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Abbiegeunfall im Einmündungsbereich einer Straßenkreuzung, oder: Haftungsverteilung

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Im „Kessel Buntes“ habe ich dann heute mal wieder zwei Entscheidungen zu Verkehrsunfällen. Die erste, das LG Saarbrücken, Urt. v. 03.07.2020 – 13 S 34/20 -, befasst sich mit mit der Haftungsverteilung bei einer Kollision im Einmündungsbereich einer Straßenkreuzung.

Das LG geht von folgendem Sachverhalt aus

„Die Klägerin befuhr mit dem bei der Drittwiderbeklagten haftpflichtversicherten Opel Agila 1,2 (amtl. Kennz. pp.) die pp., in die sie unmittelbar zuvor aus der pp. von pp. kommend mit einer Wendung abgebogen war und beabsichtigte, nach links wieder in die bevorrechtigte pp. (Zeichen 205 StVO) in Richtung … zurück einzubiegen. Der Erstbeklagte befuhr mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten 1er BMW (amtl. Kennz. pp.) die pp. aus pp. kommend und hielt im Bereich einer unmittelbar vor der Einmündung … rechtsseitig gelegenen Bushaltestelle an, weil er einen Kollegen zusteigen lassen wollte. Er hupte kurz, da er glaubte, den Mitfahrer am gegenüberliegenden Straßenrand erkannt zu haben. Als sich dies als Irrtum erwies, setzte er seine Fahrt auf der pp. fort, woraufhin es zur Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin kam, die mit dem Einbiegen in die pp. begonnen hatte. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Die Klägerin nahm insoweit ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch. Die Zweitbeklagte zahlte die geltend gemachte Selbstbeteiligung von 300 € vollumfänglich und auf die Auslagenpauschale unter Zugrundelegung eines eigenen Mithaftungsanteils von 1/3 8,67 €.“

Die Klägerin ist dann von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen, die Beklagetn von einer der Klägerin, sie haben Widerklage erhoben. Das AG hat „halbe/halbe“ gemacht Hiergegen wenden sich die Klägerin und die Beklagten mit Berufung und Anschlussberufung unter Weiterverfolgung ihrer erstinstanzlichen Ziele.

Das LG verteilt die Haftung 30 % zu 70 % zu Lasten der Beklagten:

„2. Nicht zu folgen vermag die Kammer der angefochtenen Entscheidung, soweit der Erstrichter in die gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Haftungsabwägung einen unfallursächlichen Verstoß der Klägerin gegen § 8 StVO (Vorfahrt) eingestellt hat.

a) Nach ständiger Rechtsprechung bei der Ausgleichspflicht mehrerer Unfallbeteiligter dürfen gemäß § 17 StVG nur erwiesene Umstände herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1956 – VI ZR 162/55, VersR 1956, 732; vom 22. November 1960 – VI ZR 23/60, VersR 1961, 69; vom 10. Januar 1995 – VI ZR 247/94, VersR 1995, 357 m.w.N.), wobei nach allgemeinen Beweisgrundsätzen jeweils der eine Halter die Umstände zu beweisen hat, die dem anderen zum Nachteil gereichen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1990 – VI ZR 319/89, VersR 1990, 1406, 1407; OLG Frankfurt VersR 1981, 841). Der Vorfahrtberechtigte, der sich auf einen Vorfahrtsverstoß beruft, hat daher grundsätzlich nachzuweisen, dass er für den Wartepflichtigen erkennbar war. Denn der Wartepflichtige hat das Vorfahrtsrecht eines herannahenden Verkehrsteilnehmers nur dann zu beachten, wenn das bevorrechtigte Fahrzeug in dem Augenblick, in dem der Wartepflichtige mit dem Einfahren beginnt, bereits sichtbar ist. Die bloße Möglichkeit, dass auf der Vorfahrtstraße ein Kraftfahrzeug herannahen könnte, löst noch keine Wartepflicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1994 – VI ZR 285/92, DAR 1994, 195; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Februar 2015 – I-1 U 41/14; LG Osnabrück, Urteil vom 14. März 2018 – 1 S 335/17, RuS 2018, 498).

b) Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einem Zusammenstoß eines bevorrechtigten Fahrzeugs mit einem wartepflichtigen Fahrzeug im Vorfahrtsbereich grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche Vorfahrtsverletzung durch den Wartepflichtigen spricht (BGH, st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 15.06.1982 – VI ZR 119/81, VersR 1982, 903 m.w.N.; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 28.03.2014 – 13 S 196/13, Zfs 2014, 446 m.w.N.; Urteil vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, NJW-RR 2016, 1307 m.w.N.). Das „Kerngeschehen“ (hier einer Vorfahrtssituation) als solches ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13. Dezember 2016 – VI ZR 32/16, NJW 2017, 1177 m.w.N. zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises am Beispiel des Auffahrunfalls) als Grundlage eines Anscheinsbeweises allerdings dann nicht ausreichend, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (vgl. BGH a.a.O., NJW 2017, 1177).

