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Einziehung III: Arrest in das gesamte Vermögen, oder: Verhältnismäßigkeit

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Schon etwas länger schlummert in meinem Blogordner der OLG Bamberg, Beschl. v. 19.03.2018 – 1 Ws 111/18, den mir die Kollegin Waterstradt aus Aschaffenburg geschickt hat. Heute passt die Entscheidung ganz gut. Es geht zwar zunächst noch nicht um Einziehung, aber um die Verhältnismäßigkeit eines Arrestes in das gesamte Vermögen eines Beschuldigten. Dazu das OLG:

„Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NStZ 2006, 639, beck-online; noch auf der Grundlage des früheren Rechtszustands, aber wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für das unverändert gebliebene grundrechtliche Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Eingriff und bürgerlichen Grundrechten weiterhin zutreffend) ist der Vermögensarrest als staatlicher Zugriff auf das Vermögen am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Er erlaubt zwar nicht die endgültige Entziehung des Eigentums, beschränkt aber die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten in einschneidender Weise. An seine Zumutbarkeit und an das Verfahren seiner Anordnung sind besondere Anforderungen zu stellen. Zu berücksichtigen ist, dass das möglicherweise strafbar erlangte Vermögen oder sein Wertersatz zu einem Zeit-punkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Straf-barkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des Betroffenen.

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt eine Wechselbeziehung zwischen dem Gewicht des Eingriffs und den Anforderungen an seine Anordnung. Je intensiver der Staat mit Sicherungsmaßnahmen in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs. Wird durch die Sicherungsmaßnahme nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, so fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine besonders sorgfältige Prüfung und eine eingehende Darlegung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Anordnung.

Der Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG wird bei der Arrestanordnung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens gesichert. Zur Gewährleistung des Eigentumsrechts sieht die Strafprozessordnung einen grundsätzlichen Richtervorbehalt vor (§ 111j StPO). Nicht nur die entsprechenden Normen des Prozessrechts, sondern auch der Schutz des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG verlangen vom Ermittlungsrichter und dem Rechtsmittelgericht, dass sie die tatsächlichen Grundlagen einer Arrestanordnung selbst ermitteln und ihre rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen. Eine Bindung der Gerichte an die im Verfahren der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen wird dadurch ausgeschlossen. Vielmehr müssen die eigene richterliche Prüfung der Voraussetzungen des Eingriffs und die umfassende Abwägung zur Feststellung seiner Angemessenheit mit auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen dargelegt werden. Schematisch vorgenommene Anordnungen oder formelhafte Bemerkungen in den Beschlussgründen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht lediglich eine Vermutung hinsichtlich der Höhe erlangten Vermögens, vielmehr bedarf dies einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene dagegen Rechtsschutz suchen kann.

Angesichts der Höhe des Arrestbetrags und der sonst bekannt gewordenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten ist davon auszugehen, dass hier der Arrest das gesamte derzeitige Vermögen des Beschuldigten umfasst. Praktisch sieht es so aus, dass der Beschuldigte als einzigen bedeutsamen Vermögensgegenstand die Ansprüche aus seinem Arbeitsverhältnis hat, die in Vollzug des Arrests gepfändet wurden und den Beschuldigten somit auf den pfändungsfreien Teil seines Arbeitseinkommens zurückfallen lassen.

Den hieraus erwachsenden Anforderungen, so wie sie vorstehend dargestellt sind, wird die angefochtene Entscheidung in Verbindung mit der vorangegangenen amtsgerichtlichen Entscheidung und der Nichtabhilfeentscheidung gerecht. Auch der Senat ist der Auffassung, dass die hier vorgenommene Schadensberechnung jedenfalls im gegenwärtigen Ermittlungsstadium hinreichend konkret und realistisch ist, weil sie auf konkreten Aussagen von Zeugen beruht, die mit den Vor-gängen, die der Berechnung zugrunde liegen,, unmittelbar befasst waren, und darüber hinaus keine Bedenken gegen deren Glaubwürdigkeit ersichtlich sind….“

