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Kollision bei Vorbeifahrt an parkendem Fahrzeug, oder: Sorgfaltspflicht beim Ein-/Aussteigen

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Und dann als zweite Entscheidung mal wieder etwas zu einem Verkehrsunfall, und zwar zu einer Kollision während der Vorbeifahrt an einem parkendem Fahrzeug. Dazu verhält sich das LG Saarbrücken, Urt. v. 11.02.2022 – 13 S 135/21.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug eine Einbahnstraße, die als verkehrsberuhigter Bereich i.S.v. § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2.) ausgewiesen war. Linksseitig parkten Fahrzeuge, rechtsseitig stand das bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherte Taxi. Der Erstbeklagte wollte aus dem Taxi aussteigen und öffnete hierzu die hintere linke Tür. In der Folge kam es zur Kollision mit dem Klägerfahrzeug.

Das AG hat der Klage statt gegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Unfall alleine von den Beklagten verschuldet sei. Die Beklagten hätten den gegen sie streitenden Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO nicht zu erschüttern bzw. widerlegen vermocht. Demgegenüber sei ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß der Klägerin nicht bewiesen. Die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs trete hinter den Sorgfaltsverstoß auf Beklagtenseite zurück. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel der Klageabweisung. Die Berufung hatte teilweise Erfolg:

„Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Zutreffend und von der Berufung unbeanstandet hat das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass sowohl die Klägerseite als auch die Zweitbeklagte grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und sich für keinen der beteiligten Fahrer als unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt.

2. Im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander hängt die Ersatzverpflichtung damit davon ab, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1, 2 StVG). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016 – VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 mwN).

3. Entgegen der Berufung hat das Erstgericht auf Beklagtenseite mit Recht einen unfallursächlichen Verstoß berücksichtigt. Dieser ergibt sich hier aber nicht aus § 14 Abs. 1 StVO unmittelbar, sondern aus § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 14 Abs. 1 StVO.

a) Der Unfall hat sich hier in einem verkehrsberuhigten Bereich im Sinne von § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2) ereignet. Nach der Rechtsprechung der Kammer kommt hier wie auf Parkplätzen § 1 Abs. 2 StVO zur Anwendung (vgl. Kammer, Urteil vom 15. Juli 2016 – 13 S 20/16; Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 42 StVO Rdn. 71).

b) Den Aussteigenden trifft aber auch im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO die Pflicht, sich vor dem Türöffnen zu vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer durch das Türöffnen geschädigt wird. Dabei können die strengen Sorgfaltsmaßstäbe, die im fließenden Verkehr gelten, jedenfalls sinngemäß herangezogen werden, sofern sich – wie hier – in einem bestimmten Verkehrsverhalten die besondere Gefährlichkeit gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern niederschlagen kann. Daher hatte der Erstbeklagte beim Türöffnen hier für die gesamte Dauer des Aussteigevorgangs, der erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. BGH, Urteil vom 06. Oktober 2009 – VI ZR 316/08, NJW 2009, 3791), besondere Vorsicht und Achtsamkeit walten zu lassen.

c) Ob wie bei § 14 Abs. 1 StVO ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Türöffnenden eingreift, kann hier offenbleiben. Denn nach den bindenden (§ 529 Abs. 1 ZPO) Feststellungen des Erstgerichts hat der Erstbeklagte zum einen die Tür beim Öffnungsvorgang nicht nur geringfügig, sondern jedenfalls 70-80 cm weit in den durch die Parkposition des Taxis ohnehin verengten Fahrraum geöffnet, wobei nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen das Spurenbild zudem auf einen (weiteren) Öffnungsvorgang während der Vorbeifahrt des Klägerfahrzeugs schließen lässt. Ferner hat der Erstbeklagte selbst angegeben, beim Aussteigen den Blick zu dem rechts neben ihm sitzenden Patienten gerichtet zu haben, anstatt den rückwärtigen Verkehrsraum genau zu beobachten.

d) Der Erstbeklagte hat damit die an ihn gerichteten Sorgfaltsanforderungen schuldhaft verletzt. Er selbst haftet daher aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO, dem grundsätzlich Schutznormcharakter zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 09. Dezember 2014 – VI ZR 155/14, NJW 2015, 1174). Auch die Zweitbeklagte haftet für den durch den Erstbeklagten beim Türöffnen verursachten Schaden (vgl. die Nachweise im Urteil der Kammer vom 20. November 2015 – 13 S 117/15, NJW-RR 2016, 356).

4. Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, auch auf Klägerseite sei ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß zu berücksichtigen.

a) Derjenige, der an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung (§ 1 Abs. 2 StVO) einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Dieser kann nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 10. Juli 2014 – I-19 U 57/14 –, juris). Er muss aber jedenfalls so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1981 – VI ZR 297/79, VersR 1981, 533; OLG Frankfurt NZV 2014, 454). Die Klägerin hat diesen Sorgfaltsanforderungen hier genügt. Nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen ist sie mit einem Abstand von 70-80 cm an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren. Da die Beklagten einen Sorgfaltsverstoß der Klägerin nachzuweisen haben (vgl. OLG Celle, RuS 2019, 286), ist damit ein geringerer Abstand als 80 cm nicht bewiesen. Dieser war hier ausreichend. Konkrete Umstände, die hier einen noch größeren Seitenabstand geboten hätten, sind nicht ersichtlich. Hierfür genügt insbesondere nicht bereits, dass es sich bei dem Beklagtenfahrzeug um ein Taxi handelt und mit dem Aussteigen von Fahrgästen gerechnet werden musste. Denn der Abstand von 80 cm war grundsätzlich ausreichend, um Fahrgästen ein gefahrloses geringes Türöffnen zu ermöglichen.

b) Mit Recht hat das Erstgericht auch keinen sonstigen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO berücksichtigt. Zwar ist die Geschwindigkeit an der Unfallörtlichkeit auf 7 km/h begrenzt (Zeichen 274.1) und die Klägerin nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen jedenfalls mit 20 km/h und damit mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit gefahren. Ein Geschwindigkeitsverstoß darf bei der Haftungsabwägung aber nur Berücksichtigung finden, wenn er sich unfallursächlich ausgewirkt hat (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 28. April 2016 – 4 U 106/15 –, juris). Dies bleibt hier aber nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens – wie auch die Berufung einräumt – gerade offen. Auch ein etwaiger Anscheinsbeweis (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 28. August 2012 – 3 O 250/10 –, juris) ist hier erschüttert, da nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen die ernsthafte Möglichkeit verbleibt, dass die Kollision durch eine (weitere) Türöffnung während der Vorbeifahrt verursacht wurde.

5. Da sich die Sorgfaltspflichten der Unfallbeteiligten hier jeweils nach § 1 Abs. 2 StVO richten und damit einander angenähert sind, und zudem die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung in einem verkehrsberuhigten Bereich die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs objektiv erhöht hat, erscheint es aber angemessen, diese hier nicht vollständig zurücktreten zu lassen, sondern mit 25% in die Haftungsabwägung einzustellen.“

Unfallschaden II: Reparaturauftrag aufgrund eines SV-Gutachtens, oder: Werkstattrisiko

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Saarbrücken, Urt. v. 22.10.2021 – 13 S 69/21 – geht es um überhöhte Reparaturkosten.

Getritten wird um restliche Reparaturkosten aus einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte allein haftet. Der Kläger holte vorgerichtlich ein Schadengutachten ein, das Reparaturkosten in Höhe von 4.163,80 EUR ausweist. Auf Grundlage des Gutachtens ließ der Kläger das Fahrzeug  reparieren, die ihm hierfür mit – bislang nicht beglichener – Rechnung einen Betrag von 4.190,86 EUR Rechnung stellte. Die Beklagte zahlte vorgerichtlich einen Betrag von 3.905,50 EUR.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf restliche Reparaturkosten in Höhe von 285,36 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen in Anspruch. Er hat erstinstanzlich geltend gemacht, die in Rechnung gestellten Reparaturkosten seien zur Schadensbehebung erforderlich. Die Beklagte treffe zudem das Werkstatt- und Prognoserisiko. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die erforderlichen Reparaturkosten beliefen sich lediglich auf 3.905,50 EUR da nicht alle von der Werkstatt vorgenommenen Reparaturmaßnahmen erforderlich gewesen seien. Im Fall einer unbezahlten Rechnung der Reparaturwerkstatt könne sich der Geschädigte nicht auf die subjektbezogene Schadensbetrachtung berufen, ferner trage der Schädiger auch nicht das Werkstattrisiko. Der Kläger könne einen Ausgleich auch nur Zug um Zug gegen Abtretung seiner etwaigen Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt verlangen.

Das AG hat die Beklagte zur Zahlung von 285,36 EUR verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Geschädigte könne im Fall einer tatsächlich durchgeführten Reparatur die Reparaturkosten stets in dem Umfang verlangen, in dem sie angefallen seien. Die durch die Rechnung ausgewiesenen Kosten indizierten deren Erforderlichkeit auch dann, wenn der Geschädigte die Rechnung noch nicht bezahlt habe. Die Indizwirkung ergebe sich bei der konkreten Schadensberechnung alleine daraus, dass die Reparaturarbeiten auf Grundlage eines zuvor erstellten Gutachtens veranlasst worden seien. Die Beklagte treffe auch im Fall einer unbeglichenen Reparaturrechnung das Werkstattrisiko.

Hiergegen richtet sich die vom AG zugelassene Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt und hilfsweise eine Verurteilung Zug um Zug gegen Abtretung der dem Kläger gegenüber der Reparaturwerkstatt zustehenden Schadensersatzansprüche begehrt. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.

In der Sache hatte die Berufung beim AG teilweise Erfolg, aber u.a. nur insoweit als die Beklagte zur Zahlung des begehrten Schadensersatzes nur Zug um Zug gegen Abtretung möglicher gegenüber der Reparaturwerkstatt bestehender Schadensersatzansprüche verlangen kann.

Das LG fasst seine Begründung in folgenden Leitsätzen zu der Entscheidung zusammen:

  1. Hat der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung noch nicht bezahlt, kann der auf Grundlage eines Schadengutachtens erteilte Reparaturauftrag ein Indiz für den erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sein.

