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StPO III: Arrestanordnung bei Geldwäscheverdacht, oder: Allgemeiner Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?

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Und dann zum Schluss des Tages mal wieder etwas zum Arrest, und zwar den LG Amberg, Beschl. v. 06.05..2024 – 11 Qs 25/24.

Gegen den Beschuldigten sowie eine Mitbeschuldigte ist ein Ermittlungs-verfahren wegen des Verdachts der vorsätzlichen Geldwäsche gemäß §§ 261 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB anhängig. Sie sollen aufgrund eines einheitlichen Tatentschlusses auf ihrem gemeinsam geführten Konto bei der pp-Bank (?)  im Zeitraum vom 14.11.2023 bis 12.01.2024 eingegangene Gelder ihnen unbekannter Geschädigter in Höhe von insgesamt 111.646,59 EUR auf ein in Litauen geführtes Konto der pp. an einen unbekannten Täter weitergeleitet haben, wobei die Beschuldigten jedenfalls damit gerechnet hätten, dass die Geschädigten zuvor in der Absicht rechtswidriger Bereicherung und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Überweisung der Geldbeträge veranlasst worden seien.

Mit Beschluss des AG wurde gegen die Beschuldigten zur Sicherung des Anspruchs auf Einziehung von Wertersatz der Vermögensarrest in Höhe von 111.646,59 EUR in das gesamte Vermögen der Beschuldigten angeordnet.

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte. Das LG verneint die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme:

„c) Allerdings ist vorliegend ein Sicherungsbedürfnis (Arrestgrund) im Sinne von § 111e Abs. 1 StPO nicht gegeben.

Durch die Neuregelung des § 111e Abs. 1 StPO und die ersatzlose Aufhebung des § 111d Abs. 2 StPO a.F. ist der Verweis auf § 917 ZPO, mithin die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung der Forderungsvollstreckung, entfallen, womit jedoch das bisherige Erfordernis eines „Arrestgrundes“ und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht tangiert werden sollten (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S.76, 77). Nach der Gesetzesbegründung soll auch in der ab dem 1. Juli 2017 geltenden Regelung der Vermögensarrest wie bisher nur zulässig sein, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung erforderlich ist.

Die Regelung beinhaltet nach dem Wortlaut und den gesetzgeberischen Motiven, dass der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Obermaßverbot und die bisherige Rechtsprechung zum „Arrestgrund“ zu beachten sind (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 49, 76 f.; OLG Stuttgart, Be-schluss vom 25. Oktober 2017 – 1 StR 163/17, NJW 2017, 3731 Rn. 15, KG, Beschluss vom 2. Juni 2020 – 4 Ws 21/20, juris Rn. 25, KK-StPO/Spillecke, 8. Aufl., § 111e Rn. 4, LR/Johann, StPO, 27. Aufl., § 111e Rn. 11 ff., 38). Demnach kommt der Arrest nur in Betracht, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werde (s. § 917 Abs. 1 ZPO, BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 – KRB 2/14, NJW 2014, 3258 Rn. 6). Hierbei sind alle Umstände zu würdigen, die geeignet sind, Anhaltspunkte für oder gegen eine drohende Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung zu ergeben. Dazu können die Art und die Umstände der Verfehlung, die darauf bezogene Hartnäckigkeit und Dauer sowie Maß und Mittel der Tatabsicherung Berücksichtigung finden. Allerdings wird allein das Ge-wicht der zugrundeliegenden Tat nur in besonderen Ausnahmefällen ausreichen. Um einen Arrestgrund bejahen zu können, sind vielmehr regelmäßig Erkenntnisse auch aus dem Verhalten nach der Tat, insbesondere unter dem Eindruck des laufenden Verfahrens, erforderlich, die auf eine entsprechende Vollstreckungsvereitelungsabsicht hindeuten könnten (BGH (3. Strafsenat), Beschluss vom 19.01.2021 – StB 46/20, BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 – KRB 2/14, NJW 2014, 3258 Rn. 7 mwN).

