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Problem Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren II, oder: Auslagen nach Einstellung wegen Verjährung

Und als zweite Entscheidung dann der LG Saarbrücken, Beschl. v. 08.02.2022 – 8 Qs 3/22, über den schon der VerkehrsRechtsblog berichtet hat.

Entschieden hat das LG nach Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung. Das AG hatte gem. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von der Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse abgesehen. Das hat das LG anders gesehen – mit Recht:

„1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.

Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 Satz 1 Hs 2 StPO findet vorliegend, da der Beschwerdeführer die Entscheidung in der Hauptsache lediglich in Ermangelung einer eigenen Beschwer nicht anzufechten vermag, keine Anwendung (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 464 Rn. 19 m.w.N.).

2. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Zwar dürfte – was vorliegend keiner abschließenden Entscheidung bedarf – das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen sein, dass der Beschwerdeführer nur deshalb wegen einer Ordnungswidrigkeit nicht verurteilt worden ist, weil ein Verfahrenshindernis besteht und das Gericht daher nach§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO im Rahmen eines ihm eingeräumten Ermessens davon absehen kann, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. zum Streitstand und zu der von der Kammer vertretenen Auffassung die Beschlüsse der Kammer vom 07.11.2017, 8 Qs 121/17, vom 24.11.2017, 8 Qs 133/17 und vom20.05.2019, 8 Qs 44/19).

Allerdings kommt ein Absehen von der Auslagenerstattung nur dann in Betracht, wenn die weiter gebotene Ermessensentscheidung ergibt, dass auf Grund besonderer Umstände die Belastung der Staatskasse ausnahmsweise als grob unbillig erscheint. Da dieses Ermessen erst darin eröffnet ist, wenn das Gericht bereits davon überzeugt ist, dass der Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre, müssen zu dem Verfahrenshindernis als dem alleinigen der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen. Diese Umstände dürfen folglich nicht in der voraussichtlichen Verurteilung des Betroffenen und der ihr zugrunde liegenden Tat gefunden werden (vgl. Gieg in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 467 Rn. 10b mit zahlreichen w.N.). Teilweise wird sogar angenommen, dass Grundlage des Unbilligkeitsurteils immer nur ein hinzutretendes vorwertbares prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen sein kann (vgl. KK-StPO a.a.O.; a.A. Celle StraFo 14, 438).

Vorliegend verhält es sich so, dass der Eintritt der Verfolgungsverjährung allein darauf zurückzuführen ist, dass die Verfahrensakte bei einer Übersendung zwischen den am Verfahren beteiligten Behörden bzw. Gerichten Anfang des Jahres 2020 in Verlust geriet und der Vorgang offenbar erst als Reaktion auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 07.10.2021 wieder rekonstruiert wurde, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits Verjährung eingetreten war. Daher liegt der Eintritt des für die Verfahrensbeendigung maßgeblichen Verfahrenshindernisses allein in Sphäre der Behörden, weshalb es vorliegend nicht grob unbillig erscheint, die notwendigen Auslagen des ehemals Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 467 Rn. 58 m.w.N.; LG Ulm, Beschluss vom 06.11.2020, Az. 2 Qs 46/20 m.w.N.).“

Corona: Ersatz einer Desinfektionspauschale COVID-19, oder: Gemeinkosten des Sachverständigen

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In der zweiten vorösterlichen Entscheidung, dem LG Saarbrücken, Urt. v. 08.04.2022 – 13 S 103/21 -, geht es noch einmal um den Ersatz für die Beschaffung von Desinfektionsmaterial aus Anlass der Corona-Pandemie und der Zeitaufwand für die Desinfektion des Kundenfahrzeugs bei einem Sachverständigen.

Der Kläger hat die Beklagte nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 22.12.2020 ereignet hat, auf restliche Sachverständigenkosten in Anspruch genommen. Die alleinige Haftung der Beklagten steht nicht im Streit. Der Kläger beauftragte ein Sachverständigenbüro mit der Erstattung eines Schadengutachtens. Diesesstellte dem Kläger einen Betrag von 1.266,58 EUR in Rechnung, den die Beklagte vorgerichtlich in Höhe von 1.042,70 EUR regulierte.