  2. Das Prognose- und Werkstattrisiko trifft den Schädiger ab Erteilung des Reparaturauftrags und unabhängig davon, ob der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat.

Vorfahrtsregelung im Parkhaus, oder: Welche Sorgfaltsanforderungen bestehen?

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Die zweite Entscheidung des Tages, das LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12.2020 – 13 S 122/20 – ist auch nicht mehr ganz taufrisch, aber heute dann ebenfalls endlich 🙂 .

Entschieden hat das LG über einen Verkehrsunfall in einem Parkhaus. Der Kläger befuhr mit seinem Pkw auf dem 5. Parkdeck die zur Ausfahrt führende Parkgasse. Die Zeugin pp. fuhr mit ihrem Mercedes B 180, auf einer von rechts in die Fahrbahn des Klägers einmündenden Parkgasse. Über der Zufahrt dieser Gasse ist ein Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) angebracht. Als der Kläger die Einmündung passierte und die Zeugin nach rechts in die Fahrbahn des Klägers einbog, kam es zur Kollision. Dabei berührten sich das klägerische Fahrzeug am Kotflügel vorne rechts und das von der Zeugin geführte Fahrzeug am Kotflügel vorne links. Dem Kläger entstand ein Schaden von insgesamt 3.135,59 €, den der Beklagte zu 50 % regulierte.

Der Kläger ist von der vollen Haftung der Beklagten ausgegangen, die Beklagten nur von einem Anteil von 50 %. Sie haben nur in der Höhe reguliert. Der Kläger hat den Rest eingeklagt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg:

„1. Zutreffend ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG, § 6 Abs. 1 AusPflVG – der beklagte Verein ist nach § 2 Abs. 1 b AuslPflVG an die Stelle des zuständigen Versicherers getreten – einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG darstellte.

a) Unabwendbar nach § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers, die erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinausgehen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NZV 2005, 305) – nicht abgewendet werden kann (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 14 f. m.w.N.). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich dabei nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren.

b) Dem hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Kläger ist es nicht gelungen, den Nachweis der Unabwendbarkeit des Unfalls zu erbringen. Ein umsichtiger und vorausschauender Idealfahrer hätte in der konkreten Verkehrssituation in seine Überlegung mit einbezogen, dass die Zeugin … ihn übersehen oder sich ihm gegenüber vorfahrtberechtigt glauben könnte. Er hätte den Einmündungsbereich daher erst dann passiert, wenn durch Verständigung eindeutig festgestanden hätte, dass die Zeugin ihm die Vorfahrt gewähren würde.

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist die Erstrichterin davon ausgegangen, dass beide Fahrer den Unfall durch einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO verursacht haben. Hiergegen wendet sich die Berufung mit Erfolg.

a) Noch zutreffend hat das Erstgericht die StVO angewandt. Die StVO regelt und lenkt den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, NZV 2012, 394; Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19 mwN). Bei der Eröffnung eines der Allgemeinheit zugänglichen Parkhauses sind diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob die Geltung der StVO durch eine vorhandene Beschilderung ausdrücklich angeordnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1985 – III ZR 53/84, VersR 1985, 835; BGH, Urteil vom 9. März 1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 10; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 21. November 2014 – 13 S 132/14, Zfs 2015, 201).

b) Auch die Annahme der Erstrichterin, § 8 Abs. 1 StVO käme unter den gegebenen Umständen nicht zur Anwendung, begegnet keinen Bedenken. Nach vorherrschender Auffassung, der sich die Kammer in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, ist § 8 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen (bzw. in Parkhäusern) grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn die angelegten Fahrspuren (eindeutig) Straßencharakter haben (vgl. Nachweise im Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19). Zu bejahen ist ein solcher, wenn durch die bauliche Ausgestaltung oder durch die Fahrbahnmarkierung eine gekennzeichnete Straßen- oder Wegeführung gegeben ist, die der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge dient. Erforderlich ist eine hinreichende Abgrenzung von den Parkboxen. Merkmale für die Abgrenzung sind neben der Markierung auch die Fahrbahnbreite und die Verkehrsführung. Dienen die Fahrspuren nicht dem „fließenden Verkehr“, sondern dem Suchverkehr, ist das Merkmal zu verneinen (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 71). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Erstrichterin den (eindeutigen) Straßencharakter der hier in Rede stehenden Fahrgassen zu Recht verneint. Denn die streitgegenständlichen, zwar durch Markierung von den Parkboxen abgegrenzten Fahrgassen dienen ausweislich der in der Akte befindlichen Lichtbilder in erster Linie der Zufahrt zu weiteren Parkboxen. Dass die Beschilderung und auf der Fahrbahn befindliche Fahrtrichtungspfeile auch auf die Ausfahrt des Parkhauses hinweisen, ändert hieran nichts.

