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„Etwas“ (?) zu „sparsame“ Bemessung der Grundgebühr, oder: Reisekosten des auswärtigen Verteidigers?

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Am „Money-Day“ dann zunächst eine Entscheidung des LG Hamburg, Das hat im LG Hamburg, Beschl. v. 06.04.2022 – 628 Qs 19/21 – zur Bemessung der Rahmengebühr bei einer Grudngebühr und zu den Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts Stellung genommen.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der falschen Verdächtigung freigesprochen und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt. Die geltend gemachten Auslagen sind nur zum Teil festgesetzt worden. Statt einer Grundgebühr von 200,- EUR, was der Mittelgebühr nach altem Recht entsprochen hat/hätte, wurden lediglich 110 EUR festgesetzt. Ebenfalls nicht festgesetzt wurden Fahrtkosten von 2 x 171,60 EUR für jeweils 572 km Anreise mit dem eigenen PKW und Abwesenheitsgelder bei einer Geschäftsreise in Höhe von 2 x 70 EUR. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten hatte nur hinsichtlich der Reisekosten zu einem geringen Teil Erfolg:

„3. Die Beschwerde hat in der Sache nur zu einem kleinen Teil Erfolg.

a) Grundgebühr

Die beantragte Grundgebühr (Ziff. 4100 Anlage 1 zum RVG) in Höhe von EUR 200,- ist nur in Höhe von EUR 110,- festzusetzen.

Bei Rahmengebühren bestimmt gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). So liegt der Fall hier.

Dritter in diesem Sinne ist insbesondere auch die Staatskasse, die nach § 467 Abs. 1 StPO dem freigesprochenen Angeklagten die Verteidigerkosten erstatten muss (vgl. v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 51). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das grundsätzliche Gebührenbestimmungsrecht eines Anwalts nicht dadurch ausgehöhlt werden darf, dass eine Gebührenbemessung schon dann als unbillig korrigiert wird, wenn sie lediglich „gut bemessen“ ist (LG Zweibrücken, Beschluss vom 12.02.2008 – Qs 68/07 = BeckRS 2008, 16655; Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 5) . Denn jede Ermessenausübung bewegt sich innerhalb eines durch die Umstände bestimmten Rahmens, und eine Ermessensausübung ist auch dann noch billig, wenn sie an den oberen Rand des durch die Umstände bestimmten Rahmens geht (Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 12). Erst, wenn sie diesen oberen Rand überschreitet, ist sie unbillig, und damit der Weg für das Gericht frei, das anwaltliche Ermessen durch eigenes Ermessen zu ersetzen (Mayer, a.a.O.; vgl. zum insoweit eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Gerichts auch: v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 7). Diese engen Voraussetzungen liegen indes vor. Der Verteidiger des Freigesprochenen hat hier die sog. „Mittelgebühr“ angesetzt. In „Normalfällen“ (d.h. wenn sämtliche in § 14 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich genannten Umstände von durchschnittlicher Art sind) entspricht die Bestimmung der Mittelgebühr billigem Ermessen (v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 21). Das darf aber nicht dazu führen, dass der Rechtsanwalt ohne Abwägung der einzelnen Bemessungskriterien generell die Mittelgebühr abrechnet (v. Seltmann, a.a.O.). Vielmehr ist die Mittelgebühr lediglich Ausgangspunkt der Ermessensausübung. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, ist dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen (v. Seltmann, a.a.O.). So liegt es hier.

Namentlich Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weichen hier maßgeblich nach unten vom Durchschnitt ab (vgl. zu diesen Kriterien im Einzelnen: v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 28 ff., 34 ff.). Der Aktenumfang betrug bis zum Hauptverhandlungsprotokoll 62 Blatt (sowie 43 Blatt im Zeitpunkt erstmaliger Akteneinsicht). Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Vorfall in einem Kiosk. Neben der Einlassung des (ehemaligen) Beschuldigten erschöpfte sich das Beweisprogramm im Wesentlichen in zwei Zeugen. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der „Geschädigte zum Beschuldigten“ wurde und es zwei „sich diametral gegenüberstehende Ermittlungsverfahren“ gab. Denn sowohl in dem hiesigen Verfahren als auch in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 2004 Js 499/19 (der hiesigen Beiakte) ging es im Kern um den gleichen Lebenssachverhalt; zumal der Umfang der Beiakte – den insoweit geltend gemachten Kopierkosten nach zu urteilen – sogar noch geringer war, als derjenige der hiesigen Akte. Auf der anderen Seite wich kein anderes relevantes Bemessungskriterium nach oben hin von der Norm ab, sodass auch insoweit keine „Kompensation“ erfolgen konnte, die eine Festsetzung der Mittelgebühr noch hätte rechtfertigen können (zu dieser Möglichkeit: Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 11; m.w.N.).

Dabei hat die Kammer auch bedacht, dass es nicht angängig ist, von den Kostenrechnungen eines Verteidigers „kleinteilige“ Abzüge vorzunehmen und sich vor diesem Hintergrund gewisse „Toleranzgrenzen“ herausgebildet haben. So werden etwa Abweichungen von bis zu 20% regelmäßig noch als verbindlich angesehen (Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 14 Rn. 12; v. Seltmann, BeckOK-RVG, 55. Edition, Stand: 01.09.2021, § 14 Rn. 51; m.w.N.). Vorliegend sind diese Grenzen jedoch ersichtlich überschritten.

b) Fahrtkosten

Die geltend gemachten Fahrtkosten (Ziff. 7003 Anlage 1 zum RGV) waren nur in einer Höhe von EUR 25,20 festzusetzen.

