Schlagwort-Archive: OLG Düsseldorf

Die Angemessenheit des anwaltlichen Stundensatzes, oder: Großkanzlei versus Einzelanwalt auf dem Land?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Am „Gebührenfreitag“ zunächst ein Beschluss des OLG Düsseldorf zur Frage, welche anwaltlichen Stundensätze angemessen sind und welche Kriterien bei ihrer Bemessung zu berücksichtigen sind,. Die Frage spielt in der Praxis ja immer wieder eine große Rolle. Dazu und zu weiteren Fragen in Zusammenhang mit dem anwaltlichen Stundensatz hat dann jetzt das OLG Düsseldorf noch einmal Stellung genommen. Dem OLG Düsseldorf, (Hinweis)Beschl. v. 23.11.2021 – 24 U 355/20 –  liegt zwar kein Strafverfahren zugrunde, aber die Ausführungen des OLG haben auch da Bedeutung:

„Gegenstand des Verfahrens ist eine Honorarklage. Die Klägerin ist eine Anwaltskanzlei mit Sitz in Düsseldorf. Sie macht gegenüber der Beklagten, eine Honorar für die Beratung hinsichtlich einer geplanten Akquisition der Beklagten beziehungsweise eines von der Beklagten geworbenen Investors sowie bezüglich der dafür erforderlichen Interessenbekundung («call for expression of interest») und des Bieterverfahrens («bit documents») geltend. Sie hat hierfür eine Vergütung auf Stundensatzbasis von netto ca. 9.800 EUR abgerechnet. Abgerechnet worden sind rund 15 Tätigkeitsstunden ab, für die die die Klägerin unterschiedliche Stundensätze, und zwar in Höhe von 500,00 EUR, 625,00 EUR und 710,00 EUR zugrunde gelegt hat.

Das LG hat der Klage statt gegeben, Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Das OLG hat in seinem gem. § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erlassenen Beschluss darauf hingewiesen, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe:

„2. Die zwischen den Parteien zustande gekommene Gebührenvereinbarung bezog sich auf Beratungsleistungen nach § 34 RVG, für die eine Vergütung ohne Beachtung der strengen Form des § 3a RVG vereinbart werden kann. Die Leistungen standen auch in keinem Zusammenhang mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit, zudem fehlt eine gesetzlich festgelegte Vergütung für diese Tätigkeit (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Januar 2015 – 19 U 99/14, Rn. 58; BeckOK/RVG/v. Seltmann, Stand: 1. September 2021, § 3a Rn. 13). Infolgedessen war keine Form einzuhalten, worauf auch das Landgericht zutreffend abgestellt hat.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, dass die „Vergütungsvereinbarung“ von der Beklagten erst am 30. Juli 2017 und damit erst einige Zeit nach Erbringung der Leistungen vom 2.-15. Juni 2017 unterzeichnet worden ist. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass dem Geschäftsführer der Beklagten aus anderen Mandaten ihre Stundensätze bekannt waren. Mit dieser Kenntnis hat die Beklagte somit die hier in Rede stehenden Beratungsleistungen der Klägerin beauftragt. Nachfolgend hat sie die „Vergütungsvereinbarung“ unterzeichnet und damit jedenfalls die Stundensätze genehmigt. Bei den Stundensätzen dürfte es sich im Übrigen um die „übliche Vergütung“ der Klägerin gem. § 612 Abs. 2 letzter Halbsatz BGB handeln.

4. Die Einwendungen der Beklagten gegen die Höhe des Honorars und die in Ansatz gebrachten Stunden bleiben ebenfalls ohne Erfolg.

