende Bedenken an einem fairen Verfahren. Nachdem das Amtsgericht nämlich zunächst die eigene Geschäftsverteilung versehentlich nicht berücksichtigt und sodann die Nichtzustellbarkeit der darauf erfolgten Abladung des Angeklagten übersehen und mit Verfügung vom 05.04.2018 die Ladung zum neuen Termin am 07.06.2018 unter einer erkennbar nicht ladungsfähigen Anschrift verfügt hatte, wurde weiter auch die Einwohnermeldeauskunft vom 24.04.2018, aus der sich die neue ladungsfähige Anschrift des Angeklagten ergab, nicht zur Kenntnis genommen, weswegen die Ladung des Angeklagten letztlich nicht zeitnah Ende April 2018, sondern erst am 25.05.2018, einem Freitag, erfolgt ist. Zwischenzeitlich hatte der bisherige Verteidiger des Angeklagten am 16.05.2018 ohne Angabe und Ermittlung der Gründe hierfür mitgeteilt, dass er den Angeklagten nicht mehr verteidigt. Jedenfalls vor diesem Hintergrund war es dem Angeklagten nicht zuzumuten, sich kurzfristig einen weiteren (dritten) Verteidiger seines Vertrauens zu suchen, nachdem er unverzüglich bereits am Montag, den 28.05.2018, seinen aktuellen Wahlverteidiger beauftragt hatte, der sodann seinerseits umgehend am 30.05.2018 seine Verhinderung am 07.06.2018 glaubhaft gemacht und um Terminverlegung und Aktensicht gebeten hat. Im Hinblick auf den erhobenen Vorwurf, gemeinschaftlich handelnd in 8 Fällen „als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthalten zu haben“ und „als Arbeitgeber die für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben“ sowie in 5 weiteren Fällen die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen zu haben und dadurch Steuern verkürzt zu haben, war es dem Angeklagte schließlich auch nicht zumutbar, die Hauptverhandlung ohne einen Verteidiger wahrzunehmen.

Der Entscheidung des LG ist m.E. nichts hinzuzufügen, außer: Man fragt sich, warum das AG, nachdem es selbst verschuldet hat, dass die Hauptverhandlung nicht an dem zunächst geplanten Termin stattfinden konnte, solchen Druck gegenüber dem Angeklagten aufbaut und ihn quasi zwingen will, ohne einen Verteidiger des Vertrauens in der Hauptverhandlung zu gehen. Zu Rechts sieht das LG darin einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

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