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Pflichti III: Bestellung eines Sicherungsverteidigers, oder: Beschwerde im eigenen Namen eingelegt?

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Und zum Schluss dann noch etwas zum Sicherungsverteidiger (§ 144 StPO). Dazu hat das KG im KG, Beschl. v. 14.01.2022 – 4 Ws 4/22 – Stellung genommen. Ich stelle hier nur mal die Ausführungen dews KG zur Statthaftigkeit der Beschwerde ein:

1. Die form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie im Namen des beschwerdeberechtigten Angeklagten eingelegt.·

Dafür spricht zunächst die in § 297 StPO enthaltene gesetzliche Vermutung, wonach Rechtsmittel eines Verteidigers im Auftrag und mit Willen des Beschuldigten eingelegt werden. Unbeschadet der Tatsache, dass der Verteidiger dabei aus eigenem Recht, und. im eigenen Namen tätig wird, handelt es sich bei dem eingelegten Rechtsmittel. um ein solches des Beschuldigten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 2 StR 181/19; Rn. 10, juris. m. w. N.).

Es spricht nichts dafür, dass die sofortige Beschwerde hier abweichend davon im eigenen (Gebühren-) Interesse des Rechtsanwalts erhoben worden ist. Im Gegenteil verfolgt das Rechtsmittel in der Sache einen Beiordnungsantrag weiter, den der Angeklagte auch selbst gestellt hatte. Die Beschwerdebegründung bezieht sich sogar ausdrücklich auf diesen Antrag des Angeklagten. Inhaltlich argumentiert der Verteidiger ebenfalls mit Interessen seines Mandanten, nämlich insbesondere mit dessen Recht auf ein faires und zügiges Verfahren.

2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, denn die Entscheidung des Strafkammervorsitzenden ist nicht zu beanstanden….“

Wegen der Einzelheiten der Begründetheit begnüge ich mich mit dem Leitsatz, das die Entscheidung auf der Linie der obergerichtlichen Rechtsprechung liegt:

Zentrale Voraussetzung für die Bestellung eines Sicherungspflichtverteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO ist, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche Bestellung ist nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat; vielmehr muss sie zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein.

Mit den Ausführungen des KG zur Statthaftigkeit kann man sicherlich gut in anderen Sachen argumentieren. Denn es ist ja nicht selten ein beliebtes „Spiel“ der StA einzuwenden, dass ein Rechtsmittel im eigenen Namen des Verteidigers eingelegt sei.

Pflichti II: Die schwierige Sach- oder Rechtslage, oder: Steuerstrafverfahren

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Die zweite Entscheidung kommt ebenfalls aus bayern, und zwar vom LG Hof. In ihr geht es noch einmal um einen Beiordnunsgrund, nämlich um die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage. Das hat das LG im LG Hof, Beschl. v. 14.01.2022 – 4 Qs 5/22 – für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Steuerstrafverfahren bejaht:

„Die Mitwirkung eines Verteidigers ist wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage vorliegend geboten (§ 140 Abs. 2 StPO). Dabei kann die Frage dahinstehen, ob ein steuerstrafrechtlicher Vorwurf stets die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage begründet. Hierfür sprechen gewichtige Gründe: Es handelt sich um Blankettstrafrecht, bei dem die Rechtslage nur in einer Zusammenschau strafrechtlicher und steuerrechtlicher Normen zutreffend erfasst und bewertet werden kann. Verfügt der/die Angeklagte nicht nachgewiesenermaßen über Spezialwissen, ist er mit der Rechtsmaterie regelmäßig überfordert. Eine laienhafte oder intuitive Einschätzung der Rechtslage, wie sie bei Normen des Kernstrafrechts möglich ist, genügt nicht (vgl. LG Essen, Beschl. v. 02.09.2015 – 56 Qs 1/15, auf den Einzelfall abstellend LG Magdeburg BeckRS 2016, 12007 ).

Die Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da vorliegend weitere Umstände hinzutreten, die die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage begründen. So umfasst der vorgeworfene Tatzeitraum mehr als 4 Jahre, betrifft verschiedene Steuern und der Strafbefehl beinhaltet insgesamt 12 Taten. Die Berechnung der Steuerschuld bedarf näherer Kenntnisse des Steuerrechts, die bei dem Angeklagten nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden können. Zudem liegen den Steuerfestsetzungen Schätzungen zugrunde. Schließlich kann eine Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis, die nur einem Verteidiger gemäß § 147 StPO zusteht, nicht umfassend vorbereitet werden, was die Schwierigkeit der Sachlage begründet. Denn um die insgesamt 12 Tatvorwürfe zu prüfen, ist die Kenntnis der Berechnungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und die Auswertung der sichergestellten Geschäftsunterlagen erforderlich.“

Kleiner Hinweis: Das LG formuliert immer mit „schwierige Sach- und Rechtslage“. Ein Blick in § 140 Abs. 2 StPO zeigt: Dort heißt es „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“. Das ist schon ein Unterschied, der von Bedeutung sein kann.

Pflichti I: Geständnis im Ermittlungsverfahren, oder: Pflichti in der Berufung?

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Und heute vor dem morgigen Gebührentag dann noch ein paar Entscheidungen zur Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO). Heute allerdings nichts zur rückwirkenden Bestellung. Es liegen mir zwar Entscheidungen vor, ich will aber zunächst noch ein wenig „sammeln“.

Ich beginne hier mit einer Entscheidung zu den Beiordnungsgründen. Sie kommt aus aus Bayern.