a) Die Klägerin hat unterschiedliche Stundensätze von EUR 625,00 (S; 9,5 Stunden), EUR 710,00 (D, 4:45 Stunden) und EUR 500,00 (T, 0,5 Stunden) berechnet und kommt zu einem Nettohonorarvolumen von EUR 9.760,00 für geleistete 15:05 Tätigkeitsstunden. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der von der Beklagten genannte anwaltliche Stundensatz von EUR 250,00 stellt zwar möglicherweise den „Regelfall“ dar, allerdings können bei besonders ausgewiesenen spezialisierten Anwälten in Angelegenheiten, die für den Mandanten existenziell wichtig sind, auch EUR 1.000,00 angemessen sein (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Januar 2019 – I-24 U 84/18, Rn. 31, NJW 2019, 1956-1960, NJW 2019, 1956-1960; vom 14. November 2011 – I-24 U 192/10, Rn. 10; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Auflage 2021, § 3a Rn. 28 am Ende). Hier hatte die Klägerin unstreitig Beratungsdienstleistungen in Bezug auf eine geplante mögliche Akquisition der Beklagten bzw. eines von der Beklagten geworbenen Investors bei A sowie bezüglich der dafür erforderlichen Interessenbekundung (sog. „call for expression of interest“) und des Bieterverfahrens (sog. bid documents) zu erbringen. Dies erfordert eine hohe Spezialisierung und Kenntnisse des internationalen Rechts. Bereits dieses Anforderungs- und Tätigkeitsprofil rechtfertigt einen überdurchschnittlichen Stundensatz. Dass die berechneten Stundensätze in sittenwidriger Weise gem. § 138 BGB überhöht gewesen seien, macht die Beklagte nicht geltend. Hierfür ist auch nichts ersichtlich.

Zudem hängt die Angemessenheit eines Stundensatzes auch nicht nur von der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache, sondern auch von der Kostenstruktur der jeweiligen Anwaltskanzlei ab. Es liegt auf der Hand, dass Einzelkanzleien mit wenig Personal, zum Teil mit Familienangehörigen, in ländlichen und mietpreismäßig günstigen Landesteilen deutlich anders kalkulieren können als international tätige Großkanzleien in Städten mit teuren Mieten und einem großen und kostspieligen Personalbestand (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 14. November 2011 – I-24 U 192/10, Rn. 10 mwN).

Soweit die Beklagte unzulässige, von der Klägerin gestellte AGB vermutet und in diesem Zusammenhang die Höhe der Stundensätze beanstandet, ist dies unbehelflich. Denn der AGBrechtlichen Kontrolle unterliegen nur Klauseln, die die Bedingungen der Leistungserbringungen regeln. Klauseln, die Art, Umfang und Güte der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen (Leistungsbeschreibungen und Preisvereinbarungen), sind dagegen per se von einer Inhaltskontrolle ausgenommen (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 – VII ZR 266/17, Rn. 19 mwN; MünchKomm/BGB/Wurmnest, 8. Auflage 2019, § 307 Rn. 13 und 17 mwN).

b) Auch die Anzahl der berechneten Tätigkeitsstunden von insgesamt 15,05 begegnet keinen Bedenken. Die Klägerin hat durch Vorlage ihrer Rechnung und den zusätzlich erläuternden Angaben substantiiert zum Anfall der Stunden vorgetragen, sie nach den tätigen Rechtsanwälten untergliedert und die ausgeübten Tätigkeiten hinreichend beschrieben. Die Beklagte selbst wünschte die Einbeziehung italienischer Kollegen der Klägerin (vgl. Schriftsatz vom 2. März 2019, S. 3, GA 122), weshalb schon daraus das Erfordernis der Tätigkeit mehrerer Rechtsanwälte ersichtlich ist und im Hinblick auf die Aufgabenstellung auch plausibel erscheint.

Aus den von der Klägerin in der Rechnung beschriebenen Tätigkeiten wird weiter deutlich, dass die Beklagte in nicht unerheblichem Umfang Unterlagen übermittelt hatte, welche durchgesehen und geprüft werden mussten. Hierzu hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen (Anspruchsbegründung vom 14. Mai 2018, S. 3, GA 54). Diese Tätigkeiten fielen, wenn auch vielleicht in unterschiedlichem Ausmaß, bei allen drei Rechtsanwälten an, welche das Anliegen der Beklagten bearbeiteten und was naturgemäß zu einem höheren Stundenaufwand führt als bei einer Bearbeitung nur durch eine Einzelperson. Demgegenüber hat die Beklagte den Stundenaufwand nicht substantiiert bestritten, wovon das Landgericht zutreffend ausging. Ihr ist aus eigener Anschauung bekannt, welche Dokumente sie der Klägerin übermittelte, welche Beratungsleistungen von dieser erbracht wurden und welche E-Mails bzw. Telefonate mit ihr als Mandantin mit welchen Inhalten ausgetauscht wurden. Die Klägerin hat für Rechtsanwalt S u.a. im Stundenaufschrieb „telephone calls and extensive e-mail correspondence with the client“ vermerkt. Ein nur pauschales Bestreiten des Mandanten ist jedoch bei Vorgängen, die er selbst miterlebt hat (z.B. Telefonate) oder kennt (z.B. die übersandten Dokumente und deren Umfang) unerheblich (vgl. hierzu auch Senat, Beschluss vom 8. Januar 2019 – I-24 U 84/18, Rn. 33 mwN). Demgemäß musste die Klägerin nicht näher zu den von der Beklagten übermittelten Unterlagen vortragen. Des Weiteren hat die Klägerin zum Tag, der Person und dem Zeitaufwand vorgetragen, welcher mit den Telefonaten, die mit Herrn C als einer der für A tätigen Rechtsanwälte geführt worden waren, verbunden war. Damit hat sie den zu stellenden Anforderungen genügt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – IX ZR 18/09, Rn. 79; Beschluss vom 11. Dezember 2014 – IX ZR 177/13, Rn. 2).

