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Pflicht II: Entpflichtung und Verteidigerwechsel, oder: Terminschwierigkeiten, Rechtsmittel und Ermessen

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Im zweiten Posting stelle ich dann drei Entscheidungen zur Entpflichtung bzw. zum Verteidigerwechsel und auch zu den damit zusammenhängenden Rechtsmittelfragen vor.

Zunächst hier der Leitsatz zum OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.05.2021 – 1 Ws 132/21:

Die Verhinderung des Pflichtverteidigers an fast allen bei dem hinzugezogenen forensisch-psychiatrischen Sachverständigen für die Durchführung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehenden Terminen kann in einer Haftsache auch gegen den Willen des Angeklagten die Entpflichtung des Rechtsanwaltes gem. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO rechtfertigen, wenn die Terminskollision nicht aufgelöst werden kann und eine Verlegung der Hauptverhandlung zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würde.

Nun ja, kann man so sehen, muss man aber nicht so sehen.

Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamburg, und zwar ist es der OLG Hamburg, Beschl. v. 04.05.2021 – 2 Ws 37/21 – mit folgenden Leitsätzen:

1. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, die nach § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO jedoch ausgeschlossen (unstatthaft) ist, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO stellen kann.

2. Ob die teils durch unbestimmte Rechtsbegriffe („kurze Frist“; „wichtiger Grund“) formulierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO gegeben sind, hat das zunächst nach § 142 Abs. 3 StPO zuständige Gericht bzw. – nach Anklageerhebung – dessen Vorsitzender (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) zu beurteilen.

3. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, zur Beurteilung der Statthaftigkeit (§ 142 Abs. 7 Satz 2 StPO) einer auf Auswechslung eines beigeordneten Verteidigers gerichteten sofortigen Beschwerde sämtliche Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO vollständig und abschließend zu prüfen und damit erstmalig über das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen der Norm zu befinden.

Und dann noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 09.06.2021 – 12 Qs 37/21 – ebenfalls zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, und zwar einer rückwirkenden Bestellung. Hier der Leitsatz:

  1. Wird ein Pflichtverteidiger zur Sicherung der praktischen Wirksamkeit der unionsrechtlichen Mindeststandards der Richtlinie (EU) 2016/1919 vom 26. Oktober 2016 nachträglich bestellt, steht das einer anschließenden oder späteren Aufhebung der Bestellung gem. § 143 Abs. 2 StPO nicht entgegen (Ergänzung zu Kammer, Beschluss vom 4. Mai 2021 – 12 Qs 22/21, juris).

  2. Das Beschwerdegericht hat im Rahmen der Beschwerde gegen die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen.

Nun ja, auch eine Möglichkeit für das AG zu zeigen, was man von der landgerichtlichen Bestellung hält.

 

Vollmacht III: „ich hatte doch keine Ermächtigung zur Beschränkung … „… oder: Rechtsmissbrauch?

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch einmal etwas aus dem Bußgeldverfahren, nämlich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2020 – 7 Rb 24 Ss 986/20 – zur Ermächtigung betreffend die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid.

Der Verteidiger hat im ersten Hauptverhandlungstermin am 15.10.2019 vor dem AG die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch erklärt; der Betroffene war antragsgemäß von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden worden. Nach Vertagung der Hauptverhandlung, mehrmaliger Aufhebung von Hauptverhandlungsterminen und Anregungen des Verteidigers gegenüber dem AG, im Beschlusswege ohne Hauptverhandlung und ohne ausführliche Begründung zu entscheiden, verurteilte das AG den wiederum antragsgemäß von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen dann am 16.06.2020 zu der Geldbuße von 500,- € und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat. Der Verteidiger hatte in diesem Termin erklärt, dass der Tatvorwurf vollumfänglich eingeräumt werde und es nur „um die Rechtsfolgen“ gehe; das AG hielt im Protokoll fest, dass die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen bereits im Hauptverhandlungstermin vom 15.10.2019 erklärt worden sei.

Dagegen dann die Rechtsbeschwerde, mit der der Verteidiger die festgesetzten Rechtsfolgen beanstandet. Erstmals in seiner Gegenerklärung zur Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft rügte er dann die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs. Diese habe er ohne die gemäß § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG, § 302 Abs. 2 StPO erforderliche „ausdrückliche Ermächtigung“ des Betroffenen erklärt; daher treffe das Urteil keine ausreichenden Feststellungen.