c) Hiervon ausgehend hatten beide Beteiligten die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen nach § 1 Abs. 2 StVO zu beachten, die sich nach den konkreten Anforderungen der Verkehrslage und den jeweiligen örtlichen Verhältnissen richten. Diese wurden vorliegend durch die eindeutige Beschilderung („Vorfahrt-gewähren“) aus Fahrtrichtung der Zeugin … seitens des Parkhausbetreibers besonders ausgestaltet bzw. konkretisiert. Die Verwendung von Verkehrszeichen außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs z.B. zur Verkehrsregelung auf privaten Grundstücken ist nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 – I ZB 15/03 -, BPatGE 47, 297). Zwar geht von Ihnen keine bindende Wirkung i.S. einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftung aus. Zivilrechtlich können sie allerdings eine Mithaftung begründen, da ihr Regelungsgehalt jedenfalls im Rahmen des gegenseitigen Rücksichtnahmegebots entsprechend zu beachten ist (vgl. z.B. LG Düsseldorf, Urteil vom 21. August 2014 – 16 O 126/13, juris; AG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2007 – 35 C 6864/07, Schaden-Praxis 2007, 424; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 04. Dezember 2015 – 2 U 326/15; OLG Köln, Urteil vom 23. Juni 1993 – 13 U 59/93, Schaden-Praxis 1994, 178; Freymann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Einleitung – Grundlagen des Straßenverkehrsrechts, Rn. 30; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 39 StVO, Rn. 24). Dementsprechend trifft die Zeugin … vorliegend ein erheblicher Sorgfaltsverstoß, weil sie das aus ihrer Sicht gut erkennbare Verkehrszeichen missachtet und so den Unfall mit dem auf der bevorrechtigten Fahrgasse fahrenden Klägerfahrzeug verursacht hat.

d) Ein Verstoß des Klägers gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO ist demgegenüber nicht feststellbar. Zwar ist es zutreffend, dass der Kläger mit von rechts kommendem Fahrzeugverkehr jederzeit rechnen und sein Fahrverhalten hierauf einstellen musste. Dies gilt umso mehr als er die Zeugin … unstreitig schon vor ihrer Einfahrt in seine Fahrgasse wahrgenommen hatte. Vorliegend ist allerdings nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Zeugin ihr Fahrzeug an der Einmündung zunächst angehalten und so ein Vertrauen des in Kenntnis der örtlichen Verkehrsreglung heranfahrenden Klägers darauf begründet hatte, sie werde sein Vorfahrtsrecht achten. Dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers ist die Zeugin nicht entgegengetreten, sondern ging selbst davon aus, angehalten zu haben (Bl. 102 d.A.). Da vorliegend auch nicht ersichtlich ist, dass die Missachtung der Vorfahrt durch die Zeugin … bereits zu einem Zeitpunkt für den Kläger erkennbar wurde, in dem er die Kollision noch durch ein Ausweichmanöver oder ein Abbremsen hätte vermeiden können, kann ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß des Klägers nicht als erwiesen angesehen werden. So lässt sich auch die Vermutung des Beklagten, der Kläger könne schon deshalb nicht mit angepasster Geschwindigkeit bzw. jederzeit bremsbereit gefahren sein, da es zur Kollision gekommen sei, nicht beweiswürdig nachvollziehen. Der Einholung eines von der Beklagtenseite angebotenen Unfallrekonstruktionsgutachtens bedarf es insoweit nicht, da greifbare Anhaltspunkte dafür fehlen, wann eine entsprechende Reaktionsaufforderung an den Kläger erging.

3. Vor diesem Hintergrund steht im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge dem Sorgfaltsverstoß der Zeugin … lediglich die einfache Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs gegenüber, die hier nicht zurücktritt. Dies käme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Verschulden des Unfallgegners durch besondere Umstände erschwert wäre. Solche Umstände, die das Verschulden der Zeugin … als besonders schwerwiegend erscheinen lassen könnten, liegen hier allerdings nicht vor, zumal die einzuhaltenden Sorgfaltspflichten auf Parkflächen einander angenähert sind (vgl. z.B. Kammer, Urteil vom 3. Juli 2020 – 13 S 41/20 und vom 19. Juli 2013 – 13 S 61/13, zfs 2013, 564, jeweils m.w.N.) und der Kläger die Einmündung ohne eine Rückversicherung, dass die Zeugin … ihn gesehen hatte, passierte. Vor diesem Hintergrund trägt eine Haftungsverteilung von 75% zu 25% zu Lasten des Beklagten den Verursachungsanteilen angemessen Rechnung.“

Erwerb eines neuen Fahrzeugs nach wirtschaftlichem Totalschaden, oder: Ersatzfähige Ausfallzeit

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Und an zweiter Stelle der Bericherstattung heute dann das LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12.2020 – 13 S 82/20.

Gestritten wurde um restliche Nutzungsausfallentschädigung nach einem Verkehrsunfall. Ausweislich eines Schadensgutachtens lag an dem durch den Unfall beschädigten Ford Grand C-Max der Klägerin ein wirtschaftlicher Totalschaden vor (Bruttoreparaturkosten 8.594,51 EUR, Wiederbeschaffungswert 6.150 EUR, Restwert 2.606 EUR). Die Wiederbeschaffungsdauer schätzte der Sachverständige auf 8 Tage. Unter dem 14.09.2019 bestellte die Klägerin einen neuen Dacia Sandero Stepway zu einem Preis von 13.730 EUR mit einer voraussichtlichen Lieferzeit von ca. 3 Wochen. Nachdem es bei der Lieferung zu Verzögerungen kam, entschloss sich die Klägerin ein von der Verkäuferin angebotenes Ersatzfahrzeug gleichen Fahrzeugtyps zu erwerben, welches nach weiteren Verzögerungen am 26.11.2019 auf sie zugelassen werden konnte. Die Beklagte zahlte u.a. ausgehend von einem unstreitigen Tagessatz von 50 EUR an die Klägerin eine Nutzungsausfallentschädigung von 950 EUR (19 Tage).

