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Zwang II: Durchsuchung wegen Geldwäscheverdachts, oder: Nach wie vor: „doppelter Anfangsverdacht“?

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Und als zweite Zwangsmaßnahme kommt dann hier etwas zur Durchsuchung, und zwar der LG Saarbrücken, Beschl. v. 18.07.2024 – 13 Qs 19/24 – zur Durchsuchungsanordnung wegen des Vorwurfs der Geldwäsche.

Gegen den Beschuldigten wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche geführt. Am 24.08.2022 hatte eine Bank auffällige und ungewöhnliche Vorgänge auf dem Konto des Beschuldigten mit einer bestimmten der IBAN gemeldet. Dort gingen seit der Kontoeröffnung am 30.07.2022 und der Kündigung durch die Bank am 25.08.2022 eine Vielzahl von Überweisungsgutschriften von Privatpersonen ein, welche taggleich vom beschuldigten Kontoinhaber auf dessen Konto bei einem anderen Zahlungsdiensteanbieter sowie auf Konten anderer Privatpersonen weitertransferiert wurden. Auf dem Konto des Beschuldigten gingen im Zeitraum 16.03.2022 bis 15.10.2022 insgesamt Gutschriften in einer Höhe von 92.762,50 EUR ein, welche jeweils binnen weniger Minuten nach deren Eingang vollständig auf Konten bei  Kryptowährungsdienstleistern weitertransferiert wurden. Angesichts der Umstände, dass der Beschuldigte die Mittelherkunft gegenüber der Bank nicht erklären konnte, jedenfalls eine der überweisenden Privatpersonen ihrerseits wegen Betruges strafrechtlich in Erscheinung getreten war und sämtliche Geldeingänge auf seinem Konto zeitnah und vollständig vom Beschuldigten in den Bereich der Kryptowährung weitergeleitet wurden, hegten die Ermittlungsbehörden den Verdacht, dass die auf den Konten des Beschuldigten eingegangenen Gelder aus Straftaten stammten und der Beschuldigte dies wusste.

Nach ergebnisloser Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten im Zeitraum 22.03.2023 bis 31.05.2023 erließ das AG einen Beschluss, der die Durchsuchung der Wohnung und Geschäftsräume, Nebenräume, Garagen und PKWs des Beschuldigten sowie dessen Person anordnete. Der Beschluss wurde am 21.02.2024 vollzogen. Der Beschuldigte händigte sein Mobiltelefon, ein Smartphone Apple iPhone 14 pro max, freiwillig aus, welches sodann von den Beamten vor Ort sichergestellt wurde.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2024 legte der Beschuldigte über seinen Verteidiger Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss und die Beschlagnahme sämtlicher Gegenstände ein und beantragte, den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss aufzuheben und die sichergestellten Gegenstände herauszugeben. Das LG hat die Beschwerde des Beschuldigten, soweit sie die Durchsuchungsanordnung selbst betrifft, als zulässig und begründet angesehen. es führt u.a. aus:

„2. Die im Übrigen zulässige Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung ist begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung nach §§ 102, 105 StPO lagen zum Zeitpunkts ihres Erlasses nicht vor.

Es bestand kein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat nach § 261 Abs. 1 S. 1 StGB.

a) Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird. Zur Rechtfertigung dieses Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung zum Zwecke der Strafverfolgung ist daher der Verdacht erforderlich, dass eine Straftat begangen wurde. Dieser Anfangsverdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.8.2014 – 2 BvR 969/14 m.w.N.).

Eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche setzt zudem voraus, dass ein Anfangsverdacht nicht nur für die Geldwäschehandlung vorliegt, sondern auch für das Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer Vortat gegeben ist (sog. „doppelter Anfangsverdacht“, vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14). Dass eine Vortat begangen wurde, ist ein wesentliches Merkmal der Strafbarkeit der Geldwäsche. Erst die Vortat versieht das Geld oder den sonstigen Gegenstand, mit dem der Geldwäschetäter umgeht, mit dem Makel, der einer neutralen, sozialtypischen Handlung wie beispielsweise einer Geldzahlung das Unwerturteil der Strafbarkeit zuweist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. 7. 2006 – 2 BvR 950/05). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anfangsverdachts ist es demnach, wenn keine über bloße Vermutungen hinausgehende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Vortat bestehen (BVerfG, Beschl. v. 19.4.2023 – 2 BvR 2180/20BKR 2023, 723).