Den Rest, darunter eine „Desinfektionspauschale COVID-19“ hat der Kläger mit seiner Klage geltend gemacht. Er hatte keinen Erfolg:

„….

c) Die „Desinfektionspauschale COVID-19″ hat das Erstgericht ebenfalls mit Recht den Gemeinkosten zugeordnet (vgl. AG Saarbrücken, Urteil vom 25. September 2020 – 120 C 279/20 (05) -, juris; AG Völklingen, Urteil vom 13. November 2020 – 16 C 283/20 (11) -, juris; a. A. AG Pinneberg, Urteil vom 03. März 2021 – 62 C 86/20 -, juris). Der Zeuge pp. hat hierzu bekundet, dass Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel benötigt würden und ein höherer Zeitaufwand entstehe. Der Zeitaufwand ist indes grundsätzlich bereits mit dem Grundhonorar abgegolten (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 26. September 2018 – 1 U 14/18 -, juris). Gleiches gilt aber auch für das Hygieneverbrauchsmaterial. Denn die Pauschale betrifft auch insoweit ersichtlich nicht solche tatsächlichen Aufwendungen, die konkret anlässlich des Gutachtenauftrags des Klägers angefallen sind, sondern die von dem konkreten Auftrag unabhängige generelle Beschaffung des Verbrauchsmaterials. Die Berufung führt insoweit selbst aus, dass gerade keine konkrete Abrechnung des verbrauchten Materials erfolgt. Auch das Hygieneverbrauchsmaterial unterfällt daher den Gemeinkosten (vgl. SG Mainz, Beschluss vom 17. September 2020 – S 2 R 250/19 -, juris für einen medizinischen Sachverständigen; s. a. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15. November 2021 – L 2 SB 128/21 B -, juris, dass allerdings einen pauschalierten Ersatz für besondere Aufwendungen nach § 12. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG zuerkennt; ebenso Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 2020 – L 4 SB 122/19 -, juris). Diese Kosten sind daher nicht gesondert neben dem Grundhonorar als Nebenkosten zu vergüten. Ob die Kosten bei der Bemessung des Grundhonorars tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben, ist bei der von dem Schadengutachter gewählten Abrechnung dabei ohne Belang…..“

Kollision bei Vorbeifahrt an parkendem Fahrzeug, oder: Sorgfaltspflicht beim Ein-/Aussteigen

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Urheber Opihuck

Und dann als zweite Entscheidung mal wieder etwas zu einem Verkehrsunfall, und zwar zu einer Kollision während der Vorbeifahrt an einem parkendem Fahrzeug. Dazu verhält sich das LG Saarbrücken, Urt. v. 11.02.2022 – 13 S 135/21.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug eine Einbahnstraße, die als verkehrsberuhigter Bereich i.S.v. § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2.) ausgewiesen war. Linksseitig parkten Fahrzeuge, rechtsseitig stand das bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherte Taxi. Der Erstbeklagte wollte aus dem Taxi aussteigen und öffnete hierzu die hintere linke Tür. In der Folge kam es zur Kollision mit dem Klägerfahrzeug.

Das AG hat der Klage statt gegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Unfall alleine von den Beklagten verschuldet sei. Die Beklagten hätten den gegen sie streitenden Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO nicht zu erschüttern bzw. widerlegen vermocht. Demgegenüber sei ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß der Klägerin nicht bewiesen. Die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs trete hinter den Sorgfaltsverstoß auf Beklagtenseite zurück. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel der Klageabweisung. Die Berufung hatte teilweise Erfolg:

„Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Zutreffend und von der Berufung unbeanstandet hat das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass sowohl die Klägerseite als auch die Zweitbeklagte grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und sich für keinen der beteiligten Fahrer als unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt.

2. Im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander hängt die Ersatzverpflichtung damit davon ab, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1, 2 StVG). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016 – VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 mwN).

3. Entgegen der Berufung hat das Erstgericht auf Beklagtenseite mit Recht einen unfallursächlichen Verstoß berücksichtigt. Dieser ergibt sich hier aber nicht aus § 14 Abs. 1 StVO unmittelbar, sondern aus § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 14 Abs. 1 StVO.

a) Der Unfall hat sich hier in einem verkehrsberuhigten Bereich im Sinne von § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2) ereignet. Nach der Rechtsprechung der Kammer kommt hier wie auf Parkplätzen § 1 Abs. 2 StVO zur Anwendung (vgl. Kammer, Urteil vom 15. Juli 2016 – 13 S 20/16; Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 42 StVO Rdn. 71).