 

Gegenstandswert 22 Mio oder „nur“ 1 Mio?, oder: Dem Pflichtverteidiger ist es egal

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Bei der zweiten Entscheidung geht es u.a. um den Gegenstandswert für die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG. Es handelt sich um den OLG Rostock, Beschl. v. 07.06.2018 – 20 Ws 42/18. Nach dem Sachverhalt hat das AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft „zur Sicherung der dem Verletzten aus den Straftaten erwachsenen steuerrechtlichen Ansprüche oder des staatlichen Anspruchs auf Verfall des Wertersatzes“ den dinglichen Arrest in Höhe von 22.427.626,60 € in das Gesellschaftsvermögen der O. T. R. GmbH angeordnet. In Vollziehung des Arrestes wurden durch die Staatsanwaltschaft anschließend Bargeld in Höhe von 14.250 €, zwei Bankguthaben im Gesamtbetrag von 3.437,30 € sowie etwaige Ansprüche des Angeschuldigten gegen das Hauptzollamt Stralsund auf Rückzahlung einbezahlter Geldbeträge und gegen die Hinterlegungsstelle des AG Hamburg auf Rückzahlung einer in anderer Sache geleisteten Kaution in Höhe von insgesamt 923.575,53 € gepfändet. Weiterhin wurden zwei Rolex-Armbanduhren des Angeschuldigten mit unbekanntem Zeitwert arrestiert. Schließlich wurden der alleinige Gesellschaftsanteil des Angeschuldigten an der O. L. GmbH nebst seiner Ansprüche gegen die Gesellschaft auf Gewinnbeteiligung und Vergütung gepfändet, die sich jedoch nicht als werthaltig erwiesen haben.

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den die beantragte Aufhebung des dinglichen Arrestes ablehnenden Beschluss des LG hat das OLG sowohl die Entscheidung des LG als auch die Arrestanordnung des AG aufgehoben und die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Rechtsmittelführers der Staatskasse auferlegt. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin sämtliche in Vollziehung des Arrestes erfolgten Pfändungen aufgehoben.

Der auch im Beschwerdeverfahren für den Angeschuldigten tätig gewesene Vollverteidiger hat beim LG nach § 33 Abs. 1 RVG beantragt, den Gegenstandswert für dieses Verfahren auf 22.427.626,60 € festzusetzen. Dem ist die dortige Bezirksrevisorin entgegengetreten. Sie hält lediglich einen Gegenstandswert in Höhe von einem Drittel des in der Arrestanordnung genannten Betrages für berechtigt und sieht im Übrigen die Zuständigkeit für die Festsetzung beim OLG. Die Strafkammer hat die Vorgänge deshalb dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Abweichend vom Antrag des RA und der Ansicht der Bezirksrevisorin hat das OLG den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren (nur) auf 951.262,83 € festgesetzt. Dieser Betrag entspreche der Summe der aufgrund der Arrestanordnung gepfändeten Bargeldbeträge, Bankguthaben und möglichen Forderungen des Angeschuldigten gegen das Hauptzollamt Stralsund und die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Hamburg auf Rückzahlung einbezahlter Geldbeträge und des vom OLG mit jeweils 5.000 € geschätzten Zeitwerts der beiden Rolex-Armbanduhren.