Das macht das OLG nicht mit:

„2. Das Amtsgericht ist zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs nach § 67 Abs. 2 OWiG ausgegangen mit der Folge, dass der Bußgeldbescheid im Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist. Die beschränkte Einlegung des Einspruchs führt zu einer Bindungswirkung hinsichtlich der nicht angegriffenen Teile des Bußgeldbescheides; das Gericht darf diese Teile nicht überprüfen (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl., § 67 Rn. 58).

Im Einzelnen:

a) Die nachträgliche Beschränkung – wie hier auf den Rechtfolgenausspruch – des zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruchs ist als teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs gemäß § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 2 StPO zu beurteilen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O., Rn. 6 ; KG Berlin, Beschluss vom 19. Februar 1999 – 2 Ss 419/985 Ws (B) 717/98 – juris Rn. 6).

Daher bedarf der Verteidiger für die vor oder in der Hauptverhandlung erklärte nachträgliche Beschränkung gemäß § 302 Abs. 2 StPO einer „ausdrücklichen Ermächtigung“ des Betroffenen. Diese ist indes an keine Form gebunden und kann auch mündlich erteilt werden; für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 4 StR 558/16 – juris Rn. 5). Sie kann ferner aus den sonstigen Umständen ersichtlich sein (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 2 (7) SsBs 467/15 – juris Rn. 22).

b) Auf die umstrittene Frage, ob die „ausdrückliche Ermächtigung“ zur Zurücknahme eines Rechtsmittels dem Verteidiger auch im Voraus, etwa im Rahmen des (allgemeinen) Vollmachtformulars, erteilt werden kann, und damit bereits zu einem Zeitpunkt, in dem der Inhalt der Entscheidung möglicherweise noch unbekannt und das Bedürfnis einer Anfechtung der Entscheidung noch unklar ist (so OLG Hamm, Entscheidung vom 17. Mai 2005 – 1 Ss 62/05 -, juris Rn. 13 m.w.N. zur früher vorherrschenden Rechtsprechung; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 67 Rn. 36; KK-OWiG/Ellbogen, § 67 Rn. 99), oder ob diese Ermächtigung angesichts der Tragweite der Erklärung erst erteilt werden kann, wenn feststeht, um welche konkrete Entscheidung es sich handelt und auf welches Rechtsmittel sich die Ermächtigung zur Rücknahme oder zum Verzicht konkret bezieht (so die mittlerweile vorherrschende Meinung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 302 Rn. 32; OLG Bamberg, Beschluss vom 3. April 2018 – 3 Ss OWi 330/18 – juris Rn. 7; KG Berlin, a.a.O., Rn. 6) kommt es hier nicht an. Denn die erforderliche, bereits zum Zeitpunkt der Einspruchsbeschränkung erteilte ausdrückliche Ermächtigung ergibt sich aus der in den Akten befindlichen Vollmachtsurkunde und den Erklärungen des Verteidigers.

c) Die Anforderungen an den Nachweis einer Ermächtigung i.S.d. § 302 Abs. 2 StPO dürfen nicht überspannt werden. Bei Beurteilung der Frage, ob eine „besondere Ermächtigung“ vorliegt, können ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Vollmachtserteilung und Hauptverhandlung sowie Erklärungen des Verteidigers im Lauf des Verfahrens in und außerhalb von Hauptverhandlungen herangezogen werden.

Der Verteidiger hat – erst – am 14. Oktober 2019 eine auf den 10. Oktober 2019 datierte und vom Betroffenen unterschriebene Vollmachtsurkunde übersandt. Diese wurde somit vom Betroffenen kurz vor dem ersten Hauptverhandlungstermin bzw. deutlich nach Erlass des Bußgeldbescheides vom 16. April 2019 und nach dem durch den Verteidiger zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruch vom 2. Mai 2019 erteilt, dem der Verteidiger noch keine Vollmacht beigefügt hatte. Die Vollmachtsurkunde enthält ausdrücklich die „besondere Befugnis“ zur Einlegung und – auch teilweisen – Rücknahme von Rechtsmitteln. Unter „Rechtsmittel“ ist hierbei auch der Einspruch gemäß § 67 OWiG als „Rechtsbehelf eigener Art“ (vgl. nur Seitz/Bauer, a.a.O., Vor § 67 Rn. 1) zu fassen.