Aus dem Umstand, dass der Wortlaut des § 261 Abs. 1 StGB in seiner seit dem 18. März 2021 geltenden Fassung – anders als zum Zeitpunkt der vorgenannten Entscheidung – keine bestimmte Katalogtat als Vortat mehr erfordert, sondern lediglich irgendeine rechtswidrige Vortat verlangt (sog. „all-crimes“-Modell), ergibt sich nach Auffassung der Kammer nichts Anderes. Mit dem Verzicht auf einen selektiven Vortatenkatalog sollte zwar die Beweisführung in Bezug auf die Vortat erleichtert werden (Herzog/El-Ghazi in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 6. Auflage 2024, Rn.109). Aus der Gesetzbegründung ergibt sich aber auch, dass insbesondere Feststellungen, die sich nur auf ein Fehlen von ausreichendem, legalem Einkommen beziehen, für die Konkretisierung einer Vortat nicht ausreichen sollen (BT-Drs. 19/24180, S. 29,30). Eine Beweiserleichterung gegenüber den allgemeinen Beweisgrundsätzen im Strafverfahren ist mit dem Wechsel zum „all-crimes“- Ansatz nicht verbunden (El-Ghazi in: Herzog, Geldwäschegesetz, 5. Auflage 2023, StGB § 261, Rn. 59).

Auch nach neuer Rechtslage ist es daher für die Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen nicht ausreichend, wenn lediglich ungesicherte Anhaltspunkte dafür vorliegen, das betroffene Geld stamme aus irgendeiner Straftat (Hiéramente, jurisPR-StrafR 9/2021 Anm. zu BVerfG, Beschluss v. 03.03.2021 – 2 BvR 1746/18; a.A. LG Saarbrücken, Beschluss v. 04.08.1997 – 8 Qs 72/97 – zur alten Rechtslage). Für diese Ansicht spricht auch, dass die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Zwangsmaßnahme durch den Ermittlungsrichter nur dann sinnvoll möglich ist, wenn die betreffende Vortat jedenfalls in ihren wesentlichen Konturen bekannt ist. Darüber hinaus wird die Begrenzungsfunktion einer Durchsuchungsanordnung aufgelöst, wenn in Ermangelung eines konkreten tatsachenbasierten Tatvorwurfs der äußere Rahmen einer Durchsuchung fehlt und damit eine grenzenlose Ausforschung des Adressaten ermöglicht wird (Anm. Neumann zu BVerfG, Beschl. v. 19.4.2023 – 2 BvR 2180/20).

Daher können auch nach neuem Recht die auf der Grundlage des Geldwäschegesetzes (GwG) erfolgten Meldungen alleine nicht ausreichen, um einen Anfangsverdacht einer Vortat der Geldwäsche zu begründen. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 GwG hat der Verpflichtete der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen bereits dann Meldung zu machen, wenn Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung, einem Maklergeschäft oder einer Transaktion im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stammt, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte. Hiermit ist allenfalls eine kursorische Prüfung verbunden, ob überhaupt eine Geldwäsche vorliegen kann (Erbs/Kohlhaas/Häberle, 251. EL März 2024, GwG § 43 Rn. 3; BVerfG, Beschluss v. 31.01.2020 – 2 BvR 2992/14). Eine Durchsuchung darf aber gerade nicht dazu dienen, diejenigen Tatsachen erst zu ermitteln, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erforderlich sind (BVerfG, Beschl. v. 03.07. 2006 – 2 BvR 2030/04; Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil. v. 21.06.2024 – Lv 3/23).

b) Ausweislich der Ermittlungsvermerke vom 10.10.2022, Bl. 333 d.A. und 07.06.2023, Bl 364 d.A., liegen über die in den Meldungen der Banken enthaltenen Informationen (unbekannte Mittelherkunft der eingezahlten Gelder; keine Einnahmen aus legaler Tätigkeit; Durchlaufcharakter des Kontos; Kontakt mit bereits gemeldeten Kunden) hinaus keine weiteren Anhaltspunkte vor, die auf eine Vortat hindeuten. Die Herkunft der Gelder bleibt daher letztlich ungeklärt. Es kann folglich auch nicht beurteilt werden, ob sie aus einer Straftat stammen oder die dem Beschuldigten zur Last gelegte Handlung eine Straftat möglicherweise erst vorbereiten soll oder sich gar als strafrechtlich neutral erweist. Aus der Verschleierungshandlung allein auf die Annahme einer bereits begangenen Straftat zu schließen, lässt in diesem Zusammenhang mögliches strafloses Alternativverhalten unberücksichtigt und widerspricht somit den oben dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Anfangsverdacht als Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG. Dies gilt vorliegend umso mehr, nachdem die bereits durchgeführte Überwachung der Telekommunikation keinerlei weitere Hinweise auf mögliche Vortaten ergeben hat.“