Nach diesen Maßstäben ist der Arrest weder möglich noch verhältnismäßig.

Aus der Tat selbst kann nicht ohne weiteres auf eine Vereitelungsabsicht des Beschuldigten geschlossen werden.

Die verfahrensgegenständlichen Beträge wurden nach eigener über seinen Verteidiger abgegebenen Einlassung des Beschuldigten auf das auf seinen Namen lautende Konto der pp. in Litauen transferiert. Der Beschuldigte konnte über dieses Konto jedoch nicht verfügen. Der Verteidiger selbst hat sich seinen Angaben zufolge überdies vergewissern können, dass auf diesem Konto zwar angeblich ein Bitcoin-Guthaben von 225.000,- € hinterlegt, aber als Kontostand 0,00 € verzeichnet sei.

Vom Beschuldigten veranlasste Abbuchungen auf dieses Konto würden für diesen also keinen Sinn ergeben, die Gefahr eines verminderten Zugriffs im Falle späterer Verurteilung zur Einziehung hieraus nicht erwachsen.

Auch zum Vor- und Nachtatverhalten des Beschuldigten, insbesondere seinem unter dem Ein-druck des laufenden Verfahrens stehenden Verhalten, ist nichts Besorgniserregendes bekannt.

Danach kann auch unter der Prämisse, dass auch bezüglich der Besorgnis, ohne die Verhängung des Vermögensarrestes werde die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert, ein (einfacher) Anfangsverdacht iSd § 152 Abs. 2 StPO genügt, ein Sicherungsbedürfnis nicht abgeleitet werden.

Dies gilt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit, die dabei besonders in den Blick zu nehmen sind.

Die angeordneten Vollziehungsmaßnahmen binden vorliegend das gesamte Vermögen des Be-schuldigten, das ihm noch zur Verfügung steht und das er für ganz andere, durchaus legale Zwe-cke dringend benötigt. Da die Arrestsumme in solchen Fällen oft nicht erreicht wird, engt dies auch die zukünftigen wirtschaftlichen Spielräume ggf. massiv ein. Dem Betroffenen wird bereits auf relativ unsicherer Tatsachenbasis und ohne seine Position zuvor verdeutlichen zu können, mittelbar angesonnen, das Vermögen, welches mangels Vorhandenseins nicht gesichert werden kann, zukünftig zum Zwecke weiterer Vollziehung des Vermögensarrests neu zu schaffen. Belas-sen wird es ihm im Rahmen der Vollziehung jedoch lediglich bis zur Pfändungsfreigrenze, während diese übersteigende Beträge nur der weiteren Vollziehung des Vermögensarrests dienen. Unabhängig vom bisherigen Lebensstandard zwingt ihn eine bloß vorläufige und allein der Sicherung dienende Maßnahme, ab sofort ein Leben auf Sozialhilfeniveau zu führen. Das trifft den Adressaten viel stärker als eine Beschlagnahme und erhöht deshalb die Zulässigkeitshürden bereits vor Anordnung, weil die Belastungen aufgrund Vollziehung absehbar sind (MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl. 2023, StPO § 111e Rn. 1-8).

Da das nahezu gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Beschuldigten entzogen ist, stellt dies für ihn eine gravierende Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit dar (vgl. BVerfG NJW 2004, 2443). Der Beschuldigte betreibt hauptberuflich einen Autohandel. Durch die vorgenannten Einschränkungen droht der Verlust seiner beruflichen Existenz.

Die Anordnung des Vermögensarrestes ist daher unverhältnismäßig und kann keinen Bestand haben.“

Corona I: Bestimmung des Erlangten für Arrest, oder: Arrestanordnung gegen Michael Ballweg?

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Und dann geht es in die 6. KW/2024 mit zwei Entscheidungen zu den Nachwirkungen von Corona. Nicht gesundheitlich, sondern rechtlich.