Der Senat geht mit Blick darauf, dass zwischen der Erteilung der Vollmacht und dem ersten Hauptverhandlungstermin nur fünf Tage lagen und der Verteidiger in diesem Termin vor Eintritt in die Beweisaufnahme die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen erklärte, davon aus, dass sich die Vollmachtserteilung nur auf den gegenständlichen Bußgeldbescheid, den konkreten Rechtsbehelf des Einspruchs und dessen Beschränkung bezogen haben kann. Eine im Sinne der zitierten vorherrschenden Rechtsauffassung lediglich im Voraus „allgemein erteilte Ermächtigung“ lag nicht vor. Schon angesichts der Umstände und namentlich des dargelegten zeitlichen Zusammenhangs ist der vorliegende Fall anders gelagert als die den vom Verteidiger angeführten Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte, in denen etwa ein Unterbevollmächtigter die Einspruchsbeschränkung erklärt oder die Vollmacht bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides bzw. lange vor Einlegung der Revision bei der allgemeinen Übernahme des Mandats erteilt worden war.

Hinzu kommt ein klares, aus den in und außerhalb der Hauptverhandlungen abgegebenen Erklärungen des Verteidigers entstandenes Gesamtbild. So hat dieser nicht nur – hier sogar wiederholt – die Beschränkung des Einspruchs erklärt, sondern für den vom persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen auch damit korrespondierende Erklärungen zur Sache wie das vollumfängliche Einräumen des Sachverhalts abgegeben. Zudem hat der Verteidiger betont, es gehe nur um die Rechtsfolgen, und wiederholt mitgeteilt, eine Hauptverhandlung sei entbehrlich und die Entscheidung im Beschlusswege sowie die Aufhebung eines angesetzten Termins angeregt. Dafür, dass all dies ohne entsprechende Bevollmächtigung oder gar gegen den Willen des Betroffenen geschehen sein könnte, fehlt jeder Anhaltspunkt.

d) Vor diesem Gesamthintergrund erscheint die erst jetzt erfolgende Berufung auf die Unwirksamkeit der Beschränkung und eine angeblich fehlende Ermächtigung zudem rechtsmissbräuchlich. Das Verhalten und die Erklärungen des Verteidigers, die weit über eine bloße Beschränkungserklärung hinausgehen, lassen vernünftiger- und redlicherweise keine andere Auslegung zu, als dass die von § 302 Abs. 2 StPO verlangte Ermächtigung vorlag. Die Annahme des Gegenteils liefe nicht nur auf eine nicht zu rechtfertigende Entwertung der Funktion des Rechtsanwalts und seiner Bevollmächtigung, sondern auch darauf hinaus, dass die Tatgerichte – auch bei vorliegender Vollmacht zur teilweisen Rechtsmittelrücknahme – noch zusätzliche Vollmachtsnachweise erheben müssten (zutreffend Krenberger, Anm. zu OLG Bamberg, Beschluss vom 8. Februar 2019 – 2 Ss OWi 123/19 -, jurisPR-VerkR 9/2019 Anm. 5).

Der Senat verweist insoweit auch auf die unter dem Stichwort der sog. „Verjährungsfalle“ im Rahmen des § 51 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 OWiG angeführte Argumentation. So wird es in diesem Zusammenhang teilweise als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn sich der Verteidiger auf das Vorliegen einer bloßen „außergerichtlichen Vollmacht“ sowie darauf beruft, dass sich keine schriftliche Vollmacht in den Akten befinde, sodass die Zustellung unwirksam sei, obwohl aufgrund seines Verhaltens bei Abwägung aller Umstände eindeutig vom Vorliegen einer Verteidigungsvollmacht mit gesetzlich gegebener Zustellungsvollmacht ausgegangen werden könne (vgl. hierzu nur Seitz/Bauer, a.a.O., § 51 Rn. 44a m.w.N. zur Rechtsprechung).“

BVerfG I: Terminsaufhebung in Coronazeiten, oder: Es hilft ein Hygienekonzept

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Heute dann der eigentliche Start in die Arbeit in 2021 – der erste „richtige“ Arbeitstag.  Und ich beginne die Berichterstattung mit zwei Entscheidungen des BVerfG und einer der BGH am Nachmittag.