b) Den Aussteigenden trifft aber auch im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO die Pflicht, sich vor dem Türöffnen zu vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer durch das Türöffnen geschädigt wird. Dabei können die strengen Sorgfaltsmaßstäbe, die im fließenden Verkehr gelten, jedenfalls sinngemäß herangezogen werden, sofern sich – wie hier – in einem bestimmten Verkehrsverhalten die besondere Gefährlichkeit gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern niederschlagen kann. Daher hatte der Erstbeklagte beim Türöffnen hier für die gesamte Dauer des Aussteigevorgangs, der erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. BGH, Urteil vom 06. Oktober 2009 – VI ZR 316/08, NJW 2009, 3791), besondere Vorsicht und Achtsamkeit walten zu lassen.

c) Ob wie bei § 14 Abs. 1 StVO ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Türöffnenden eingreift, kann hier offenbleiben. Denn nach den bindenden (§ 529 Abs. 1 ZPO) Feststellungen des Erstgerichts hat der Erstbeklagte zum einen die Tür beim Öffnungsvorgang nicht nur geringfügig, sondern jedenfalls 70-80 cm weit in den durch die Parkposition des Taxis ohnehin verengten Fahrraum geöffnet, wobei nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen das Spurenbild zudem auf einen (weiteren) Öffnungsvorgang während der Vorbeifahrt des Klägerfahrzeugs schließen lässt. Ferner hat der Erstbeklagte selbst angegeben, beim Aussteigen den Blick zu dem rechts neben ihm sitzenden Patienten gerichtet zu haben, anstatt den rückwärtigen Verkehrsraum genau zu beobachten.

d) Der Erstbeklagte hat damit die an ihn gerichteten Sorgfaltsanforderungen schuldhaft verletzt. Er selbst haftet daher aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO, dem grundsätzlich Schutznormcharakter zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 09. Dezember 2014 – VI ZR 155/14, NJW 2015, 1174). Auch die Zweitbeklagte haftet für den durch den Erstbeklagten beim Türöffnen verursachten Schaden (vgl. die Nachweise im Urteil der Kammer vom 20. November 2015 – 13 S 117/15, NJW-RR 2016, 356).

4. Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, auch auf Klägerseite sei ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß zu berücksichtigen.

a) Derjenige, der an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung (§ 1 Abs. 2 StVO) einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Dieser kann nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 10. Juli 2014 – I-19 U 57/14 –, juris). Er muss aber jedenfalls so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1981 – VI ZR 297/79, VersR 1981, 533; OLG Frankfurt NZV 2014, 454). Die Klägerin hat diesen Sorgfaltsanforderungen hier genügt. Nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen ist sie mit einem Abstand von 70-80 cm an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren. Da die Beklagten einen Sorgfaltsverstoß der Klägerin nachzuweisen haben (vgl. OLG Celle, RuS 2019, 286), ist damit ein geringerer Abstand als 80 cm nicht bewiesen. Dieser war hier ausreichend. Konkrete Umstände, die hier einen noch größeren Seitenabstand geboten hätten, sind nicht ersichtlich. Hierfür genügt insbesondere nicht bereits, dass es sich bei dem Beklagtenfahrzeug um ein Taxi handelt und mit dem Aussteigen von Fahrgästen gerechnet werden musste. Denn der Abstand von 80 cm war grundsätzlich ausreichend, um Fahrgästen ein gefahrloses geringes Türöffnen zu ermöglichen.

b) Mit Recht hat das Erstgericht auch keinen sonstigen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO berücksichtigt. Zwar ist die Geschwindigkeit an der Unfallörtlichkeit auf 7 km/h begrenzt (Zeichen 274.1) und die Klägerin nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen jedenfalls mit 20 km/h und damit mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit gefahren. Ein Geschwindigkeitsverstoß darf bei der Haftungsabwägung aber nur Berücksichtigung finden, wenn er sich unfallursächlich ausgewirkt hat (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 28. April 2016 – 4 U 106/15 –, juris). Dies bleibt hier aber nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens – wie auch die Berufung einräumt – gerade offen. Auch ein etwaiger Anscheinsbeweis (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 28. August 2012 – 3 O 250/10 –, juris) ist hier erschüttert, da nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen die ernsthafte Möglichkeit verbleibt, dass die Kollision durch eine (weitere) Türöffnung während der Vorbeifahrt verursacht wurde.