Zunächst stelle ich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2024 – 1 Ws 181/23 – vor. Er dürfte den „Querdenker-Chef“ Michael Ballweg betreffen. Nein, es ist nicht die Entscheidung betreffend die Eröffnung des Hauptverfahrens/Zulassung der Anklage, der OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2023 – 1 Ws 177/23 – über den ja nach seinem Erlass an mehreren Stellen berichtet worden ist. Ich hatte dazu beim OLG wegen einer möglichen Veröffentlichung angefragt. Aber man gibt unter Hinweis auf § 353d StGB die Entscheidung nicht frei, was ich nachvollziehen kann, bin ja schließlich „gebranntes Kind“.

Aber: Man hat den am selben Tag erlassenen Beschlss in 1 Ws 181/23 veröffentlicht (was ich dann nicht so ganz nachvollziehen kann). Der betrifft die Frage einer Arrestes in der Sache. Den hat das OLG angeordnet, was m.E. auf der Grundlage der Eröffnung des Hauptverfahrens nur konsequent ist.

Das OLG führt insofern aus:

„Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen besteht (weiter) Tatverdacht u.a. dahingehend, dass sich der Angeklagte als „Kopf“ der von ihm im Zuge der Proteste gegen Beschränkungen im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie ins Leben gerufenen Querdenken 711-Kampagne spätestens im Mai 2020 dazu entschloss, seine durch vorgängige Protestmaßnahmen gewonnene Popularität auch für private Zwecke zu nutzen und sich insbesondere zu seinen Gunsten durch die Spendenbereitschaft seiner Anhänger Einnahmen von einiger Dauer und einigem Umfang zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und zur Mehrung seines Vermögens zu verschaffen. Durch Umsetzung dieses Plans hat er von hiernach vereinnahmten Geldern lediglich eine Teilsumme für Querdenken 711 verwendet und sich dadurch u.a. wegen versuchten Betruges in einem besonders schweren Fall in 9.450 tateinheitlichen Fällen strafbar gemacht1.

II.

Bei diesen (Tat-)Verdachtsmomenten besteht Grund zu der Annahme, dass die Voraussetzungen für die Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB im Hinblick auf den Schuldner vorliegen (§ 111e Abs. 1 StPO). Der Senat hat die mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2023 abgelehnte Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. März 2023 erhobenen Tatvorwurfs des versuchten Betruges aufgehoben, die bezeichnete Anklage auch insoweit zugelassen und das Hauptverfahren vor der 10. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart eröffnet.

 

Vor diesem Hintergrund ist bei Inblicknahme der gegebenen Sachlage erwartbar, dass gegen den Angeklagten die gerichtliche Anordnung einer Einziehung nach §§ 73 ff. StGB ergehen wird. Der Angeklagte hat naheliegend annehmbar durch eine rechtswidrige Tat i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB etwas, nämlich Gelder, erlangt. Die Einziehung dieses Tatertrags ist nicht möglich (§ 73c Satz 1 StGB), nachdem die vereinnahmten Gelder mit sonstigen „Guthaben“ des Angeklagten vermischt bzw. von ihm weiterverfügt wurden. Klarstellend ist weiter Folgendes zu bemerken:

Maßgebende Regel für die Bestimmung des Erlangten i.S.v. § 73 StGB ist das sogenannte Bruttoprinzip. Erlangt ist hiernach jede Bereicherung, die aufgrund der jeweils in Rede Straftat eingetreten ist, namentlich die Tatbeute. Der konkrete Umfang und Wert des Erlangten einschließlich abzuziehender Aufwendungen können geschätzt werden (§ 73d Abs. 2 StGB).

1. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind bei der aktuell gegebenen Aktenlage unter Berücksichtigung der Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift und den von der Verteidigung zuletzt mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2023 angebrachten Erwägungen belastbar tatbedingte Vereinnahmungen des Angeklagten in Höhe von € 1.269.902,58 gegeben2 . Geht man zu dessen Gunsten weiter davon aus, dass sich die Annahme der Staatsanwaltschaft, wonach der Angeklagte einen Betrag von € 843.111,68 für Querdenken 711 „getätigt“ hat, bestätigen lässt, bleibt dieser Betrag entsprechend der in § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB getroffenen Regelung bei der zu einem späteren Zeitpunkt anstehenden Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen außer Betracht. Vor diesem Hintergrund bringt der Senat eine entsprechende Summe bereits jetzt im Hinblick auf die gebotene Sicherungsanordnung in Abzug.

2. Überdies ist die gegen die pp. GmbH ergangene Arrestanordnung zu beachten. Um eine Doppel-Inanspruchnahme des Angeklagten zu vermeiden, sind daher von dem Betrag, der sich nach Vornahme des unter II. Ziff. 1 beschriebenen Subtraktionsverfahrens errechnet, weitere € 131.000 abzuziehen.

3. Der hiernach verbleibende Geldbetrag ist sodann unter Berücksichtigung des – ursprünglich in der Härteklausel des § 73c StGB a.F. kodifizierten und als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips weiterhin gültigen – Übermaßverbots sowie jedenfalls bis zum Abschluss der anstehenden Hauptverhandlung und dem Ergebnis der im Zuge dessen durchgeführten Beweiserhebungen einzukalkulierenden Unwägbarkeiten und nicht fernliegend erwartbaren gerichtlichen Einstellungsentscheidungen im Hinblick auf weniger strafwürdig erscheinende Fälle mit kleineren Geldbeträgen um einen angemessenen Sicherheitsabschlag, den der Senat auf etwa 30% bemisst, noch weiter auf € 200.000 zu verringern.

Die Anordnung eines entsprechenden Vermögensarrestes ist vor dem Hintergrund des bezeichneten Vorgehens und finanziellen Gebarens des Angeklagten geboten, da sonst zu befürchten ist, dass eine spätere Vollstreckung des staatlichen Anspruchs auf Einziehung des Wertes des Tatertrages wesentlich erschwert wenn nicht vereitelt würde. Auch bei Vornahme der erforderlichen Gesamtschau ist die Anordnung in der nunmehr fixierten Größenordnung nicht unverhältnismäßig.

Fußnoten
1)Wegen Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift vom 20.03.2023 Bezug genommen.
2) Soweit in der Anklageschrift anknüpfend hieran Bareinzahlungen „weiterer (…) Beträge“ auf das „Querdenken-Konto“ in Höhe von € 204.815,95 thematisiert werden, ist ein kausaler Zusammenhang mit den in Rede stehenden Betrugstaten derzeit nicht ersichtlich.“

StPO III: Wenn ein Arrest schon sechs Jahre dauert, oder: (Endlich) Aufhebung wegen Zeitablaufs

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 17.05.2023 – 12 Qs 16/23 –, der in einem Arrestverfahren ergangen ist. Folgender Sachverhalt:

Am 19.05.2017 wurde der Beschuldigte, ein italienischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Italien, von Beamten des Zollfahndungsamtes M einer Kontrolle unterzogen. Dabei wurde bei ihm Bargeld gefunden und vorläufig sichergestellt. Das Zollfahndungsamt informierte die italienischen Behörden hierüber; tatsächlich führte da bereits die Staatsanwaltschaft A (Italien) gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. Am 17.05.2018 erließ das AG in Erfüllung des daraufhin eingegangenen italienischen Rechtshilfeersuchens einen Arrestbeschluss gegen den Beschuldigten über 249.050 EUR. Auf dessen Grundlage wurde das sichergestellte Bargeld i.H.v. 200.000 EUR gepfändet. Die Verteidigerin des Beschuldigten beschwerte sich gegen den Arrest. Am 22.01.2019 verwarf das OLG Nürnberg ihre weitere Beschwerde schließlich als unbegründet.