Gem. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zu erstatten sind. Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt nur insoweit zu erstatten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Sachgerecht ist die Beauftragung eines ortsansässigen Prozessbevollmächtigten. Wer darauf verzichtet und auswärtigen Beistand in Anspruch nimmt, kann den Mehraufwand grundsätzlich nicht erstattet verlangen (Schulz, in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rn. 71; Hüßstege, in Thomas/Putzo, ZPO, § 91 Rn. 42a; vgl. Herget, in Zöller, ZPO, § 91 Rn. 13, unter dem Stichwort: „Reisekosten b) des Anwalts“). Denn im Grundsatz wird der Partei zugemutet, einen an ihrem Gerichtsstandort zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen (Jaspersen, in BeckOK ZPO, 43 Edition, Stand: 01.12.2021, § 91 Rn. 169). Es gilt das Kostenschonungsgebot (Schulz, a.a.O.). Nur beim Vorliegen besonderer Umstände können diese Kosten notwendig sein (Gierl, in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 91 Rn. 52; m.w.N.).

Namentlich muss das schützenswerte Interesse der Partei an einem auswärtigen Anwalt so großes Gewicht haben, dass das Gebot der Kostenschonung dahinter zurücktritt (Jaspersen, a.a.O.). Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein entlegenes oder besonders schwieriges Rechtsgebiet die Fachkunde eines Spezialisten erfordert und ein geeigneter Anwalt vor Ort nicht verfügbar ist (Schulz, a.a.O.); wobei die Anforderungen hier im Allgemeinen hoch anzusetzen sind (Flockenhaus, in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 91 Rn. 18).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Besondere Spezialkenntnisse waren weder erforderlich noch sind diese dargetan. Zwar mag es aufgrund des damaligen Verfahrensstands und dem bis dato erfolgten Verfahrensgang aus Sicht des Freigesprochenen nachvollziehbar gewesen sein, das vorherige Mandatsverhältnis mit dem hamburgischen Strafverteidiger zu beenden. Gleichwohl sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die Beauftragung eines anderen Verteidigers aus Hamburg nicht möglich gewesen sein soll. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem – in Strafsachen ganz besonders erheblichen – Grundsatzes des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant (vgl. zum „persönlichen Vertrauen“ etwa: Schulz, in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 91 Rn. 63). Vorliegend hat der Verteidiger des Freigesprochenen zwar in der Vergangenheit bereits Familienangehörige des Freigesprochenen vertreten, war für diesen selbst jedoch noch nicht tätig. Hieran vermag auch die „langjährige Freundschaft“ zwischen dem Freigesprochenen und seinem Verteidiger nichts zu ändern.

Gleichwohl bedeutet die fehlende Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Verteidigers nicht, dass für diesen überhaupt keine Fahrtkosten angesetzt werden können. Vielmehr sind tatsächlich angefallene Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts insoweit erstattungsfähig, als sie auch dann entstanden wären, wenn die obsiegende Partei einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte (BGH, Beschluss vom 09.05.2018 – I ZB 62/17 = BeckRS 2018, 14136; dort unter Rn. 8 ff. mit umfangreichen Nachweisen zum Meinungsstand; vgl. Jaspersen, in BeckOK ZPO, 43 Edition, Stand: 01.12.2021, § 91 Rn. 169).

Ersatzfähig ist daher derjenige Anteil der Fahrtkosten, welcher auf die Wegstrecke innerhalb des hiesigen Gerichtsbezirks entfällt. Von der kürzesten Route vom Amtsgericht HamburgHarburg bis zum Kanzleisitz des Verteidigers des Freigesprochenen (J. , S.) liegen 21 Kilometer innerhalb der Landesgrenzen Hamburgs. Der Verteidiger ist diese Wegstrecke viermal gefahren. Ersatzfähig sind daher EUR 25,20 (= 4 x 21 x EUR 0,30)….“

Im Großen und Ganzen ist gegen die grundsätzlichen Ausführungen des LG zur Bemessung der Rahmengebühren nichts auszusetzen. Allerdings ist die Behauptung, dass, wenn „eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, dies Anlass für den Rechtsanwalt ist, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen“, so nicht zutreffend. Denn es führt nicht schon zwangsläufig ein nach unten vom Durchschnitt abweichendes Kriterium aus § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu einer Gebühr unter der Mittelgebühr, sondern es ist auch dann eine Gesamtbewertung aller Kriterien vorzunehmen. Das tut das LG dann hier auch, bleibt aber eine Erklärung warum die Grundgebühr nur in Höhe von 110 EUR, also 45 % unter der Mittelgebühr, angemessen sein soll, schuldig. Die mitgeteilten Umstände tragen diese Bemessung nicht. Sie sprechen vielmehr für eine amtsgerichtlichen Normalfall mit immerhin zwei Zeugen, einer Beiakte und gegenseitigen Vorwürfen bzw. einem „gegenläufigen Ermittlungsverfahren.

Und: << Werbemodus an>>: Ich nehme dann dieses Posting mal wieder zum Anlass auf Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, hinzuweisen, den man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

Rahmengebühren für den Nebenklägervertreter, oder: Bedeutung des Verfahrens für den Nebenkläger

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Die zweite Entscheidung des Tages befasst sich dann aber mit anwaltlichen Gebühren, und zwar mit den Rahmengebühren für den Nebenklägervertreter im amtsgerichtlichen Verfahren.

Dem LG Ravensburg, Beschl. v. 16.05.2022 – 1 Qs 19/22, den mir der Kollege Kabus aus Bad Saulgau geschickt hat, liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kollegin des Kollegin war als Vertreterin des Nebenklägers in einem Strafverfahren tätig, das bei einem AG anhängig war. Dem Angeklagten war zur Last gelegt worden, eine vorsätzliche Körperverletzung und eine Sachbeschädigung zum Nachteil des Nebenklägers begangen zu haben.