5. Da sich die Sorgfaltspflichten der Unfallbeteiligten hier jeweils nach § 1 Abs. 2 StVO richten und damit einander angenähert sind, und zudem die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung in einem verkehrsberuhigten Bereich die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs objektiv erhöht hat, erscheint es aber angemessen, diese hier nicht vollständig zurücktreten zu lassen, sondern mit 25% in die Haftungsabwägung einzustellen.“

Unfallschaden II: Reparaturauftrag aufgrund eines SV-Gutachtens, oder: Werkstattrisiko

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Saarbrücken, Urt. v. 22.10.2021 – 13 S 69/21 – geht es um überhöhte Reparaturkosten.

Getritten wird um restliche Reparaturkosten aus einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte allein haftet. Der Kläger holte vorgerichtlich ein Schadengutachten ein, das Reparaturkosten in Höhe von 4.163,80 EUR ausweist. Auf Grundlage des Gutachtens ließ der Kläger das Fahrzeug  reparieren, die ihm hierfür mit – bislang nicht beglichener – Rechnung einen Betrag von 4.190,86 EUR Rechnung stellte. Die Beklagte zahlte vorgerichtlich einen Betrag von 3.905,50 EUR.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf restliche Reparaturkosten in Höhe von 285,36 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen in Anspruch. Er hat erstinstanzlich geltend gemacht, die in Rechnung gestellten Reparaturkosten seien zur Schadensbehebung erforderlich. Die Beklagte treffe zudem das Werkstatt- und Prognoserisiko. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die erforderlichen Reparaturkosten beliefen sich lediglich auf 3.905,50 EUR da nicht alle von der Werkstatt vorgenommenen Reparaturmaßnahmen erforderlich gewesen seien. Im Fall einer unbezahlten Rechnung der Reparaturwerkstatt könne sich der Geschädigte nicht auf die subjektbezogene Schadensbetrachtung berufen, ferner trage der Schädiger auch nicht das Werkstattrisiko. Der Kläger könne einen Ausgleich auch nur Zug um Zug gegen Abtretung seiner etwaigen Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt verlangen.

Das AG hat die Beklagte zur Zahlung von 285,36 EUR verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Geschädigte könne im Fall einer tatsächlich durchgeführten Reparatur die Reparaturkosten stets in dem Umfang verlangen, in dem sie angefallen seien. Die durch die Rechnung ausgewiesenen Kosten indizierten deren Erforderlichkeit auch dann, wenn der Geschädigte die Rechnung noch nicht bezahlt habe. Die Indizwirkung ergebe sich bei der konkreten Schadensberechnung alleine daraus, dass die Reparaturarbeiten auf Grundlage eines zuvor erstellten Gutachtens veranlasst worden seien. Die Beklagte treffe auch im Fall einer unbeglichenen Reparaturrechnung das Werkstattrisiko.

Hiergegen richtet sich die vom AG zugelassene Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt und hilfsweise eine Verurteilung Zug um Zug gegen Abtretung der dem Kläger gegenüber der Reparaturwerkstatt zustehenden Schadensersatzansprüche begehrt. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.

In der Sache hatte die Berufung beim AG teilweise Erfolg, aber u.a. nur insoweit als die Beklagte zur Zahlung des begehrten Schadensersatzes nur Zug um Zug gegen Abtretung möglicher gegenüber der Reparaturwerkstatt bestehender Schadensersatzansprüche verlangen kann.

Das LG fasst seine Begründung in folgenden Leitsätzen zu der Entscheidung zusammen:

  1. Hat der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung noch nicht bezahlt, kann der auf Grundlage eines Schadengutachtens erteilte Reparaturauftrag ein Indiz für den erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sein.

  2. Das Prognose- und Werkstattrisiko trifft den Schädiger ab Erteilung des Reparaturauftrags und unabhängig davon, ob der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat.

Vorfahrtsregelung im Parkhaus, oder: Welche Sorgfaltsanforderungen bestehen?

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Die zweite Entscheidung des Tages, das LG Saarbrücken, Urt. v. 23.12.2020 – 13 S 122/20 – ist auch nicht mehr ganz taufrisch, aber heute dann ebenfalls endlich 🙂 .