Den Opener mache ich mit dem BVerfG, Beschl. v. 16.11.2020 – 2 BvQ 87/20. Der „Kundige“ sieht an dem Aktenzeichen: Es handelt sich um die Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Den hatte ein 77 Jahre alter Angeklagter gestellt. Gegen den ist ein Verfahren beim LG Bon anhängig. In dem hatte der Angeklagte beantragt, die ab 17.11.2020 anstehenden Hauptverhandlungstermine aufzuheben und das Strafverfahren auszusetzen, hilfsweise die Aufhebung der für den 17., 26. und 27.11.2020 anberaumten Termine, um ihn als Angehörigen der Risikogruppe nicht der Gefahr einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) auszusetzen. Das hatte die Kammer abgelehnt, u.a. nach Einholung eines Sachverständigengutachtens (bitte im verlinkten Volltext nachlesen). Dagegen Antrag auf einstweilige Anordnung. Das BVerfG hat deren Erlass abgelehnt.

Ich ziehe mich hier zurück auf die wie immer sehr schönen Leitsätze von HRRS. Über deren Newsletter bin ich auch auf die Entscheidung aufmerksam geworden. Die Leitsätze fassen m.E. sehr schön zusammen:

1. Macht ein Angeklagter geltend, eine Ladung zur Hauptverhandlung verletzte ihn in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, weil ihm wegen verschiedener Vorerkrankungen aufgrund der Infektionsgefahr hinsichtlich des Coronavirus erhebliche Gesundheitsgefahren drohten, so ist seine insoweit erhobene Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig, wenn er es unterlassen hat, zuvor Beschwerde gegen die Terminsbestimmung einzulegen.

2. Eine drohende Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Teilnahme an einer Hauptverhandlung ist nicht erkennbar, wenn das sachverständig beratene Strafgericht nachvollziehbar dargelegt hat, dass der Angeklagte trotz seiner Vorerkrankungen mangels einer Beeinträchtigung seiner Immunabwehr kein im Vergleich zur Allgemeinheit höheres Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) hat, und wenn es im Rahmen einer tragfähigen Abwägung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass dem mit einer möglichen Infektion einhergehen gesteigerten Risiko eines schweren Verlaufs durch die konkret getroffenen Maßnahmen zur Minimierung der Ansteckungsgefahr (Hygienekonzept nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts) hinreichend begegnet werden kann.

3. Gerichtliche Zwischenentscheidungen, zu denen auch Terminsladungen gehören, können nur dann selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn ein dringendes schutzwürdiges Interesse daran besteht, dass über die Verfassungsmäßigkeit sofort und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der Endentscheidung erkannt wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Zwischenentscheidung für den Betroffenen bereits einen bleibenden rechtlichen Nachteil nach sich zieht, der nicht mehr oder doch nicht vollständig behoben werden könnte.

4. Zwar ist die Beschwerde gegen Terminsbestimmungen grundsätzlich nicht statthaft. Wendet sich ein Betroffener aber nicht gegen die Zweckmäßigkeit einer Terminsbestimmung, sondern macht er geltend, die Terminsanordnung sei rechtswidrig, weil das Gericht das ihm zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe und in dieser fehlerhaften Ausübung eine besondere, selbständige Beschwer liege, steht § 305 Satz 1 StPO der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen.

5. Drohen dem Angeklagten durch die Hauptverhandlung erhebliche Gesundheitsgefahren, so sind die Pflichten des Staates zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einerseits und zum Schutz der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Grundrechte andererseits gegeneinander abzuwägen. Dabei können vor allem Art, Umfang und mutmaßliche Dauer des Strafverfahrens, Art und Intensität der zu befürchtenden Gesundheitsschädigung sowie Möglichkeiten, dieser entgegenzuwirken, Beachtung erfordern. Den staatlichen Stellen kommt insoweit allerdings ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.

6. Besteht die naheliegende, konkrete Gefahr, dass der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde, so verletzt ihn die Fortsetzung des Strafverfahrens in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Grundrechtsgefährdung ist in diesem Fall einer Grundrechtsverletzung gleich zu achten. Dabei kann allerdings nur eine hinreichend sichere Prognose über den Schadenseintritt die Einstellung des Verfahrens vor der Verfassung rechtfertigen.