Dem weitergehenden Antrag ist das OLG nicht gefolgt. Der Gegenstandswert für die Tätigkeit des Verteidigers in dem Beschwerdeverfahren bemesse sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Angeschuldigten an der Aufhebung der Arrestanordnung als Voraussetzung dafür, die daraufhin tatsächlich gesicherten Vermögenswerte wieder zur eigenen Verfügung zu erhalten. Der Gegenstandswert ergebe sich dagegen nicht aus der bloßen Möglichkeit, dass noch (weitere) Wertgegenstände/Forderungen bis zum Höchstbetrag der Arrestanordnung der Einziehung unterliegen könnten, jedenfalls dann nicht, wenn – wie hier – bis zur Aufhebung der Arrestanordnung nicht erkennbar war, dass es zu weiteren Pfändungen hätte kommen können. Soweit das Interesse des Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren deshalb vorliegend auch darauf gerichtet gewesen sein sollte, die Anordnung des dinglichen Arrests über einen Betrag von knapp 22,5 Mio. € zu beseitigen, um künftige Pfändungen bis zu diesem Höchstbetrag zu verhindern, misst das OLG dem angesichts der Tatsache, dass seit dem Erlass der Anordnung im August 2014 keine über die bisher erfolgten Pfändungen hinausgehenden Vermögenswerte des Angeschuldigten festgestellt werden konnten, die Arrestanordnung sich also insoweit als nicht „werthaltig“ erwiesen hat, dem „überschießenden“ Arrestbetrag keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert bei.

Einem Pflichtverteidiger wäre es wegen der Beschränkungen in den §§ 49, 13 RVG egal, der Wahlverteidiger wird nicht so erfreut sein.

Verhältnismäßigkeit bei Vermögensarrest über ca. 380.000 EUR, oder: Nach mehr als drei Jahren wird es allmählich Zeit

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Und als letzte Entscheidung dann noch etwas zum Recht der Vermögensabschöpfung, und zwar zum neuen Recht und da zur Frage der Verhältnismäßigkeit (der Aufeechterhaltung) von Arrestentscheidungen, wenn das Verfahren schlepend geführt wird. Zu den damit zusammenhängenden Fragen nimmt der OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.06.2018 – 3 Ws 425/17 – Stellung.

Gegenstand des Verfahrens ist ein Arrest über ca. 380.000 €, der seit April 2015 besteht. Das Verfahren richtet sich gegen die Tochter der Beschwerdeführerin. Gegen die Beschuldigte wird seit Ende 2013 wegen Nichtabführung von Sozialabgaben und Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Betrieb mehrerer „Terminswohnungen“ zwecks Ausübung der Prostitution durch diverse Chinesinnen ermittelt. Dabei soll die Beschuldigte insgesamt Sozialabgaben in Höhe von 599.285,09 € nicht abgeführt haben. Von ihren illegalen Einnahmen hat die Beschuldigte insgesamt 379.085,57 € der Mutter zukommen lassen. Mit Beschluss vom 30.4.2015 ordnete das AG Frankfurt a.M. deshalb den dinglichen Arrest in das Vermögen der Beschwerdeführerin in Höhe von 379.085,57 € an. Ihre Beschwerde hiergegen hatte beim LG Frankfurt a.M. keinen Erfolg.

Das OLG Frankfurt a.M. hot mit Beschluss v. 8.1.2016 jedoch den Haftbefehl aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gegen die Beschuldigte aufgehoben, weil das OLG davon ausging, dass die tatsächliche Schadenssumme unter 30.000 € liege. Daraufhin beantragte die Beschwerdeführerin am 01.03.2016 den Arrestbeschluss v. 30.04.2015 aufzuheben, da das AG Frankfurt a.M. diesen Antrag zurückwies und die dagegen gerichtete Beschwerde vom LG Frankfurt a.M. verworfen wurde, griff die Beschwerdeführerin diese Entscheidung mit der weiteren Beschwerde an.

Zu einer Anklage ist es bisher nicht gekommen, weil die Staatsanwaltschaft mehrfach hinsichtlich des Schlussberichtes der ermittelnden Bundespolizei v. 10.12.2015 Rückfrage hielt und zudem den Ausgang eines finanzgerichtlichen Verfahrens abwarten wollte, um die dortigen Erkenntnisse in den Bericht der Steuerfahndung wie der Schlussberechnung der Deutschen Rentenversicherung einfließen zu lassen. Schließlich lagen am 12.06.2017 der entsprechende Ermittlungsbericht sowie die Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung vor. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft bisher keine Anklage erhoben.