StPO I: Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Daten und KCanG, oder: OLG Stuttgart/LG Saarbrücken ggf. unverwertbar

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Heute gibt es hier dann einen StPO-Tag, und zwar mit einer Entscheidung zu EncroChat bzw. zur Frage der Verwertbarkeit von Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten nach Inkrafttreten des KCanG, sowie einem zur Durchsuchung und dann als letztes etwas zum letzten Wort..

Ich beginne mit den Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten Dazu stelle ich zwei Entscheidungen vor, allerdings nur jeweils kurz mit den entscheidenden Passagen der Entscheidungen, denn die allgemeinen Fragen der Vewertung dieser Daten waren ja schon oft genug Gegenstand der Berichterstattung.

Bei der ersten Entscheidung handelt es sich um den OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftprüfungsverfahren. Gegenstand des Verfahrens sind Vorwürfe des Verstoßes gegen das BtMG. Das OLG hat wegen eines Teils der Vorwürfe den dringen Tatverdacht auf der Grundlage von ANOM-Daten bejaht, wegen eines anderen Teils führt es aus:

„Es kann deshalb dahinstehen und bleibt dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorbehalten, ob ein dringender Tatverdacht auch bezüglich der im Haftbefehl unter Ziff. I.1, 3 und 5 bezeichneten Tatvorwürfe gegeben ist. Für die Prüfung der Verwertbarkeit der aufgrund des ANOM-Chatverkehrs gewonnenen Daten ist auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen; es kommt mithin insoweit nicht auf die Rekonstruktion der Verdachtslage im (hypothetischen) Anordnungszeitpunkt, sondern auf die Informationslage im Verwendungszeitpunkt an (BGH a.a.O., Rn. 70). Nach vorläufiger Wertung liegt eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO in der seit dem 1. April 2024 gültigen Fassung, der nur Straftaten gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 3 oder Nr. 4 Konsumcannabisgesetz (KCanG) erfasst, nicht vor. Eine Verwendung der zulässig erlangten Beweise als Zufallserkenntnisse zum Nachweis von mit Katalogtaten in Zusammenhang stehenden Nichtkatalogtaten ist nur zulässig, wenn zwischen diesen Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB bzw. Tatidentität im Sinne des § 264 StPO gegeben ist (BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, juris Rn. 27 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 30. August 1978 – 3 StR 255/78, NJW 1979, 990; BGH, Urteil vom 22. Dezember 1981 – 5 StR 540/81, NStZ 1982, 125; BGH, Beschluss vom 18. März 1998 – 5 StR 693/97, juris Rn. 7 f.).“

Und dann der LG Saarbrücken, Beschl. v. 03.06.2024 – 4 KLs 28 Js 140/23 (16/24). Ergangen ist der Beschluss in einen Verfahren wegen BtM-Handels. Die Strafkammer hat mit dem Beschluss einen Antrag der Staatsanwaltschaft, auf Verlesung von in einem Beweisantrag näher bezeichneten SkyECC-Chats abgelehnt (und den Angeklagten anschließend frei gesprochen:

„So liegt der Fall hier: Die Anklageschrift bezieht sich lediglich auf Taten des Handeltreibens mit Cannabis. Das Handeltreiben mit Cannabis ist nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz — CanG) nicht mehr als Katalogtat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG einzuordnen, sondern als Handeltreiben mit Cannabis in den besonders schweren Fällen der Gewerbsmäßigkeit und der nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG. Dies stellt jedoch keine Katalogtat des § 100b Abs 2 StPO dar, da lediglich die in § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 und 4 KCanG aufgeführten Taten in die Aufzählung der Katalogtaten aufgenommen wurden (vgl. § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO; so auch KG Berlin, Beschluss v. 30.04.2024, 5 Ws 67/24).“

