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Umbeiordnung – Pflichtverteidigung nur unter Bedingungen?

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Die Umbeiordnung eines Rechtsanwaltes als Pflichtverteidiger wird von vielen Gerichten nicht und wenn überhaupt nur unter Bedingungen beschlossen. So auch vor einiger Zeit bei LG Hamburg, dass eine Umbeiordnung mit dem einschränkenden Zusatz „ohne Mehrkosten für die Staatskasse“ versehen hatte. Dagegen hat der Pflichtverteidiger Beschwerde eingelegt, über die im OLG Hamburg, Beschl. v. 21.06.2012 – 1 Ws 54/12 – das OLG entschieden Hat.

1. Das gemäß § 300 StPO als Beschwerde zu behandelnde „Rechtsmittel“ des Rechtsanwalts G. vom 7. Mai 2012, welches er im eigenen Namen gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 10 des Landgerichts Hamburg vom 11. April 2012 insoweit eingelegt hat, als die Umbeiordnung mit dem einschränkenden Zusatz „ohne Mehrkosten für die Staatskasse“ versehen wurde. ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Durch diesen einschränkenden Zusatz wird in den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger gegen die Staatskasse eingegriffen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 09, 348 f.; OLG Braunschweig, E. v, 9.8.2011, Ws 128/11 — aus juris).

 a)       § 305 S. 1 StPO steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Zwar hat der Vorsitzende des erkennenden Gerichts entschieden.  . Dies gilt nach der – auch vom Senat geteilten – herrschenden Meinung schon für die Pflichtverteidigerbestellung als solche, weil sie bei der Urteilsfällung nicht geprüft wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54, Aufl., Rn, 10a zu § 141 m.w.N.). Erst recht gilt dies aber für die gebührenbezogene Einschränkung bei der Verteidigerbestellung. Außerdem handelt es sich insoweit um eine Entscheidung, durch die der Rechtsanwalt i.S.d. § 305 S. 2 StPO als dritte Person betroffen wird.

b)       Rechtsanwalt G. ist durch den hier fraglichen gebührenbezogenen Zusatz beschwert Zwar bewirkt die Einschränkung keine unmittelbare Minderung der Pflichtverteidigervergütung, sondern sie kann erst im Festsetzungsverfahren zum Tragen kommen. Aber bereits der Erlass der gerichtlichen Entscheidung begründet die Beschwer, an der es auch nicht deshalb fehlt, weil die Einschränkung möglicherweise keine Wirkung im anschließenden Festsetzungsverfahren entfaltet. Zwar ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht an die Einschränkung des Vergütungsanspruchs aus dem Beiordnungsbeschluss gebunden, weil sie keine Grundlage im Gesetz findet (vgl. etwa OLG Brandenburg StraFo 06, 214 f.; Volpert in Burhoff [Hrsg.)    RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Rn. 23 zu § 54). Der Rechtsanwalt muss aber damit rechnen, dass sich der Urkundsbeamte an die gerichtliche Entscheidung hält (zur Beschwer in derartigen Fällen ebenso OLG Düsseldorf a.a.O.; auch Volpert a.a.O.).

 c)       Die Beschwerde ist auch entscheidungsreif. Dass diesbezüglich eine Entscheidung über eine Nichtabhilfe nicht vorliegt — der Kammervorsitzende hält, wie sich aus seinem Beschluss vom 7. Mai 2012 ergibt, das hier behandelte Rechtsmittel gegen seine Entscheidung vom 11. April 2012 für erledigt — steht einer Beschwerdeentscheidung des Senats nicht entgegen. Denn diese setzt eine Durchführung des Abhilfeverfahrens bei der Vorinstanz nicht notwendig voraus (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., Rn. 10 zu § 306).“

Der Rechtsanwalt ist also durch einen solchen Beschluss beschwert und kann im eigenen Namen Rechtsmittel einlegen.

 

Akteneinsicht verweigert – dann Konfliktverteidiger?

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Die mit der Akteneinsicht (im Bußgeldverfahren) zusammenhängenden Fragen beschäftigen die Rechtsprechung. Dabei geht es i.d.R. um die Art und Weise der Akteneinsicht und immer wieder auch um die Frage, ob bei (teilweiser) Verweigerung von Akteneinsicht durch das Gericht ein Rechtsmittel gegeben ist. Die Frage war schon früher umstritten; m.E. ging die wohl h.M. (für das Strafverfahren) zu einem „Ja“. Derzeit weht der Wind aber aus einer anderen Richtung. Zunehmend wird auf § 305 S. 2 StPO verwiesen und die Beschwerde als unzulässig angesehen. So auch der LG Arnsberg, Beschl. v. 24.04.2012 – Qs 24/12:

„Mit den abgelehnten Anträgen begehrte die Verteidigung nach eigenem Vortrag um-fassende Akteneinsicht gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 147 StPO. Bei der Entscheidung des Amtsgerichts hinsichtlich des Umfangs des Akteneinsichtsrechts handelt es sich um eine der Urteilsfällung sachlich und zeitlich vorausgehende und mit ihr in einem inneren Zusammenhang stehende Entscheidung des erkennenden Richters, die gern. § 305 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG unanfechtbar ist.

