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Kessel Buntes I: Jugendschöffengericht ist „Schöffengericht“, oder: Pflichtverteidiger (auch) im JGG-Verfahren

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Heute dann mal ein Tag „Kessel Buntes“ – ja, ich weiß, ist an sich immer Samstags. Aber heute dann auch mal in der Woche, und zwar mit Entscheidungen, die ich in der letzten Zeit von Kollegen übersandt bekommen habe, und die zu verschiedenen Themen.

Und ich starte mit dem LG Saarbrücken, Beschl. v. 11.02.2020 – 3 Qs 11/20 -, den mir der Kollege Marius Müller aus Saarbrücken gestern geschickt. Ich bringe den Beschluss dann gleich heute, weil er m.E. für die Praxis wichtig ist. Es handelt sich nämlich (wahrscheinlich) um einen der ersten zum neuen Recht der Pflichtverteidiggung. Und so etwas kann man als Verteidiger immer gebrauchen.

Im Streit war die Frage einer Bestellung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO, und zwar Anklage zum Jugendschöffengericht. Das AG hat „gemauert“ und meinte: Es muss nicht beigeordnet werden, § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO gitl nicht auch für das Jugendschöffengericht, zudem ist die Angeklagte nur zufällig wegen des Mitangeklagten beim Jugendschöffengericht (mit)angeklagt. Das LG sieht das – m.E. zutreffend – anders:

„Das als sofortige Beschwerde auszulegende (§ 300 StPO) Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 142 Abs. 7 S. 1 StPO) sowie fristgemäß eingelegt (§ 311 Abs. 2 StPO), und hat auch in der Sache Erfolg,

Die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nach § 68 Nr. 1 JGG nF i.V.m. § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO nF liegen vor.

1. Nach der Bestimmung des § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO in der Fassung des am 13.12.2019 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, welches die sog. Prozesskostenhilferichtlinie (Richtlinie (EU) 2016/1919 vom 26.11.2010) in deutsches Recht umgesetzt hat, liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung u.a. dann vor, wenn zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Schöffengericht statt-findet. Weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht.

a) Bereits nach der bisherigen Rechtslage war gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO aF für den Fall notwendiger Verteidigung allein maßgebend, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet. § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO aF erfasste alle Verfahren, die im ersten Rechtszug vor den genannten Gerichten verhandelt wurden, und zwar auch dann, wenn diese Gerichte sachlich unzuständig waren (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 35. Ed. 1.10.2019, StPO § 140 Rn. 3; KK-StP0Millnow, 8. Aufl. 2019, StPO § 140 Rn. 8; KMR-StPO/Hainzmann, 62, EL, § 140, Rn. 7; Lüderssen in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2007, § 140, Rn. 21; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 140, Rn. 11; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 140 Rn. 12; SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl. 2020, § 140, Rn. 12). Entscheidend war ausschließlich die tatsächliche Verhandlung bzw. der Anklageadressat und nicht die formelle Zuständigkeit für die erste Instanz (vgl. MüKoStPO/Thomas/Kämpfer aaO).

b) In gleicher Weise findet die Bestimmung in § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO nF Anwendung, wonach die Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht eingeschränkt, sondern in zeitlicher und sachlicher Hinsicht erweitert werden sollten. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist danach nicht mehr das Hauptverfahren, sondern bereits das Ermittlungs- und das Zwischenverfahren (vgl. BT-Drucks 19/13829, S. 32). In sachlicher Hinsicht bleibt aber die rein tatsächliche Beurteilung maßgebend ist, ob die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor einem der in § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO nF genannten Gerichte stattfinden wird (vgl. BT¬Drucks 19/13829, aaO). Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass immer dann, wenn Anklage zu einem der genannten Gerichte erhoben worden ist, die Erwartung im Sinne der Nr. 1 grundsätzlich gegeben ist (BT-Drucks 19/13829, aaO). Die Beurteilung erfolgt im Zwischenverfahren aus Sicht des Gerichts, bei dem Anklage erhoben ist, wobei die Erwartung dann entfällt, wenn das Gericht zur Auffassung gelangt, dass das Verfahren vor einem nicht unter § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO nF genannten Gericht zu eröffnen ist (BT-Drucks 19/13829, aaO).

2. Diese, an den tatsächlichen Verfahrensumständen ausgerichtete Beurteilung, gilt auch im Fall von § 68 Nr. 1 JGG nF. Nach dieser Vorschrift liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung im Jugendstrafverfahren vor, wenn im Verfahren gegen einen Erwachsenen ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen würde.

a) Bereits nach § 68 Nr. 1 JGG aF verwies die Vorschrift unter anderem auf § 140 Abs. 1 StPO aF (vgl. BeckOK JGG/Noak, 15. Ed. 1.11.2019, JGG § 68 Rn. 19; Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl. 2015, § 68, Rn. 9; Eisenberg JGG, 20. Aufl. 2018, JGG § 68 Rn. 21; Ostendorf, JGG, 10. Aufl. 2016, § 68, Rn. 7). Auch in diesem Zusammenhang kam es nach alter Rechtslage bislang ausschließlich darauf an, ob die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor einem höheren Gericht als dem Amtsgericht stattfindet, mithin war nicht entscheidend, ob die Zuständigkeit in zutreffender Weise angenommen worden ist (vgl. Eisenberg aaO).

b) Hieran hat sich auch durch das am 17.12.2019 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im. Jugendstrafverfahren, das der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/800 vom 11.05.2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, dient, nichts geändert (vgl. BT-Drucks 19/13837, S. 27). Die Fälle der notwendigen Verteidigung sind in § 68 JGG und § 140 Abs. 1 StPO vom Gesetzgeber selbst abstrakt festgelegt (BT-Drucks 19/13837, aaO). In diesen Fällen der vom Gesetz bestimmten notwendigen Verteidigung kann nicht von der Unterstützung durch einen Rechtsbeistand abgewichen werden (BT-Drucks 19/13837, aaO).

c) Auch vermittelt die Bestimmung des § 68 Nr. 5 JGG nF keinen ausschließenden Vorrang vor der Regelung in § 68 Nr. 1 JGG. Gegen eine solche Annahme spricht bereits die Systematik der Bestimmung. Sowohl in der bisherigen Fassung als auch in der aktuellen Fassung ist die Aufzählung in den Nummern 1 bis 5 alternativ („oder“). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Auch Sinn und Zweck sprechen dafür, § 68 Nr. 5 JGG nF keine Vorrangstellung gegenüber § 68 Nr. 1 JGG nF einzuräumen. Denn durch den Verweis des § 68 Nr. 1 JGG nF auf § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO nF soll der Beschuldigte im Jugendstrafverfahren den gleichen Schutz wie ein Erwachsener genießen. Kommt es aber bei einem Erwachsenen — wie dargelegt — bei einem Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO nF nicht auf die Straferwartung, sondern auf den Umstand an, dass zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht stattfindet, so kann im Jugendstrafverfahren über § 68 Nr. 1 JGG nF nichts anderes gelten.