Am 10.01.2023 stellte die Verteidigerin beim AG erneut den Antrag, den Arrestbeschluss aufzuheben. Das lehnte das AG ab. Der Antrag sei unzulässig, weil der Arrestbeschluss vom 17.05.2018 durch Ausschöpfung des Rechtswegs in materielle Rechtskraft erwachsen sei und keine neuen Tatsachen vorlägen, die dessen Abänderung rechtfertigen.

Dagegen legte die Verteidigerin Beschwerde ein, die beim LG Erfolg hatte.

Wegen der Frage der Zuständigkeit – LG oder OLG? – verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das LG hat – m.E. zutreffend – seine Zuständigkeit bejaht.Zur Begründetheit führt das LG dann aus:

„3. Der Sachentscheidung der Kammer steht die Rechtskraft des Beschlusses des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22. Januar 2020 nicht entgegen. Dieser ist zwar formell rechtskräftig; seine materielle Rechtskraft steht jedoch unter dem Vorbehalt der Abänderbarkeit.

Formelle Rechtskraft liegt vor, wenn eine Entscheidung mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar ist. Materielle Rechtskraft führt demgegenüber zu einer Sperrwirkung in dem Sinne, dass der Gegenstand der getroffenen gerichtlichen Sachentscheidung nicht erneut zum Gegenstand einer neuen Sachentscheidung gemacht werden kann (vgl. Beulke in SSW-StPO, 5. Aufl., Einleitung Rn. 341 f.). Die auf weitere Beschwerde (§ 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO) ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichts über einen Arrest erwächst zwar in formelle, aber nur eingeschränkt auch in materielle Rechtskraft. Ändern sich die zugrundeliegenden Verhältnisse nämlich derart, dass der ursprünglichen Entscheidung die Grundlage entzogen wird, kann der Arrest später aufgehoben werden (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., Einleitung Rn. 166). Für den zivilprozessualen Arrest ist das ausdrücklich in § 927 Abs. 1 ZPO geregelt (vgl. G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 916-945b Rn. 13). Beim strafprozessualen Arrest gilt nichts anderes. Der Annahme umfassender materieller Rechtskraft steht der vorläufige Charakter des Arrestes entgegen. Jede zum Arrest getroffene Entscheidung ist gleichsam eine Momentaufnahme und die Anforderungen an die Rechtfertigung seiner Aufrechterhaltung steigen mit der Dauer seines Vollzugs (BVerfG, Beschluss vom 17. April 2015 – 2 BvR 1986/14, juris Rn. 12; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. August 2021 – Ws 718/21, juris Rn. 14; OLG Hamm, Beschluss vom 23. Juni 2022 – III-5 Ws 94/22, juris Rn. 33). Gegenstand der neu vorzunehmenden Sachprüfung ist demgemäß auch nicht Frage der ursprünglichen Rechtmäßigkeit des Arrestes, sondern die Frage, ob der Arrest im Zeitpunkt der jetzt anstehenden Entscheidung noch rechtmäßig ist.

4. Der Arrest war aufzuheben, weil er nicht mehr als verhältnismäßig angesehen werden konnte (zum Übermaßverbot als Maßstab vgl. Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 111e Rn. 8 f. m.w.N.).