Die Rechtsanwältin legitimierte sich im Ermittlungsverfahren als Vertreterin des Nebenklägers und beantragte Akteneinsicht, die ihr seitens gewährt wurde. Mit Aktenrückgabe beantragte sie die Übersendung einer Abschlussverfügung. Darüber hinaus reichte sie mit einem weiteren Schriftsatz die Rechnung für die Reparatur der vom Angeklagten beschädigten Brille des Nebenklägers ein.

Der Angeklagte erstattete hinsichtlich des ihm zur Last gelegten Sachverhalts seinerseits Strafanzeige gegen den Nebenkläger wegen Vortäuschens einer Straftat. Während die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellte, beantragte sie beim gegen den Nebenkläger beim AG den Erlass eines Strafbefehls. Diesem Antrag wurde entsprochen. Der Nebenkläger hat Zulassung der Nebenklage beantragt. Diese ist, nachdem der Angeklagte über seinen Verteidiger Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte, zugelassen worden. Von der Rechtsanwältin ist dann gegenüber dem Angeklagten Schadensersatz, Schmerzensgeld und außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von insgesamt 2.833 EUR geltend gemacht worden. Dem ist der Angeklagte mit Nachdruck entgegen getreten.

Im Hauptverhandlungstermin vom 9.11.2021, der von 10:00 Uhr bis 12:15 Uhr dauerte und an dem die Rechtsanwältin teilnahm, wurde das Verfahren gern. § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Nach Auflagenerfüllung ist das Verfahren dann endgültig eingestellt worden, wobei angeordnet wurde, dass der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen hat.

Im Kostenfestsetzungsverfahren sind die Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) sowie die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (Nr. 4104 VV RVG) und für das gerichtliche Verfahren (Nr. 4106 VV RVG) jeweils als Mittelgebühr – nach altem Recht – geltend gemacht worden. Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 4108 VV RVG) hat sie die Festsetzung des oberhalb der Mittelgebühr liegenden Betrags von 320 EUR beantragt. Das AG hat die Grundgebühr auf nur 130 EUR, die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren auf nur 100 EUR und die Terminsgebühr auf die Mittelgebühr von 275 EUR festgesetzt. Das dagegen von der Nebenklägervertreterin eingelegte Rechtsmittel hatte Erfolg:

„Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg, soweit es sich gegen die Bewertung des Verfahrens als kostenrechtlich unterdurchschnittliche Angelegenheit wendet. Dagegen ist die Festsetzung einer gegenüber der Mittelgebühr erhöhten Terminsgebühr zu Recht unterblieben.

1. Sind keine Umstände erkennbar, die eine Erhöhung oder Ermäßigung rechtfertigen, so steht dem Verteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des einschlägigen Gebührenrahmens zu (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 14 Rn. 41). Vorliegend genügen die in der angefochtenen Entscheidung zur Absetzung der Gebühren angeführten Gesichtspunkte im Ergebnis der gebotenen Gesamtschau aller Umstände des konkreten Einzellfalls nicht, von der Mittelgebühr abzuweichen.

Soweit auf den geringen Aktenumfang zum Zeitpunkt der Einsichtnahmegewährung Bezug genommen wird, ist die genannte Blattzahl irreführend, da der überwiegende Teil der Ermittlungsakte – insbesondere der Ermittlungsbericht und die Vernehmungsprotokolle – beidseitig bedruckt waren. Hinzu kommt, dass diese Aktenteile in großem Umfang absatzlos als Fließtext abgefasst sind, was die Übersichtlichkeit und gedankliche Erfassung erschwert. Vor dem Hintergrund, dass die Verfahrensbearbeitung einen Abgleich der in entsprechender Weise niedergelegten Aussagen von drei Zeugen erforderlich macht, wiegt dies besonders schwer. Ein einfach gelagerter Sachverhalt, der jeder tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit entbehrt, lag schon nach der im Ermittlungsverfahren übersandten Verfahrensakte nicht vor.

Unabhängig davon wurde bei der Gebührenfestsetzung die konkrete Bedeutung der Sache für den Mandanten der Beschwerdeführerin nicht in ausreichendem Maße in den Blick genommen:

a) So hing von der Bewertung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht in entscheidendem Maße ab, ob sich der Nebenkläger wegen des vom früheren Angeklagten erhobenen Vorwurfs des Vortäuschens einer Straftat zu verantworten haben würde. Der frühere Angeklagte hatte insoweit nicht nur zeitnah Strafanzeige erstattet. Vielmehr ist aus dem in der Akte (Blatt 47) enthaltenen E-Mail-Ausdruck zu entnehmen, dass er – nach der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Ravensburg – sein Anliegen gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft im Beschwerdewege weiterverfolgte.

b) Darüber hinaus kam dem Ausgang des Strafverfahrens – von vornherein absehbar – erhebliche Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme des früheren Angeklagten durch den Mandanten der Beschwerdeführerin zu. Mithin verlangte das von ihr übernommene Mandat auch eine Auseinandersetzung, ob der Weg des Adhäsionsverfahrens beschritten werden soll. Letztlich erfolgte tatsächlich eine (Teil-)Regulierung zivilrechtlicher Ansprüche im Wege des Strafverfahrens, was als weitere Option seitens der Beschwerdeführerin in die Abwägung sachgerechter Vorgehensweisen einzubeziehen war.