Ausgehend hiervon ist der Angeklagten pp. ebenfalls ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Entscheidend ist allein, dass — wie hier – eine Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem (Jugend-) Schöffengericht zu erwarten ist.“

Überholen bei Sichtbehinderung, oder: Wer haftet wie?

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Saarbrücken. Dieses hat im LG Saarbrücken, Urt. v. 11.01.2019 – 13 S 142/18 -, über das der Kollege Gratz ja schon berichtet hat, über die Haftungsverteilung bei einem „Überholerunfall“ entschieden.

Folgendes Unfallgeschehen liegt der Entscheidung zugrunde: Der Kläger „beabsichtigte … mit seinem Ford C-Max (amtl. Kennz. pp.) nebst Anhänger aus der pp. kommend, nach links in die bevorrechtigte pp. (Zeichen 205) einzubiegen. Die Zeugin pp. befuhr mit ihrem Linienbus die pp. in Richtung pp. . Vor der Einmündung der pp. hielt sie das Fahrzeug an, da ein weiterer Linienbus die hinter der Einmündung befindliche Bushaltebucht blockierte. Sie gab dem an der Seitenlinie der Fahrbahn wartenden Kläger ein Handzeichen dahingehend, dass er gefahrlos in die pp. einfahren könne. Als dieser daraufhin anfuhr und sodann ein Stück über die Sichtlinie des Busses hinausragte, um auf die Gegenfahrbahn der pp. einbiegen zu können, kam es zur Kollision mit dem von der Beklagten zu 1) gesteuerten, bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Peugeot 106 der Beklagten zu 2) (amtl. Kennz. pp.), der den Linienbus überholen wollte. Dabei wurde der klägerische PKW im rechten Frontbereich, das Beklagtenfahrzeug an der rechten Seite beschädigt.

Mit der Klage hat der Kläger auf der Grundlage eines eigenen Mitverursachungsanteils von 40 % Schadensersatz verlangt. Das AG hat die Klage abgewiesen, da die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinter dem Vorfahrtsverstoß des Klägers zurück trete. Hiergegen die Berufung des Klägers die teilweise Erfolg hatte. Das LG geht von einer Haftungsverteilung von 25% zu Lasten der Beklagten und 75% zu Lasten des Klägers aus:

„1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch der Kläger grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies ist zu-treffend und wird von der Berufung auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Soweit die Erstrichterin weiterhin im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG einen Verstoß des Klägers gegen § 8 Abs. 2 S 2 StVO (Missachtung der Vorfahrt) eingestellt hat, hält auch dies einer Überprüfung durch das Berufungsgericht stand.

a) Zutreffend ist zunächst der Ansatz des Erstgerichts, dass vorliegend für einen Verkehrsverstoß des Klägers ein Anscheinsbeweis streitet. Kommt es im Bereich einer vorfahrtsgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der Wartepflichtige den Unfall durch eine schuld-hafte Vorfahrtsverletzung verursacht hat (vgl. Nachweise in den Kammerurteilen vom 12.07.2013 – 13 S 71/13, NZV 2014, 30, vom 28.03.2014 – 13 S 196/13, NJW 2015, 177, vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, juris, vom 07.10.2016, 13 S 35/16, juris und vom 22.09.2017 – 13 S 44/17).

b) Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert, wie die Erstrichterin zutreffend festgestellt hat. Hierfür wäre der Nachweis von Tatsachen erforderlich, die die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs eröffnen. Dies ist etwa der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Beginns des Abbiegevorgangs der Vorfahrtsberechtigte sich noch außerhalb der Sichtweite des Wartepflichtigen befunden hat oder noch so weit entfernt war, dass die glatte Durchfahrt des Bevorrechtigten nicht beeinträchtigt und dieser auch nicht etwa wegen der drohenden Möglichkeit eines Zusammenstoßes in Verwirrung gebracht, zu Ausgleichsbewegungen oder gar unsachgemäßem Verhalten genötigt wurde (vgl. Nachweise in den Kammerurteilen vom 09.07.2010 – 13 S 16/10 und vom 12.07.2013 – 13 S 71/13).

aa) Unabhängig davon, dass der Kläger überhaupt nicht vorgetragen hat, die Beklagte sei bei Beginn des Abbiegevorgangs noch außer Sichtweite gewesen oder habe sich in einer so großen Entfernung zum Kollisionsort befunden, dass ein Zusammenstoß nicht zu befürchten gestanden habe, ist nach den erstinstanzlichen Feststellungen jedenfalls davon auszugehen, dass es der Kläger vorliegend versäumt hat – ein langsames Hineintasten in die pp. bis zur Sichtlinie des Linienbusses kann insoweit nach der Zeugenaussage der Busfahrerin pp. zu seinen Gunsten unterstellt werden -, sich vor dem Beginn des eigentlichen Einbiegevorgangs noch einmal durch entsprechende Blickzuwendung nach links bezüglich des von dort herannahenden Verkehrs in dem erforderlichen Umfang zu orientieren. Damit hat er keine ausreichende Sorge dafür getragen, dass der bevorrechtigte Verkehr weder gefährdet noch wesentlich behindert wurde.