Entgegen der Annahme des Amtsgerichts stellt allein schon der Zeitablauf, der seit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg eingetreten ist, ein Novum dar, das zur neuen Sachentscheidung über den Arrest berechtigt. Es trägt eine neue – negative – Bewertung seiner Verhältnismäßigkeit. Dem Beschuldigten ist das gepfändete Geld seit nunmehr sechs Jahren (vorläufig) entzogen. Es wurde am 19. Mai 2017 vorläufig sichergestellt. Der Arrestbeschluss, der am 17. Mai 2018 vom Amtsgericht Nürnberg erlassen wurde und der seitdem vollzogen wird, besteht seit fünf Jahren. Das Oberlandesgericht hat den Sachverhalt am 22. Januar 2019 beurteilt. In der ganzen Zeit ist keine Entscheidung eines italienischen Gerichts ergangen, die zu einer Übergabe des gepfändeten Geldes nach Italien berechtigen würde. Die Anfragen der hiesigen Staatsanwaltschaft wurden von italienischer Seite entweder nicht beantwortet oder die von dort angekündigten Erledigungstermine sind fruchtlos verstrichen. So erhielt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth am 23. Mai 2019 die Mitteilung, gegen den Beschuldigten sei in Italien Anklage erhoben worden und am 11. Juni 2019 solle seine erste gerichtliche Anhörung stattfinden. Die Sachstandsanfragen vom 5. Dezember 2019 und 4. März 2020 blieben unbeantwortet. Am 18. Mai 2020 teilte die italienische Seite mit, die Sache sei noch bei Gericht und es sei nicht mit einem Abschluss vor Ende des Jahres zu rechnen. Am 17. Februar 2021 teilte sie mit, es sei mit einem Verfahrensabschluss im Januar 2022 auszugehen. Am 10. Oktober 2021 fragte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth an, ob die italienischen Behörden ein Ersuchen nach Art. 10 Abs. 1 RB-Sicherstellung stellen wollen. Diese antworteten darauf nicht, ließen aber am 15. Dezember 2021 wissen, weitere Gerichtstermine seien im Zeitraum Januar bis März 2022 angesetzt, sodass ein Verfahrensabschluss im April 2022 möglich sei. Am 13. September 2022 wiederholte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ihre Anfrage. Am 6. Dezember 2022 ging eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft A ein, wonach die gerichtliche Anhörung des Beschuldigten am 6. und 20. Dezember 2022 fortgesetzt werden solle, allerdings sei damit zu rechnen, dass die Einziehungsentscheidung wegen voraussichtlicher Rechtsmittel nicht vollstreckbar sein würde. In einer Mitteilung der italienischen Behörden vom 15. Februar 2023 hieß es, ein Urteil solle am 7. März 2023 ergehen. Seitdem gingen hier keine weiteren Informationen ein. Die Aufrechterhaltung des Arrestes war nach alldem am Maßstab des deutschen Rechts nicht mehr zu rechtfertigen (Beispiele zur zulässigen Dauer des Arrestes bei Cordes, NZWiSt 2021, 45, 49 f. m.w.N.).

5. Die Kammer hat eine aufgrund des Arrestes ausgebrachte Forderungspfändung bereits aufgehoben (Beschluss vom 22. Februar 2023 – 12 Qs 75/22, juris, dazu instruktiv Bittmann, ZWH 2023, 81); nun wird auch gepfändete Bargeld auszukehren sein.“

StPO II: Zeitliche Grenze des Vollzugs eines Arrestes, oder: Es gilt nur das Übermaßverbot

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Im OLG Hamm, Beschl. v. 23.06.2022 – 5 Ws 94/22 – hat das OLG (noch einmal) Stellung zur Aufrechterhaltung eines Arrestes und zu dessen (zeitlicher) Verhältnismäßigkeit Stellung genommen,

Gegen den beschuldigten wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt.Auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG Arnsberg einen Vermögensarrest in Höhe von 510.193,63 EUR in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten angeordnet. In Folge der Corona-Pandemie wurden in dem Ermittlungsverfahren zunächst weder vorgesehene Durchsuchungen durchgeführt, noch der Arrestbeschluss dem Beschuldigten zugestellt und vollzogen. Dies geschah erst Ende August 2021. Der Beschuldigte hat dann mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.08.2021 Beschwerde gegen den Arrestbeschluss eingelegt, der das AG mit Beschluss vom 31.08.2021 nicht abgeholfen hat. Mit Beschluss vom 28.12.2021 hat die Strafkammer des LG teilweise aufgehoben, Es geht im Übrigen aber davon aus, dass der Vollzug der „Restbeschlussess“ (noch) verhältnismäßig ist. Dagegen die weitere Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte. Das führt u.a. aus:

„4. Der angeordnete Arrest ist auch verhältnismäßig.

Bei der Frage, ob sich der weitere Vollzug eines Vermögensarrests als verhältnismäßig erweist, ist neben der Schwere des Tatvorwurfs sowie des Verdachtsgrads die zeitliche Dauer der Arrestierungsmaßnahme sowie die damit für den Einziehungsadressaten verbundenen Belastungen zu berücksichtigen (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., 2022, StPO, § 111e, Rn. 8 f.; BVerfG, Beschluss vom 07.07.2006 2 BvR 583/06 -).

In zeitlicher Hinsicht ist der Vermögensarrest allein an dem allgemeinen Übermaßverbot zu messen. Dabei ist von Verfassungswegen zu beachten, dass dem Betroffenen auch durch eine vorläufige Maßnahme ein erheblicher Nachteil zugefügt werden kann und der Eigentumseingriff sich mit dem Umfang und der Fortdauer der Maßnahme intensiviert. Eine gesetzliche Bestimmung zu zeitlichen Grenzen des Vollzugs eines Arrestes gibt es demgegenüber seit der ersatzlosen Streichung des § 111b Abs. 3 StPO a.F. nicht mehr (vgl. BT-Drs. 18/9525 S. 49; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. August 2021 – Ws 718/21 -, juris; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14.06.2018 – 3 Ws 425/17 -, beck online; OLG Köln, Beschluss vom 10. 2. 2004 – 2 Ws 704/03 -, beck online; Köhler in: Meyer-Goßner/ Schmitt, 65. Aufl., 2022, § 111e Rn. 9; Uber in: Beck-OK, StPO, 43. Edition, Stand: 01.04.2022, § 111f Rn. 1; Spillecke in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., 2019, § 111e Rn. 9). Insbesondere enthält auch die Verweisung des § 111 f Abs. 1 S. 2 StPO eine Verweisung auf § 929 Abs. 2 ZPO, der für den zivilrechtlichen Arrest eine Vollziehungsfrist von einem Monat vorsieht, gerade nicht. Eine analoge Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO kommt bereits mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung wurde § 111b Abs. 3 StPO a.F. vor dem Hintergrund aufgehoben, dass es sich bei dessen Regelung um eine Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehandelt habe, welcher bereits von Verfassungswegen zu berücksichtigen sei, sodass der Schutz der Betroffenen durch die Aufhebung der Vorschrift nicht beeinträchtigt werde (vgl. BT-Drs. 18/9529 S. 49). Dies verdeutlicht, dass sich der Gesetzgeber des Wegfalls der Frist für die Vollziehung des Arrestes bewusst gewesen ist. Eine entsprechende Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Durchsuchungsbeschlüssen (BVerfG, Beschluss vom 27.05.1997 – 2 BvR 1992/92 -, beck online) hat das Landgericht aufgrund der strukturellen Unterschiede mit zutreffender Begründung ebenfalls abgelehnt. So begründet das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung maßgeblich damit, dass der Richter bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung einen gegenwärtigen Sachverhalt beurteile, eine erst in großem zeitlichen Abstand durchgeführte Maßnahme jedoch nicht mehr dem Entscheidungsgegenstand entspreche, da sich mit Zeitablauf die tatsächliche Entscheidungsgrundlage von dem Entscheidungsinhalt entferne (vgl. BVerfG a.a.O.) Im Vergleich zu den Voraussetzungen für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung stellt sich der dem Erlass eines Arrestes zugrunde liegende Sachverhalt jedoch als regelmäßig weniger dynamisch dar. Zudem ist – anders als bei einer bereits vollzogenen Durchsuchung – die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen einen Arrestbefehl regelmäßig möglich. Soweit demgegenüber teilweise die Ansicht vertreten wird, der strafrechtliche Vermögensarrest habe einer Vollziehungsfrist zu unterliegen (vgl. Cordes, NZWiSt 2021, 45, der entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Durchsuchungsbeschlüssen eine sechsmonatige Frist anwenden will; vgl. Buchholz/Weber, NZWiSt 2020, 306, nach deren Auffassung § 929 ZPO analog anzuwenden ist; vgl. Bittmann in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2014, § 111d Rn. 14, der die Voraussetzung eines Versuches einer Vollstreckung binnen Monatsfrist befürwortet), wird dies – soweit ersichtlich – zudem ausschließlich im Rahmen von Rechtsbehelfen im Vollstreckungsverfahren gemäß § 111k Abs. 3 StPO diskutiert und befürwortet (vgl. Buchholz / Weber a.a.O.).