c) Zweifelsohne wies vorliegend das Verkehrszeichen Nr. 205 (Vorfahrt achten) den aus der … kommenden Verkehr – und damit grundsätzlich auch die Klägerin – auf die Bevorrechtigung der die … befahrenden Verkehrsteilnehmer, wie den Erstbeklagten, hin. Besondere Bedeutung erlangt hier allerdings der Umstand, dass der Erstbeklagte nach übereinstimmender Darstellung der unfallbeteiligten Parteien sein Fahrzeug vorkollisionär in der unmittelbar vor dem Einmündungsbereich am rechten Fahrbahnrand befindlichen Bushaltestelle zum Stehen gebracht hatte und kurz vor dem Unfall von dort in die … eingefahren war. Nach den Ermittlungen des Sachverständigen … ist der Erstbeklagte – ausgehend von einer mittleren Anfahrgeschwindigkeit – auch bei einer für ihn günstigen Betrachtungsweise erst in einer Entfernung von ca. 16 m zu dem übereinstimmend in der Fahrbahnmitte der … angegebenen Kollisionsort auf die Fahrbahn eingefahren (vgl. Bl. 263, 284, 285 d.A.). Dies steht auch in Einklang mit seinem schriftsätzlichen Vortrag, er habe von der Bushaltstelle aus eine Wegstrecke von ca. 15 m zurückgelegt, als die Klägerin in die … eingefahren und es zur Kollision gekommen sei (Bl. 29 d.A.). Damit befand sich der Erstbeklagte allerdings bei Einfahrt in die … in einer Distanz zum Einmündungsbereich, innerhalb derer noch nicht sicher von einer Wiedereingliederung in den fließenden und damit bevorrechtigten Verkehr ausgegangen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2007 – VI ZR 8/07, NJW 2008, 1305 zur Einfahrt aus einem verkehrsberuhigten Bereich in einer Entfernung von bis zu 30 m vor der Kreuzung). Hinzu kommt, dass sich nach den Feststellungen des Sachverständigen vorliegend die Darstellung der Klägerin, beide Fahrzeuge seien zeitgleich losgefahren, nicht widerlegen lässt. Daher kommt hier die ernsthafte Möglichkeit in Betracht, dass die Absicht des Erstbeklagten, in die … einzubiegen – ob er den Blinker betätigt hatte, steht ebenfalls nicht fest –, jedenfalls zum Zeitpunkt des Anfahrens der Klägerin für diese noch nicht erkennbar war. Damit fehlt dem zu beurteilenden Sachverhalt die für die Annahme eines gegen die Klägerin sprechenden Anscheinsbeweises erforderliche Typizität, ohne dass einer abschließenden Klärung bedürfte, ob die Vorfahrtsregelung des § 8 StVO in derartigen Konstellationen in einem Konkurrenzverhältnis zu der Vorfahrtsregelung des § 10 StVO steht (vgl. BGH, a.a.O., NJW 2008, 1305) oder beide Sorgfaltspflichten wechselseitig zur Anwendung kommen können (so wohl LG Kiel, Urteil vom 26. Februar 2019 – 1 S 67/18, NZV 2019, 370).

1. Die Klägerin trifft vorliegend allerdings ein nicht unerheblicher Sorgfaltsverstoß nach § 1 Abs. 2 StVO. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen hätte sie auch dann, wenn beide Fahrzeuge nahezu gleichzeitig angefahren wären, bei aufmerksamer Fahrweise und ausreichender Blickzuwendung das Einfahren des Erstbeklagten auf die … unmittelbar nach Beginn ihres eigenen Einfahrvorgangs erkennen und diesen noch unfallvermeidend wieder abbrechen können (Bl. 281, 283 d.A.). Die Klägerin selbst hatte insoweit erstinstanzlich eingeräumt, das in Kreuzungsnähe haltende Fahrzeug des Erstbeklagten – in welcher Entfernung und ob innerhalb der Bushaltestelle oder auf der Fahrbahn vermochte sie nicht mehr sicher zu sagen – erkannt zu haben und sich sodann auf ein Hupsignal (sowie ein nicht bestätigtes Aufblenden) des Erstbeklagten als Fahraufforderung verlassen zu haben. Demgegenüber wäre bei der gebotenen aufmerksamen Blickzuwendung auch während des Einfahrvorgangs eine gefahrvermeidende Reaktion der Klägerin auf das Anfahren des Beklagtenfahrzeugs möglich gewesen.

Nichts Anderes gilt diesbezüglich im Übrigen auch, wenn man die Unfallversion des Zeugen – Fahrzeug des Erstbeklagten hielt auf der Straße, Klägerin bereits angefahren, als Erstbeklagter anfuhr – zugrunde legen würde. Denn wie die Simulation des Sachverständigen pp. zeigt, wäre selbst dann wenn das Klägerfahrzeug bis etwa 1 Sekunde vor dem Beklagtenfahrzeug angefahren wäre, dessen Anfahrvorgang für die Klägerin erkennbar gewesen, zumal diese sich zu diesem Zeitpunkt maximal mit der linken Vorbauecke in die Fahrbahn der pp. hineinbewegt hatte (Bl. 242). Ohnehin wäre eine gesteigerte Aufmerksamkeit der Klägerin schon deshalb zu fordern gewesen, da sich das Beklagtenfahrzeug bei dieser Unfallvariante von Beginn an unübersehbar auf der Fahrbahn selbst in unmittelbarer Nähe zum streitgegenständlichen Einmündungsbereich und damit bereits innerhalb des Gefahrenbereiches befunden hätte.