7. Die Verfassung gebietet keinen vollkommenen Schutz vor jeglicher mit einem Strafverfahren einhergehender Gesundheitsgefahr. Die Möglichkeit, dass ein Angeklagter den Belastungen einer Hauptverhandlung nicht gewachsen ist, lässt sich letztlich niemals ausschließen; derartige Risiken sind innerhalb gewisser Grenzen unvermeidbar und müssen im Interesse einer wirksamen Strafrechtspflege hingenommen werden.

M.E. überzeugend.

Verkehrsrecht III: Vorläufige Entziehung der FE, oder: Wie geht das nochmal mit den Rechtsmitteln?

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In der dritten Entscheidung, dem KG, Beschl. v. 19.10.2020 – 3 Ws  241/20, – geht es auch noch einmal um ein verfahrensrechtliches Problem. Es geht um die Frage der Rechtsmittel gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.

In einem Ermittlungsverfahren wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d StGB) ist der Führerschein des Beschuldigten am 31.03.2020 beschlagnahmt worden. Auf den Widerspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 11.06.2020 dem Beschuldigten gemäß § 111a Abs. 1 StPO die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins bestätigt.

Am 29.06.2020 hat die zuständige Polizeidienststelle weitere Ermittlungsergebnisse zu den Akten übersandt, unter anderem von Zeugen ausgefüllte Fragebögen sowie Schlussberichte. Mit Schriftsatz vom 17.08,2020 hat der Verteidiger des Beschuldigten eine schriftliche Stellungnahme zum Tatvorwurf zu den Akten übermittelt. Er hat eingangs wörtlich beantragt, „die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Abs.1 StPO…nach § 111a Abs.2 StPO (Unterstreichung im Schriftsatz) aufzuheben sowie den beschlagnahmten Führerschein …herauszugeben“. Außerdem hat er eine Einlassung für den Beschuldigten abgegeben, Ausführungen zu dem seiner Ansicht nach nicht bestehenden hinreichenden Tatverdacht unter Würdigung des aktuellen Ergebnisses der. Ermittlungen gemacht und die Ansicht vertreten, das Verfahren sei nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, die einer Aufhebung des Beschlusses entgegengetreten ist, hat der zuständige Amtsrichter mit Verfügung vom 21.08.2020 vermerkt, dass der Vortrag des Beschuldigten vorn 17.08.2020 als Beschwerde anzusehen sei, der er nicht abhelfe. Mit Beschluss vom 03. 09.2020 hat das Landgericht Berlin die Beschwerde des Beschuldigten aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung des AG vom 11.06.2020 verworfen.

Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten, die beim KG Erfolg hatte:

„1. Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und nicht gemäß § 310 Abs. 2 StPO ausgeschlossen, denn es handelt sich nicht um eine weitere Beschwerde im Sinne dieser Vorschrift.

a) Gemäß § 310 Abs. 2, Abs. 1 StPO findet eine weitere Anfechtung einer auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidung nur in den in Absatz 1 genannten Fällen statt, die hier nicht vorliegen. Gleichwohl ist die Beschwerde hier statthaft, weil das Landgericht, dessen Entscheidung mit der Beschwerde angefochten wird, nicht auf eine Beschwerde hin entschieden hat, sondern eine erstinstanzliche Entscheidung getroffen hat. Die Entscheidung des Landgerichts, das rechtsirrig annimmt, der Beschuldigte habe Beschwerde eingelegt, wird dadurch noch nicht zu einer — der weiteren Anfechtung entzogenen — Beschwerdeentscheidung (Senat, Beschluss vom 8. Februar 2017 — 3 Ws 39/17 —, juris; KG, Beschluss vom 27. März 2009 — 4 Ws 31/09 -, BeckRS 2009, 12737; Matt in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 310 Rn. 6).

Der Antrag des Beschuldigten aus dem Schriftsatz vom 17. August 2020 war in Anbetracht seines eindeutigen Wortlauts als Antrag gemäß § 111a Abs. 2 StPO zu behandeln und der Auslegung gemäß § 300 StPO als (hilfsweise) Beschwerde bereits nicht zugänglich.

Zwar gilt eine Erklärung eines Verfahrensbeteiligten nicht erst dann als Beschwerde, wenn sie subjektiv als Beschwerde gemeint war, sondern bereits dann, wenn sie aufgrund einer vertretbaren Auslegung des Gerichts als Beschwerde gelten kann (vgl. OLG Braunschweig NZV 1996, 122). Eine solche Auslegung war hier jedoch nicht angezeigt, weil, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, schon mit der Unterstreichung des § 111a StPO in den vorangestellten Anträgen im Schriftsatz vom 7. August 2020 klargestellt worden ist, dass nur diese Anträge (nach § 111a Abs. 2 StPO sowie Herausgabe des Führerscheins) gestellt werden.