c) Eine besondere Erschwernis ergab sich für das Mandat der Beschwerdeführerin aus der Art und Weise, mit der sich der frühere Angeklagte gegen den Tatvorwurf verteidigte. Diese beinhaltete namentlich schwerwiegende Vorwürfe und ehrverletzende Angriffe gegen den Nebenkläger. So wurde dieser vom früheren Angeklagten in der mit der General-staatsanwaltschaft geführten Korrespondenz der „Aufwendung krimineller Energie“, der „Zuhilfenahme von Gefälligkeitsaussagen“, eines „persönlichen Rachefeldzugs“, der Manipulation von Zeugen, der Selbstbeibringung der Verletzung und des Betreibens eines „rentablen Geschäftsmodells“ zur Befriedigung finanzieller Interessen bezichtigt. All dies – so weiter der frühere Angeklagte – entspreche der „Charakterstruktur der Person pp. In vergleichbarer Weise äußerte sich pp. auch direkt gegenüber der Beschwerdeführerin als Reaktion auf deren anwaltliches Forderungsschreiben. Mit diesen Äußerungen wurde vom Auslagenschuldner selbst unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er den Gegenstand und die Bedeutung des Verfahrens keineswegs als Bagatelle oder unterdurchschnittlich betrachtet. Dementsprechend stellte sich der Verfahrensgegenstand auch aus Sicht des mit massiven Schuldvorwürfen überzogenen Nebenklägers – dessen Ruf auf dem Spiel stand – und seines Rechtsbeistands nicht als Angelegenheit von unter-durchschnittlicher Bedeutung dar.

d) Schließlich war die tatsächliche Schwierigkeit, wonach es für das Kerngeschehen keinen Augenzeugen gab und insoweit von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation aus zugehen, zu berücksichtigen.

e) Unter den dargelegten Umständen genügten die vergleichsweise geringfügige Verletzung, die überschaubare Höhe des Sachschadens, der zeitlich und sachlich eng umrissene Verfahrensgegenstand sowie die niedrige Straferwartung nicht, insgesamt von einer gebührenrechtlich unterdurchschnittlichen Angelegenheit auszugehen. Letztlich ist auch die Dauer der Hauptverhandlung, die keinesfalls als unterdurchschnittlich zu bewerten ist, ein Indiz für die Bedeutung und Schwierigkeit der Sache. Es verschließt sich der Kammer, weshalb dies für die zuvor angefallenen Gebühren anders zu bewerten sein sollte, zumal die Sach- und Rechtslage in der Hauptverhandlung keine Änderung durch neue Erkennt-nisse oder Beweismittel erfuhr.

Nach alledem war für die Gebühren Nr. 4100 und 4106 VV RVG der Ansatz der jeweils beantragten Mittelgebühr gerechtfertigt.

2. Dem gegenüber wurde die Erhöhung der Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr zu Recht versagt. Es bedarf insoweit keiner Erörterung, ob ein Rechtsgrundsatz dahingehend besteht, dass bei einer amtsgerichtlichen Verhandlungsdauer von mehr als zwei Stunden eine über der Mittelgebühr liegende Terminsgebühr ausgelöst werde. Unter den konkreten Umständen des hier zu bewertenden Einzelfalls war jedenfalls keine Erhöhung veranlasst.

Dem Hauptverhandlungsprotokoll lässt sich entnehmen, dass die Beweisaufnahme weniger als zwei Stunden dauerte: Der letzte Zeuge wurde um 11:47 Uhr entlassen. Im Anschluss wurden nur noch drei wenig umfangreiche Urkunden „auszugsweise“ verlesen und ein Lichtbild in Augenschein genommen. Sodann wurde ein Rechtsgespräch geführt, an dem – laut Protokoll – die Beschwerdeführerin nicht beteiligt war. Schließlich kam es zur vorläufigen Verfahrenseinstellung, bei welcher der Beschwerdeführerin schon kraft Gesetzes eine aktive Mitwirkung verwehrt war. Dass sie insoweit zumindest eine Stellungnahme abgegeben hätte, lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Jedenfalls war infolge der Verfahrenseinstellung ein Schlussvortrag der Beschwerdeführerin entbehrlich.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist nicht ersichtlich, wodurch eine Erhöhung der Mittelgebühr ausgelöst sein sollte.

Die Entscheidung erscheint mir zutreffend. Übersehen hat die Rechtsanwältin aber offenbar, dass auch die Nr. 4143 VV RVG entstanden sein dürfte. Das LG sprich von einer „(Teil-)Regulierung zivilrechtlicher Ansprüche im Wege des Strafverfahrens“. Da dürfte die Nr. 4143 VV RVG entstanden sein. Ich habe den Kollegen darauf hingewiesen und er wird es „prüfen“ 🙂 .

Auch im Bußgeldverfahren Rahmenmittelgebühren, oder: AG Paderborn erklärt es dem Rechtsschutz

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Und als zweite – schöne – AG Entscheidung stelle ich das AG Paderborn, Urt. v. 07.12.2021 – 51a C 113/21 – vor. Schön älter, aber es lohnt m.E. der Hinweis auf diese Entscheidumg. Ergangen ist das Urteil in einem „Freistellungsrechtsstreit“ gegen eine Rechtsschutzversicherung, die mal wieder mit § 14 RVG im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren Probleme hatte. Das AG erklärt der RSV, wie es geht:

„2. Dem Kläger steht – unter Berücksichtigung der von Seiten der Beklagten bereits erfolgten Zahlungen in Höhe von insgesamt 743,75 € – weiterhin die Freistellung von einer Grundgebühr gemäß Nr. 5100 RVG-VV in Höhe von noch 25,00 €, einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5103 RVG-VV in Höhe von noch 75,00 €, einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5109 RVG-VV in Höhe von noch 45,00 €, einer Terminsgebühr gem. Nr. 5110 RVG-VV in Höhe von noch 70,50 € und Steueranteilen in Höhe von weiteren 40,95 € zu. Soweit der Kläger weiter eine Auslagenpauschale in Höhe von 40,00 €, Kopierkosten in Höhe von 8,00 € und eine Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,00 € erstattet verlangt hat, ist bereits vorprozessual Erfüllung eingetreten.

a) Die Rahmengebühr nach § 14 RVG – wie sie hier mit Rücksicht auf die Gebührentatbestände im Streit steht – ist unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (vgl. AG Hamburg-Harburg, Beschluss vom 03. Juni 2021 – 621 OWi 128/21 -, Rn. 12, juris).