2. Zu Recht hat der Erstrichter weiterhin einen Verstoß des Erstbeklagten gegen § 10 S. 1 StVO bejaht, wonach ein vom Fahrbahnrand oder einem anderen Straßenteil Anfahrender die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen hat. Wie der Bundesgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung klargestellt hat, ist als „anderer Verkehrsteilnehmer“ jede Person anzusehen, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Darunter fällt zwar „primär“ und „insbesondere“, aber nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße. Erfasst werden auch andere auf die Straße einfahrende oder am Straßenrand anfahrende Kraftfahrzeuge (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – VI ZR 231/17). Den vom Fahrbahnrand Anfahrenden trifft insoweit der Beweis des ersten Anscheins, wenn es – wie hier – im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Anfahren zu einem Unfall mit dem fließenden Verkehr kommt (vgl. Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 10 StVO, Rn. 60 m.w.N.). Dass der Erstbeklagte bis zum Kollisionspunkt bereits einige Meter auf der … zurückgelegt hatte, ändert hieran grundsätzlich nichts. Denn die Wiedereingliederung des Fahrzeuges in den fließenden Verkehr ist erst dann abgeschlossen, wenn jede Auswirkung des Anfahrvorganges auf das weitere Verkehrsgeschehen ausgeschlossen ist, und sich gerade nicht die typische Gefahr verwirklicht, dass andere Verkehrsteilnehmer sich noch nicht auf das Hineinbegeben des Fahrzeuges in den fließenden Verkehr eingestellt haben (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27. März 2015 – I-11 U 44/14, juris). Dies ist vorliegend aber gerade der Fall. Insbesondere haben die für eine etwaige fehlende Typizität des Sachverhalts beweisbelasteten Beklagten – anders als in dem der Kammerentscheidung vom 19.05.2017 – 13 S 4/17, DAR 2017, 470, zugrundeliegenden Sachverhalt – hier nicht nachzuweisen vermocht, dass der Anfahrvorgang des Erstbeklagten für die in der untergeordneten … stehende Klägerin vor Einleitung ihres eigenen Abbiegemanövers erkennbar war. Vielmehr verbleibt nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen … hier gerade die Möglichkeit, dass beide Fahrzeuge zeitgleich anfuhren, so dass der Erstbeklagte der Klägerin gegenüber die höchstmögliche Sorgfalt zu beachten hatte.
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3. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge die Annahme einer Haftungsverteilung von 30 % zu 70 % zu Lasten der Beklagtenseite. Dies trägt dem Gewicht des Verstoßes gegen die höchstmögliche Sorgfaltspflicht beim Anfahren nach § 10 S. 1 StVO einerseits sowie der Missachtung des Rücksichtnahmegebots andererseits angemessen Rechnung. Soweit der Erstbeklagte unter Verstoß gegen § 16 Abs. 1 StVO ein Hupsignal abgegeben und die Klägerin dieses entgegen § 16 Abs. 1 StVO (reines Warnzeichen) unzutreffend als Fahraufforderung gedeutet hat, erhöht sich die Betriebsgefahr auf beiden Seiten gleichermaßen.“

Unfallschadenregulierung, oder: Ersatzbeschaffung durch Leasing

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Und die zweite Entscheidung dann vom LG Saarbrücken. Das hat im LG Saarbrücken, Urt. v.  03.07.2020 – 13 S 45/20 – zur Ersatzbeschaffung im Rahmen der Unfallschadenregulierung Stellung genommen. Dabei geht es um fiktive und konkrete Schadensabrechnung.

Der Leitsatz:

„Der Geschädigte ist nicht auf eine bestimmte Rechtsform der Ersatzbeschaffung, typischerweise den Kauf, beschränkt. Least er ein Ersatzfahrzeug, kann er die Leasingsonderzahlung einschließlich gesetzlicher Umsatzsteuer bis zur Höhe des zur Wiederherstellung erforderlichen niedrigeren Bruttoreparaturaufwands im Wege der konkreten Schadensabrechnung ersetzt verlangen.“

Das LG hat die Revisoin zugelassen:

„Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Ob in Fällen, in denen der Geschädigte neben dem Betrag sachverständig ermittelter Reparaturkosten die bei einer tatsächlich vorgenommenen, kostenintensiveren Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer in der Höhe ersetzt verlangt, wie sie bei Durchführung der kostengünstigeren Wiederherstellung im Wege der Reparatur angefallen wäre, eine unzulässige Kombination von konkreter und fiktiver Abrechnung vorliegt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch nicht abschließend entschieden (bejahend: BGH, Urteil vom 22. September 2009 – VI ZR 312/08; a.A. BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11). Ebenso wenig ist bislang abschließend entschieden, ob die Anschaffung eines Fahrzeugs im Wege des Leasings eine zum Ersatz berechtigende Form der Ersatzbeschaffung darstellt. Es ist zu erwarten, dass beide Fragestellungen in einer Vielzahl weiterer Fälle auftreten werden. Eine grundsätzliche Klärung erscheint deshalb, auch im Hinblick auf die Bedeutung dieses Problemkreises für den Rechtsverkehr, geboten.“