Das OLG hat jetzt den Arrestbeschluss aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufgehoben:

„Am 1. Juli 2017 ist das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in Kraft getreten. Da im Verfahren noch kein Urteil ergangen ist, in dem festgestellt wurde, dass nur deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. entgegen stehen, ist das neue Recht anzuwenden (Art. 316h EGStGB; § 14 EGStPO).

Maßgebend für die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung des Vermögensarrestes ist daher die begründete Annahme, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen (§ 111e Abs. 1 StPO; §§ 73, 73a, 73c StGB). Die Einziehung kann sich auch gegen einen Dritten richten, der durch die Tat etwas erlangt hat, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein (§ 73b StGB).

Auch nach neuem Recht ist sowohl bei der Anordnung als auch der Fortdauer des Vermögensarrestes der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die bisherige Rechtsprechung hierzu wird durch die Neuregelung nicht berührt (BT-Drs 18/9525 S. 49 und §. 75). Der Vermögensarrest beschränkt die wirtschaftliche ‚Handlungsfreiheit des Betroffenen in einschneidender Weise. Im Hinblick darauf, dass es sich dabei lediglich um eine vorläufige Maßnahme handelt, die der Sicherung der späteren Einziehungsentscheidung dient, steigen die Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit mit der Dauer der durch sie bewirkten Einschränkungen (vgl. OLG Frankfurt [Senat) StV 2008, 624; Senat, Beschluss vom 11. Februar 2014 3 Ws 1086/13; BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juli 2006 – 2 BvR 583/06 und vom 7e Juni 2005 — 2 BvR 1822/04 jeweils zum bisherigen Recht). Ein angeordneter Arrest wird deshalb unverhältnismäßig, wenn der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens allein durch Umstände aus der Sphäre des Staates erheblich verzögert wird, weil in diesem Falle eine durch die Sache nicht mehr gebotene und damit nicht mehr hinzunehmende Belastung des Betroffenen entsteht (Senat aaO; OLG Köln NStZ 2005, 400).

Von einer Verfahrensverzögerung, die zur Unverhältnismäßigkeit der Arrestanordnung führt, ist vorliegend jedenfalls nunmehr auszugehen. Die Arrestanordnung besteht inzwischen seit mehr als drei Jahren und einem Monat. Der 158 Seiten (zuzüglich Anlagen) umfassende Schlussbericht der ermittelnden Bundespolizeiinspektion Bexbach (Bd. VII BI. 2641 ff.) war am 10. Dezember 2015 fertiggestellt. Mit ausführlich begründeten Beschluss vom 31. Mai 2016 (3 Ws 98/16) bejahte der Senat den dringenden gegen die Beschuldigte und wies auf dieser Grundlage deren weitere Beschwerde gegen die Anordnung des dinglichen Arrestes in Höhe von 599.285,09€ zurück.

Am 31. August 2016 und 5. September 2016 erstellte die POK Röcker Vermerke über die Tätigkeit für die Beschuldigte (Bd. IX BI. 3809 ff; 3838 ff. dA).

Seitdem ist wiederholt in den Akten vermerkt, der zuständige Dezernent der Staatsanwaltschaft habe mit POK pp. Ergänzungen abgeklärt und Fortsetzungsarbeiten am Schlussvermerk vorgenommen (Vermerke vom 8. September 2016 Bd. IX BI. 3836; vom 31. Oktober 2016 – Bd. IX BI. 3913; vom 9, November 2016 – Bd. IX BI. 3929).

Aus einem weiteren Vermerk vom 27. April 2017 (Bd. X BI. 4113) ergibt sich, dass der Ausgang eines Verfahrens vor dem Finanzgericht abgewartet werden soll. Die Zahlen und Berechnungen aus dem dort erwarteten urteil sollen sowohl in den Bericht der Steuerfahndung einfließen als auch Grundlage der Schlussberechnung der Deutschen Rentenversicherung sein, Nach Erhalt des Urteils werde der Schlussbericht fertiggestellt werden (siehe auch Vermerk vom 30, Mai 2017 — Bd. X BI, 4126).