Dies gilt umso mehr, als dieses Schreiben von einem Rechtsanwalt gefertigt worden ist. Für die Auslegung des Anfechtungswillens kann die Person des Erklärenden von Bedeutung sein; bei Rechtskundigen ist eher auf den gewählten Wortlaut abzuheben als bei Rechtsunkundigen (Paul in KK StPO 8. Aufl., § 300. Rn. 2). Festzustellen ist, dass der Verteidiger, der den Begriff der „Beschwerde“ an keiner Stelle des dreieinhalbseitigen Schriftsatzes verwendet hat, umfangreiche Ausführungen zu einer Einlassung des Beschuldigten und (neuen) Ermittlungsergebnissen gemacht und schließlich eine Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO für angezeigt gehalten hat. Im Hinblick auf diesen Vortrag zur Sache, aber auch die Tatsache, dass mit der Entscheidung vom 11. Juni 2020 die Einlassung des Beschuldigten sowie die neuen Ermittlungsergebnisse noch nicht gewürdigt worden waren, war davon auszugehen, dass der Beschuldigte ausschließlich eine neue Sachentscheidung gemäß §.111a Abs. 2 StPO begehrte, weil er der Ansicht war, der Grund für die Anordnung sei weggefallen.

b) Auch die Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts vom 21: August 2020 stellt keine beschwerdefähige Entscheidung dar. Sie lässt sich nicht in eine solche umdeuten, weil sie nur in Form eines Vermerks ergangen und nicht mit einer Begründung versehen ist. Im Übrigen wäre auch bei einer entsprechenden Umdeutungsmöglichkeit das Landgericht erst dann zu einer Entscheidung berufen gewesen, wenn der Beschuldigte gegen den Nichtabhilfebeschluss Beschwerde eingelegt hätte, sich sein Anfechtungs-wille also gerade auf diese Entscheidung bezogen hätte, was hier schon mangels Bekanntgabe des Nichtabhilfevermerks nicht angenommen werden kann (vgl. KG, Be-schluss vom 15. August 2016 — 5 Ws 124/16 -, juris m.w.N.).

2. Die Beschwerde ist begründet.

Der Umstand, dass das Landgericht keine Nichtabhilfeentscheidung gemäß § 306 Abs. 2 StPO getroffen hat, hindert den Senat nicht an einer Entscheidung in der Sache. Denn es ist anerkannt und entspricht der Rechtsprechung des Kammergerichtes (vgl. KG, Beschluss vom 13. Januar 2020 — 2 Ws 202 – 203/19 —, juris m.w.N.), dass dann, wenn das Gericht, dessen Entscheidung mit der Beschwerde angegriffen wird, keine Abhilfeentscheidung im Sinne von § 306 Abs. 2 StPO getroffen hat, das über die Beschwerde befindende Gericht unter Berücksichtigung seiner Pflicht zur schnellen und wirtschaftlichen Erledigung der Sache nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden hat, ob es selbst entscheiden oder dem Erstbeschwerdegericht Gelegenheit geben will, eine unterlassene Entscheidung über die Abhilfe ordnungsgemäß nachzuholen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2002 — 2 Ws 475/02 —, juris m.w.N.). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung (vgl. KG, Beschluss vom 2. Juni 2020 — 4 Ws 21/20 —) scheidet die Rückgabe der Akten aus, wenn das mit der Beschwerde befasste Gericht —wie hier — selbst sofort entscheiden kann, weil das Abhilfeverfahren für dessen Entscheidung keine Verfahrensvoraussetzung darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Januar 2015 — 3 Ws 12/15 —; Matt in Löwe-Rosenberg StPO 26. Aufl., § 306 Rn. 21).