Hiernach war im vorliegenden Fall jeweils die Mittelgebühr festzusetzen. Nach zutreffender Ansicht ist bei straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt (vgl. AG München, Urteil vom 02. Dezember 2019 – 213 C 16136/19 -, Rn. 4, juris).

Unter der Geltung der BRAGO war streitig, ob in Bußgeldverfahren wegen alltäglicher Verkehrsordnungswidrigkeiten die Mittelgebühr oder lediglich nur im unteren Bereich des jeweiligen Rahmens liegende Gebühren als angemessen angesehen werden können. Unter der Geltung des RVG ist jedoch nach weit überwiegender Rechtsprechung bei straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt (vgl. AG München Endurteil v. 2.12.2019 – 213 C 16136/19; AG Landstuhl Beschluss vom 8.4.2020 – 2 OWi 186/20; AG Trier Beschluss vom 8.12.2020 – 35a OWi 58/20). Insbesondere wird die Mittelgebühr in der Regel als gerechtfertigt angesehen, wenn ein Fahrverbot in Frage steht oder Eintragungen in das Verkehrszentralregister (vgl. AG Frankenthal AGS 2005, 293 f, AG Viechtach AGS 2007, 83f, AG Pinneberg AGS 2005, 552 f; AG Trier Beschluss vom 8.12.2020 – 35a OWi 58/20; AG Hamburg-Harburg, Beschluss vom 03. Juni 2021 – 621 OWi 128/21 -, Rn. 13, juris). Dies ist hier der Fall. In dem Bußgeldbescheid wurde gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 90,00 € festgesetzt. Diese Festsetzung zieht die Eintragung von einem Punkt im Fahreignungsregister nach sich.

b) Die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände waren sämtlich durchschnittlicher Art – mithin die Bedeutung der Angelegenheit war üblich, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren durchschnittlich und auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers haben keine andere Bewertung gefordert. Vorliegend war lediglich ein Bußgeld von 90,00 Euro (samt Eintragung eines Punktes) Gegenstand des Bußgeldbescheides. Diese drohende Rechtsfolge entspricht jedoch durchaus dem Durchschnitt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten.

aa) Die Bedeutung der Angelegenheit war üblich.

Dieses Merkmal bestimmt sich nach der tatsächlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen und persönlichen Bedeutung für den Auftraggeber. Maßstab ist sein persönliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse am Ausgang der Angelegenheit im Hinblick auf den von ihm erhofften Erfolg. Deshalb sind insbesondere Auswirkungen auf die berufliche oder persönliche Stellung des Auftraggebers, die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit für ihn über den Einzelfall hinaus oder eine sonstige vom Auftraggeber zum Ausdruck gebrachte Bedeutung in der Bewertung zu berücksichtigen.

Hierbei erachtet das Gericht neben dem wirtschaftlichen Interesse des Auftraggebers auch dessen ideelles Interesse als besonders maßgeblich. Der Vorwurf des Begehens einer Ordnungswidrigkeit muss – sofern der Betroffene meint, die Ordnungswidrigkeit nicht begangen zu haben – angreifbar sein. Der Rechtsanwalt, welcher insoweit eingehend mit dem Kläger beraten hat, kennt die Umstände der Mandatsbearbeitung, die nicht sämtlich aktenkundig sein müssen, besser als ein Außenstehender, weshalb das Gericht die Angaben des Prozessbevollmächtigten, dass die Angelegenheit für den Kläger von Interesse war, zugrunde legt.

Darüber hinaus wurde dem Kläger mit dem Bußgeldbescheid eine Buße von 90,00 € auferlegt, welche die Eintragung eines Punktes im Register zur Folge hatte. Das Gericht geht mit der Vorlage des Schreibens vom 13.01.2021 davon aus, dass der Anwalt die Auskunft aus dem Fahreignungsregister eingeholt hat und diese für den Kläger einen Gesamtpunktestand von einem 1 Punkt auswies. Auch wenn der Kläger in diesem Falle bereits Voreintragungen hatte, so gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Entzug der Fahrerlaubnis drohte und die Entscheidung noch weiter reichende Konsequenzen privater und beruflicher Natur für den Kläger gehabt hätte. Daher ist die Bedeutung der Angelegenheit zumindest auch durchschnittlich.

bb) Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren durchschnittlich.

Bei der dem Vorfall rechtlich zugrunde liegenden Materie – der Vorwurf eines Rotlichtverstoßes nach der StVO – handelt es sich um eine durchschnittliche, keinen hervorgehobenen rechtlichen Anforderungen entsprechende Angelegenheit, wie sie in einem derartigen Tätigkeitsgebiet aufgrund der Häufigkeit und Alltäglichkeit gehäuft vorkommt. Auch ist die Auseinandersetzung mit diesem Verstoß, welcher auf eingehenden und auch für den Laien verständlichen tatsächlichen Sachverhalten beruht, keiner gesonderten höherwertigen technischen Beurteilung zugänglich, so wie z.B. anderweitig die Durchdringung sachverständiger Messgutachten.