Mit der Klage hat die Klägerin u.a. restliche Nutzungsausfallentschädigung von 3.000 EUR  begehrt. Das Amtsgericht  ist von einer fiktiven Abrechnung ausgegangen und hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Die hatte keinen Erfolg:

„1. Dem Ansatz des Amtsgerichts, es handele sich vorliegend um eine fiktive Schadensabrechnung, weshalb auf die objektiv erforderliche Nutzungsausfalldauer abzustellen sei, vermag die Kammer allerdings nicht zu folgen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt auch der vorübergehende Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs einen ersatzfähigen Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB dar, wenn der Geschädigte sich für die Zeit des Nutzungsausfalls keinen Ersatzwagen beschafft hat (st. Rspr., vgl. BGHZ 40, 345, 347 ff; 56, 214, 215; BGH, Urteile vom 10.06.2008 – VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198; vom 10.03.2009 – VI ZR 211/08, NJW 2009, 1663 und vom 14.04.2010 – VIII ZR 145/09, VersR 2010, 1463, jeweils m.w.N.). Dieser Nutzungsausfall setzt neben dem Verlust der Gebrauchsmöglichkeit voraus, dass der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis zur Nutzung des Fahrzeugs willens und fähig gewesen wäre (Nutzungswille und hypothetische Nutzungsmöglichkeit; st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18.12.2007 – VI ZR 62/07, VersR 2008, 370, und vom 14.04.2010 aaO, jeweils m.w.N.), und besteht für die erforderliche Ausfallzeit, d.h. für die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 363/11, VersR 2013, 471).

b) Einigkeit besteht, dass diese erforderliche Ausfallzeit grundsätzlich entscheidend durch die Art der vom Geschädigten gewählten Schadensabrechnung beeinflusst wird. Rechnet der Geschädigte seinen Schaden fiktiv ab, kommt es maßgeblich auf die objektiv erforderliche Dauer an (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2003 – VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480 f.; Kammer, Urteil vom 15.05.2015 – 13 S 12/15, NZV 2015, 547 m.w.N.). Rechnet der Unfallgeschädigte seinen Schaden demgegenüber konkret ab, ist Nutzungsausfall grundsätzlich für die gesamte erforderliche Ausfallzeit zu leisten, d.h. für die im konkreten Fall notwendige Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und ggfls. einer angemessenen Überlegungszeit. Auch konkret eingetretene Verzögerungen wie sie etwa durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens entstanden sind, muss der Schädiger jedenfalls im üblichen zeitlichen Rahmen hinnehmen (vgl. Kammer, Urteil vom 23.09.2016 – 13 S 53/16, NJW-RR 2017, 355 für Mietwagenkosten). Denn er trägt im Rahmen des Üblichen grundsätzlich das Risiko, dass sich die Wiederbeschaffung verzögert. Dies gilt regelmäßig auch bei einer zunächst fehlgeschlagenen Ersatzbeschaffung („Prognoserisiko“, vgl. Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 249 BGB Rn. 76 m.w.N.). Eine Grenze besteht jedoch, wenn und soweit sich der Nutzungsausfall verlängert, weil der Geschädigte seiner Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB nicht nachkommt (vgl. Kammer, Urteil vom 10.11.2017 – 13 S 97/17, NJW-RR 2018, 27 m.w.N.).

c) Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung ist vorliegend von einer konkreten Schadensabrechnung auszugehen. Unstreitig hat die Klägerin ein Ersatzfahrzeug zum Preis von 13.730,01 € (brutto) erworben und dies der Beklagten auch mitgeteilt. Weder dass die Klägerin ihrer Schadensabrechnung zunächst das Gutachten des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen … zugrunde gelegt hatte – ein Übergang von fiktiver zu konkreter Schadensabrechnung im Falle einer kostenintensiveren konkreten Ersatzbeschaffung ist jederzeit möglich (vgl. BGH, Urteil vom 02. Oktober 2018 – VI ZR 40/18, NJW-RR 2019, 144) – noch, dass sie ein Neufahrzeug einer anderen Fahrzeugmarke statt eines Gebrauchtwagens der gleichen Marke erworben hat, ändert etwas an ihrer zum Ausdruck gebrachten Entscheidung sowie der Möglichkeit, den Schaden konkret abzurechnen.