Zusätzliche VG im Rechtbeschwerdeverfahren, oder: Nicht bei Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG

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Heute ist dann „Gebührentag“. Und den eröffne ich mit dem LG Saarbrücken, Beschl. v. 29.06.2020 – 8 Qs 69/20. Es geht um das Erstehen der Nr. 5115 VV RVG. Die Kollegin Zimmer-Gratz, die mir den Beschluss geschickt hat, hat die Betroffene im Bußgeldverfahren verteidigt. Sie hat nach Einstellung des Verfahrens durch das OLG Saarbrücken im Hinblick auf die Rohmessdatenentscheidung des VerfGH Saarland nach § 47 Abs. 2 OWiG im Rechtsbeschwerdezulassungsverfahren auch die Festsetzung der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG beantragt. Die hat das AG nicht festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

„b) Sofern die Verteidigerin die „Befriedungsgebühr“ Nr. 5115 RVG VV (gestützt auf Abs. 1 Nr. 1) beantragt, schließt sich die Kammer der Stellungnahme der Bezirksrevisorin und der dort in Bezug genommenen Rechtsprechung der 2. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken (Beschluss vom 18.03.2015, 2 Qs 16 / 15, vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht vom 02.06.2006, 1 Ws 58/06 m.w.N,) an. Die Voraussetzungen der Nr. 5115 RVG VV, wonach eine zusätzliche Gebühr entsteht, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird, liegen nicht vor.

Sinn der eine Erfolgsgebühr regelnden Vorschrift ist es, den Rechtsanwalt zu belohnen, der an einer Verfahrensbeendigung ohne Hauptverhandlung mitwirkt und einer Terminsgebühr verlustig geht (Krumm in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, Rn. 1; AG Bad Kreuznach, AGS 2017, 322). Nach der Ratio ist der Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 RVG-VV (ebenso wie bei Nr. 4141 RVG-VV) deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrenserledigung konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre (OLG Rostock, Beschluss vom 06. März 2012 – 1 Ws 62/12).

Dass eine Hauptverhandlung vorliegend im Zulassungsverfahren durch die Mitwirkung der Verteidigerin entbehrlich wurde, ist jedoch fernliegend. Denn eine Hauptverhandlung über den Zulassungsantrag findet nicht statt (Hadamitzky in KK-OWiG, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 54). Die Anberaumung einer Hauptverhandlung vor Zulassung der Rechtsbeschwerde ist vielmehr nicht statthaft, da die Hauptverhandlung über die Rechtsbeschwerde nur stattfinden kann, nachdem ihre Zulässigkeit bejaht worden ist, was vorliegend nicht erfolgt war. Dass – wie die Verteidigerin meint -ausnahmsweise eine zeitlich nach dem Zulassungsverfahren liegende Hauptverhandlung, etwa „eine Hauptverhandlung über eine Divergenzvorlage (§ 121 Abs. 2 GVG) vor dem Bundesgerichtshof‘ (vgl. zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Divergenzvorlage zuletzt Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 06. April 2020 – 1 SsRs 10/20 sowie Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom selben Tag – 201 ObOWi 291/20) stattfinden kann, ist eine rein spekulative, rechtstheoretische Betrachtung und alles andere als wahrscheinlich.

c) Da hiernach schon keine Hauptverhandlung durch die Verfahrensbeendigung entbehrlich wurde, kann daher offenbleiben, ob die Verteidigerin einen die Befriedigungsgebühr auslösenden Beitrag im Sinne der RVG-VV 5115 im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens entfaltet hat. Denn nach RVG-VV 5115 ist erforderlich, dass „durch die anwaltliche Mitwirkung“ eine Hauptverhandlung entbehrlich wird.

Denn die Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG im Rechtsmittelverfahren erfolgte ausschließlich auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch das Saarländische Oberlandesgericht von Amts wegen (vgl. AG Viechtach, Beschluss vom 18. Januar 2006 – 7 II OWi 00029/06) in Folge einer Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs in dem Verfahren Lv 7/17. Der Verteidigerin, die eine solche Einstellung im Verfahren nach Aktenlage auch nicht angeregt hatte, wurde zwar vor der Einstellung rechtliches Gehör gewährt (BI. 240 d.A.), wobei sie mitteilte, dass sie sich dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft anschließe („schließe ich mich dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft an“). In dieser nicht konstitutiv wirkenden Zustimmung zur Einstellung eine die Gebühr RVG VV 5115 auslösende Tätigkeit zu erblicken, könnte bereits deshalb nicht gerechtfertigt sein, da § 47 Abs. 2 OWiG gerade kein Zustimmungserfordernis des Betroffenen (und auch nicht des Verteidigers) vorsieht und nicht einmal die Opportunitätseinstellungen nach § 153 Abs. 2, § 153a Abs. 1, Abs. 2 StPO eine hier ausschließlich erfolgte Zustimmung des Verteidigers, sondern eine solche des Beschuldigten, vorsehen. Dass eine gesetzlich nicht geforderte, nicht konstitutiv wirkende und zudem im eigenen Namen abgegebene „Zustimmung“ zu der Einstellung aus Opportunitätsgründen die Gebühr auslösen soll, könnte daher auch als keine die Befriedigungsgebühr auslösende Beteiligung gewertet werden, bei welcher eine Hauptverhandlung nicht „durch die anwaltliche Mitwirkung“ sondern allein von Amts wegen obsolet wurde (vgl. AG Bad Kreuznach, a.a.O.: „Der Erfolg muss […] gerade durch die Mitwirkung des Verteidigers eingetreten sein. Der Verteidiger soll für eine Mitwirkung an der Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens gesondert honoriert werden [Nachweis] nicht aber für eine dem Betroffenen besonders günstige Verteidigungsstrategie.“),