bb) Die Vermutung, dass sich dieser Sorgfaltsverstoß auch unfallursächlich ausgewirkt hat, hätte der Kläger allenfalls durch den Nachweis einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit der Erstbeklagten er-schüttern können, wenn dadurch Unfallvarianten in Betracht gekommen wären, in denen er, auch bei entsprechender Blickzuwendung, von einem gefahrlosen Herausfahren hätte ausgehen dürfen oder aber die Erstbeklagte bei Beginn des eigentlichen Abbiegevorgangs noch außerhalb der Sichtweite des Klägers gewesen wäre. Dies lässt sich, wie das Erstgericht zutreffend festgestellt hat, den Zeugenaussagen nicht entnehmen. Auch ansonsten liegen keinerlei Hinweise auf eine überhöhte Geschwindigkeit vor, weshalb von einer ursprünglich beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens weitere Er-kenntnisse nicht zu erwarten waren. Dementsprechend hat der Kläger diesen Beweisantrag in der zwe-ten Instanz letztlich nicht mehr aufrechterhalten.

3. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner, dass die Erstrichterin im Rahmen der Haftungsabwägung keinen schuldhaften Verkehrsverstoß der Beklagten mit einbezogen hat.

a) Auf einen etwaigen Verstoß der Erstbeklagten gegen §§ 20 Abs. 1, Abs. 5 StVO kann sich der Kläger nicht berufen, da die Vorschrift dem Schutz von Fußgängern dient (Spelz in: Freymann/Wellner, juris-PK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 20 StVO, Rn. 9), nicht aber dem des einmündenden Kraftverkehrs.

b) Gleiches gilt, soweit der Kläger behauptet hat, die Erstbeklagte habe die durchgezogene Mittellinie der Fahrbahn überfahren, als sie an dem Bus vorbeigefahren sei (§ 41 StVO, Zeichen 295). Die Fahrstreifenbegrenzung dient dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber dem des nachfolgenden, einbiegen-den, kreuzenden oder querenden Verkehrs (vgl. Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 41 StVO, Rn. 307).

Auch lässt sich hieraus kein unmittelbares Überholverbot ableiten (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1987 – VI ZR 66/86MDR 1987, 1018; OLG Hamm VRS 54, 458; zur durchgezogenen Linie auch Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. Oktober 2001 – 4 U 10/01 – 2). Eine solche Markierung schützt allenfalls dort, wo sie sich wegen der Enge der Fahrbahn faktisch wie ein Überholverbot auswirkt, lediglich das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser Stelle nicht mit einem Überholtwerden rechnen zu müssen (BGH, Urteil vom 28. April 1987 – VI ZR 66/86MDR 1987, 1018; Kammerurteil vom 14.09.2012 -13 S 54/11 m.w.N.). Dies gilt allerdings nicht für den querenden Verkehr.

c) Ein Überholverbot aufgrund unklarer Verkehrslage i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist entgegen der klägerischen Auffassung vorliegend ebenfalls nicht zu bejahen.

aa) Unklar ist nach allgemeiner Auffassung eine Verkehrslage, wenn der Fahrzeugführer nach allen objektiven Umständen des Einzelfalles mit einem gefahrlosen Überholen nicht rechnen kann. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Überholende nicht verlässlich zu beurteilen vermag, wie ein voraus-fahrendes Fahrzeug oder kreuzender oder einmündender Verkehr sogleich fahren wird oder er beispiels-weise die zum Überholen benötigte Strecke aufgrund Sichtbehinderungen nicht vollständig überblicken kann (Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 5 StVO, Rn. 40).

bb) Der Linienbus der Zeugin pp. stand bei der Annäherung der Erstbeklagten unstreitig auf der rechten Fahrspur der pp. . Nach Angaben des Lebensgefährten der Erstbeklagten, des Zeugen pp. (Beifahrer), hatte er den rechten Blinker betätigt. Anzeichen dafür, dass der Bus anfahren würde, lagen unstreitig nicht vor. Zwar versperrte dieser Bus die Sicht des nachfolgenden Verkehrs auf die Einmündung der pp. und damit auch auf den dort wartenden Kläger, der Straßenverlauf der linken Fahrspur war aus Sicht der Erstbeklagten jedoch geradlinig und frei überschaubar. Konkrete Anzeichen, die Anlass zu der Befürchtung gegeben hätten, die vorfahrtsberechtigte Erstbeklagte könne ihre Fahrt nicht ungehindert fortsetzen, waren nicht vorhanden. Allein die Möglichkeit, dass vor dem wartenden Bus ein Fahrzeug die bevorrechtigte Fahrbahn queren könnte, rechtfertigt eine unklare Verkehrslage und ein daraus folgendes Überholverbot für den fließenden Verkehr auf der pp. in der konkreten Situation nicht (vgl. auch Kammerurteil vom 23. Januar 2015 – 13 S 170/14).

d) Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist gleichfalls nicht feststellbar. Dass die Erstbeklagte z.B. einen zu geringen Seitenabstand eingehalten hätte, so dass dem Kläger ein ungefährdetes Vortasten bis zum Überblick überhaupt nicht möglich gewesen wäre, behaupten weder Klage noch Berufung.

Ob vorliegend ein Anwendungsfall der so genannten Lückenrechtsprechung gegeben ist, wonach sich derjenige, der an einer Kolonne aus mehreren Fahrzeugen vorbeifährt, bei erkennbaren Verkehrslücken innerhalb der Kolonne in Höhe von Kreuzungen und Einmündungen diesen Lücken nur mit gespannter Aufmerksamkeit und unter Beachtung einer Geschwindigkeit nähern darf, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten, auch vor unvorsichtig aus der Lücke herausfahrenden Fahrzeugen ermöglicht (vgl. Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 5 StVO, Rn. 48; Kammerurteil vom 5. Dezember 2014 – 13 S 80/14), kann hier dahin stehen. Denn es kann mangels fehlender Kenntnis und mangels Möglichkeiten einer Rekonstruktion bzgl. des exakten Fahrverhaltens der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge und insbesondere deren Entfernung zueinander im Zeitpunkt der erstmaligen Reaktionsaufforderung an die Erstbeklagte nicht mehr beweissicher geklärt werden, ob diese bei entsprechender Sorgfalt den Unfall hätte vermeiden können. Dies geht zulasten des insoweit beweisbelasteten Klägers.