Am Maßstab des allgemeinen Übermaßverbots gemessen erweist sich der vorliegende Arrest insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht als verhältnismäßig. Es handelt sich um einen erheblichen Tatvorwurf, für den fundierte Indizien bestehen. Seit der Zustellung des Arrestbeschlusses im August 2021 – zuvor hatte der Arrest sich mangels Zustellung und Kenntnis des Beschuldigten von diesem sich nicht grundrechtseinschränkend ausgewirkt – ist das Ermittlungsverfahren mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden. Anhaltspunkte für seitens der Justiz verursachte Verzögerungen bestehen nicht.“

Der Gegenstandswert beträgt mehr als 3,2 Mio EUR ?, oder: OLG setzt auf rund 160.000 EUR fest

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Und dann vor dem Wochenende noch zwei Gebührenentscheidungen. Beide betreffen die Nr. 4142 VV RVG – fast ist man geneigt zu schreiben: Welche Ziffer aus dem VV sonst? 🙂 In beiden Entscheidungen geht es um die den für die Höhe der Gebühr maßgeblichen Gegenstandswert, also mal nicht um den Anfall der Nr. 4142 VV RVG.

In dem dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.12.2021 – Ws 1149/21 – zugrunde liegenden Verfahren meinte der Bevollmächtigte des Nebenbeteiligten, 3.231.444,00 EUR seinen als Gegenstandswert angemessen, das OLG hat dann aber nur 157.054,60 EUR festgesetzt.

„3. Bei einem Vermögensarrest gemäß §§ 111e, 111f StPO ist maßgebend für die Wertfestsetzung das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung, wobei die konkrete wirtschaftliche Situation in den Blick zu nehmen ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 RVG). Beträge, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommt und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt. Nur soweit der zu sichernde Anspruch werthaltig ist und eine Befriedigung des Arrestgläubigers erwarten lässt, ist er im Rahmen der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG der Bemessung des Gegenstandswerts zu Grunde zu legen. Damit geht das für die Wertberechnung gem. § 2 I RVG maßgebliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weiter, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem der Verteidiger tätig wird. Dabei können die in Vollziehung des Arrests erfolgten Pfändungen Anhaltspunkte dafür liefern, inwieweit eine durchsetzbare Verfallsanordnung in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 8.11.2018 – III ZR 191/17 m.w.N., Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4142 VV Rn 42).

4. Danach ist der Gegenstandswert auf 157.054,60 € festzusetzen.

a) Auszugehen ist vom Wert der bei der Nebenbeteiligten in Vollziehung des angeordneten Vermögensarrest sichergestellten 471.163,80 EUR. Auch wenn der Senat mit seinem Beschluss vom 31.08.2021 den in Höhe von 3.231.444,00 € angeordneten Vermögensarrest vollständig aufgehoben hat, ist der Wert nur in Höhe des tatsächlich vollzogenen Betrags anzusetzen. Dass weitere Vermögenswerte der Nebenbeteiligten bestanden, auf die zum Vollzug des Vermögensarrests hätte zugegriffen werden können, ist nicht ersichtlich.

b) Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests ist ein Abschlag von zwei Dritteln vorzunehmen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.1.2008, 3 Ws 560/07; OLG München, Beschluss vom 16.08.2010, 4 Ws 114/10; BGH a.a.O.; Burhoff a.a.O.; Gerold/Schmidt a.a.O., VV 4142 Rn 20), so dass sich ein Gegenstandswert von 157.054,60 € ergibt.