Nun ja, wenn man den ganzen Beschluss liest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man über den Erfolg der Verfassungsbeschwerde „not so amused“ ist. Und jetzt bloß nicht auch noch zuästzliche Gebühren usw.

„Verkehrsunfall“, oder: Haftungsausschluss für den Eigenschaden

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Es ist Samstag und damit „Kessel Buntes Tag“. Und an dem stelle ich heute zunächst das LG Saarbrücken, Urt. v. 03.04.2020 – 13 S 169/19 – vor.

Zu entscheiden war folgendes Sachverhalt:

„Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 2.8.2018 auf dem Parkplatz einer Arztpraxis in der pp. in pp. ereignete. Zu dem Unfall kam es, als der Kläger das Fahrzeug des Zweitbeklagten, das behindertengerecht umgebaut ist und bei dem Gas- und Bremsfunktion im Handbetrieb erfolgt, rückwärts aus einer abschüssigen Parklücke ausparken wollte, um dem Zweitbeklagten, der auf den Rollstuhl angewiesen ist, das Einsteigen in sein Fahrzeug zu ermöglichen. Dabei verlor der Kläger die Kontrolle über das Fahrzeug und beschädigte unter anderem sein eigenes, ebenfalls auf dem Parkplatz abgestelltes Fahrzeug. Den an seinem Fahrzeug entstandenen Gesamtschaden verlangt der Kläger ersetzt mit der Behauptung, er habe den Zweitbeklagten gebeten, ihm die Bedienung des umgebauten Fahrzeugs zu erklären, was dieser fehlerhaft durchgeführt habe. Nachdem er auf Anweisung des Zweitbeklagten den Handbremsknopf gelöst habe, sei das Fahrzeug sofort rückwärts losgefahren………………..

Das Amtsgericht hat der Klage nach Anhörung der Unfallbeteiligten in hälftiger Höhe von 1.528,37 Euro nebst Zinsen und entsprechend reduzierten vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben. Der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG komme nur zur Anwendung, wenn Rechtsgüter freiwillig und bewusst in den Gefahrenbereich eingebracht worden seien. Schäden, die nur zufällig an eigenen Rechtsgütern eingetreten seien, seien davon nicht erfasst. Allerdings treffe den Kläger eine Mithaftung, die das Gericht mit ½ bewertet hat.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgen. Sie sind der Auffassung, § 8 Nr. 2 StVG sei einschlägig, jedenfalls aber hafte der Kläger aus Verschulden für den Schaden allein. Überdies sei ein Direktanspruch gegen die erstbeklagte Versicherung ausgeschlossen, weil die Haftung nach § 3 Abs. 1 PflVG nicht eingreife, wenn Schädiger und Geschädigter identische Personen seien. Schließlich habe das Erstgericht Verteidigungsvorbringen der Beklagtenseite übergangen……“

Dazu das LG:

„Berufung und Anschlussberufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg, während die Anschlussberufung zurückzuweisen war.

1. Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Haftung des Zweitbeklagten als Halter des unfallverursachenden Fahrzeugs nach § 7 Abs. 1 StVO grundsätzlich vorliegen, weil der Unfallschaden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden und der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist.

2. Soweit das Amtsgericht meint, ein Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG greife vorliegend nicht ein, folgt dem die Kammer nicht.

a) Nach dieser Vorschrift ist die Haftung nach § 7 ff. StVG ausgeschlossen, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Erfasst werden davon Personen, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zum Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit, auch wenn sie nur aus Gefälligkeit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1953 – VI ZR 131/52, NJW 1954, 393; Urteil vom 5. Oktober 2010 – VI ZR 286/09, NJW 2011, 292 mwN). Auch wenn die Vorschrift als Ausnahmevorschrift grundsätzlich eng auszulegen ist (BGH Urt. v. 5. Oktober 2010 aaO), besteht kein Zweifel daran, dass derjenige, der das Fahrzeug – wie hier der Kläger – führt, bei dessen Betrieb tätig war und daher § 8 Nr. 2 StVG unterfällt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 223/87, VersR 1989, 54; Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 8 StVG Rn 17 mwN).