2. a) Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Fahrzeugschäden neben der Reparatur der beschädigten Sache nur die Anschaffung einer „gleichwertigen“ oder „gleichartigen“, also vergleichbaren und verfügbaren Ersatzsache als Möglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 02. März 2010 – VI ZR 144/09, NJW 2010, 212 m.w.N.), ist damit nicht gemeint, dass dem Eigentümer eines unfallbeschädigten Gebrauchtwagens die konkrete Ersatzbeschaffung durch Ankauf eines Neuwagens einer anderen Fahrzeugmarke verwehrt ist. „Vergleichbar“ ist im Sinne gleicher Funktionserfüllung, also nicht im engen Sinne eines Fahrzeugs gleichen Alters oder Zustands zu verstehen, weshalb auch die Wiederbeschaffung durch ein Neufahrzeug oder durch Ersatz eines anderen Fahrzeugtyps erfolgen kann (vgl. Freymann, „Fiktive Schadensabrechnung“, Zfs 1/19, S. 4 ff.; Kammerurteil vom 21. Mai 2010 – 13 S 5/10, juris, vgl. auch BGH, Urteil vom 01. März 2005 – VI ZR 91/04 „TDI-Trendline“, Kauf eines teureren Ersatzfahrzeugs anderen Typs).

b) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, welche Art der Ersatzbeschaffung aus wirtschaftlicher Sicht zur Herstellung des früheren Zustands erforderlich war und deshalb als ersatzfähig i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen ist. Übersteigen, wie vorliegend, die Kosten der konkreten Ersatzbeschaffung die in dem Sachverständigengutachten ermittelten Kosten, so ist der Schadensersatzanspruch auch bei konkreter Schadensabrechnung auf den sich aus dem Sachverständigengutachten ergebenden, dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechenden (Brutto-)wert der Wiederherstellung begrenzt. Für den Fall, dass der Geschädigte neben dem Betrag sachverständig ermittelter Reparaturkosten die bei einer tatsächlich vorgenommenen, kostenintensiveren Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer in der Höhe ersetzt verlangt, wie sie bei Durchführung der kostengünstigeren Wiederherstellung im Wege der Reparatur angefallen wäre, hat der Bundesgerichtshof insoweit bereits festgestellt, dass keine unzulässige Kombination von konkreter und fiktiver Abrechnung, sondern eine konkrete Schadensabrechnung auf der Grundlage einer Ersatzbeschaffung vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11, NJW 2013, 1151; Kammer Urteil vom 03. Juli 2020 – 13 S 45/20,NJW-RR 2020, 1423 mwN). Nichts Anderes kann nach Auffassung der Kammer gelten, wenn beim Vorliegen eines wirtschaftlichen Totalschadens eines Gebrauchtwagens der Geschädigte statt eines anderen Gebrauchtfahrzeugs, das in etwa Alter, Laufleistung und Fahrzeugklasse des beschädigten Fahrzeugs entspricht, ein teureres Neufahrzeug erwirbt, sich bei der Schadensabrechnung aber auf den Brutto-Wiederbeschaffungsaufwand laut Gutachten beschränkt.

c) Soweit die erstinstanzliche Entscheidung auf das Urteil der Kammer vom 15. Mai 2015 – 13 S 12/15, NJW-RR 2015, 1437 hinweist, kann dieser weder entnommen werden, dass es sich im Falle einer Ersatzbeschaffung in Form eines Neufahrzeugs anderen Fahrzeugtyps zwangsläufig um eine fiktive Schadensabrechnung handeln muss, noch, dass die Geltendmachung konkreter Verzögerungen im Rahmen der Ersatzbeschaffung zu einer unzulässigen Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung führt.

3. Dies bedeutet für die hier streitgegenständliche Nutzungsausfallentschädigung, dass zwar von einer konkreten Schadensabrechnung auszugehen ist, die ersatzfähige konkrete Nutzungsausfalldauer jedoch begrenzt ist auf die objektiv erforderliche Zeitspanne, welche für die Beschaffung eines nach dem Gutachten als wirtschaftlich vergleichbar anzusehenden Ersatzfahrzeugs erforderlich ist. Denn im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass der Geschädigte unter mehreren möglichen Wegen des Schadensausgleichs im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg zu wählen hat. Das gilt nicht nur für die eigentlichen Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten, sondern gleichermaßen für die Mietwagenkosten und ebenso für die Nutzungsausfallentschädigung. Kauft der Geschädigte also in frei gewählter Abkehr vom Wirtschaftlichkeitsgebot einen höherwertigen Neuwagen, obwohl er nach den Grundsätzen des Schadensrechts nur Anspruch auf die Reparatur oder die Kosten eines Gebrauchtwagens hat, so kann er Nutzungsausfall auch nur bis zu dem Zeitpunkt beanspruchen, der für eine Unfallreparatur oder die Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtwagens angefallen wäre (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Juli 2019 – 5 U 696/19, Rn. 26, juris mwN). Vorliegend hat sich die Klägerin ein Neufahrzeug bestellt, dessen Lieferzeit von vorneherein bereits auf drei Wochen angelegt war. Diese gegenüber der Ersatzbeschaffung eines vergleichbaren Gebrauchtwagens verlängerte Wartezeit kann nicht zu Lasten des Schädigers gehen, weil sie auf der freien Disposition der Geschädigten beruht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 – VI ZR 62/07, NJW 2008, 915). Gleiches muss dann aber auch für Verzögerungen gelten, die sich an diese längere Wartezeit anschließen und zwar unabhängig davon, ob – wie vorliegend nicht – der Klägerin diesbezüglich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht i.S.v. § 254 BGB vorzuwerfen ist.