4. Nicht anzuschließen vermag sich die Kammer allerdings der Auffassung der Erstrichterin, die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs trete vorliegend angesichts des Verkehrsverstoßes des Klägers zu-rück. Zwar ist es zutreffend, dass ein Verstoß gegen die Vorfahrtsregelung die Alleinhaftung des Wartepflichtigen rechtfertigen kann (vgl. z.B. Kammer Urteil vom 09.06.2017 – 13 S 39/17). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt und deren Verletzung daher besonders schwer wiegt (so bereits BGH, Urteil vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79). Vorliegend hat sich allerdings die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs verschuldensunabhängig bereits dadurch erhöht, dass die Beklagte zu 1) an dem Linienbus der Zeugin pp., der die Sicht auf den davor befindlichen Verkehrsraum teilweise versperrte, vorbeifuhr und sich schon dadurch in eine, im Unfall realisierte, gefahrträchtige Verkehrssituation begeben hatte, zumal auch eine Unterbrechung in der Mittellinie der Fahrbahn signalisierte, dass in diesem Bereich ein Kreuzen der Fahrbahn grundsätzlich möglich war. Dem trägt eine Haftungsverteilung von 25% zu Lasten der Beklagten und 75% zu La92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzel-fall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).“

USt II: Fiktive Abrechnung, oder: Ersatz der Umsatzsteuer

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Bei der zweiten Entscheidung des Tages, die zur Frage des Ersatzes von USt Stellung nimmt, handelt es sich um das LG Saarbrücken, Urt. v. 07.06.2019 – 13 S 50/19.

Auch hier macht die Klägerin nach einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte voll haftet, restlichen Schadensersatz gegen die Beklagte geltend. Die Klägerin hat bei ihrem Fahrzeug eine Eigenreparatur vorgenommen. Sie hat jedoch fiktiv abgerechnet. Die Parteien streiten u.a. um die wegen bei der Anschaffung von Ersatzteilen angefallene Mehrwertsteuer. Die Beklagte meint, diese sei bei einer fiktiven Abrechnung nicht zu ersetzen. Das AG hatte die Klage der Klägerin abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte Erfolg:

„4. Soweit die Klägerin im Rahmen der fiktiven Abrechnung daneben auch den Ersatz von Mehrwertsteuer in Höhe von (230,95 + 41,19=) 272,14 Euro verlangt, der für den Ankauf von Ersatzteilen angefallen sei, ist auch dieser Anspruch begründet.

a) Nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB schließt der bei Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie nur fiktiv bleibt, weil es zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung nicht kommt. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung und verlangt stattdessen den hierfür erforderlichen (gutachterlich ermittelten) Geldbetrag, erhält er nicht den vollen, sondern den um die Umsatzsteuer reduzierten Geldbetrag (BT-Drs. 14/7752 S. 23; BGH, Urteile vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, VersR 2017, 115 Rn. 11 mwN; vom 9. Mai 2006 – VI ZR 225/05, NJW 2006, 2181 Rn. 10).

b) Daraus hat der Bundesgerichtshof für den Fall, dass der Geschädigte, der seinen Anspruch auf eine Ersatzbeschaffung lediglich fiktiv abrechnet, weil er eine Ersatzbeschaffung nicht oder nur zu geringeren Kosten durchgeführt hat oder aus anderen Gründen von einer konkreten Abrechnung der ihm entstandenen Kosten Abstand nimmt, geschlossen, der Geschädigte könne hier lediglich den Nettowiederbeschaffungswert ersetzt verlangen. Einer Geltendmachung der im Rahmen des tatsächlich durchgeführten Ersatzkaufs angefallenen Mehrwertsteuer stehe insoweit das Verbot der Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung entgegen. Dies gelte auch dann, wenn bei der fiktiven Abrechnung unter Verweis auf einen tatsächlich getätigten Ersatzkauf der im Gutachten ausgewiesene Brutto-Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt werde. Die in der vom Geschädigten gewählten fiktiven Schadensabrechnung enthaltene Umsatzsteuer auf den Wiederbeschaffungswert bleibe nämlich jeweils fiktiv, weil sie tatsächlich nicht angefallen sei, während das tatsächlich getätigte Ersatzbeschaffungsgeschäft, bei dem Umsatzsteuer angefallen ist, vom Geschädigten nicht abgerechnet werde (BGH, Urteil vom 02. Oktober 2018 – VI ZR 40/18 -, juris Rz. 7 m.w.N.).

c) Ob Umsatzsteuer, die bei der Durchführung einer Eigenreparatur beim Ankauf von Ersatzteilen angefallen ist, dem Geschädigten zu ersetzen ist, hat der Bundesgerichtshof demgegenüber offen gelassen (BGH, Urteil vom 03. Dezember 2013 – VI ZR 24/13 -, juris Rz. 13 und Urteil vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15 -, juris Rz. 17, jew. m.w.N.). Die Kammer ist der Auffassung, dass in solchen Fällen das Vermischungsverbot dem Ersatz der Umsatzsteuer nicht entgegensteht.