b) Der Kläger war hier auch Verletzter i.S.d. Vorschrift. Nach dem Wortlaut der Vorschrift wird zwischen Personen- und Sachschaden nicht unterschieden. Die Verletzung beschränkt sich daher nicht auf das Erleiden eines Personenschadens (so aber noch Müller, Straßenverkehrsrecht Bd. I, 21. Aufl., § 8 StVG Rn. 8), sondern erfasst grundsätzlich auch sonstige Eigen(sach)schäden des bei dem Betrieb Tätigen (BGHZ 116, 200 mwN). Weil Sinn und Zweck des gesetzlichen Haftungsausschlusses jedoch darin bestehen, dass der erhöhte Schutz des Gesetzes demjenigen nicht zuteilwerden soll, der sich durch seine Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs freiwillig aussetzt (BGH Urt. v. 5. Oktober 2010 aaO mwN), wird in der Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, der Haftungsausschluss erfasse die Schädigung nur solcher eigener Sachen, die infolge der Betriebstätigkeit in den Gefahrenkreis des Kraftfahrzeugs geraten und dabei beschädigt worden sind. Eigene Gegenstände, die – wie hier das Kfz des Klägers – nicht freiwillig und bewusst den besonderen Gefahren des Betriebes des geführten Fahrzeuges ausgesetzt worden sind, sondern bei dem Betrieb keine Rolle spielen und hier nur zufällig geschädigt wurden, sollen demgegenüber von der Gefährdungshaftung ausgenommen sein (OLG München VersR 1980, 52; LG München I NZV 1999, 516; LG Dortmund, Urteil vom 28. September 2006 – 4 S 23/06 –, juris; AG Darmstadt NZV 2002, 568; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, § 19 Rn. 10; König in Hentschel ua, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 8 StVG Rn. 4; Hohloch VersR 1978, 19; Greger NZV 1988, 108 mwN).

c) Die Gegenauffassung (OLG Hamm NZV 1997, 42; OLG Nürnberg VersR 2004, 905; LG Freiburg VersR 1977, 749; Kaufmann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 25 Rn. 290; Kunschert NZV 1989, 62 und 1999, 516) differenziert hingegen nicht nach der Art des Eigenschadens. Dem schließt sich die Kammer an. Insbesondere ergibt sich aus dem Schutzzweck der Vorschrift kein Anlass zu einer teleologischen Reduktion des Wortlauts. Die der Norm zugrundeliegende Erwägung, das Schutzbedürfnis der Personen, die sich freiwillig in Gefahr begeben, als geringer einzustufen (RG JW 1937, 1769; Greger/Zwickel aaO Rn. 9), betrifft unbeschränkt alle Gefahren, der sich der bei dem Betrieb Tätige aussetzt. Dies betrifft zwar in erster Linie die Gefahr, bei einem Unfall mit dem Fahrzeug eine eigene Gesundheitsverletzung zu erleiden, umfasst daneben aber auch die Gefahr, durch den nicht immer beherrschbaren Betrieb des Fahrzeugs einen Unfall zu verursachen und hierbei Rechtsgüter anderer Art zu verletzen. Die Beschädigung eigener Rechtsgüter, gleich ob sie bestimmungsgemäß oder zufällig in den Gefahrenkreis des Betriebs geraten sind, ist daher stets eine Folge davon, dass der bei dem Betrieb Tätige Einfluss auf den Betrieb genommen hat. Dem entspricht es, den Kreis der bei dem Betrieb Tätigen mit Blick auf den Charakter als Ausnahmevorschrift eng zu ziehen und nur solche Personen einzubeziehen, die in irgendeiner Form Einfluss auf den Betrieb des Fahrzeugs ausüben oder in anderer Weise Verantwortung für den Betrieb übernommen haben (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.1953 – VI ZR 131/52, NJW 1954, 393 sowie den Überblick bei Kaufmann aaO Rn. 284 f. mwN). Da die Gefährdungshaftung nicht diejenigen schützen will, die die Gefahr geschaffen haben (Lemcke ZfS 2002, 318; Kunschert NZV 1999, 516), ist es konsequent, den besonderen Schutz einer verschuldensunabhängigen Haftung demjenigen zu versagen, der für den Betrieb mitverantwortlich ist. Auf die Frage, wie sein geschädigtes Rechtsgut in den Gefahrenbereich des Kfz-Betriebs gelangt ist, kann es dabei nicht ankommen.

3. Eine daneben mögliche deliktische Haftung des Beklagten gem. § 823 Abs. 1 BGB für den Schaden des Klägers scheitert vorliegend daran, dass – wie es das Erstgericht mit Recht angenommen hat – das vorkollisionäre Geschehen nicht aufklärbar ist. Soweit dem die Anschlussberufung entgegengetreten ist und meint, der Schadenseintritt sei allein auf eine fehlerhafte Anweisung des Zweitbeklagten gegenüber dem Kläger zurückzuführen, bleibt ihr der Erfolg versagt.

a) In tatsächlicher Hinsicht ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren, rechtlichen und tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (vgl. BGHZ 164, 330, 332 m.w.N.).