Unter dem 29. Mai 2017 und dem 30. Mai 201Tist vermerkt, der Dezernent habe
Fortsetzungsarbeiten an der Anklageschrift vorgenommen. Am 12. Juni 2017 lagen der „Tabellarische Ermittlungsbericht 2017″ sowie die Berechnung der DRV vor (Bd. 4 X. BI. 4132). Am 28. August 2017 teilte die Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht Frankfurt am Main mit, die Ermittlungen seien „weitestgehend abgeschlossen“, die Abschlussverfügung aber noch nicht fertiggestellt. Es müsse im hiesigen Beschwerdeverfahren erneut Stellung genommen werden (Bd. X BI. 4145). Diese Stellungnahme erfolgte am 19′. Oktober 2017 (Bd. X BI. 4302). Am 29. Dezember 2017 ist vermerkt, der Dezernent habe Fortsetzungsarbeiten an der Abschlussverfügung vorgenommen getätigt und Kontakt mit der Steuerfahndung aufgenommen (BdXBlv4307).

Bei diesem Verfahrensgang kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Verfahren nach Aufhebung des Haftbefehls durch den 1. Strafsenat und der Beschwerdeentscheidung des erkennenden Senats von 31. Mai 2016 noch ausreichend gefördert worden ist. Jedenfalls ist nicht mehr nachvollziehbar weshalb die Ermittlungen bislang noch nicht abgeschlossen worden sind.

Wie eine telefonische Anfrage des Senats vom 13. Juni 2018 ergeben hat, ist immer noch nicht Anklage erhoben worden. Selbst wenn dies nun alsbald geschehen sollte, ist unabsehbar, ob und wann ein Urteil ergehen wird, in dem gemäß §§ 73 ff. StGB auf Anordnung der Einziehung von Taterträgen erkannt wird.“

Eine schöne Entscheidung, die zutreffend herausstellt, dass sich auch hinsichtlich eines Arrestes aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Verpflichtung für die Strafverfolgungsorgane ergibt, die Herbeiführung einer endgültigen Entscheidung hinreichend zu fördern. Da die Gesetzesbegründung zur Neuregelung gerade hervorhebt, dass „die bisherige Rechtsprechung zum Arrestgrund und zur Dauer vorläufiger Sicherungsmaßnahmen (…) durch die Neuregelung nicht berührt“ werden (BT-Drs. 18/9525, S. 49), kann auf die bisherige Rechtsprechung dazu zurückgegriffen werden.

RVG: Gegenstandswert 3.621.930,00 € oder nur 7.024,68 €?, oder: Wertfestsetzung im Arrestverfahren

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Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich das OLG Frankfurt, Urt. v. 11.05.2017 – 1 U 203/15 – gelesen. Ergangen ist das Urteil in einem Entschädigungsverfahren nach dem StrEG. In dem hat der Kläger Ersatz von Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mi der Vollziehung eines dinglichen Arrests geltend gemacht. Der Kläger war Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren. Durch Beschluss des AG Frankfurt am Main vom 08.04.2010 wurde der dingliche Arrest in Höhe von 10.835.791,- € in das Vermögen des Klägers angeordnet. Der Arrest wurde vom 28.4.2010 bis zum11.8.2010, durch Kontenpfändung und bis zum 26.8.2010 durch Pfändung beweglicher Sachen vollzogen. Gegen den Arrestbeschluss hat der Verteidiger des Klägers Beschwerde eingelegt. Das AG Frankfurt hat den Arrestbeschluss mit Beschluss vom 16.08.2010 aufgehoben. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde unter dem 11.03.2014 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Mit Beschluss vom 10.06.2014 hat das AG festgestellt, dass der Kläger „für den vollzogenen dinglichen Arrest des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom B. April 2010 in der Zeit vom 28.4.2010 bis zum 26.8.2010 zu entschädigen ist“.

Gestritten wird nun um die Gebühr Nr. 4142 VV RVG. Die hat der Kläger geltend gemacht, und zwar aus einem Gegenstandswert des Arrestverfahrens in Höhe von 3.621.930,00 €. Die GStA hält nur einen Gegenstandswert in Höhe der vollzogenen Arrestes für zutreffend.

Die Klage war vom LG Frankfrut abgewiesen worden, beim OLG hatte der Kläger nun aber Erfolg. Aus dem Urteil:

Zunächst das lachende Auge: Das bezieht sich auf die Auffassung des OLG, das davon ausgeht, dass die Gebühr auch in den Fällen der so. Rückgewinnungshilfe anfällt. Es schließt sich damit der inzwischen wohl h.N. in der Rechtsprechung Literatur an:

„cc) Einer Ersatzfähigkeit der Rechtsanwaltskosten steht vorliegend auch nicht entgegen, dass der Arrest auch auf § 111b Abs. 5 StPO gestützt war.

Allerdings ist streitig, ob die Gebühr nach VV 4142 RVG überhaupt anfallen kann, wenn ein Arrest nicht nur gem. § 111b Abs. 2 StPO zur Sicherung staatlicher Ansprüche auf Verfall des Wertersatzes angeordnet ist, sondern wenn er auch gemäß § 111 b Abs. 5 StPO zur Sicherung von Rückgewinnungsansprüchen angeordnet ist (Burhoff in: Gerold/Schmidt., a.a.O., 4142 VV, Rn 8). Eine Gebühr nach Nr. VV 4142 RVG soll dann nicht ausgelöst werden, wenn ein Arrest allein zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe (§ 111b Abs. 5 StPO) angeordnet ist, ist, da dieser nicht zu den „vorgenannten Maßnahmen“ im Tatbestand der Nr. VV4142 RVG gehöre (OLG Köln, Beschl. v. 22.11.2006 — 2Ws 614/06). Das OLG Hamm hat den Anfall einer Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG verneint, wenn die Sicherstellung von Eigentum nicht zu einer endgültige Entscheidung über den Vermögensverlust führt, sondern erst durch zivilrechtliche Verfahren eine Klärung herbeizuführen ist, in denen dann wiederum anwaltliche Gebühren entstehen (OLG Hamm, Beschl. v. 17.2.2009 – 2 Ws 378/08). Nach anderer Auffassung, der sich der Senat anschließt, soll sich der auch zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe angeordnete dingliche Arrest in Intensität und wirtschaftlicher Auswirkung aus Sicht des Betroffenen nicht mehr wesentlich von der Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines nach § 111b Abs. 2 StPO ausgebrachten dinglichen Arrestes unterscheiden (OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 — 1 Ws 212/13; OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2008 — 3 Ws 323/07). Dafür spricht auch, dass gemäß § 111i StPO beschlagnahmte Gegenstände nach Ablauf von 3 Jahren mit Verfallswirkung dem Staat anheimfallen, was aus Sicht des durch die Beschlagnahme Betroffenen die gleiche Wirkung wie die Einziehung des Wertersatzes hat.

Jedenfalls in den Fällen, in denen – wie vorliegend – der Arrest nicht nur der Sicherung von Rückgewinnungsansprüchen sondern auch der Sicherung staatlicher Ansprüche aus Wertersatz dient, ist danach der Anfall einer Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht ausgeschlossen.“

Aber, dann das weinende Auge: Beim Gegenstandswert sieht das OLG die Rechtslage anders als die wohl h.M.:

Die Gebühr aus Nr. VV 4142 RVG entsteht für eine Tätigkeit des Verteidigers für den Beschuldigten, die sich auf eine Einziehung oder verwandte Maßnahmen bezieht. Letztere sind in §§ 442 Abs. 1 StPO mit Verfall, Vernichtung, Unbrauchbarmachung oder Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustands benannt. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen, die dem Betroffenen den Gegenstand endgültig entziehen und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen lassen (Burhoff in: Gerold/Schmidt, a.a.O., VV 4142, Rn. 9).

Sinn und Zweck des VV142 RVG ist es danach, eine Anwaltsvergütung für die Tätigkeiten zu erhalten, die sich auf die Bewahrung des Eigentums Mandanten richten (vgl. Kotz/Beck-OK-RVG, 35. Ed. (15.7.2015), VV 4142 Rn. 1). Dementsprechend bestimmt sich der Gegenstandswert für die Gebühren nach der ganz überwiegenden Rechtsprechurig und Auffassung nach objektiven Wert der betroffenen Gegenstände (OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.11.2006 — 2 Ws 137/06; KG, Urt. v. 18.7.2005 — 5 Ws 256/05, JurBüro 2005, 531; OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2008 — 3 Ws 323/07, wistra 2008, 160; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 — 1 Ws 212/13, NStZ-RR 2014 – 360; Burhoff, a.a.O., VV 4142 Rn. 19; Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, VV 4142 Rn. 16; Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG 10. Aufl. 2015, Rn. 11; Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, Nr. 4141-4147 VV, Rn 18).

Von der Rechtsprechung und der Literatur wird allerdings teilweise auch für die Vergütung aus Nr. VV 4142 RVG der Gegenstandswert des Arrestes mit einem Drittel des zu sichernden Hauptanspruchs angenommen (OLG Hamm, Beschl. v. 17.1.2008 – 3 Ws 560/07, OLG München, Beschl. v. 16.8.2010 – 4 Ws 114/10 (K); OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2014 – 1 Ws 212/13; Riedel/Sußbauer /Kremer, a.a.O., Rn. 15). Die Wertfestsetzung beruht dabei jeweils ohne eingehendere Begründung auf einer Übertragung der Grundsätze die im Zivilrecht für die Wertfestsetzung im Arrestverfahren entwickelt worden.

Das erscheint nicht zutreffend. Die Streitwertfestsetzung im zivilrechtlichen Arrestverfahren beruht darauf, dass sich eine Partei einer Geldforderung berühmt und deren Zwangsvollstreckung sichern möchte (§ 916 Abs. 1 ZPO). Danach ist die obere Grenze bei der Sicherung einer Geldforderung deren Betrag, wobei wegen der Vorläufigkeit der Regelung regelmäßig ein Abschlag auf ein Drittel dieses Betrages gemacht wird (vgl. nur Herget/Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 3 Rn 16 „Arrestverfahren“).

Ein Arrestanspruch ist jedoch nicht Voraussetzung für den Erlass eines Arrestes gem. § 111 b Abs. 1 StPO wegen des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz. Hierfür müssen allein Gründe für die Annahme vorliegen, dass Maß nahmen nach den §§ 73a, 74c StGB verhängt werden (Spillecke, Karlsruhe Kommentar zur StPO; 7. Aufl. 2013, § 111d Rn. 4). Auf § 916 Abs. 1 ZPO ist in § 111 d Abs. 2 StPO auch nicht verwiesen.

Soweit die antragstellende Staatsanwaltschaft Ansprüche durch Bezifferung konkretisiert, handelt es sich hierbei um eine notwendig vorläufige Annahme, die von dem jeweiligen Stand der Ermittlungen und Erkenntnisse abhängt.

Die Gebühr aus Nr. 4142 VV RVG entsteht für eine Tätigkeit des Verteidigers, die sich auf die Einziehung, Verfall, Vernichtung, Unbrauchbarmachung und Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustandes von Sachen des Mandanten beziehen. Ausgangspunkt der Tätigkeit des Verteidigers ist daher allein die Sicherung von dessen Vermögensgegenständen. Der objektive Gegenstandswert für diese Tätigkeit ergibt sich danach nicht aus der Annahme, dass Wertgegenstände in einer bestimmten Höhe der Einziehung oder dem Verfall unterliegen könnten, sondern aus dem Wert der Gegenstände, zu deren Sicherung der Verteidiger tätig wird.“

Zu den Fragen werden wir dann demnächst etwas vom BGH hören. Denn das OLG hat die Revision zugelassen. Und die Sache hat Bedeutung, denn es geht ja schon um ein paar Euro anwaltliche Vergütung mehr….