aa) Das Verbot der Vermischung konkreter und fiktiver Abrechnung würde allerdings schon dann nicht eingreifen, wenn die Geltendmachung der Kosten der durchgeführten Eigenreparatur eine konkrete Abrechnung darstellen würde. Insoweit hat der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Ersatzfähigkeit eines Reparaturschadens, dessen Kosten den Wiederbeschaffungswert bis zu 130% überstiegen, die Abrechnung eines Geschädigten, der eine Eigenreparatur durchgeführt hatte, auf der Grundlage des von ihm eingeholten Gutachtens über die Wiederherstellungskosten in einer Reparaturwerkstatt als konkrete Abrechnung behandelt, wenn und soweit das wirtschaftliche Ergebnis der Reparatur in einer Fachwerkstatt gleichsteht (vgl. BGH, Urteil vom 08. Dezember 2009 – VI ZR 119/09 -, juris). Daraus folgt indes nicht, dass der selbstreparierende Geschädigte anders zu behandeln ist als der Geschädigte, der sein Fahrzeug in einer günstigeren Werkstatt reparieren lässt und hierbei ebenfalls das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erzielt. Rechnet dieser auf Gutachtenbasis ab, stellt dies eine fiktive Schadensabrechnung dar (vgl. BGH, Urteil vom 03. Dezember 2013 – VI ZR 24/13 -, juris). Die Kammer geht daher davon aus, dass die Abrechnung des selbst reparierenden Geschädigten, der – wie hier – nicht seine tatsächlich angefallene Arbeitszeit nebst Ersatzteilkosten, sondern die gedachten Kosten einer Reparatur in einer gewerblichen Werkstatt geltend macht, eine fiktive Schadensabrechnung darstellt (vgl. BGHZ 61, 56; 162, 170; OLG Köln VersR 2017, 964; vgl. auch Ebert in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 249 Rn. 78; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB Rn. 138 sowie ZfS 2019, 4, jew. mwN).

d) In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur wird die Umsatzsteuer, die dem selbst reparierenden Geschädigten, der seinen Schaden fiktiv abrechnet, bei Anschaffung von Ersatzteilen entsteht, überwiegend für erstattungsfähig gehalten (vgl. LG Stendal, Urt. v. 19.12.2013 – 22 S 35/13 – juris; LG Bremen, Urt. v. 24.05.2012 – 7 S 277/11 – juris Rn. 20; LG Bückeburg, Urt. v. 29.09.2011 – 1 O 86/11 – juris Rn. 33; LG Hagen, Urt. v. 02.07.2009 – 10 O 24/09 – juris Rn. 6 ff.; Böhme/Biela/Tomson, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 26. Aufl. 2018, Kap. 4 II 2 a Rn. 8; MünchKomm-BGB/Oetker, 7. Aufl. 2016, § 249 Rn. 393; Palandt/Grüneberg, 78. Aufl. 2019, § 249 Rn. 27; Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 249 BGB Rn. 84; Vieweg, in: Staudinger/Eckpfeiler (2018) Rn. 67; a.A. etwa Jahnke in Burmann ua., Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 249 BGB Rn. 30; Lemcke in: van Bühren/Lemcke/Jahnke, Anwaltshandbuch Verkehrsrecht, Teil 3, Rn. 98 ff.; m.w.N.). Dem schließt sich die Kammer an, entspricht dies doch der Intention des Gesetzgebers. Die durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I 2674) eingeführte Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB stellt der Sache nach eine Einschränkung des zur Wiederherstellung erforderlichen Betrages dar, der ohne diese Einschränkung als Bruttobetrag zu ersetzen wäre. Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber die Ersatzfähigkeit des für Umsatzsteuer aufzuwendenden Betrages auf die tatsächlich angefallene Steuer beschränken, ungeachtet der Frage, welchen möglichen Weg der Geschädigte zur Wiederherstellung beschritten hat (vgl. BT-Drs. 14, 7752, S. 13). Damit erlaubt auch die fiktive Schadensabrechnung in Folge einer Beschädigung von Sachen den Ersatz von Umsatzsteuer, wenn und soweit sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, sei es durch Reparatur oder sei es durch Ersatzbeschaffung, tatsächlich angefallen ist. Wenngleich dadurch die Abgrenzung zwischen fiktiver und konkreter Schadensabrechnung im Einzelfall erschwert wird, ist dies Folge der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB (so auch MünchKomm-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rn. 428). Für den Fall der Eigenreparatur ist in der Gesetzesbegründung (aaO S. 23) dementsprechend wie folgt ausgeführt:

„Entscheidet sich der Geschädigte dafür, die beschädigte Sache außerhalb einer Fachwerkstatt oder eines umsatzsteuerpflichtigen Unternehmens zu reparieren, sei es durch Eigenleistung, sei es unter Zuhilfenahme fremder Arbeitsleistung, erhält er die Umsatzsteuer genau in der Höhe ersetzt, in der sie zur Reparatur angefallen ist: Kauft er z. B. die zur Reparatur erforderlichen Ersatzteile und ist im Kaufpreis Umsatzsteuer enthalten, repariert die beschädigte Sache aber selbst, so kann er die Ersatzteilkosten in dem nachgewiesenen Umfang vollständig, also unter Einschluss der Umsatzsteuer, die Arbeitskosten indes nur in dem nach Satz 2 reduzierten Umfang ersetzt verlangen.“

Ein Vermischungsverbot, wie dies der Bundesgerichtshof in anderen Fällen anführt, steht dem nicht entgegen. Zum einen ist schon fraglich, ob der Gesetzgeber durch Einführung des § 249 Abs. 2 Satz 2 nicht eine gesetzliche Ausnahme des von der Rechtsprechung entwickelten Verbots der Kombination konkreter und fiktiver Abrechnung geschaffen hat. Jedenfalls lässt sich bei der Eigenreparatur – anders als etwa in Fällen einer Teilreparatur – eine klare Unterscheidung in Eigen- und Fremdleistung vornehmen, die entsprechend getrennt – einmal konkret, einmal fiktiv – abgerechnet werden können.

e) Mithin ist die bei der Ersatzteilbeschaffung angefallene Umsatzsteuer im Rahmen der hier erfolgten Eigenreparatur ersatzfähig. Soweit die Beklagte deren Anfall bestritten hat, ist die Kammer aufgrund der vorgelegten Rechnung vom 25.4.2018 über den Ankauf von zwei Seitentüren über 1.215,55 Euro zzgl. 203,95 Euro MwSt. (GA 20) sowie der Rechnung vom 8.5.2018 über den Kauf von Zierleisten und einer Steinschlagsfolie über 216,78 Euro zzgl. 41,19 Euro MwSt. (GA 21), die jeweils auf die Klägerin ausgestellt sind – die Bezeichnung „….“ in der Rechnung vom 8.5. ist offensichtlich ein Schreibversehen -, und den vorgelegten Lichtbildern von dem reparierten Klägerfahrzeug davon überzeugt, dass ein entsprechender Ankauf durch die Klägerin erfolgt ist und die erworbenen Teile im Rahmen der Selbstreparatur zur Wiederherstellung des Fahrzeugs verwendet wurden. Die geltend gemachte Umsatzsteuer von zusammen 245,14 Euro ist mithin ebenfalls von der Beklagten zu ersetzen.“

Das LG hat die Revision zugelassen, da insbesondere die Frage, ob der Geschädigte, der eine Eigenreparatur durchführt, auch bei fiktiver Abrechnung der Wiederherstellungskosten Umsatzsteuer, die beim Ankauf von Ersatzteilen angefallen ist, ersetzt verlangen kann, grundsätzliche Bedeutung hat und Veranlassung gebe, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Wir werden zu der Frage dann also ggf. etwas aus Karlsruhe hören.

