Und zum Abschluss der heutigen StPO-Entscheidungen dann noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.09.2023 – 12 Qs 66/23 – zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung.
Es geht um die Wirksamkeit der Ersatzzustellung eines Widerrufsbeschlusses. Der Beschluss wurde am 08.07.2023 von der Post in der pp. Str. 27 in den Wohnungsbriefkasten eingelegt. Mit Schreiben vom 18.08.2023 an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragt dann der Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss ein. Zur Begründung trug er vor, „der Bf. habe durch die Ladung zum Strafantritt erstmals Kenntnis vom Bewährungswiderruf erlangt. Da er sich in der Türkei aufhalte, habe er von der Ladung am 17.08.2023 auch nur über Umwege erfahren. Ferner sei der Bf. nach einem Streit mit seiner Lebenspartnerin am 12.06.2023 aus der gemeinsamen Wohnung in der …Str. 27 ausgezogen und habe sich am 20.06.2023 unter einer neuen Adresse in X einwohnerrechtlich angemeldet. Trotz eines Nachsendeauftrags sei seine Post aber weiterhin an die alte Adresse ausgeliefert worden. Die Lebenspartnerin habe ihn absichtlich nicht über eingehende Post informiert und diese auch nicht weitergeleitet. Zudem habe er ihr in der Vergangenheit Geld gegeben, dass sie damit seine Bewährungsauflage bezahle, da er selbst kein Konto habe. Dies habe sie abredewidrig unterlassen, wovon er ebenfalls erst am 17.08.2023 erfahren habe. Daher habe er sogleich am 18.08.2023 über seine Schwester 150 € an die Landesjustizkasse für die Auflage überwiesen. Es liege also kein gröblicher und beharrlicher Verstoß gegen die Bewährungsauflage vor. Die fehlenden Raten wolle er nachzahlen.2
Wiedereinsetzungsantrag und die sofortige Beschwerde haben Erfolg:
„1. Dem Bf. war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung). Wiedereinsetzung erfolgt auch dann, wenn der Betroffene zwar keine Frist versäumt hat, aber irrtümlich so behandelt wurde und dementsprechend auf das Rechtsmittel angewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 2 StR 294/15, juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 44 StPO Rn. 2). Einer weiteren Sachprüfung des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es nicht (OLG Hamm Beschl. v. 22.11.2017 – 1 Ws 523/17, juris Rn. 9).
So liegt der Fall auch hier. Der Bf. hat die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht versäumt, da ihm der Beschluss vom 06.07.2023 nicht wirksam zugestellt wurde. Gleichwohl wurde er so behandelt, als hätte er die einwöchige Frist für die sofortige Beschwerde, die mit der Zustellung zu laufen beginnt (§ 311 Abs. 2 i.V.m. § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO), verpasst.
a) Die Ersatzzustellung vom 08.07.2023 war unwirksam. § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO setzen voraus, dass der Bf. bei Einlegung des Beschlusses in den Briefkasten in der …Str. 27 an dieser Adresse tatsächlich wohnhaft gewesen wäre. Falls der Zustellungsadressat zwar nicht mehr an der Adresse wohnt, aber noch eine fortlaufende Beziehung zur Wohnung aufrechterhält, so würde allerdings auch dies ausreichen. Das wäre etwa anzunehmen, wenn eine behördliche Abmeldung noch nicht erfolgt ist und die Wohnung zur Postsammlung genutzt wird (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 – 2 ObOWi 7/2004, juris Rn. 11).
Die Kammer geht indes davon aus, dass der Bf. seit Mitte Juni 2023 seine alte Wohnung nicht mehr nutzt, seinen Wohnsitz dort mithin aufgegeben hat. Die vorgelegte Meldebescheinigung der Stadt X belegt, dass sich der Bf. am 20.06.2023 rückwirkend zum 15.06.2023 an der neuen Anschrift …Weg 18, X, angemeldet hat. Dort gab er bei der Rubrik Wohnungsstatus an, dass es sich um seine einzige Wohnung handele. Dies deckt sich mit dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung sei ner ehemaligen Lebenspartnerin, wonach sie und der Bf. seit seinem Auszug getrennt leben.
Nichts anderes folgt daraus, dass der Bf. bei einer polizeilichen Überprüfung am Briefkasten und Klingelschild der alten Adresse vorgetragen war und auf Nachfrage seine postalische Erreichbarkeit dort bejahte. Denn die Nachfrage erfolgte im Mai 2023 und damit vor dem Zerwürfnis und dem Auszug im Juni 2023. Zwar hat der Bf. den behaupteten Nachsendeauftrag bei der Post nicht in Vorlage gebracht. Jedoch bestätigte die ehemalige Lebenspartnerin, dass es diesen Nachsendeauftrag gegeben habe.
b) Eine wirksame Zustellung lag auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Scheinwohnung vor. Das hätte eine Manipulation seitens des Zustellungsadressaten erfordert, wofür das Belassen des Namensschildes am Briefkasten nach Auszug nicht ausreicht (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 178 Rn. 7 m.w.N.). Derlei fehlt hier. Insbesondere meldete sich der Bf. am 20.06.2023 und damit vor der Beschlusszustellung bei der Gemeinde um.
Die Nichtbefolgung der Weisung im Bewährungsbeschluss, unverzüglich und unaufgefordert dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, begründet einen Scheintatbestand nicht. Denn diese Anordnung dient lediglich der Arbeitserleichterung des Gerichts bei der Bewährungsüberwachung oder der spezialpräventiven Einwirkung auf den Verurteilten (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56c Rn. 6 m.w.N.), begründet mithin auf dessen Seite kein Vertrauen.
c) Die unwirksame Zustellung ist auch nicht geheilt worden. Denn dies erfordert einen tatsächlichen Zugang des Dokuments beim Zustellungsadressaten (vgl. § 189 ZPO). Hierfür reicht allein die Kenntnisnahme vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks nicht aus, nicht einmal die Übergabe eines gleichlautenden, aber anderen Schriftstücks (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.03.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 76/18, juris Rn. 7 m.w.N.). Ein Zugang ist hier nicht erwiesen. Vielmehr gibt der Bf. an, von dem angegriffenen Beschluss nur durch dessen Erwähnung in der Ladung zum Haftantritt erfahren zu haben…..“