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es nicht erforderlich ein Sachverständigengutachten zur Angemessenheit der abgerechneten Honorare einzuholen. Unklar ist bereits, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt dies erforderlich sein soll, denn zum einen waren der Beklagten die Honorarsätze der Klägerin unstreitig bei Mandatserteilung bekannt. Zum anderen behauptet die Beklagte keine sittenwidrige Überhöhung von Honorar gem. § 138 BGB, jedenfalls lässt sich dies ihrem Vorbringen nicht entnehmen. Eine sachverständige Beratung des Senats ist im Übrigen nicht erforderlich, weil er selbst sachkundig ist. Er ist auf anwaltliches Gebührenrecht spezialisiert und hierfür im Bezirk des OLG Düsseldorf ausschließlich zuständig. Deshalb und unter Anwendung des § 287 ZPO kann er die Angemessenheit des Stundensatzes als auch den abgerechneten zeitlichen Aufwand schätzen, zumal ein Richter in seinem Beruf vergleichbare Arbeit leistet, indem er Informationen rechtlicher Art verarbeitet, Recherchen durchführt, Dokumente erstellt und kommuniziert (vgl. hierzu auch Senat, Beschluss vom 8. Januar 2019 – I-24 U 84/18, Rn. 36)….“

Die Entscheidung entspricht hinsichtlich der vom OLG angesprochenen Frage der h.M. in der Rechtsprechung des BGH und auch der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf. Interessant für die anwaltliche Bemessung der Stundensatzes ist der nochmalige Hinweis des OLG darauf, dass für die Frage der Angemessenheit des anwaltlichen Stundensatzes auch die Kostenstruktur der jeweiligen Anwaltskanzlei von Bedeutung ist. Das wird den Einzelanwalt „mit wenig Personal, zum Teil mit Familienangehörigen, in ländlichen und mietpreismäßig günstigen Landesteilen“ nicht freuen, ist aber wohl richtig. Denn der Aufwand ist eben in „international tätigen Großkanzleien in Städten mit teuren Mieten und einem großen und kostspieligen Personalbestand“ ein anderer/größerer.

OWi I: Nachträgliche Überprüfbarkeit der Messung, oder: Bei Widerspruch in der HV kein Zwischenbescheid

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Ich setze die Berichterstattung dann heute mit einem OWi-Tag fort, und zwar zunächst mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.02.2022 – 2 RBs 25/22.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Einzelrichter hat die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit zur Fortbildung des Rechts zugelassen und hat die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Der Betroffene hatte die Sachrüge erhoben und verfahrensrechtlich beanstandet, dass das mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelte Messergebnis mangels Speicherung von Messdaten einem Beweisverwertungsverbot unterliege und das AG den dazu durch den Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung angebrachten Widerspruch weder in der Sitzung noch in den Urteilsgründen beschieden habe. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde verworfen:

„1. Die in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Der Senat und andere Oberlandesgerichte haben bereits mehrfach entschieden, dass der Messvorgang nicht rekonstruierbar sein muss und die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit anhand gespeicherter Messdaten abhängt (vgl. Senat BeckRS 2020, 4049; OLG Köln BeckRS 2019, 23786; OLG Oldenburg BeckRS 2019, 20646; OLG Schleswig BeckRS 2019, 33009; BayObLG NZV 2020, 322 = BeckRS 2019, 31165; OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 29; OLG Hamm BeckRS 2020, 550; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 1077; BeckRS 2020, 3291; BeckRS 2020, 4369; BeckRS 2020, 4376; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104; OLG Bremen BeckRS 2020, 5935; NStZ 2021, 114 = BeckRS 2020, 5965; OLG Jena BeckRS 2020, 24234; KG Berlin BeckRS 2019, 41508; BeckRS 2020, 6521; BeckRS 2020, 18283; OLG Dresden NJW 2021, 176; a. A. VerfGH Saarland NJW 2019, 2456 = NZV 2019, 414).