Auch der vorliegende Umfang der Tätigkeit war durchschnittlich. Der Umfang bezeichnet den zeitlichen Aufwand, den der Rechtsanwalt bei sorgfältiger Führung des Mandates verwenden muss und tatsächlich aufgewandt hat. Maßgeblich sind z. B. die Dauer von Besprechungen und der Umfang der zu erarbeitenden Unterlagen, aber auch der Zeitraum, über den das Mandat geführt worden ist. Maßstab für die Bewertung sind vergleichbare Mandate.

So erfolgte nach Erlass des Bußgeldbescheids lediglich die standardisierte Einlegung des Einspruchs. Eine rechtlich fundierte Einlassung erfolgte schriftlich weder im Bußgeldverfahren noch im gerichtlichen Verfahren. Die Anforderung der Akte und die Einholung einer Auskunft aus dem Fahreignungsregister sind Standard in jeglichen Bußgeldverfahren. Dies gilt ebenso für die Besprechung des Verfahrens mit der Mandantschaft und daraus erfolgende fernmündliche Anfragen und Gespräche.

Das Gericht geht anhand der von der Klägerseite eingereichten Fotos davon aus, dass eine Ortsbesichtigung durch den Prozessbevollmächtigten mit dem Kläger stattgefunden hat, bei welchen Fotos angefertigt wurden. Die Dauer des Ortstermins wurde weiterhin von der Beklagtenseite bestritten. Die Feststellung der Dauer ist jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn auch die Durchführung eines Ortstermins in diesem Verfahren ändert nichts an dem als durchschnittlich zu bewertenden Umfang der Tätigkeit. Überdies war die Durchführung eines Ortstermins, soweit der Kläger selbst auch Lichtbilder gefertigt hat, für den Prozessbevollmächtigten nicht erforderlich. Denn die Entscheidung wird letztlich auch aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und der dieser lediglich zugrunde liegenden Fotos und den sich daraus ergebenden Winkeln und Lichtverhältnissen gebildet. Insoweit wäre es ausreichend und angemessen gewesen, wenn auch die anwaltliche Tätigkeit sich auf die von dem Kläger bereits gefertigten Fotos erstreckt hätte.

Auch Dauer und Umfang der Hauptverhandlung sowie die rechtliche Schwierigkeit dessen waren durchschnittlich. Die genaue Dauer des Hauptverhandlungstermins war zwischen den Parteien weiter streitig. Jedoch wurde durch die Klägerseite eingeräumt, dass diese ggf. auch unter einer Stunde gedauert haben könnte. Jedenfalls sofern sich die Dauer etwa in diesem zwischen den Parteien zumindest unstreitigen und darüber hinaus streitigen Rahmen befindet, ist eine genaue Feststellung der Dauer, da eine erheblich über diesen Umfang bestehende Dauer seitens des Klägers nicht behauptet wurde, nicht erforderlich. Denn das Gericht stuft diesen Zeitraum in den vorgetragenen Varianten in jedem Fall als durchschnittlich ein. Die Vernehmung der – üblicherweise bei einem solchen Verstoß vorliegenden – zwei Polizeibeamten als Zeugen entspricht dem grundsätzlichen Ablauf einer Hauptverhandlung in einem derartigen Verfahren. Nachfragen und Vorhalte – auch unter Zuhilfenahme von Fotos und Skizzen – sind übliche Verhandlungsmethodik und weder nach dem Umfang noch der rechtlichen Komplexität an höheren Maßstäben zu messen.

cc) Auch die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers rechtfertigen vorliegend keine anderweitige Beurteilung.

Konkrete Anhaltspunkte für die Vermögensverhältnisse des Betroffenen sind der Akte nicht zu entnehmen. Hierzu macht der Prozessbevollmächtigte keine konkreten Angaben. Die Beklagtenseite geht von einem unterdurchschnittlichen Einkommen des Klägers aus. Jedoch selbst bei Zugrundelegung eines unterdurchschnittlichen Einkommens rechtfertigt dies nicht, im Sinne des § 14 RVG von der Mittelgebühr abzuweichen. Denn bei der vorliegenden Buße von 90,00 € und einem Punkt, welcher ohne unmittelbare führerscheinrechtliche Konsequenzen verbunden ist, stellt die Sache auch an ein unter dem Durchschnitt liegendes Einkommen keine besonderen Anforderungen wirtschaftlicher, beruflicher oder privater Natur.

c) Nach alledem sind als Grundgebühr gem. Nr. 5100 VV eine Mittelgebühr von 110,00 €, eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 5103 VV in Höhe von 176,00 €, eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 VV in Höhe von 176,00 € und eine Terminsgebühr gem. Nr. 5110 VV in Höhe von 280,50 € zuzüglich Nebenkosten (40,00 € Auslagenpauschale, 8,00 € Kopierkosten, 12,00 € Aktenversendungspauschale und hierauf entsprechende Steueranteile) als billig zu bewerten.

d) Soweit der Kläger jedoch in Teilen über diese Mittelgebühr hinausgehende Beträge verlangt, so kann er eine Freistellung hierfür aufgrund der dem Anwalt hier insoweit zuzubilligenden Toleranzgrenze von 20% fordern.