Der Beschluss des Landgerichts war aufzuheben, weil er demnach ohne prozessualen Anlass ergangen ist (vgl. OLG Braunschweig a.a.O. m.w.N.). Der Aufhebungsantrag vom 17. August 2020 ist noch nicht beschieden, was der Ermittlungsrichter (Az.: 433 Gs 6/20 Jug) oder im Fall der Anklageerhebung der zuständige Jugendrichter (vgl. Hauck in Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl., § 111a Rn. 45f) nachzuholen hat. Dement-sprechend war die Sache zur Entscheidung an das Amtsgericht zurückzugeben.“

 

Pflichti I: Entpflichtung des Pflichtverteidigers, oder: Kein eigenes Rechtsmittel

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Schon wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen wird der ein oder andere sich fragen. Ja, ich habe derzeit aus dem bwereich immer eine ganze Menge Material. Zudem dürften dir Fragen nach den Änderungen in den §§ 140 ff. StPO besonders interessant sein.

Ich beginne heute mit dem BGH, Beschl. v. 18.08.2020 – StB 25/20. Ergangen ist der Beschluss im Lübcke-Verfahren. Der BGH beendet mit der Entscheidung das „Theater“ um die Entpflichtung der zweiten Pflichtverteidigers, den der eine Angeklagte nicht mehr wollte. Das ist ja ein paar Tage durch die Berichterstattzung gegangen. Dann war ein wenig Ruhe, bevor es dann gestern mit der Vernehmung des verbliebenen Pflichtverteidigers als Zeugen weiter gegangen ist. In meinen Augen ist vieles nicht nachvollziehbar, aber man muss ja auch nicht alles verstehen.

Der BGH hat jedenfals, was m.E. zu erwarten war, die Beschwerde des Pflichtverteidigers als unzulässig verworfen:

„Die sofortige Beschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthaft, jedoch ist der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung nicht im rechtlichen Sinne beschwert.

Einem Pflichtverteidiger steht gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein eigenes Beschwerderecht zu (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 17. November 1997 – 2 Ws 255/97, NJW 1998, 621; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 6. März 1996 – 3 Ws 191/96, NStZ-RR 1996, 272; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juni 1993 – 3 Ws 286/93, MDR 1993, 1226; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 143 Rn. 6; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 143 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 143a Rn. 36; für ein Beschwerderecht im Falle einer willkürlichen Entscheidung vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138; OLG Köln, Beschluss vom 24. Juli 1981 – 2 Ws 378/81, NStZ 1982, 129; Dölling/Duttge/König/Rössner/Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 143 StPO Rn. 7; LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 143 Rn. 16; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 143 Rn. 26; für ein generelles Beschwerderecht hingegen Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 6 f.; HK-StPO/Julius/Schiemann, 6. Aufl., § 143 Rn. 10; SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl., § 143 Rn. 29 jeweils mwN). Nach der Regelung des § 304 Abs. 2 StPO können zwar andere Personen, zu denen auch Verteidiger zählen können (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20, NJW 2020, 1534 Rn. 3 mwN), (sofortige) Beschwerde einlegen, wenn sie in ihren Rechten betroffen sind. Anders als durch die Ablehnung der von einem Pflichtverteidiger beantragten Rücknahme seiner Beiordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20, NJW 2020, 1534) ist eine die Beschwerdebefugnis begründende Rechtsbeeinträchtigung durch die gegen seinen Willen vorgenommene Entpflichtung jedoch nicht gegeben.

1. Der Zweck der Pflichtverteidigung, die ein Rechtsanwalt grundsätzlich übernehmen muss (§ 49 Abs. 1 BRAO), besteht – ausschließlich – darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 242; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juni 1993 – 3 Ws 286/93, MDR 1993, 1226; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138). Die Beiordnung eines Verteidigers erfolgt demzufolge nicht in dessen, sondern allein im öffentlichen Interesse zum Schutz des Beschuldigten. Ein Rechtsanwalt hat deshalb keinen aus eigenem Recht ableitbaren Anspruch darauf, in einer bestimmten Strafsache zum Verteidiger bestellt zu werden, eine ihm übertragene Pflichtverteidigung weiterzuführen und seiner – drohenden oder vollzogenen – Abberufung entgegenzutreten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138). Anders als die Ablehnung der von ihm nach § 49 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO beantragten Aufhebung seiner Beiordnung, die ihn mit Blick auf die ihm aus § 49 Abs. 1 BRAO erwachsende Berufspflicht in seinem Recht auf Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20, NJW 2020, 1534 Rn. 3 ff.; s. auch BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 241 f.), ist die Rücknahme der Bestellung kein ihn beschwerender Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 241 f.; so auch BVerfG, Beschlüsse vom 14. Oktober 1997 – 2 BvQ 32/97, NJW 1998, 444; vom 11. März 1997 – 2 BvR 325/97, NStZ-RR 1997, 202, 203).