An den in diesen Entscheidungen dargelegten Argumenten wird festgehalten. So besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung anhand gespeicherter Messdaten etwa auch nicht bei der als standardisiertes Messverfahren anerkannten Geschwindigkeitsmessung mit dem nicht dokumentierenden Lasermessgerät Riegl FG 21-P („Laserpistole“). Auch kennen andere Messmethoden wie etwa die Verwendung von digitalen Waagen, Entfernungsmessern, Thermometern und Geräten zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration in der Regel keine Speicherung von Messdaten, ohne dass Gerichte oder der Gesetzgeber (vgl. § 24a Abs. 1 StVG für die Atemalkoholkonzentration) deshalb zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gelangt wären.

b) Der Widerspruch, den der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung gegen die Verwertung des mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelten Messergebnisses angebracht hat, bedurfte keiner Bescheidung durch das Amtsgericht, so dass insoweit weder das rechtliche Gehör versagt noch der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt wurde.

Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht (vgl. statt vieler: BGH NStZ 2006, 348; NStZ 1997, 502; OLG Hamm NJW 2009, 242). Fehlt es an einem solchen Widerspruch, führt dies für die Revision zur Rügepräklusion (vgl. BGH NJW 2015, 265, 266; NJW 2018, 2279; OLG Celle NStZ 2014, 118, 119). Die Widerspruchsobliegenheit besteht auch im Bußgeldverfahren (vgl. Senat BeckRS 2019, 25099 = DAR 2020, 209; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 4261; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104).

Wird in der Hauptverhandlung seitens der Verteidigung Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels erhoben, ist ein Zwischenbescheid, in dem sich das Tatgericht zur Frage eines Beweisverwertungsverbots äußern müsste, nicht vorgesehen, wenn auch nicht unzulässig (vgl. BGH NStZ 2007, 719; nachfolgend in der derselben Sache: BVerfG BeckRS 2009, 140731). Der Widerspruch dient der Vermeidung der Rügepräklusion und soll dem Tatgericht in der Hauptverhandlung verfahrensfördernd die Möglichkeit und Veranlassung geben, dem gerügten Verfahrensfehler freibeweislich nachzugehen (vgl. BGH NJW 2007, 3587, 3589; NJW 2018, 2279, 2280). Ein solcher Aufklärungsbedarf bestand vorliegend nicht, da die tatsächlichen Gegebenheiten des hier verwendeten Messverfahrens (Laserscanner PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) bekannt sind. Zudem hatte der Verteidiger selbst ein Privatgutachten vorgelegt, das sich grundsätzlich mit diesem Messgerätetyp nebst neuer Softwareversion wie auch mit der konkreten Messung befasste.

Im Übrigen konnte sich der Verteidiger – der Betroffene war nach Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen selbst nicht anwesend – auch ohne ausdrückliche Erklärung des Amtsgerichts auf das weitere Verfahren einstellen. Denn es hat das Messergebnis (Messprotokoll, Datenfeld des Messfotos, XML-Datei) nach Erhebung des Widerspruchs in die Hauptverhandlung eingeführt, was darauf schließen ließ, dass es diese Beweismittel auch unter Berücksichtigung des Widerspruchs und dessen Begründung verwerten wollte.