Übt der Rechtsanwalt sein Ermessen pflichtgemäß aus, billigt ihm die Rechtsprechung einen Toleranzspielraum von bis zu 20% zu (Hartung/Schons/Enders Rn. 23; Gerold/Schmidt/Mayer Rn. 12 f.). Liegt die von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr noch innerhalb des Toleranzrahmens, ist sie nach der Rechtsprechung noch nicht unbillig (OLG Düsseldorf Rpfleger 2002, 330; OLG Hamm Rpfleger 1999, 565; OLG Koblenz NJW 2005, 918; OLG Köln JurBüro 1994, 30; OLG München AnwBl 1992, 455; OLG Zweibrücken MDR 1992, 196; SG Freiburg MDR 1999). Bei der Prüfung, ob ein Gebührenansatz innerhalb des Toleranzrahmens liegt, sind die gesamten Gebühren für einen Verfahrensabschnitt heranzuziehen (OLG Koblenz NJW 2005, 918) (vgl. BeckOK RVG/v. Seltmann, 53. Ed. 1.9.2021, RVG § 14 Rn. 13).

Demnach waren die für die jeweiligen Verfahrensabschnitte unter der Toleranzgrenze von 20% liegenden Überschreitungen nicht als unbillig zu bemessen.“

AG Bad Salzungen zu Gebühren im Bußgeldverfahren, oder: Kreativ, aber doppelt falsch

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Nach der schönen Entscheidung des OLG Hamm zur Entschädigung bei verzögerter Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren (vgl. hier Verzögerte Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren, oder: Warten auf Aktenrückkehr „rechtswidrige Praxis“) eine nicht so schöne Entscheidung des Bad AG Salzungen zur Gebührenbemessung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren.

Entschieden hat das AG über die Klage einer Rechtsanwältin, die die Beklagte in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren vertreten hatte. Die Klägerin verlangte noch restliche Gebühren in Höhe von 188,79 EUR. Diesen Betrag hat die Beklagte bzw. ihre Rechtsschutzversicherung von der Gebührenrechnung der Klägerin nicht gezahlt. Die Rechtsanwältin hatte ihrer Gebührenrechnung jeweils die Mittelgebühr zugrunde gelegt. Gezahlt worden sind nur niedrigere Gebühren. Die Gebührenklage hatte dann keinen Erfolg. Das AG hat im AG Bad Salzungen, Urt. v. 30.09.2021 – 1 C 121/21 –  die Klageabweisung wie folgt begründet:

„Der Klägerin steht der geltend gemachte Restbetrag nicht zu. Die folgt daraus, dass die Klägerin im Rahmen der Gebührenfestsetzung gemäß § 14 RVG im vorliegenden Fall nicht zum Ansatz der Mittelgebühren berechtigt war. Der diesbezügliche Ansatz der Klägerin war mithin unbillig und damit unverbindlich; zutreffend hat die Rechtsschutzversicherung der Beklagten ausweislich der Anlagen B2 und B3 lediglich unterhalb der Mittelgebühr liegende Gebühren angesetzt. Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass bezüglich der Ziffer 5100 VV RVG nur 75,00 €, hinsichtlich der Ziffer 5103 VV RVG nur 125,00 €, bezüglich der Ziffer 5109 VV RVG 125,00 € und hinsichtlich der Ziffer 5110 VV RVG 200,00 € seitens der Klägerin beansprucht werden können. All dies beruht darauf, dass der klägerseits gewählte Gebührenansatz unbillig und damit gemäß § 315 BGB unverbindlich ist.

Zunächst ist der Klägerin zwar zuzugestehen, dass sie sich bei Zugrundelegung der Entscheidung des BGH vom 31.10.2006, Az.: VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420 noch innerhalb des hieraus ergebenden Toleranzrahmens befindet, sodass, im Falle einer Vertretung der diesbezüglichen Auffassung auch durch das erkennende Gericht, der Gebührenansatz in der Tat nicht gerichtlich überprüfbar wäre (Schriftsatz der Klägerin vom 24.06.2021, Seite 3). Dies würde im Übrigen auch insofern gelten, als das Gericht den Entscheidungen des BGH vom 13.11.2001, Az.: IX ZR 110/10 bzw. vom 08.05.2012, Az.: VI ZR 273/11 folgen wollte. Dies ist indes nicht der Fall, vielmehr schließt sich das erkennende Gericht der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH an. Dieser entschied am 11.07.2012 (Az.: VIII ZR 323/11), dass eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus nur dann gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war, und deshalb nicht unter dem Aspekt der Toleranzrechtsprechung bis zu einer Überschreitung vom 20 % der gerichtlichen Überprüfung entzogen sei. Nach alledem ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auch der vorliegende Gebührenansatz einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich.

Hierbei gelangt das Gericht zu der Auffassung, dass der (jeweilige) Ansatz einer Mittelgebühr nicht gerechtfertigt war.

Die Gebühr gemäß § 14 RVG ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vor allem anhand des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers zu ermitteln. Maßgeblich sind insbesondere die rechtlichen Schwierigkeiten und das Ausmaß der erforderlichen Sachaufklärung.

Nach Auffassung des Gerichts ist im Falle durchschnittlicher Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich die sogenannte herabgesetzte Mittelgebühr anzusetzen. Dies deshalb, weil durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten typischerweise mit einfach Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und vergleichsweise wenigen Punkten im Zentralregister einhergehen.

Vorliegend war die Beklagte des Vorwurfs der Missachtung der Vorfahrt mit Unfallverursachung ausgesetzt, die ursprünglich mit einem Bußgeld von 120,00 € geahndet worden war. Es drohte ein Punkt im Fahreignungsregister, jedoch kein Fahrverbot.

Es handelte sich mithin um eine alltägliche Verkehrsordnungswidrigkeit; zudem lag keine individuelle fahrerlaubnisrechtliche Situation vor. Auch im Übrigen ist eine besondere Bedeutung der Angelegenheit für die Beklagte nicht ersichtlich.

Die Klägerin nahm zweimal Akteneinsicht. Nachdem sich die Klägerin in Bezug auf den ersten im Ordnungswidrigkeitsverfahren angesetzten Termin vom 15.06.2020 aufgrund eines Staus verspätet hatte, wurde der Beklagten sodann Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt. Am 21.09.2020 wurde das Verfahren gegen die Beklagte eingestellt.

Die vorgenannten Tätigkeiten der Klägerin stellen aus Sicht des Gerichts Standardtätigkeiten dar. Der zu Grunde liegende Sachverhalt war wenig kompliziert, rechtliche Schwierigkeiten sind nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund war lediglich der Ansatz einer herabgesetzten Mittelgebühr gerechtfertigt, sodass ein weiterer Vergütungsanspruch der Klägerin, wie er im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht wird, nicht besteht.“

Kreativ, aber m.E. falsch, und zwar in doppelter Hinsicht.

Die vom AG vertretene Ansicht, die Entscheidung des VIII. Zivilsenats des BGH vom 11.07.2012 (VIII ZR 323/11, AGS 2021, 373) gebe die Möglichkeit, auch im sog. „20–%-Toleranzbereich“ in die gem. § 14 Abs. 1 RVG vorgenommene Gebührenbemessung des Rechtsanwalts einzugreifen, ist falsch und wird – so weit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur auch nicht vertreten. Das AG übersieht den Zusammenhang, in dem die Entscheidung des BGH ergangen ist. Es ging um die Frage, ob eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 gefordert werden konnte. Das AG übesieht, dass es in dem Urteil des BGH v. 11.07.2012 um das Eingreifen des sog. Schwellenwertes von 1,3 ging, der nur überschritten werden darf, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts „umfangreich oder schwierig“. Für die Bestimmung der Gebühr sind bei der Nr. 2300 VV RVG drei Schritte zu gehen: Ausgangspunkt Mittelgebühr von1,5, Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG, bei nur durchschnittlicher Angelegenheit dann nur Schwellenwert von 1,3 . Die BGH-Entscheidung bezieht sich auf den dritten Schritt und verneint eine Bindung/Geltung der 20-%-Rechtsprechung bzw. Regel für diesen Schritt. Der entscheidende Unterschied zur Gebührenbestimmung der Rahmengebühren im Bußgeldverfahren und auch Strafverfahren nach Teil 4 und 5 VV RVG ist nun aber, dass dort der dritte Schritt fehlt. Die Rechtsprechung ist daher nicht anwendbar. Sie würde im Übrigen dazu führen, dass nichts mehr verbindlich ist.

Auch die Ausführungen des AG zum Ansatz der Mittelgebühr sind unzutreffend. Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen: Eine „herabgesetzten Mittelgebühr“ für durchschnittlich Verkehrsordnungswidrigkeiten gibt es im RVG nicht. Vielmehr ist auch in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren von der Mittelgebühr auszugehen und dann anhand der Umstände des Einzelfalls ggf. eine Reduzierung oder Erhöhung der Mittelgebühr vorzunehmen und so die insgesamt angemessene Gebühr zu bestimmen. Alles andere ist contra legem, auch wenn das zum Teil von Amts- und Landgerichten anders gesehen wird- Legt man diese zutreffende Sichtweise zugrunde, bieten die vom AG mitgeteilten Verfahrensumstände keinen Anlass, die Mittelgebühren zu erhöhen oder zu reduzieren. Es hat sich um ein durchschnittliches (verkehrsrechtliches) Bußgeldverfahren, für das eben die Mittelgebühr vorgesehen ist, gehandelt. Die Einstufung durch das AG ist nicht nachvollziehbar.

Wie gesagt: Kreativ, aber falsch.

Terminsgebühr im Bußgeldverfahren, oder: Mehr als Mittelgebühr bei aufwändiger Vorbereitung

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Und als zweite Entscheidung dann auch eine AG-Entscheidung, und zwar zur Gebührenbemessung im Bußgeldverfahren. Es geht um die Höhe der Terminsgebühr in einem Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes.

Das AG Leer (sic!) hat im AG Leer, Beschl. v. 03.05.2021 – 111 OWi 174/20 – eine über der Mittelgebühr liegende Gebühr bewilligt:

„Der Verteidiger hat einen Anspruch auf Erstattung der von ihm begehrten Gebühren nach RVG. Es kann dahinstehen, ob in Bußgeldsachen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten mit geringem Aufwand, geringer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeit und geringer Bedeutung grundsätzlich sog. herabgesetzte Mittelgebühren anzusetzen sind.

Im vorliegenden Fall ist der Ansatz der Mittelgebühr durch den Verteidiger auch bei der (hier allein streitigen) Terminsgebühr nach Nr. 5110 nicht als unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG anzusehen. Es handelte sich im vorliegenden Fall nicht um eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit im o.g. Sinne. Der von dem Verteidiger betriebene Aufwand überstieg den einer unterdurchschnittlichen Ordnungswidrigkeit. Es handelte sich um einen atypischen Fall eines Rotlichtverstoßes und der Verteidiger hat sich aufwendig auf den Termin vorbereitet und hierzu von dem Betroffenen gefertigte Lichtbildaufnahmen vorgelegt. Auch die Dauer der Hauptverhandlung mit 30 Minuten und der Vernehmung von zwei Zeugen, wobei es sich bei dem vernommenen Polizeibeamten auch nicht um einen Messbeamten handelte, der seine Standardaussage“ zu Protokoll gibt, entspricht nicht der Verhandlung einer durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeit. Ursprünglich hätte noch ein weiterer Polizeibeamter als Zeuge aussagen sollen, der jedoch nicht zum Termin erschienen ist. Dies alles rechtfertigt ausnahmsweise die Annahme einer überdurchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeit und somit den Ansatz einer Mittelgebühr für eine durchschnittliche Ordnungswidrigkeit.“