Pflichti III: 4 x nachträgliche Bestellung zulässig, oder: Schritt(e) in die richtige Richtung

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Und dann – wie fast immer an „Pflichti-Tagen“ – noch etwas zum Dauerbrenner: Rückwirkende Bestellung. Dazu habe ich dann vier Entscheidungen, und zwar:

Alle vier Entscheidungen bejahen die rückwirkende Bestellung. Interessant in dem Zusammenhang vor allem der Beschluss des LG Braunschweig. Das „übergeordnete“ OLG lehnt die nachträgliche Bestellung nämlich ab. Anders also das LG, allerdings nur bei inhaftierten Beschuldigten. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Wie ermitteln sich die Sachverständigenkosten? oder: Falsche Ermittlung der Schadenshöhe

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Und als zweite Entscheidung dann das LG Saarbrücken, Urt. v. 1102.2022 – 13 S 31/21. Also auch schon etwas älter. Ist wegen der „beA-Berichterstattung (auch) liegen geblieben.

Gestritten wird/wurde in dem Verfahren um den Ersatz von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Bei dem Unfall wurde das erst wenige Wochen vor dem Unfall erworbene Fahrzeug des Klägers durch einen Anstoß an der vorderen rechten Ecke beschädigt. Die alleinige Haftung der beklagten Versicherung ist nicht im Streit.

Der Kläger ließ vorgerichtlich ein Schadengutachten erstatten, das Bruttoreparaturkosten von 8.189,25 EUR, einen Wiederbeschaffungswert von 5.000,- EUR sowie einen Restwert von 730,- EUR ausweist. Der Schadengutachter rechnete mit bislang nicht beglichener Rechnung gegenüber dem Kläger einen Betrag von 870,49 EUR ab. Die zunächst an den Schadengutachter abgetretenen Schadensersatzansprüche hat dieser an den Kläger zurück abgetreten. Die Beklagte erstattete im Januar 2019 Reparaturkosten in Höhe von 3.087,49 EUR. Eine Erstattung der Sachverständigenkosten erfolgte nicht.

U.a. die hat der Kläger eingeklagt. Das AG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Berufung hatte teilweise Erfolg:

„2. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Erstgericht ferner davon ausgegangen, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, 115 VVG zusteht. Denn diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung – wie hier – zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16, NJW 2017, 1875). Dabei kann der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur diejenigen Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, ist Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen, wobei sich aus dem Wirtschaftsgebot allerdings eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der bei Vertragsabschluss geforderten bzw. später berechneten Preise ergibt (vgl. BGH, vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17, NJW 2018, 693).

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet der von dem Geschädigten in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrundeliegenden getroffenen Preisvereinbarung tatsächlich erbrachte Aufwand (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ (ex ante zu bemessenden) Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, da sich in ihm die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig niederschlagen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2019 – VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001). Hat der Geschädigte die Rechnung noch nicht gezahlt, kann der erforderliche Herstellungsaufwand auch anhand des Gutachterauftrags und der Rechnung bestimmt werden, sofern der Geschädigte eine Honorarvereinbarung vorlegt, die er für plausibel halten durfte. Fehlt es – wie hier – sowohl an einer vom Geschädigten beglichenen Rechnung als auch an einer plausiblen Honorarvereinbarung und einer damit korrespondierenden Rechnung, ist die Höhe der erforderlichen Kosten unabhängig von der Rechnung und Vereinbarung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 104/19, VersR 2020, 245).

4. Dabei kann bei Fehlen einer Preisvereinbarung der für die Erstellung des Gutachtens erforderliche Aufwand in Höhe der gemäß § 632 Abs. 2 BGB üblichen Vergütung für einen Kraftfahrzeugsachverständigen geschätzt werden, da der verständige Geschädigte in diesem Fall davon ausgehen wird, dass dem Sachverständigen die übliche Vergütung zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16 aaO). Kammerbekannt rechnen Schadengutachter im Gerichtsbezirk ihr Grundhonorar üblicherweise nach der BVSK ab, sodass dieses anhand der BVSK geschätzt werden kann (unbeanstandet gelassen von BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16 aaO). Dabei ist für die Schätzung hier die BVSK 2015 heranzuziehen, die auch der Schadengutachter ausweislich der Rechnung seinem Honoraranspruch zugrunde gelegt hat. Für die Nebenkosten mit Ausnahme der Fahrkosten kann nach der von dem Bundesgerichtshof nicht beanstandeten (vgl.BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092) Rechtsprechung der Kammer das JVEG als Schätzgrundlage herangezogen werden.