Auch in dem schriftlichen Urteil musste das Amtsgericht den Widerspruch nicht bescheiden. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind in § 267 StPO nicht vorgesehen und von Rechts wegen nicht geboten (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 244; NJW 2009, 2612, 2613). Welches Messverfahren verwendet wurde, ist in dem Urteil festgestellt worden. Anders als etwa im Falle der Beanstandung einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung bedurfte es im Hinblick auf das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot keiner weiteren Sachaufklärung. Durch die Verwertung des Messergebnisses hat das Amtsgericht inzident klar zum Ausdruck gebracht, dass es den zur Kenntnis genommenen Widerspruch nicht für durchgreifend erachtet hat und der oben zitierten Rechtsprechung des übergeordneten Senats wie auch zahlreicher anderer Oberlandesgerichte gefolgt ist. Ein Erkenntnisgewinn für den Verteidiger, dem diese Rechtsprechung ohnehin bekannt ist, hätte sich nicht ergeben, wenn der Widerspruch in den Urteilsgründen unter Hinweis auf einige Fundstellen der ständigen OLG-Rechtsprechung ausdrücklich beschieden worden wäre.

Bei dem Widerspruch handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung Voraussetzung für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Das Amtsgericht konnte sich zu dem Widerspruch äußern, musste dies aber nicht. Ein Verwertungswiderspruch ist unter den Gesichtspunkten des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens nicht einem Antrag gleichzustellen, den das Tatgericht zu bescheiden hat (z. B. Beweisantrag, Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung)…..“

Anmerkung:

1. Zur nachträglichen Überprüfbarkeit entspricht der Beschluss der h.M. in der Rechtsprechung der OLG. Man wird sehen, was das BVerfG – hoffentlich bald – dazu sagt.

2. Zur Widerspruchslösung ist die Entscheidung ebenfalls wohl zutreffend. Allerdings ist insoweit anzumerken, dass der Obersatz des OLG: „Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht“ zumindest missverständlich ist. Die Frage des Widerspruchs hat nämlich nichts mit dem Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes zu tun. Sondern: Das Beweisverwertungsverbot besteht, nur muss der Betroffene es auch in der Hauptverhandlung geltend machen, und zwar eben mit dem Widerspruch. Denn bei dem handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung nicht Voraussetzung für das Bestehen des Beweisverwertungsverbotes ist, sondern für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Nur, wenn widersprochen worden ist und das auch vorgetragen wird, kann die Verfahrensrüge durchgreifen.

StPO II: Zweimal etwas zu Beschlagnahmefragen, oder: Bezeichnung in der Anordnung und Herausgabe

© sharpi1980 – Fotolia.com

Im zweiten Posting dann einige Entscheidungen zur Beschlagnahme. Hier stelle ich aber nur die jeweiligen Leitsätze vor, und zwar.

Sind sowohl die Voraussetzungen der Herausgabe an den Verletzten (§ 111n Abs. 2 StPO) als auch die Voraussetzungen der Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber (§ 111n Abs. 1 StPO) offenkundig erfüllt, hat die Herausgabe grundsätzlich vorrangig an den Verletzten zu erfolgen.

1. Ordnet ein Richter – etwa gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses – die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtlichen Gewahrsam genommen worden sind, und bezeichnet er die Gegenstände nicht so genau, dass keine Zweifel darüber entstehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind, etwa bei einer gattungsmäßigen Umschreibung, dann liegt noch keine wirksame Beschlagnahmeanordnung vor, sondern nur eine Richtlinie für die Durchsuchung.

2. In einem solchen Fall hat ein Betroffener zunächst eine Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO über die Bestätigung der Beschlagnahme konkreter Beweismittel herbeizuführen. Eine gegen die unwirksame Beschlagnahmeanordnung gerichtete Beschwerde ist entsprechend auszulegen. Die Nichtabhilfeentscheidung ersetzt nicht die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme.

OWi III: Rechtsbeschwerde gegen Verwerfungsurteil, oder: Begründungsanforderungen

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann im dritten Posting noch etwas zur Rechtsmittelbegründung in den Verwerfungsfällen, und zwar der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03. 01.2022 – 2 RBs 215/21:

„Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 u. 3 StPO).

1. Zwar beschränken sich die formularmäßigen Urteilsgründe auf die Mitteilung, dass der Betroffene, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden wurde, in dem Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Diese die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 74 Abs. 2 OWiG) bestätigende Kurzbegründung reicht vorliegend indes aus.