Aus der ihm durch die staatliche Indienstnahme zukommenden öffentlichen Funktion folgt nichts anderes (so aber Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 7; SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl., § 143 Rn. 29), denn die Aufgabenerfüllung im öffentlichen Interesse endet mit der Aufhebung der Bestellung. Mit Blick auf seine öffentliche Funktion liegt auch keine vergleichbare Interessenlage zu einem Wahlverteidiger und dessen Beschwerderecht aus § 138d Abs. 6 Satz 1 StPO vor (anders Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 6 f.). Zudem darf der ausgeschlossene Wahlverteidiger in dem betreffenden Verfahren für den Angeklagten in keiner Form mehr auftreten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 138a Rn. 22), während der Pflichtverteidiger nach seiner Abberufung grundsätzlich weiterhin als Wahlverteidiger tätig werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 245 f.). Da dem Verteidiger kein Anspruch auf Fortführung des Pflichtverteidigermandats zusteht, vermögen – anders als der Beschwerdeführer meint – damit ggf. verbundene wirtschaftliche Interessen oder ein Rehabilitationsinteresse eine Rechtsbetroffenheit ebenfalls nicht auszulösen.

2. Diese Grundsätze entsprechen auch dem Willen des Gesetzgebers nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128 ff.). Insbesondere hat der Gesetzgeber in Kenntnis der bisherigen Rechtspraxis für die sofortige Beschwerde in § 143a Abs. 4 StPO nF an dem Erfordernis einer Beschwer festgehalten.

Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (ABl. EU L 297 S. 1 ff.). In Beibehaltung des „bewährten Systems der notwendigen Verteidigung“ (BT-Drucks. 19/13829, S. 2) regeln §§ 143, 143a StPO nF nunmehr die nach bisheriger Rechtslage nur ansatzweise und fragmentarisch normierten Fragen der Dauer, Aufhebung und Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 20). Soweit Entscheidungen über einen Verteidigerwechsel, die nach bisheriger Gesetzeslage der (einfachen) Beschwerde unterlagen, nunmehr mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angegriffen werden können (§ 143a Abs. 4 StPO), ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass für die Zulässigkeit des Rechtsmittels an dem Erfordernis einer Beschwer festgehalten wird. Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich Bezug auf die bisherige Rechtsschutzmöglichkeit genommen und dargelegt, die Einführung einer sofortigen Beschwerde diene ausschließlich dazu, rasch Klarheit über die Frage zu schaffen, wer die Verteidigung übernimmt (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 49 [„soweit eine Beschwer besteht“]).

Auch das EU-Recht begründet keine Beschwerdebefugnis des Pflichtverteidigers in der hiesigen Konstellation. Art. 8 RL 2016/1919/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, verdächtigen, beschuldigten und gesuchten Personen einen wirksamen Rechtsbehelf für den Fall der Verletzung ihrer Rechte aus der Richtlinie zur Verfügung zu stellen; die Schaffung besonderer Rechtsschutzmöglichkeiten für Verteidiger intendiert die Richtlinie indes nicht.

3. Schließlich kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende objektive Willkürverbot (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19, juris Rn. 34 f.; Hömig/Wolff, GG, 12. Aufl., Art. 3 Rn. 5) ein Beschwerderecht zu begründen vermag (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 1985 – 2 Ws 652/85, NStZ 1986, 138; OLG Köln, Beschluss vom 24. Juli 1981 – 2 Ws 378/81, NStZ 1982, 129; Dölling/Duttge/König/Rössner/Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 143 StPO Rn. 7; LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 143 Rn. 16; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 143 Rn. 26), denn die angefochtene Entscheidung ist auch mit Blick auf die von dem Vorsitzenden abgegebenen Erklärungen in der Hauptverhandlung jedenfalls in der Sache nicht offensichtlich unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich unvertretbar (zu den Voraussetzungen eines Verstoßes s. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19, juris Rn. 35; BeckOK GG/Kischel, 43. Ed., Art. 3 Rn. 84, jeweils mwN).“

Nun ja, immerhin hat es der (ehemalige) zweite Pflichtverteidiger in BGHSt geschafft.