4. Damit beläuft sich der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung der Klägerin auf die erforderliche Ausfallzeit, d.h. die notwendige Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und gegebenenfalls einer angemessenen Überlegungszeit. Angesichts einer Begutachtungszeit von 4 Tagen (Erhalt des Gutachtens am 13.09.2019), einer gutachterlich ermittelten Wiederbeschaffungsdauer von 8 Kalendertagen sowie einer angemessenen Überlegungszeit ist die seitens der Beklagten bereits erstattete Nutzungsausfalldauer von 19 Tagen jedenfalls nicht zu kurz bemessen. Ein über die bereits geleistete Zahlung von 950 € hinausgehender Zahlungsanspruch besteht daher nicht, so dass die angefochtene Entscheidung im Ergebnis zutreffend ist.“

Verkehrsunfall auf einem BAB-Ausfädelungsstreifen, oder: Wer dort schneller als der übrige Verkehr fährt

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Und als zweite zivilrechtliche Entscheidung dann jetzt das LG Saarbrücken, Urt. v. 22.1.2021 – 13 S 110/20, das sich zur Mithaftung eines Verkehrsteilnehmers nach einem Verkehrunfall äußert, wenn der Verkehrsteilnehmer entgegen § 7a Abs. 3 Satz 1 StVO auf dem Ausfädelungsstreifen einer BAB schneller als der Verkehr auf dem durchgehenden Fahrstreifen fährt.

Folgender Sachverhalt: Der Kläger macht Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 24.4.2018 auf einer BAB in Höhe einer Ausfahrt ereignet hat. Dabei kollidierte der von dem Zeugen pp. gefahrene LKW (pp.) mit dem vom Zeugen pp. gefahrenen, in Belgien zugelassenen Kleinlaster, einem Mercedes Benz Sprinter (pp.). Hierdurch kam es zu einem Schaden am klägerischen Lkw in Höhe der geltend gemachten Forderung. Der Kläger behauptet, der Zeuge pp. sei auf der infolge einer Baustelle auf die rechte Fahrspur verengten Fahrbahn unterwegs gewesen, als ihn das Beklagtenfahrzeug auf dem Standstreifen überholt und gestreift habe. Die Beklagten sind dem entgegengetreten und haben behauptet, der Zeuge pp. habe an der Ausfahrt abbiegen wollen und habe bereits die Ausfädelungsspur befahren, als der Lkw des Klägers auf diese gewechselt und gegen das Beklagtenfahrzeug gestoßen sei.

Das AG hat der Klage nach Beweisaufnahme in hälftiger Höhe stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Eine Haftungsteilung sei veranlasst, weil ein unfallursächliches Verschulden einer der Parteien nicht nachgewiesen sei.

Dagegen die Berufung der Kläger, die teilweise Erfolg hatte:

„1. Zu Recht ist das Erstgericht zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Klägerseite als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und § 6 Abs. 1 Gesetz über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (AuslPflVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und nicht festgestellt werden kann, dass der Unfall für einen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte.

2. Das Erstgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander die Ersatzverpflichtung davon abhängt, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1, 2 StVG).

3. Im Rahmen der danach gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile hat das Erstgericht den Unfallhergang als unaufklärbar und ein Verschulden einer der beteiligten Verkehrsteilnehmer als nicht nachweisbar angesehen. Dies ist nur teilweise zutreffend.

4. Allerdings hat das Erstgericht mit Recht angenommen, dass weder die Unfalldarstellung der Kläger- noch der Beklagtenseite für erwiesen erachtet werden können.

a) In tatsächlicher Hinsicht ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren, rechtlichen und tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (vgl. BGHZ 164, 330, 332 mwN.).

b) Konkrete Anhaltspunkte, die solche Zweifel begründen und eine erneute Feststellung gebieten könnten, liegen nicht vor. In seiner Beweiswürdigung hat sich das Erstgericht vielmehr entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt, ohne gegen Denk- oder Erfahrungsgesetze zu verstoßen. Insbesondere begegnet es keine Bedenken, dass das Erstgericht die Unfalldarstellung des Zeugen pp. nicht als zutreffend angesehen hat. Anders als die Berufung meint, hat der gerichtliche Sachverständige Dipl. Phys. pp. in seinem Gutachten nachvollziehbar und von den Parteien nicht angegriffen ausgeführt, dass die Radandrehpuren am Beklagtenfahrzeug auf eine Fahrlinie des Lkw im Kollisionsmoment nach rechts schließen lassen, weshalb der Lkw sich an der Schadensörtlichkeit nach rechts bewegt und gegen das Beklagtenfahrzeug geraten ist. Soweit die Berufung meint, dies sei Spekulation, weil ebenso denkbar sei, dass der Sprinter nach links gegen den geradeaus fahrenden Lkw gefahren sein könnte, verkennt dies, dass nach der uneingeschränkt nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen die Radandrehspuren am Beklagtenfahrzeug voraussetzen, dass der Reifen des Lkw nach rechts aus dem Radkasten gedreht gewesen sein musste, um einen solchen Abrieb auf dem Beklagtenfahrzeug zu hinterlassen.