Es handelt sich um dem BayObLG, Beschl. v. 25.11.2021 – 202 StRR 132/21. Ergangen ist der Beschluss in einem BtM-Verfahren. Grundlage des Verfahrens ist – etwas vereinfacht – ein vom Angeklagtenim Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizei in einer mit seinem Einverständnis ohne Verteidiger durchgeführten Beschuldigtenvernehmung eingeräumter Besitz von 10 Gramm Marihuana ein. Es wird Anklage zum AG erhoben. Am Schluss der Hauptverhandlung wiederholte der sein Geständnis aus dem Ermittlungsverfahren, das AG spricht ihn dennoch aus tatsächlichen Gründen frei.

Dagegen die Berufung der StA, die zur Verurteilung beim LG führt. In der Berufungshauptverhandlung hatte der Angeklagte das Geständnis aber nicht wiederholt, sondern stattdessen den Tatvorwurf pauschal bestritten. Die Berufungskammer hat ihre Überzeugung im Wesentlichen auf das im Ermittlungsverfahren und vor dem AG abgelegte Geständnis  gestütztz. Dagegen dann die Revision. Mit der wird  u.a. geltend gemacht, dass dem Angeklagten ür die Berufungshauptverhandlung kein Pflichtverteidiger beigeordnet worden sei. Ohne Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung.

  1. Bei einem einfach gelagerten Schuldvorwurf, der sich auf ein Geständnis des Angeklagten gründet, scheidet ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen Schwierigkeit der Sachlage regelmäßig auch dann aus, wenn das Amtsgericht den Angeklagten ohne nachvollziehbare Begründung freispricht und die Staatsanwaltschaft sich hiergegen mit dem Rechtsmittel der Berufung wendet.
  2. Eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, die die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Sachlage nach § 140 Abs. 2 StPO erforderlich machen könnte, ist nicht gegeben, wenn der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hatte.
  3. Die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass in der Berufungshauptverhandlung kein Verteidiger mitgewirkt hat, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung wegen Schwierigkeit der Rechtslage nach § 140 Abs. 2 StPO vorgelegen habe, weil ein Verwertungsverbot nach § 252 StPO in Betracht komme, setzt jedenfalls in Fällen, in denen der Tatrichter von „spontan“ gemachten Angaben des zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen ausgeht, einen Vortrag voraus, aus dem sich die konkrete Aussagesituation ergibt.

Pflichti III: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, oder: Ist das Mandatsverhältnis zerrüttet?

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas vom BGH zur Entpflichtung, und zwar der BGH, Beschl. v. 21.12.2021 – 4 StR 295/21.

Das AG hatte zunächst mit Beschluss vom 15.10.2019 zunächst Rechtsanwalt Dr. E. aus Bi. als Pflichtverteidiger, das LG dann mit Beschluss vom 17.03.2020 Rechtsanwalt Dr. B. aus Bi. als weiteren Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt. Am 19.05.2021 hat Rechtsanwältin G. die Verteidigung des Angeklagten angezeigt. Den Antrag des Angeklagten, sie ebenfalls als Pflichtverteidigerin zu bestellen, hat das LG dann mit Beschluss vom 25.05.2021 abgelehnt.

Der Angeklagte hat sodann sinngemäß beantragt, die Bestellungen der Pflichtverteidiger aufzuheben. Die Pflichtverteidiger Dr. E. und Dr. B. haben  wegen eines zerstörten oder zerrütteten Mandatsverhältnisses ebenfalls beantragt, ihre Bestellung aufzuheben.

Der BGH lehnt den Antrag ab.

„2. Die Anträge bleiben ohne Erfolg. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Danach ist Voraussetzung für die Aufhebung einer Beiordnung, dass konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich die endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses ergibt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2020 – 4 StR 654/19).

Daran gemessen ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Pflichtverteidiger noch aus demjenigen des Angeklagten ein Grund für die Aufhebung der Bestellungen. Das Vorbringen der Verteidiger erschöpft sich in der bloßen Behauptung, das Mandatsverhältnis sei erschüttert bzw. zerstört, ohne dies mit Tatsachen zu substantiieren. Hinsichtlich des Antrags des Angeklagten lässt sich zwar zumindest seiner früheren Eingabe vom 31. Mai 2021 an die Generalstaatsanwaltschaft Hamm entnehmen, dass er mit der Mandatsführung, insbesondere der Kontakthaltung der Pflichtverteidiger zu ihm, unzufrieden war; außerdem bestanden offenbar Differenzen bezüglich der Anfertigung der Revisionsbegründungsschrift. Die Schlussfolgerung, das Vertrauensverhältnis sei endgültig zerstört, lässt sich aus diesen pauschalen Angaben jedoch nicht ziehen.

3. Eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellungen nach § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zwar hat der Angeklagte im Revisionsverfahren Rechtsanwältin G. aus W. als Verteidigerin gewählt und diese hat die Wahl angenommen. Doch ist eine Mandatsniederlegung der Wahlverteidigerin nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen, wie sie auf Nachfrage mitgeteilt hat (vgl. § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO).“

Hatten wir alles schon mal…..

Pflichti II: Betreuer, Gesamtstrafe, Strafvollstreckung, oder: 3 x zu Beiordnungsgründen

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

Die Existenz eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden“ macht regelmäßig die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich, und zwar auch dann, wenn es sich bei dem Betreuer um einen Rechtsanwalt handelt.

      1. Einschlägige Rückfalltaten Drogen- oder Alkoholabhängiger müssen einer günstigen Sozialprognose nicht zwingend entgegen stehen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Einzelfall günstig zu beeinflussen.
      2. Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren.

 

Die (subjektive) Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn zu besorgen ist, dass der Beschuldigte ohne anwaltliche Hilfe seine Rechte alleine nicht ausreichend wahrnehmen kann. Davon ist auszugehen, wenn gegen den Beschuldigten in drei verschiedenen Bundesländern Verfahren anhängig sind, die gesamtstrafenfähig und aus Sicht des Beschuldigten daher koordiniert zu betreiben sind.