Fiktive Abrechnung, oder: Auf die Schadenshöhe zum Unfallzeitpunkt kommt es an

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Samstag ist „Kessel-Buntes-Zeit“. Und da stelle ich heute zunächst das LG Saarbrücken, Urt. v. 01.03.2019 – 13 S 119/18, über das schon der Kollege Gratz berichtet hat.

Es geht um eine fiktive Abrechnung im Rahmen einer Unfallschadenregulierung. Die Klägerin hatte fiktiv abgerechnet. Von der Haftpflichtversicherung wird sie auf die günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Werkstatt verwiesen. Das LG sagt: Mit Recht:

„1. Zu Recht ist das Erstgericht zunächst davon ausgegangen, dass die Klägerin, für deren Schaden die Beklagte gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG haftet, berechtigt ist, ihren Schaden – wie hier – auf der Grundlage einer sachverständigen Prognose „fiktiv“ abzurechnen. Dabei kann sie sich allerdings anders als der Geschädigte, der sein Fahrzeug reparieren lässt und seinen Schaden konkret abrechnet, nicht auf ein schützenswertes Vertrauen in die Schadenskalkulation ihres Gutachters stützen. Dem Schädiger bleibt es vielmehr unbenommen, durch substantiierte Einwände die Annahmen des Sachverständigen in Einzelpunkten in Zweifel zu ziehen mit der Folge, dass die gutachterlich ermittelten Werte vom Geschädigten zu beweisen sind (BGH, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 20.06.1989 – VI ZR 334/88, VersR 1989, 1056 f; BGHZ 63, 182 ff.; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 31.07.2015 – 13 S 79/15; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 249 BGB Rn. 159 m.w.N.). Vorliegend hat die Beklagtenseite die Berechnung der Geschädigten auch hinsichtlich bestimmter Arbeitsaufwände substantiiert bestritten, so dass das Erstgericht mit Recht eine Sachverständigenbegutachtung veranlasst hat, um die Erforderlichkeit der Schadenbeseitigungskosten festzustellen. Dass sich hierbei die Gegenberechnung der Beklagtenseite teilweise als unrichtig erwiesen hat, macht die Berufung auf die Gegenberechnung – anders als dies die Berufung offenbar annehmen will – nicht unwirksam. Vielmehr entspricht es allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts, dass insoweit das Ergebnis der Beweisaufnahme das streitige Vorbringen der Parteien klärt.

2. Entgegen der Berufung hat die Erstrichterin ferner mit Recht die Stundenverrechnungssätze der von der Beklagtenseite benannten günstigeren Werkstatt der Schadensabrechnung zugrunde gelegt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Schädiger den Geschädigten, der – wie hier – fiktive Reparaturkosten abrechnet, unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (BGH, st. Rspr.; vgl. BGHZ 155, 1; 183, 21; zuletzt Urteil vom 25.09.2018 – VI ZR 65/18, juris m.w.N.).

b) Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für eine wirksame Verweisung gegeben. Die Beklagte hat der Klägerin mit der eindeutig beschriebenen Werkstatt (Firma …) eine geeignete, aber günstigere Reparaturmöglichkeit aufgezeigt. Dass die Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard der einer Reparatur in einer markengebunden Werkstatt entspricht, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass es sich bei der Werkstatt um einen sog. Eurogarant-Fachbetrieb im Saarland handelt (Kammer, vgl. Urteil vom 11.10.2013 – 13 S 23/13, Zfs 2014, 80 m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 13.07.2010 – VI ZR 259/09, VersR 2010, 1380; OLG Köln, VersR 2017, 964; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 249 BGB Rn. 151 m.w.N.). Umstände, die der Zumutbarkeit der Reparatur in der Verweisungswerkstatt für den Geschädigten entgegenständen, sind nicht ersichtlich.

c) Im Ergebnis zu Recht hat das Erstgericht die nach Ermittlung des Sachverständigen … bis März 2016 geltenden Stundenverrechnungssätze der Verweisungswerkstatt (98,- Euro für Karosseriearbeiten, 145,80 Euro für Lackierarbeiten) zugrunde gelegt, wie sie auch von Beklagtenseite in ihrer vorgerichtlichen Zahlung am 20.1.2016 berücksichtigt worden sind. Anders als die Berufung meint, führt die danach erfolgte Preiserhöhung bei der Verweisungswerkstatt zu keiner anderen Bewertung.

aa) Allerdings richtet sich der Zeitpunkt der Schadensbemessung eines Geldersatzanspruches materiell-rechtlich nach den Wertverhältnissen, die zum Zeitpunkt seines Erlöschens, regelmäßig also im Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung bestehen (BGHZ 27, 181, 187; 79, 249, 258; 169, 263 Tz 16; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, § 23 Rn. 20; Oetker in Münchener Kommentar zum BGB (MüKo), 7. Auflage 2016, § 249 Rn. 314; Staudinger/Schiemann (2017) Vorbemerkungen zu §§ 249-254 Rn. 79 f., jew. m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch für die Bemessung des hier geltend gemachten Herstellungsaufwandes, es sei denn der Geschädigte hat den Schaden vor der Erfüllung selbst durch Reparatur oder Ersatzleistung beseitigt und macht einen der Höhe nach bereits konkretisierten Ersatzanspruch geltend (BGHZ 1, 34, 40). Wird die noch offene Forderung eingeklagt, ist verfahrensrechtlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung maßgeblich (BGHZ 133, 246, 252 f.; MüKo/Oetker aaO Rn. 317; Staudinger/Schiemann aaO Rn. 79, jew. m.w.N.).

bb) Demgegenüber gebietet das Interesse des Schädigers an der Geringhaltung der Herstellungskosten, dass der Geschädigte eines Kfz-Unfalls entsprechend der sich aus § 254 BGB ergebenden Schadensminderungspflicht die Wiederherstellung möglichst zeitnah nach dem schädigenden Ereignis und ggfs. schon vor Ablauf der dem Haftpflichtversicherer zustehenden Prüfungsfrist durchführt (BGHZ 61, 346; Urteil vom 14. April 2010 – VIII ZR 145/09, VersR 2010, 1463; vgl. auch Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 254 BGB Rn. 47 f. m.w.N.). Weil für die fiktive Schadensbemessung eine gedachte Wiederherstellung maßgeblich ist, die sich an der sorgfaltsgemäßen, mithin zeitnahen Durchführung einer Reparatur in einer Fachwerkstatt orientiert (vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. März 1992 – VI ZR 226/91, wonach der Nutzungsausfall bei fiktiver Schadensabrechnung auf die gedachte Zeit einer entsprechenden Reparatur in einer Fachwerkstatt begrenzt ist), erscheint es gerechtfertigt, für die fiktive Schadensbemessung den Geschädigten so zu stellen, wie wenn er, seiner Schadensminderungspflicht entsprechend, zeitnah die Wiederherstellung durchgeführt hätte. Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung der Zeitpunkt des Unfallgeschehens maßgeblich für die Bemessung der gedachten Wiederherstellungskosten ist (so auch OLG Düsseldorf VersR 1998, 864; Sanden/Völz Sachschadenrecht des Straßenverkehrs, 9. Aufl. 2011, Rn. 184; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB Rn. 89). Damit wird zugleich dem Gedanken Rechnung getragen, dass der Grundsatz, den Schaden nach dem Erfüllungszeitpunkt zu bemessen, dem Schutz des Geschädigten vor einer verzögerten Ersatzleistung des Schädigers dient. Ein Preisverfall infolge einer Regulierungsverzögerung, wie dies gerade bei der Wiederbeschaffung eines Kfz regelmäßig der Fall sein dürfte, würde den Schädiger daher nach der hier vertretenen Auffassung nicht entlasten (vgl. Sanden/Völtz aaO Rn. 185).

Die Gegenauffassung, die stets auf die letzte mündliche Verhandlung zur Schadensermittlung abstellt (vgl. OLG Hamm NZV 1990, 269; Greger/Zwickel aaO § 23 Rn. 20; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 12 StVG Rn. 5 a.E.), führte demgegenüber zu dem bei der fiktiven Abrechnung unpraktikablen Ergebnis, dass die zeitnah zum Unfall erhobene Schadensprognose – sei es bezüglich der Reparaturkosten, sei es hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes – kurz vor Schluss der mündlichen Verhandlung erneut zu überprüfen wäre, um Preisänderungen einbeziehen zu können.

Im Übrigen hat die auf den Zeitpunkt des Unfallereignisses bezogene Schadensbemessung bei der fiktiven Schadensabrechnung gerade nicht zur Folge, dass zwischenzeitliche Preisänderungen zu Lasten des Geschädigten stets unberücksichtigt bleiben. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es dem Geschädigten jederzeit – im Rahmen der Grenzen des Verjährungsrechts – möglich, auch noch nachträglich von der fiktiven Schadensabrechnung zu einer (teureren) konkreten Schadensabrechnung überzugehen, wenn er sich nach Erhalt der fiktiv errechneten Entschädigung später zu einer Reparatur entscheidet und die Kosten der Reparatur den ursprünglich prognostizierten Aufwand überschreiten (BGHZ 169, 263 Tz. 16; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2011 – VI ZR 17/11, DAR 2012, 203). Damit ist sichergestellt, dass nach dem Unfall eingetretene Preissteigerungen weiterhin zu Lasten des Schädigers gehen, allerdings nur soweit sie sich tatsächlich beim Geschädigten ausgewirkt haben (so wohl auch OLG Hamm NZV 1990, 269).

cc) Ob in Fällen, in denen – wie hier – der Schädiger den fiktiv abrechnenden Geschädigten nachträglich auf eine günstigere und zumutbare Reparaturmöglichkeit verweist und die Bemessung des Schadens unter Zugrundelegung der günstigeren Reparaturmöglichkeit im Streit steht, für die Schadensbemessung ebenfalls auf den Zeitpunkt des Unfallgeschehens oder – wie die Berufung hilfsweise einwendet – auf den Zeitpunkt der Verweisung abzustellen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die im Unfallzeitpunkt geltenden Tarife entsprachen, wie der Sachverständige … dargelegt hat, den Tarifen zum Verweisungszeitpunkt.
herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Kettenauffahrunfall, oder: Wer haftet wie? – Schwierig…….

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Schon etwas älter ist das LG Saarbrücken, Urt. v. 07.09.2018 – 13 S 43/17. Es behandelt einen sog. Kettenauffahrunfall, und zwar geht es um die Haftung des Auffahrenden für einen Frontschaden am vorausfahrenden Fahrzeug. Grundlage der Entscheidung ist folgender Sachverhalt: Der Kläger fuhr auf dem linken Fahrstreifen einer BAB. Vor ihm fuhren zwei andere Fahrzeuge, die sich nacheinander jeweils rechts überholten. Eines der Fahrzeuge wechselte unmittelbar nach dem Rechtsüberholen so auf die linke Spur, dass das andere Fahrzeug ebenso wie der dahinter fahrende Kläger zu einer Vollbremsung gezwungen wurden. Das Fahrzeug des hinter dem Kläger fahrenden Beklagten fuhr auf den Pkw des Klägers auf und hat ihn auf das das davor befindliche Fahrzeug geschoben, wobei der Pkw des Klägers an Front und Heck beschädigt wurde. Das AG ist für den Heckschaden von einem gegen den Beklagten sprechenden Anscheinsbeweis ausgegangen, nicht aber von einem Anscheinsbeweis hinsichtlich des Frontschadens des Klägers. Das LG hat das bestätigt und führt im Einzelnen zur Haftung und Haftungsverteilung aus:

1. Zu Recht ist das Erstgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch die Klägerin grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Auf die Frage, ob der Zeuge pp. das klägerische Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen gebracht hat und erst durch den Heckanstoß des Beklagtenfahrzeugs auf das Fahrzeug des Zeugen pp. aufgeschoben worden ist, kommt es insoweit nicht an. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer an Stelle des Zeugen pp. bereits im Vorfeld durch ein rechtzeitiges Herabsetzen der Geschwindigkeit oder einen größeren Abstand zu dem BMW des Zeugen pp. und dem Mercedes, die sich wechselseitig rechts überholt hatten, oder ggfl. durch einen frühzeitigen Wechsel auf die rechte Fahrspur eine Vollbremsung hätte vermeiden und dadurch den Unfall mit dem Erstbeklagten verhindern können. Diese Zweifel gehen zulasten der Klägerin (BGH, st. Rspr.; vgl. nur Urteile vom 13.05.1969 – VI ZR 270/67, VersR 1969, 827 und vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, VersR 2006, 369).

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist der Erstrichter davon ausgegangen, dass der Erstbeklagte die Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug durch einen Verstoß gegen die Pflicht zur Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes verursacht hat (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StVO; zum Sicherheitsabstand auf Autobahnen vgl. nur BGH, Urteil vom 09.12.1986 – VI ZR 138/85, VersR 1987, 358). Dies steht in der Berufung nicht im Streit.

3. Auch soweit der Erstrichter aufgrund des Verkehrsverstoßes des Erstbeklagten von einer Alleinverantwortung der Beklagten hinsichtlich des Heckanstoßes und einer Alleinhaftung der Beklagten für den dadurch eingetretenen Heckschadens am klägerischen Fahrzeug ausgegangen ist, wird dies von den Parteien in der Berufung hingenommen. Allerdings wendet sich die Klägerin mit Erfolg gegen die Feststellung des Erstrichters, hinsichtlich des an ihrem Fahrzeug eingetretenen Frontschadens könne lediglich eine hälftige Haftungsverteilung vorgenommen werden.

a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden Auffassung in der Literatur, dass bei Kettenauffahrunfällen – wie hier – hinsichtlich der Verursachung des Frontschadens an dem Fahrzeug, auf das das Fahrzeug des Hintermannes aufgefahren ist, der im Übrigen zulasten des Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis einer schuldhaften Schadensverursachung keine Anwendung findet. Dies wird damit begründet, dass bei Kettenauffahrunfällen jedenfalls hinsichtlich der Verursachung des Frontschadens kein ausreichend typischer Geschehensablauf feststellbar ist (vgl. OLG Hamm, NJW 2014, 3790; OLG München, Urteil vom 12.05.2017 – 10 U 748/16, juris; OLG Düsseldorf, NZV 1995, 486 sowie Urteil vom 12.06.2006 – I-1 U 206/05, juris; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 148; Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 4 StVO Rn. 46; Scholten in: Freymann/Wellner aaO § 830 BGB Rn. 43; Böhme/Biela/Tomson, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 26. Aufl., Rn. 198; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 4 Rn. 24; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 4 StVO Rn. 36). Allerdings gewährt die Rechtsprechung dem Geschädigten in diesen Fällen eine Beweiserleichterung nach § 287 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1973 – VI ZR 101/71, NJW 1973, 1283). Insoweit gilt:

aa) Kann der Geschädigte Tatsachen nachweisen, aus denen sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verursachung des Frontschadens durch den Hintermann ergibt, ist mithin ein Aufschieben deutlich wahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass der Geschädigte durch sein eigenes Verhalten (Auffahren auf den Vordermann) den Frontschaden an seinem Fahrzeug selbst verursacht hat, ist der Hintermann für den gesamten (Heck- und Front-)Schaden des mittleren Fahrzeugs (mit)verantwortlich (vgl. BGH aaO; OLG Schleswig, NZV 1988, 228; OLG Düsseldorf, NZV 1995, 486; OLG Hamm, Schaden-Praxis 1999, 331; LG Köln, Urteil vom 10.11.2004 – 9 S 237/04, Schaden-Praxis 2005, 44; Lemcke, Der Verkehrsunfall mit mehreren Beteiligten, DAV-Skript, 2008, S. 88 f.).

bb) Ist die Verursachung des Frontschadens durch den Auffahrenden nicht weniger wahrscheinlich als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckanstoß, kann der gegen den Auffahrenden begründete Schadensersatzanspruch betreffend den Heckanstoß im Totalschadensfall nach § 287 ZPO durch die quotenmäßige Aufteilung des Gesamtschadens, gemessen am Verhältnis der jeweiligen Reparaturkosten, ermittelt werden (vgl. BGH aaO; OLG Düsseldorf, NZV 1995, 486; OLG Hamm, NJW 2014, 3790).

cc) Ist demgegenüber die ursächliche Beteiligung des Hintermannes an dem Frontschaden weniger wahrscheinlich als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckanstoß, haftet der Hintermann nur für den ihm sicher zurechenbaren Heckschaden (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1995, 486; OLG Hamm, Schaden-Praxis 2010, 351).

b) Hiervon ausgehend haften die Beklagten im Streitfall auch für den Frontschaden am klägerischen Fahrzeug in vollem Umfang. Denn nach den unangegriffenen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen wäre es ohne einen zeitlich früheren Anstoß durch das Beklagtenfahrzeug nicht zu einem Auffahren des klägerischen Fahrzeugs auf das Fahrzeug des Zeugen pp. gekommen, weshalb auch der Frontschaden am Klägerfahrzeug definitiv alleine aus dieser Erstkollision zwischen Beklagtenfahrzeug und Klägerfahrzeug und aus einer hiermit einhergehenden Beschleunigung bzw. Geschwindigkeitserhöhung des klägerischen Fahrzeugs entstanden ist.“

Gut, dass ich damit nicht häufiger zu tun habe 🙂 .