Das grundsätzlich bestehende Recht auf Akteneinsicht durch einen Verteidiger sichert den Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, wodurch eine effektive Verteidigung ermöglicht werden soll. Dies wird gesichert durch den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO, der über § 79 Abs. 3 OWiG auch im Bußgeldverfahren Anwendung findet. Jede im Hauptverfahren getroffene Entscheidung des erkennenden Richters, die dieses Recht des Betroffenen berührt, steht mit der Urteilsfällung in innerem Zusammenhang, da sie Einfluss auf den Inhalt des Urteils haben kann (LG Limburg, Beschluss vom 30.08.2011, 1 Qs 116/11; LG Lüneburg, Beschluss vom 19.07.2011, 26 Qs 190/11, VRR 2011, 436, OLG Hamm NStZ 2005, 226 m. w. N.; LG Arnsberg, Beschluss vom 08.12.2011, 2 Qs 79/11).

Die Entscheidung des Amtsgerichts wurde vorliegend nach zulässigem Einspruch und unmittelbar vor der Terminierung, mithin im Hauptverfahren gern. §§ 71 ff. OWiG getroffen.

Sie kann daher gem. § 305 S. 1 StPO i. V. m. § 46 OWiG nicht mit der Beschwerde, sondern nur mit dem entsprechenden Rechtsmittel nach Urteilserlass, hier – je nach dem Inhalt des Urteils – die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG oder der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gern. § 80 Abs. 1 OWiG, angegriffen werden.“

Ist m.E. nicht richtig, aber: Der Verteidiger muss sich darauf einstellen und in der Hauptverhandlung einen Beschluss herbeiführen (§§ 338 Nr. 8, 238 Abs. 2 StPO). Das bringt natürlich Unruhe und wahrscheinlich demnächst den Vorwurf der „Konfliktverteidigung“ im Bußgeldverfahren. Das sind dann aber die Geister, die man rief.

 

Schriftzug aus „Strichen, Punkten und Haken“ – Ist das eine Unterschrift?

Was ist eine Unterschrift bzw. wie lange kann man eine Aneinanderreihung von „Strichen, Punkten und Haken “ noch als ausreichende Unterschrift unter einem Schriftsatz ansehen. Dazu nimmt der BGH, Beschl. v. 26.04.2012 – VII ZB 36/10 – jetzt noch einmal Stellung. Ist eine Entscheidung, die im Zivilrecht in Zusammenhang mit der Wirksamkeit einer Unterschrift unter eine Berufungsbegründung ergangen ist. Die Ausführungen des BGH haben aber auch Auswirkungen auf strafverfahrensrechtliche Rechtsmittel. Denn auch da muss eine „wirksame Unterschrift vorliegen. Der BGh führt zu der Frage aus:

aa) Eine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – IV ZB 9/11, Rn. 6, bei juris; Beschluss vom 22. November 2005 – VI ZB 75/04, VersR 2006, 387 Rn. 5; Urteil vom 11. Ok-tober 2005 – XI ZR 398/04, NJW 2005, 3773; Beschluss vom 15. Juni 2004 VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364; Beschluss vom 28. August 2003 – I ZB 1/03, MDR 2004, 349, 350; Urteil vom 31. März 2003 II ZR 192/02, NJW 2003, 2028; ebenso: BAG, NJW 1990, 2706). Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 IV ZB 9/11, Rn. 6, bei juris).

aa) Eine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen die Identi-tät des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug voraus, der
individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. Dabei ist in Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen (BGH, Beschluss vom 27. September 2005 – VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775 m.w.N.; Beschluss vom 17. November 2009 – XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 12).