b) Konkrete Anhaltspunkte, die solche Zweifel begründen und eine erneute Feststellung gebieten könnten, liegen nicht vor. In seiner Beweiswürdigung hat sich der Erstrichter vielmehr entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt, ohne gegen Denk- oder Erfahrungsgesetze zu verstoßen. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht sich auf der Grundlage der Darlegung des Zweitbeklagten in der mündlichen Verhandlung nicht davon zu überzeugen vermochte, dass die Möglichkeit einer eigenmächtigen, die Anweisungen des Zweitbeklagten und dessen Bitte, noch abzuwarten, missachtenden Handlungsweise des Klägers als schadensursächliche Handlung auszuschließen sei. Aus dem Umstand, dass der Zweitbeklagte in seiner Anhörung erst auf Nachfrage das Lösen der Handbremse nachschob, deutet entgegen der Berufung nicht, jedenfalls nicht zwingend darauf hin, dass er bei der Einweisung des Klägers am Unfallort fehlerhafte Anweisungen gegeben hat. Denkbar ist auch, dass er die Frage der Handbremse lediglich im Rahmen seiner gerichtlichen Anhörung, wie von ihm selbst eingeräumt, versehentlich nicht erwähnt hatte. Da vor diesem Hintergrund eine unrichtige Einweisung des Zweitbeklagten ebenso wenig feststand wie eine abweichend von den Einweisungen fehlerhafte Bedienung des Fahrzeugs durch den Kläger, war ein die deliktische Haftung begründendes Verschulden des Beklagten nicht erwiesen. Die Unaufklärbarkeit geht zu Lasten dessen, der für die tatbestandlichen Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig ist, mithin des Klägers.“

Es geht dann wohl zum BGH, jedenfalls hat das LG die Revision zugelassen.

Nutzungsausfallentschädigung, oder: Wie lange darf man mit dem Kauf eines Ersatzwagens warten?

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei zivilrechtliche Entscheidungen.

Zunächst weise ich auf das LG Saarbrücken, Urt. v. 30.12.2019 – 13 S 168/19 – hin. Es geht u.a. um die Frage der Nutzungsausfallentschädigung. Der Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers beschädigt wurde, datiert vom 31.08.2018. Dre Kläger holte ein Sachverständigengutachten ein, dass von einem Totalschaden ausgegangen ist. Der Kläger hat dass sein Fahrzeug am 17.09.2018 verkuaft. Das angeschaffte Ersatzfahrzeug wurde am 18.12.2018 zugelassen. Der Kläger hat von der Versicherungen Nutzungsausfalletnschädigung für 42 Tage verlangt. Das AG hat die Klage (insoweit) abgewiesen. Die Berufungs des Klägers hatte beim LG dann aber (teilweise) Erfolg:

„2. Nicht zu folgen vermag die Kammer der angegriffenen Entscheidung allerdings, soweit die Erstrichterin eine Nutzungsausfallentschädigung im Hinblick auf die erst 3 1/2 Monate nach dem Unfall erfolgte Zulassung eines Ersatzfahrzeugs wegen fehlenden Nutzungswillens abgelehnt hat.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der vorübergehende Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs einen ersatzfähigen Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB dar, wenn der Geschädigte sich für die Zeit des Nutzungsausfalls keinen Ersatzwagen beschafft hat (st. Rspr., vgl. nur Urteil vom 10.06.2008 – VI ZR 248/07, VersR 2008, 1086w.N.). Dabei spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten Pkw diesen während eines unfallbedingten Ausfalls auch benutzt hätte (vgl. OLG Stuttgart Urt. v. 13.8.2015 – 13 U 28/15, BeckRS 2015, 14624 Rn 39; KG NJW-RR 2011, 556). Zwar ist es zutreffend, dass nach der überwiegenden Auffassung der Obergerichte ein Zeitraum von mehreren Monaten, die der Geschädigte mit der Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung wartet, grundsätzlich wiederum gegen den erforderlichen Nutzungswillen spricht (vgl. Saarl. OLG, Urteil vom 14. September 2017 – 4 U 82/16 RuS 2018, 329; OLG Düsseldorf, OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. August 2014 – I-1 U 151/13, Schaden-Praxis 2014, 403; OLG Frankfurt, Urteil vom 30. November 2017 – 3 U 183/16, NJW-RR 2018, 660; OLG Brandenburg Urt. v. 18.10.2018 – 12 U 70/17, BeckRS 2018, 38341; OLG Köln, Urt. v. 08.03.2004 – Az. 16 U 111/03, MDR 2004, 1114; OLG Hamm, Urt. v. 23.02.2006 – Az. 28 U 164/05, juris; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 249 BGB Rn. 213). Allerdings können beachtliche Gründe im Einzelfall die insoweit gegen den Geschädigten sprechende Vermutung entkräften (vgl. nur Saarl. OLG aaO).

b) Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang auf eine fehlende Vorfinanzierungsmöglichkeit berufen hat, ist dieser von der Beklagten bestrittene Einwand weder unter Beweis gestellt noch glaubhaft, da zum einen ein Wiederbeschaffungswert von lediglich 2.800 € im Raum stand und zum anderen der Kläger auch nach Eingang der Zahlung der Beklagten am 12.10.2018 noch weitere 2 Monate verstreichen ließ, bevor er ein Ersatzfahrzeug auf sich zuließ. Im Übrigen ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger die Beklagte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht auf eine etwaige fehlende Vorfinanzierungsmöglichkeit hingewiesen hätte.