In der Entscheidung steckt (viel) Geld, oder: Verfahrensgebühr auch bei Rückgewinnungshilfe?

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Den OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2014 – 1 Ws 212/13 – muss man als Verteidiger oder sonstiger Verfahrensbeteiligter, der mit Rückgewinnungshilfe im Strafverfahren befasst war, kennen. Denn in der Entscheidung „steckt Geld“. Es geht um die Frage, ob die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG – eine Wertgebühr – auch in den Fällen der Rückgewinnungshilfe gilt und abgerechnet werden kann.  Das ist z.B. von Bedeutung, wenn im Verfahren ein dinglicher Arrest ur Sicherung der Rückgewinnungshilfe erlassen worden ist und der Verteidiger zu dessen Abwendung tätig geworden ist. Die h.M. verneint in den Fällen das Entstehen der Nr. 4142 VV RVG (wegen Rechtsprechungs-Nachweise verweise ich auf die Zitate im OLG-Beschluss). Demgegenüber gehen andere Stimmen in der Rechtsprechung (vgl. auch insoweit den Beschluss) vom Entstehen der Gebühr aus, allerdings ohne dass näher zu begründen.

Das OLG hat sich jetzt der letztgenannten Ansicht angeschlossen und das ausführlich begründet, und zwar – zusammengefasst – wie folgt: Entgegen der h.M. werde auch die anwaltliche Tätigkeit, die sich gegen einen zum Zweck der Rückgewinnungshilfe angeordneten dinglichen Arrest (§ 111b Abs. 5 StPO) richte, von Nr. 4142 VV RVG erfasst. Denn durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24.10.2006 (BGBl. I S. 2350) sei § 111i StPO mit Wirkung vom 01.01.2007 grundlegend novelliert und in Abs. 2 bis 7 ein staatlicher Auffangrechtserwerb normiert. Seit 01.01.2007 komme es daher für die Frage, ob ein auf der Grundlage eines dinglichen Arrests gepfändeter Vermögensgegenstand dem betroffenen Vermögensinhaber letztlich entzogen werden wird, nicht mehr darauf an, ob der Verletzte in die aufgrund des dinglichen Arrests sichergestellten Vermögenswerte vollstreckt oder hiervon wegen des damit verbundenen Aufwands absehe. Seither unterscheide sich die Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines (auch) zum Zweck der Rückgewinnungshilfe angeordneten dinglichen Arrests in Intensität und wirtschaftlicher Auswirkung aus der Sicht des Betroffenen nicht mehr wesentlich von der Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines „nur“ nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO i.V. mit § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB angeordneten dinglichen Arrests bzw. von der Beschlagnahme eines „nur“ dem Verfall unterliegenden Gegenstandes.

Liest sich m.E. gut und man kann sich m.E. den Argumenten des OLG Stuttgart für das Entstehen der Gebühr Nr. 4142 VV RVG kaum verschließen. M.E. wird ein Umdenken in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur einsetzen müssen (auch wir sehen es allerdings in unserem RVG-Kommentar noch anders). Also: Auf in die Diskussion, denn die wird einsetzen, da die Vertreter der Landeskassen die Entscheidung wegen der erheblichen Gebührenansprüche, die über §§ 13, 49 RVG auf die Landeskassen zukommen, nicht gern lesen. Sie werden sich im Zweifel auf die h.M. zu Nr. 4142 VV RVG berufen, die bislang in diesen Fällen das Entstehen der Gebühr Nr. 4142 VV RVG verneint hat. Aber da muss man dann ggf. das Rechtsmittel versuchen.

Und, dass die Entscheidung Verteidigern und/oder Vertretern von Arrestbeteiligten viel Geld bringen kann, zeigt allein schon die jeweilige Höhe der zu sichernden Hauptansprüche, die bei der Wertgebühr die Höhe des Gegenstandswertes bestimmen. Da ist man schnell im sechsstelligen Bereich – wie der OLG Stuttgart-Beschluss zeigt.