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Verfahren nach § 35 BtMG – wonach verdient man in denen sein Geld?

Die Abrechnung von Strafvollstreckung und die Abrechnung von Strafvollzugsverfahren ist in der Praxis nicht einfach. Die einen gehen nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG, die anderen nach Teil 3 VV RVG (ja, das ist richtig; man schaue sich nur die Überschrift von Teil 3 VV RVG an).

An der Schnittstelle liegen die Verfahren nach § 35 BtMG, die mit einem Antrag bei der StA anfangen und dann, wenn der keinen Erfolg hat, in das Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG übergeht. Und: Genauso wird man m.E. auch abrechnen müssen. Für das Verfahren bei der StA gilt die Nr. 4204 VV RVG, denn das ist Strafvollstreckung, und für das gerichtliche Verfahren gilt dann die Nr. 3100 VV RVG, denn die Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG sind „ähnliche Verfahren“ i.S. des Teil 3 Vv RVG.

Alles nachzulesen in dem zutreffenden Beschl. des OLG Zweibrücken v. 29. 09.2010 – 1 VAs 1/10.

Die ungehobenen Schätze des RVG

Im „Rechthaber-Blog“ ist vor einigen Tagen von „ungehobenen Schätzen“ des RVG berichtet worden, vgl. hier. Dabei ging es um die Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG, also Teil 3 VV RVG. Der Bereich interessiert den Verteidiger ja nun weniger, aber: Auch Teil 4 Vv RVG enthält „ungehobene Schätze“, bzw. Gebühren, die immer wieder übersehen werden, so dass mancher Euro verloren geht. Auf zwei will ich hier kurz eben hinweisen:

1. Das ist zunächst die Vorschrift der Nr. 4142 VV RVG, an die der Verteidiger immer denken muss, wenn Einziehung erfolgt oder Verfall angeordnet worden ist. Es handelt sich um eine Wertgebühr – ja, richtig gelesen, eine Wertgebühr, die auch der Pflichtverteidiger geltend machen kann, und zwar grds. in der Höhe wie der Wahlanwalt, allerdings ggf. mit den Beschränkungen aus § 49 RVG.

2. Die Vorbem. 4.2 VV RVG, die dazu führt, dass es für die Beschwerde in der Strafvollstreckung eine eigenständige Beschwerdegebühr gibt. Das ist eine wichtige Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Beschwerde im Strafverfahren nicht zusätzlich mit einer eigenen gebühr honoriert wird.

Also: Augen auf und dran gedacht, wenn die Abrechnungen gemacht werden. In den beiden o.a. Gebühren steckt eine Menge Geld.

Kleiner Grundkurs: Abrechnung des Antrags auf Sperrfristverkürzung

Eine Kollege hatte mal wieder sehr kreativ gedacht und überraschte mich mit folgender Anfrage zu einem Abrechnungsproblem:

In einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Trunkenheit habe ich nach der Hauptverhandlung Antrag auf Sperrzeitverkürzung von drei Monaten gestellt. Das AG hat einen Monat bewilligt, ich habe deshalb sofortige Beschwerde eingelegt, so dass das LG zwei Monate bewilligt hat und von den Kosten des Beschwerdeverfahrens die Staatskasse und der Beschwerdeführer jeweils die Hälfte tragen.

Mein Problem ist nun die Abrechnung sowohl in der ersten Instanz als auch für die sofortige Beschwerde. Kann ich für den Antrag auf Sperrzeitverkürzung die Nr. 4142 VV RVG mit einem Auffangstreitwert von 5000 € geltend machen und für die sofortige Beschwerde die Nr. 4302 VV RVG?“

Ich habe ihm etwa wie folgt geantwortet:

Die von Ihnen vorgesehene Abrechnung ist so nicht möglich. Der Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist hat nichts mit den in Nr. 4142 VV RVG geregelten Fällen zu tun. Und die sofortige Beschwerde ist auch keine Einzeltätigkeit: Sie waren offensichtlich als Verteidiger tätig, so dass die Subsidiaritätsklausel der Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV RVG eingreift.

Sie können vielmehr wie folgt abrechnen:

Sie rechnen nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG ab, da es sich um Strafvollstreckung handelt. Für die Tätigkeit beim AG nach Nr. 4204 VV und für die Beschwerde nach Vorb. 4.2 VV i.V.m. Nr. 4204 VV jeweils eine Verfahrensgebühr. Eine Grundgebühr entsteht allerdings nicht. Es entsteht zudem mindestens eine Postentgeltpauschale für das Verfahren beim AG, ob eine weitere für das Beschwerdeverfahren entsteht, ist umstritten.

ich hoffe, er war zufrieden.

Fester Wohnsitz in den Niederlanden erhöht die Fluchtgefahr. Wirklich?

Ein Kollege weist mich gerade in einem anderen Zusammenhang auf den schon etwas älteren Beschl. des OLG Oldenburg v. 08.02.2010 – 1 ws 67/10 hin. Danach soll es keine unzulässige Diskriminierung und kein Verstoß gegen Artikel 21 der Charta der Grundrechte der der Europäischen Union sein, die erheblichen Strafvollstreckungsvorteile, die sich niederländische Beschuldigte durch eine Ausreise in ihr Heimatland vor einer Verurteilung wegen eines Drogendeliktes sichern können, als den Fluchtanreiz erhöhend zu bewerten.

Na, ob das die Europapolitker genau so sehen: Ich wage es zu bezweifeln.

Bei menschenunwürdiger Unterbringung ist Strafvollzug zu unterbrechen…

Jeder Verteidiger, der im Strafvollzug verteidigt, sollte sich mit der Entscheidung des 3. Zivilsenats (!!) v. 11.03.2010 – III ZR 124/09 vertraut machen. In der ging es um die Entschädigung eines Strafgefangenen bei menschenunwürdiger Unterbringung und der Remonstrationspflicht des Gefangenen im Hinblick auf § 839 BGB. Zu der Entscheidung lässt sich manches sagen/fragen: so z.B., warum sich eigentlich der Staat mit „Händen und Füßen“ gegen (begründete) Ansprüche von Personen wehrt, die zwar zu Recht inhaftiert sind, dann aber Bedingungen unterworfen werden, die mit der Menschenwürde nicht in Einklang stehen (stammt übrigens nicht von mir, sondern von StA Artkämper demnächst im StRR).

Das kann man hier alles nicht erörtern. Hinweisen will ich aber auf eine Passage in der Entscheidung, die vermutlich demnächst im Strafvollzug den Vollzugsbehörden „viel Freude“ bereiten wird :-). Der BGH führt nämlich aus:

„Sind die Haftbedingungen menschenunwürdig und kann eine Vollzugsanstalt auch unter Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (einschließlich der Verlegung in eine andere Haftanstalt, ggf. auch in einem anderen Bundesland) einer Gerichtsentscheidung, die dies feststellt, nicht nachkommen, muss notfalls die Strafvollstreckung unterbrochen werden. Die Aufrechterhaltung eines gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßenen Zustands ist verboten. Eine Abwägung der unantastbaren Menschenwürde mit anderen – selbst verfassungsrechtlichen – Belangen ist nicht möglich (vgl. BVerfG NJW 2006, 1580, 1581 Rn. 81)“.

Um Einwänden vorzubeugen: Mir ist bewusst, dass der BGH das vor dem Hinter­grund des Ausschlusses einer Entschädigung feststellt, aber: Argumentativ wird man diese Passage im Strafvollstreckungs-/Vollzugsverfahren sicherlich verwenden können.