c) Gleiches gilt, soweit der Kläger angebliche Schwierigkeiten im Rahmen der Ersatzbeschaffung geltend gemacht hat. Solche konnten anhand zahlreicher Angebote sogar typgleicher Fahrzeuge in den einschlägigen digitalen Autoverkaufsplattformen wie z.B. mobile.de nicht nachvollzogen werden. Dass sich die Marktlage im Frühherbst 2018 maßgeblich von der derzeitigen Verkaufslage dahingehend unterschieden haben soll, dass damals vergleichbare Fahrzeuge schwerer oder überhaupt nicht zu finden gewesen seien, ist – zumal Ende der Cabrio Saison – nicht ersichtlich.

d) Jedoch konnte die Kammer im Rahmen der persönlichen Anhörung des Klägers die Überzeugung gewinnen, dass dieser das Fahrzeug, hätte es zur Verfügung gestanden, tatsächlich weiter nutzen wollte und genutzt hätte. Der Kläger hat glaubhaft geschildert, von seiner Frau in deren Fahrzeug mitgenommen worden zu sein. Termine habe er in den Nachmittag verlegt, damit seine vormittags berufstätige Frau ihn mit ihrem Fahrzeug dort habe hinfahren können. Nach der Genesung habe er diese Termine dann auch selbstständig mit dem Fahrzeug seiner Frau wahrgenommen.

e) Eine Nutzungsentschädigung setzt allerdings voraus, dass der Geschädigte zur Nutzung des unfallbeschädigten Fahrzeugs auch in der Lage war. Daran fehlt es, wenn er – sei es aus unfallunabhängigen (z.B. Erkrankung, Freiheitsentzug, fehlende Fahrerlaubnis), sei es aus unfallbedingten Gründen (z.B. verletzungsbedingte Bettlägerigkeit oder Abwesenheit) – an der Nutzung gehindert war, es sei denn, das Kfz wäre generell oder zumindest in der Reparaturzeit (auch) von Familienangehörigen oder anderen Personen genutzt worden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 214 m.w.N.). Nach dem eigenen Vortrag des Klägers fehlte ihm diese hypothetische Nutzungsmöglichkeit für die ersten beiden Wochen nach dem Unfall. Verletzungsbedingt habe er sich nicht getraut, selbst mit dem Auto zu fahren, weshalb er auch sein eigenes Auto, wenn es zur Verfügung gestanden hätte, nicht genutzt hätte.

f) Die danach ersatzfähige Nutzungsausfallentschädigung ist somit nicht für den gesamten vom Kläger zugrunde gelegten Zeitraum geschuldet. Macht ein Geschädigter – wie hier – im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung Nutzungsausfallentschädigung geltend, steht ihm für die objektiv erforderliche Dauer des Ausfalls ein entsprechender Anspruch zu (vgl. nur Kammer, Urteile vom 28.09.2018 – 13 S 85/18 und vom 10.11.2017 – 13 S 97/17, Zfs 2018, 382; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 249, Rn. 220, 180 m.w.N.). Zur Feststellung hat der Tatrichter im Rahmen des erleichterten Beweismaßstabes des § 287 ZPO entsprechende Feststellungen zu treffen, die sich an den tatsächlichen Umständen orientieren können. Die Erteilung des Gutachtenauftrags (03.09.2018) sowie die Gutachtenerstellung (10.09.2018) nahmen vorliegend ausweislich der eingereichten Unterlagen 10 Tage in Anspruch. Selbst unterstellt, das Gutachten sei, wie der Kläger behauptet erst am 14.09.2018 zugegangen, deckt sich dieser Zeitraum allerdings mit dem Zeitraum, in dem der Kläger das Fahrzeug verletzungsbedingt ohnehin nicht genutzt hätte, so dass Nutzungsentschädigung diesbezüglich nicht gefordert werden kann. Nach der Gutachtenerlangung hält die Kammer, jedenfalls wenn die Reparaturkosten – wie hier – deutlich über dem Wiederbeschaffungswert liegen, einen Tag zur Überlegung für ausreichend. Insbesondere einer Überlegungsfrist von 14 Tagen bedurfte es vorliegend angesichts des Umstands, dass der Kläger das verunfallte Fahrzeug bereits drei Tage nach dem angeblichen Erhalt des Sachverständigengutachtens verkauft hatte, offensichtlich nicht. Da das vom Kläger eingeholte und insoweit unangegriffene Schadensgutachten eine erforderliche Wiederbeschaffungsdauer von 12 bis 14 Kalendertagen vorsieht, legt die Kammer hier insgesamt einen Zeitraum von 15 Tagen zugrunde.

g) Nach der, auch seitens des mit der Schadensfeststellung beauftragten Gutachters herangezogenen Schwacke-Nutzungsausfalltabelle (früher „Sanden-Danner-Küppersbusch) für 2018 ist der PKW der Klägerin angesichts von Alter (> 10 Jahre) und Laufleistung in die Nutzungsausfallgruppe B (29 € täglich) einzuordnen, so dass die Nutzungsausfallentschädigung 435 € beträgt.“