Entschieden hat das LG über einen Verkehrsunfall in einem Parkhaus. Der Kläger befuhr mit seinem Pkw auf dem 5. Parkdeck die zur Ausfahrt führende Parkgasse. Die Zeugin pp. fuhr mit ihrem Mercedes B 180, auf einer von rechts in die Fahrbahn des Klägers einmündenden Parkgasse. Über der Zufahrt dieser Gasse ist ein Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) angebracht. Als der Kläger die Einmündung passierte und die Zeugin nach rechts in die Fahrbahn des Klägers einbog, kam es zur Kollision. Dabei berührten sich das klägerische Fahrzeug am Kotflügel vorne rechts und das von der Zeugin geführte Fahrzeug am Kotflügel vorne links. Dem Kläger entstand ein Schaden von insgesamt 3.135,59 €, den der Beklagte zu 50 % regulierte.

Der Kläger ist von der vollen Haftung der Beklagten ausgegangen, die Beklagten nur von einem Anteil von 50 %. Sie haben nur in der Höhe reguliert. Der Kläger hat den Rest eingeklagt. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg:

„1. Zutreffend ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG, § 6 Abs. 1 AusPflVG – der beklagte Verein ist nach § 2 Abs. 1 b AuslPflVG an die Stelle des zuständigen Versicherers getreten – einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG darstellte.

a) Unabwendbar nach § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers, die erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinausgehen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NZV 2005, 305) – nicht abgewendet werden kann (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 14 f. m.w.N.). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich dabei nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren.

b) Dem hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Kläger ist es nicht gelungen, den Nachweis der Unabwendbarkeit des Unfalls zu erbringen. Ein umsichtiger und vorausschauender Idealfahrer hätte in der konkreten Verkehrssituation in seine Überlegung mit einbezogen, dass die Zeugin … ihn übersehen oder sich ihm gegenüber vorfahrtberechtigt glauben könnte. Er hätte den Einmündungsbereich daher erst dann passiert, wenn durch Verständigung eindeutig festgestanden hätte, dass die Zeugin ihm die Vorfahrt gewähren würde.

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist die Erstrichterin davon ausgegangen, dass beide Fahrer den Unfall durch einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO verursacht haben. Hiergegen wendet sich die Berufung mit Erfolg.

a) Noch zutreffend hat das Erstgericht die StVO angewandt. Die StVO regelt und lenkt den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, NZV 2012, 394; Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19 mwN). Bei der Eröffnung eines der Allgemeinheit zugänglichen Parkhauses sind diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob die Geltung der StVO durch eine vorhandene Beschilderung ausdrücklich angeordnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1985 – III ZR 53/84, VersR 1985, 835; BGH, Urteil vom 9. März 1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 10; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 21. November 2014 – 13 S 132/14, Zfs 2015, 201).

b) Auch die Annahme der Erstrichterin, § 8 Abs. 1 StVO käme unter den gegebenen Umständen nicht zur Anwendung, begegnet keinen Bedenken. Nach vorherrschender Auffassung, der sich die Kammer in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, ist § 8 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen (bzw. in Parkhäusern) grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn die angelegten Fahrspuren (eindeutig) Straßencharakter haben (vgl. Nachweise im Kammerurteil vom 15. Februar 2019 – 13 S 115/19). Zu bejahen ist ein solcher, wenn durch die bauliche Ausgestaltung oder durch die Fahrbahnmarkierung eine gekennzeichnete Straßen- oder Wegeführung gegeben ist, die der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge dient. Erforderlich ist eine hinreichende Abgrenzung von den Parkboxen. Merkmale für die Abgrenzung sind neben der Markierung auch die Fahrbahnbreite und die Verkehrsführung. Dienen die Fahrspuren nicht dem „fließenden Verkehr“, sondern dem Suchverkehr, ist das Merkmal zu verneinen (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 71). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Erstrichterin den (eindeutigen) Straßencharakter der hier in Rede stehenden Fahrgassen zu Recht verneint. Denn die streitgegenständlichen, zwar durch Markierung von den Parkboxen abgegrenzten Fahrgassen dienen ausweislich der in der Akte befindlichen Lichtbilder in erster Linie der Zufahrt zu weiteren Parkboxen. Dass die Beschilderung und auf der Fahrbahn befindliche Fahrtrichtungspfeile auch auf die Ausfahrt des Parkhauses hinweisen, ändert hieran nichts.