5. Da sich das Grundhonorar nach der BVSK aus der Höhe des Kfz-Schadens ableitet, bildet der vom Sachverständigen ermittelte Schadensaufwand nur dann die für das Honorar maßgebliche Größe, wenn er zutreffend ermittelt ist. Die Höhe des zu erstattenden Grundhonorars lässt sich damit erst nach Feststellung der zutreffenden Schadenshöhe beziffern, wenn diese wie hier im Streit steht (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17, NJW 2018, 693). Das Erstgericht durfte daher nicht offenlassen, ob der Schadengutachter den Schaden zutreffend ermittelt hat. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme belaufen sich die erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten abweichend von dem Schadengutachten auf lediglich 3.087,49 Euro. Der Gerichtssachverständige, an dessen Qualifikation nach den Erfahrungen der Kammer keine Zweifel bestehen, hat in seinem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass das augenscheinliche Schadensbild am Klägerfahrzeug Schäden an der Fahrwerks- und Lenkgeometrie zwar nicht ausschließt, aber auch nicht zwingend auf einen Schaden an Achs- oder Lenkungsteilen schließen lässt. Nach dem Vermessungsprotokoll, das auch noch im Nachhinein noch Erkenntnisse zum tatsächlichen Ereignisschaden liefert, ergeben sich keine Hinweise dafür, dass ereignisbedingt Achsteile und Teile der Lenkgeometrie beschädigt wurden. Insbesondere liegen sowohl der Sturzwert vorne rechts als auch der Nachlauf innerhalb der Toleranz, was bei einem starken Anstoß mit einhergehender Erneuerungsbedürftigkeit der Achsteile nicht zu erwarten wäre. In Anbetracht der Ausführungen des Gerichtssachverständigen ist die Kammer – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Schadengutachters in dessen Stellungnahme vom 21.10.2021 (Bl. 201 f. GA) – nicht davon überzeugt, dass unfallbedingt ein Achsschaden eingetreten ist. Danach bemessen sich die erforderlichen Reparaturkosten hier auf 3.087,49 Euro netto. Soweit der Gerichtssachverständige ausgeführt hat, unter Berücksichtigung der aktuellen Stundenverrechnungssätze und Ersatzteilpreise ergäben sich Reparaturkosten von 3.386,54 Euro netto, ist dies hier unerheblich, da die Beklagte den Schaden zutreffend ermittelt und bereits mit der Zahlung im Januar 2019 vollständig ausgeglichen hat, so dass die damals geltenden Preise maßgeblich sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2020 – VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795).

6. Ausgehend hiervon kann der Kläger als erforderlichen Herstellungsaufwand hier einen Betrag von 685,44 Euro verlangen.

a) Das Grundhonorar ist nach der Rechtsprechung der Kammer nach dem Honorarkorridor V der BVSK zu ermitteln. Der Mittelwert des Honorarkorridors V der BVSK 2015 beläuft sich bei Nettoreparaturkosten von 3.087,49 Euro auf 460,50,- Euro.

b) Die in Rechnung gestellten Nebenkosten entsprechen nach der von dem Kläger vorgenommenen Korrektur betreffend die Schreibgebühren den Sätzen des JVEG. Auch ist der für die Fahrtkosten in Ansatz gebrachte Betrag von 0,70 Euro je Kilometer nicht zu beanstanden. Die erstattungsfähigen Nebenkosten belaufen sich damit auf 115,50 Euro.

c) Damit kann der Kläger unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer i.H.v. 109,44 Euro insgesamt 685,44 Euro verlangen.

7. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die fehlerhafte Schadensberechnung durch den Schadengutachter führe zu einem Entfall des Anspruchs auf Erstattung der Sachverständigenkosten.

a) Nach allgemeiner Meinung ist der Sachverständige nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten gegenüber dem Schädiger i.S.v. §§ 254 Abs. 2, 278 BGB. Der Schädiger hat daher grundsätzlich auch die Sachverständigenkosten für ein unbrauchbares Gutachten zu ersetzen, es sei denn, der Geschädigte hat die Unbrauchbarkeit selbst verschuldet (vgl. OLG Bremen, NJW-RR 2021, 1468; OLG München, DAR 21, 90; OLG Naumburg, DV 2019, 167; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05. März 2019 – 1 U 84/18 –, juris und NZV 2019, 207; OLG Saarbrücken, VersR 2019, 561; OLG Köln, VersR 2012, 1008; OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Januar 2008 – 25 U 220/04 –, juris). Dass das Erstgericht hiervon nicht ausgegangen ist, begegnet keinen Bedenken. Es hat dabei mit Recht darauf abgestellt, dass dem Schadengutachter ein Vermessungsprotokoll vorlag, aus dem sich ein Vorschaden ergab. Dieser konnte daher nicht verschwiegen werden. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Erstgericht auch keine Anhaltspunkte dafür gesehen hat, dass der Vorschaden während der nur wenige Wochen kurzen Besitzzeit des Klägers eingetreten ist bzw. dieser einen außerhalb seiner Besitzzeit eingetretenen Vorschäden kannte…..“

Problem Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren II, oder: Auslagen nach Einstellung wegen Verjährung

Und als zweite Entscheidung dann der LG Saarbrücken, Beschl. v. 08.02.2022 – 8 Qs 3/22, über den schon der VerkehrsRechtsblog berichtet hat.

Entschieden hat das LG nach Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung. Das AG hatte gem. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von der Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse abgesehen. Das hat das LG anders gesehen – mit Recht:

„1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.

Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 Satz 1 Hs 2 StPO findet vorliegend, da der Beschwerdeführer die Entscheidung in der Hauptsache lediglich in Ermangelung einer eigenen Beschwer nicht anzufechten vermag, keine Anwendung (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 464 Rn. 19 m.w.N.).

2. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Zwar dürfte – was vorliegend keiner abschließenden Entscheidung bedarf – das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen sein, dass der Beschwerdeführer nur deshalb wegen einer Ordnungswidrigkeit nicht verurteilt worden ist, weil ein Verfahrenshindernis besteht und das Gericht daher nach§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO im Rahmen eines ihm eingeräumten Ermessens davon absehen kann, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. zum Streitstand und zu der von der Kammer vertretenen Auffassung die Beschlüsse der Kammer vom 07.11.2017, 8 Qs 121/17, vom 24.11.2017, 8 Qs 133/17 und vom20.05.2019, 8 Qs 44/19).

Allerdings kommt ein Absehen von der Auslagenerstattung nur dann in Betracht, wenn die weiter gebotene Ermessensentscheidung ergibt, dass auf Grund besonderer Umstände die Belastung der Staatskasse ausnahmsweise als grob unbillig erscheint. Da dieses Ermessen erst darin eröffnet ist, wenn das Gericht bereits davon überzeugt ist, dass der Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre, müssen zu dem Verfahrenshindernis als dem alleinigen der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen. Diese Umstände dürfen folglich nicht in der voraussichtlichen Verurteilung des Betroffenen und der ihr zugrunde liegenden Tat gefunden werden (vgl. Gieg in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 467 Rn. 10b mit zahlreichen w.N.). Teilweise wird sogar angenommen, dass Grundlage des Unbilligkeitsurteils immer nur ein hinzutretendes vorwertbares prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen sein kann (vgl. KK-StPO a.a.O.; a.A. Celle StraFo 14, 438).

Vorliegend verhält es sich so, dass der Eintritt der Verfolgungsverjährung allein darauf zurückzuführen ist, dass die Verfahrensakte bei einer Übersendung zwischen den am Verfahren beteiligten Behörden bzw. Gerichten Anfang des Jahres 2020 in Verlust geriet und der Vorgang offenbar erst als Reaktion auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 07.10.2021 wieder rekonstruiert wurde, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits Verjährung eingetreten war. Daher liegt der Eintritt des für die Verfahrensbeendigung maßgeblichen Verfahrenshindernisses allein in Sphäre der Behörden, weshalb es vorliegend nicht grob unbillig erscheint, die notwendigen Auslagen des ehemals Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 467 Rn. 58 m.w.N.; LG Ulm, Beschluss vom 06.11.2020, Az. 2 Qs 46/20 m.w.N.).“