c) Dies widerspricht in dem zentralen Punkt der Aussage des Zeugen pp., der eine Bewegung nach rechts im Kollisionsmoment gerade nicht schilderte. Vor diesem Hintergrund ist es unbedenklich, dass die Erstrichterin der Angabe des Zeugen insgesamt, folglich auch der zum Unfallort – nach seiner Darstellung vor dem Ausfädelungsstreifen im Bereich der Standspur – ebenso wenig Glauben geschenkt hat, wie es nicht auszuschließen vermochte, dass der Zeuge pp. auf die Standspur oder den Ausfädelungsstreifen gewechselt ist, ohne die dabei erforderliche Sorgfalt zu beachten. Umgekehrt hat die Erstrichterin allerdings auch zu Recht ein Hinüberfahren auf die Stand- bzw. Ausfädelungsspur als nicht erwiesen angesehen, weil insoweit auch – wie die Berufung mit Recht annimmt – denkbar ist, dass der Lkw zwar nach rechts gelenkt wurde, er die Fahrspur dabei aber nicht verlassen hat.

d) Soweit die Erstrichterin sich auch nicht von der Richtigkeit der Darstellung des Zeugen pp. – der Beifahrer und Zeuge pp. hatte geschlafen und konnte keine Angaben machen – zu überzeugen vermochte, ist dies ebenfalls nachvollziehbar und wird von den Berufungsangriffen noch bestätigt. Allerdings lässt sich auch aus der Angabe des Zeugen pp., er erinnere nicht mehr, ob der Unfall „ein wenig vor dem Abzweig“ eingetreten sei, nicht, jedenfalls nicht zwingend schließen, dass er die Möglichkeit einräume, er sei noch auf der Standspur gewesen. Ebenso gut ist denkbar, dass als Abzweig die eigentliche Abfahrt gemeint ist, die am Ende des Ausfädelungsstreifens abknickt. Damit bleibt offen, ob der Zeuge pp. überhaupt auf dem Standstreifen gefahren ist. Soweit schließlich die Berufung meint, die Beweisaufnahme nach § 363 ZPO vor dem belgischen Amtsgericht sei „irregulär“, vielmehr sei der Zeuge nach entsprechender Ladung vor dem deutschen Gericht unentschuldigt nicht erschienen, verkennt sie, dass nur der der deutschen Gerichtsbarkeit Unterliegende der (deutschen) Zeugnispflicht unterliegt (statt aller: Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl., vor § 373 Rn. 10), mithin ausländische Personen, wie der Zeuge pp., hiervon ausgenommen sind.

5. Verkannt hat das Erstgericht, dass der Zeuge pp. nach dem insoweit unstreitigen Vorbringen sich zunächst bei Beginn der Baustelle, an der die Verkehrsführung auf einen Fahrstreifen verengt war, hinter dem Fahrzeug des Klägers sowie im Zeitpunkt der Kollision gleichauf in Höhe des Lkw befand. Zudem steht ausweislich der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen fest, dass das Beklagtenfahrzeug im Kollisionszeitpunkt schneller als der Lkw des Klägers gefahren sein muss. Daraus folgt, dass der Zeuge pp. auf dem Standstreifen oder auf der Ausfädelungsspur an dem Klägerfahrzeug vorbeigefahren und damit in jedem Fall einen Verkehrsverstoß begangen hat. Denn entweder ist er unter Verstoß gegen das Fahrbahnbenutzungsverbot des § 2 Abs. 1 S. 2 StVO auf der Standspur rechts am klägerischen Lkw vorbeigefahren – da die Standspur als Seitenstreifen gilt, der nicht Teil der Fahrbahn ist, liegt kein Überholen vor (vgl. etwa Freymann in Geigel aaO § 27 Rn. 51, 55, 156 jew. mwN.) – oder er ist entgegen § 7a Abs. 3 Satz 1 StVO auf dem Ausfädelungsstreifen schneller als auf dem durchgehenden Fahrstreifen gefahren. Dieser Verkehrsverstoß ist auch unfallursächlich. Denn ohne eine höhere Geschwindigkeit auf der Standspur oder dem Einfädelungsstreifen wäre das Beklagtenfahrzeug hinter dem Lkw gefahren, so dass ein Ausweichen des Lkw nach rechts – sei es innerhalb der eigenen Fahrspur, sei es bei einem Hinüberfahren auf die danebenliegende Spur – zu keiner Kollision mit dem dahinterfahrenden Beklagtenfahrzeug geführt hätte.

6. Dies hat Folgen für die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotene Haftungsabwägung, weil einem unfallursächlichen Verkehrsverstoß auf Beklagtenseite allein die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs gegenübersteht. Diese tritt angesichts der im Übrigen ungeklärten Umstände nicht zurück und wird von der Kammer mit 25% bewertet. Vor diesem Hintergrund erhöht sich der Haftungsanteil der Beklagten auf 1.416,09 Euro mit der Folge, dass die Beklagte unter Berücksichtigung der erstinstanzlichen Verurteilung weitere 472,03 Euro an den Kläger zu entrichten hat.“