c) Hiervon ausgehend hatten beide Beteiligten die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen nach § 1 Abs. 2 StVO zu beachten, die sich nach den konkreten Anforderungen der Verkehrslage und den jeweiligen örtlichen Verhältnissen richten. Diese wurden vorliegend durch die eindeutige Beschilderung („Vorfahrt-gewähren“) aus Fahrtrichtung der Zeugin … seitens des Parkhausbetreibers besonders ausgestaltet bzw. konkretisiert. Die Verwendung von Verkehrszeichen außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs z.B. zur Verkehrsregelung auf privaten Grundstücken ist nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 – I ZB 15/03 -, BPatGE 47, 297). Zwar geht von Ihnen keine bindende Wirkung i.S. einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftung aus. Zivilrechtlich können sie allerdings eine Mithaftung begründen, da ihr Regelungsgehalt jedenfalls im Rahmen des gegenseitigen Rücksichtnahmegebots entsprechend zu beachten ist (vgl. z.B. LG Düsseldorf, Urteil vom 21. August 2014 – 16 O 126/13, juris; AG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2007 – 35 C 6864/07, Schaden-Praxis 2007, 424; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 04. Dezember 2015 – 2 U 326/15; OLG Köln, Urteil vom 23. Juni 1993 – 13 U 59/93, Schaden-Praxis 1994, 178; Freymann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Einleitung – Grundlagen des Straßenverkehrsrechts, Rn. 30; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 39 StVO, Rn. 24). Dementsprechend trifft die Zeugin … vorliegend ein erheblicher Sorgfaltsverstoß, weil sie das aus ihrer Sicht gut erkennbare Verkehrszeichen missachtet und so den Unfall mit dem auf der bevorrechtigten Fahrgasse fahrenden Klägerfahrzeug verursacht hat.

d) Ein Verstoß des Klägers gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO ist demgegenüber nicht feststellbar. Zwar ist es zutreffend, dass der Kläger mit von rechts kommendem Fahrzeugverkehr jederzeit rechnen und sein Fahrverhalten hierauf einstellen musste. Dies gilt umso mehr als er die Zeugin … unstreitig schon vor ihrer Einfahrt in seine Fahrgasse wahrgenommen hatte. Vorliegend ist allerdings nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Zeugin ihr Fahrzeug an der Einmündung zunächst angehalten und so ein Vertrauen des in Kenntnis der örtlichen Verkehrsreglung heranfahrenden Klägers darauf begründet hatte, sie werde sein Vorfahrtsrecht achten. Dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers ist die Zeugin nicht entgegengetreten, sondern ging selbst davon aus, angehalten zu haben (Bl. 102 d.A.). Da vorliegend auch nicht ersichtlich ist, dass die Missachtung der Vorfahrt durch die Zeugin … bereits zu einem Zeitpunkt für den Kläger erkennbar wurde, in dem er die Kollision noch durch ein Ausweichmanöver oder ein Abbremsen hätte vermeiden können, kann ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß des Klägers nicht als erwiesen angesehen werden. So lässt sich auch die Vermutung des Beklagten, der Kläger könne schon deshalb nicht mit angepasster Geschwindigkeit bzw. jederzeit bremsbereit gefahren sein, da es zur Kollision gekommen sei, nicht beweiswürdig nachvollziehen. Der Einholung eines von der Beklagtenseite angebotenen Unfallrekonstruktionsgutachtens bedarf es insoweit nicht, da greifbare Anhaltspunkte dafür fehlen, wann eine entsprechende Reaktionsaufforderung an den Kläger erging.

3. Vor diesem Hintergrund steht im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge dem Sorgfaltsverstoß der Zeugin … lediglich die einfache Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs gegenüber, die hier nicht zurücktritt. Dies käme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Verschulden des Unfallgegners durch besondere Umstände erschwert wäre. Solche Umstände, die das Verschulden der Zeugin … als besonders schwerwiegend erscheinen lassen könnten, liegen hier allerdings nicht vor, zumal die einzuhaltenden Sorgfaltspflichten auf Parkflächen einander angenähert sind (vgl. z.B. Kammer, Urteil vom 3. Juli 2020 – 13 S 41/20 und vom 19. Juli 2013 – 13 S 61/13, zfs 2013, 564, jeweils m.w.N.) und der Kläger die Einmündung ohne eine Rückversicherung, dass die Zeugin … ihn gesehen hatte, passierte. Vor diesem Hintergrund trägt eine Haftungsverteilung von 75% zu 25% zu Lasten des Beklagten den Verursachungsanteilen angemessen Rechnung.“