bb) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Schrift-zug auf der Berufungsschrift um eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO. Die hierfür erforderlichen Feststellungen trifft der Senat selbständig ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts (BGH, Beschluss vom 17. November 2009 – XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358; Urteil vom 24. Juli 2001 VIII ZR 58/01, NJW 2001, 2888).
Allerdings ist dem Berufungsgericht zuzugeben, dass die Unterschrift keinen lesbaren Namenszug erkennen lässt. Sie besteht, wie die vom Beklag-ten zur Akte gereichten Schriftproben zeigen, nach einem jahrzehntelangen, sukzessiven Abschleifungsprozess nur noch aus den stilisierten Überbleibseln einer Reihenfolge von Buchstaben, aus denen sich der Vor- und Nachname Rechtsanwalt M.s zusammensetzt. Gleichwohl weist der vom Berufungsgericht zutreffend als Abfolge aus Strichen, Punkten und Haken beschriebene Schriftzug starke individuelle Merkmale auf, die insbesondere wegen der ungewöhnlichen Kombination der Schriftzeichen keinen ernsthaften Zweifel daran aufkommen lassen, dass es sich um eine von ihrem Urheber zum Zwecke der Individualisierung und Legitimierung geleistete Unterschrift handelt. Rechtsanwalt M. unterschreibt, wie er durch seine ebenso unterzeichnete eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, seit Jahren in dieser Weise. Auch dem Berufungsgericht liegen aus anderen Verfahren Schriftstücke vor, welche seine gleich geartete Unterschrift tragen, ohne dass dies beanstandet worden wäre.“

Auf die vom BGH auch angesprochene Frage der Wirksamkeit der „I.V.-Unterschrift“ komme ich dann noch einmal gesondert zurück.

Beiziehung der Lebensakte – gibt es ein Rechtsmittel?

Wir haben in der letzten Zeit ja schon mehrfach über den Dauerbrenner: Akteneinsicht, insbesondere deren Umfang, im Bußgeldverfahren berichtet.

In dem Zusammenhang tut sich jetzt offenbar eine neue Streitfrage auf: Nämlich die Frage nach dem Rechtsmittel. Dazu nimmt jetzt das LG Lüneburg, Beschl. v. 19.07.2011 – 26 Qs 190/11 Stellung, das eine Entscheidung des AG Lüneburg v. 19.06.2011 bestätigt. Dort hatte der Verteidiger einen Antrag auf Beiziehung der Lebensakte (Wartungs-/Reparatur-/Eichschein) gestellt, den das AG abgelehnt hat. Dagegen wird „gemäß der §§ 62 Abs. 2 S. 2, 3 OWiG, 306 Abs. 1 StPO“ Beschwerde eingelegt.

Das LG Lüneburg hat die Beschwerde als unzulässig angesehen und das mit einem Hinweis auf § 305 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG begründet. Es handele sich um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung. Der Verteidiger erstrebe, dass im gerichtlichen Bußgeldverfahren die sogenannte „Lebensakte“  beigezogen werde. Dies solle  – vorbereitend – der Aufklärung des Sachverhalts dienen, der letztlich vom Gericht aufgrund durchzuführender Hauptverhandlung festzustellen sein werde. Das ist für das LG eine Anregung zur Beweisermittlung und die Ablehnung unterliege nicht dem Rechtsmittel der Beschwerde.

Leider setzt sich das LG nicht mit der Entscheidung des LG Ellwangen, über die wir hier auch vor einiger Zeit berichtet haben, auseinander. Das hatte die Frage – m.E. zu Recht – anders gesehen und die dort vom Verteidiger in einem vergleichbaren Fall eingelegte Beschwerde als zulässig angesehen.

In der Sache kann man dem Verteidiger in den Fällen nur empfehlen – unabhängig von der Frage des Rechtsmittels – seinen Antrag in der HV zu wiederholen, um so die Rechtsbeschwerde vorzubereiten (vgl. dazu hier).

Wiedereinsetzung: Aufgepasst bei der Adressierung von Rechtsmitteln

Aufgepasst bei der Adressierung von Rechtsmitteln. Denn: Nun sagt (auch) das KG, Beschl. v. 07.03.2011 – 4 Ws 25/11, dass ein bei einem unzuständigen Gericht eingelegtes fristgebundenes Rechtsmittel nur im normalen Geschäftsgang weitergeleitet werden muss. Das angegangene unzuständige Gericht sei nicht verpflichtet, das Rechtsmittelschreiben unter Anwendung von Eilmaßnahmen, wie die Weiterleitung per Telefax, an das zuständige Gericht zu übersenden.

Das ist in der Vergangenheit in der Rechtsprechung schon anders gesehen worden. U.A. der 2. Strafsenat hatte das unzuständige Gericht als zu eiliger Behandlung verpflichtet angesehen. Aber auch der hat inzwischen seine Rechtsprechung geändert. Also. Man muss dann schon sorgfältig bei der Versendung sein, will man nicht eine irreparable Fristversäumung riskieren. Warum das angegangene Gericht nicht verpflichtet sein soll, schnell zu handeln, erschließt sich mir zwar nicht, aber: Man muss sich eben auf solche Änderungen einstellen.

Im Übrigen: Im Beschwerdeverfahren nach den §§ 8 Abs. 3, 9 Abs. 2 StrEG doppelt aufgepasst. Denn dem  Freigesprochenen wird ein Verschulden seines Verteidigers zugerechnet. So ebenfalls der KG-Beschluss.