Da es sich bei dem Verwerfungsurteil um ein reines Prozessurteil handelt, richtet sich die Begründung nicht nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 StPO, sondern nach § 46 Abs. 1 OWiG, § 34 StPO. Hierbei genügt eine formularmäßige Begründung mit dem Gesetzestext, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung Entschuldigungsgründe weder geltend gemacht wurden noch sonst ersichtlich sind (vgl. KG Berlin NZV 2009, 518, 519; BeckRS 2014, 9668; OLG Hamm BeckRS 2017, 107965; OLG Saarbrücken BeckRS 2019, 24693 Rdn. 7). So liegt der Fall hier. Der Betroffene hatte vor Erlass des Verwerfungsurteils keine Entschuldigungsgründe vorgebracht, auch nicht durch den in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidiger.

Eine zwingende Voraussetzung für die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG ist, dass der Betroffene zu der Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen wurde (vgl. statt vieler: BVerfG NZV 2005, 51; KK-Senge, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 74 Rdn. 24 m.w.N.). Diese in § 74 Abs. 2 OWiG nicht ausdrücklich angeführte Voraussetzung ergibt sich inzident daraus, dass der Vorwurf verschuldeter Säumnis grundsätzlich nur gegenüber einem Betroffenen, der zu der Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen wurde, erhoben werden kann.

Angesichts dessen impliziert die Feststellung, dass der Betroffene in dem Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, ohne Weiteres, dass eine ordnungsgemäße Ladung erfolgt war. Es ist nicht unbedingt erforderlich, über eine an dem Gesetzestext des § 74 Abs. 2 OWiG orientierte Kurzbegründung hinaus die „ordnungsgemäße Ladung“ ausdrücklich festzustellen oder gar das Zustelldatum und die Zustellanschrift in den Gründen des Verwerfungsurteils zu bezeichnen.

Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist nicht relevant, ob und inwieweit das angefochtene Verwerfungsurteil Angaben zu der Ladung des Betroffenen enthält. Denn diese Voraussetzung hat das Rechtsbeschwerdegericht nicht von Amts wegen zu prüfen.

Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung kann der Betroffene nur mit der Verfahrensrüge geltend machen, wobei sämtliche hierfür maßgeblichen Umstände gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgetragen werden müssen (vgl. zu § 74 Abs. 2 OWiG: OLG Karlsruhe NZV 1996, 164; OLG Frankfurt BeckRS 2017, 136687; zu § 329 Abs. 1 StPO: OLG Hamm NStZ-RR 2005, 114; OLG Saarbrücken BeckRS 2019, 24693 Rdn. 23). Daran fehlt es hier. Die Begründungsschrift ordnet die verfahrensrechtliche Frage der ordnungsgemäßen Ladung unzutreffend der Sachrüge zu und beschränkt sich insoweit auf die Beanstandung, dass das Urteil „keine Feststellungen dazu enthält, ob der Betroffene zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladen worden ist.“ Der Inhalt der Zustellungsurkunde wird in der Begründungsschrift nicht mitgeteilt. Erst recht fehlt jegliches Vorbringen, dass der Betroffene an der Zustellanschrift tatsächlich nicht wohnhaft war.“

OWi I: Kleine Rechtsprechungsübersicht zu Messungen, oder: Verwertung, Überprüfbarkeit, Rechtsbeschwerde

So, ich knüpfe dann an den gestrigen „Verkehrsrechtstag“ an und stelle heute OWi-Entscheidungen vor.

Im ersten Posting stelle ich einige Entscheidungen vor, die mit Messungen zu tun haben. Ich beschränke mich insoweit auf die jeweiligen Leitsätze, und zwar:

Widerspricht der Verteidiger des Betroffenen der Verwertung eines Messergebnisses wegen nicht ausreichend erfolgter Speicherung von Messdaten, muss dieser Widerspruch beschieden werden. Anderenfalls liegt eine Versagung rechtlichen Gehörs vor.

Die Rüge der Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) durch Nichtüberlassung von Messunterlagen ist nur dann ausreichend begründet, wenn nicht nur vorgetragen wird, dass die Unterlagen bereits vorgerichtlich angefordert wurden sowie die Aussetzung der Hauptverhandlung beantragt wurde, sondern auch, was sich aus den angeforderten Unterlagen, wenn sie übersandt worden wären, ergeben hätte oder, wenn dieser Vortrag mangels Kenntnis nicht möglich ist, was der Betroffene noch nach Erlass des Urteils versucht hat, um an die Unterlagen zu gelangen und somit diesen Vortrag zu vervollständigen.

Der Senat hält daran fest, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden (Roh-)Messdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird.