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Pflichti I: 4 x etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: Betreuung, Gesamtstrafe, (Schwer)Behinderungen

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Heute ist es dann mal wieder Zeit für einen Pflichtverteidigungstag. Bei der Gelegenheit: Herzlichen Dank allen Kollegen/Kolleginnen, die mir immer wieder Entscheidungen (auch) zu den Fragen schicken.

Ich beginne hier mit Entscheidungen, die mir zu den Beiordnungsgründen vorliegen, und zwar:

Eine Pflichtverteidigerbestellung kommt in Betracht, wenn der Beschuldigte unter Betreuung steht. § 140 Abs. 2 ist dabei schon anwendbar, wenn an der Fähigkeit zur eigenen Verteidigung erhebliche Zweifel bestehen. Das kann der Fall sein, wenn der Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden“ bestellt ist.

Auch bei einer überschaubaren zu erwartenden Rechtsfolge in einem Strafbefehl von 30 Tagessätzen Geldstrafe ist bei Gesamtstrafenfähigkeit die Bestellung eines Verteidigers erforderlich.

Die Verteidigung ist notwendig, wenn zu bezweifeln ist, dass der Beschuldigte seine Interessen selbst wahren und inner- und außerhalb der Hauptverhandlung alle zur Verteidigung erforderlichen Handlungen selbst vornehmen kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn auf der Grundlage ärztlicher Unterlagen beim Angeschuldigten eine Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Grad der Behinderung von 50 festgestellt und diese mit der Gesundheitsstörung „Verhaltensstörungen und Lernbehinderung“ begründet wird.

§ 140 Abs. 1 Nr. 11 StPO sieht einen Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt. Daher ist einem Beschuldigten mit einer Sehbehinderung von 40 % eine Pflichtverteidiger zu bestellen.

 

Behindertenparkplatz, oder: Schwerbehinderung als Mitverschulden?

entnommen wikimedai.org Urheber 4028mdk09

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Heute dann mal in der Woche Zivilrecht, und zwar ein Hinweis auf den BVerfG, Beschl. v. 24.03.2016 – 1 BvR 2012/13. Er ist in einem Zivilverfahren ergangen, in dem die Klägerin, die auf die Benutzung einesRollstuhls angewiesen ist, von einer Gemeinde Schmerzensgeld und Schadensersatz verlangt hat. Die Klägerin hatte ih­ren Pkw auf ei­nem Behindertenparkplatz vor dem Rathaus der Beklagten ge­parkt. Diese Parkplätze waren/sind mit un­re­gel­mä­ßi­gen Kopfsteinen ge­pflas­tert. Als die Klägering vom Fahrersitz auf den durch Bremsen ge­si­cher­ten Rollstuhl ne­ben ih­rem Pkw (um)stei­gen wollte, stürzte sie und ver­letzte sich. Sie hat behauptet, dass der Rollstuhl auf Grund des un­ebe­nen Bodenbelages weg­gerutscht ist. Die Klägerin hat beim LG verloren. Das OLG Schleswig hat ihre Berufung zu­rück­ge­wie­sen, da die Klägerin ein über­wie­gen­des Mitverschulden an dem Unfall ge­gen sich gel­ten las­sen müsse. Sie habe sich nämlich durch die Nutzung des Parkplatzes ei­ner ihr be­kann­ten und ver­meid­ba­ren Gefahr aus­ge­setzt. Das er­gebe sich u.a. auch dar­aus, dass sie sich in der Vergangenheit öf­fent­lich kri­tisch u. a. über die man­gelnde Rollstuhltauglichkeit des Kopfsteinpflasters in der Stadt ge­äu­ßert habe. Nach Auffassung des OLG sei es der Klägerin zu­zu­mu­ten ge­we­sen, ei­nen ent­fern­ten Parkplatz zu be­nut­zen, auch wenn sie da­durch Umwege neh­men müs­se.

Das BVerfG hat es anders gesehen und hat die OLG-Entscheidung we­gen ei­ner Verletzung von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG aufgehoben:

Lieber weitersuchen nach einem freien Parkplatz, sonst kann es teuer werden

entnommen wikimedia.org

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Scheint dann doch wohl häufiger vorzukommen, als man denkt: Das Parken auf einem mit Zeichen 314 nebst Zusatzzeichen mit Rollstuhlfahrersinnbild gekennzeichneten Parkplatz, also einem Parkplatz für Schwerbehinderte. Jedenfalls im Zuständigkeitsbereich des VG Düsseldorf. Denn nach dem VG Düsseldorf, Urt. v. 11.03.2014 – 14 K 7129/13 (vgl. dazu Auch ein “Feiertag” ist ein “Wochentag” – und ein “Spezialparkverbot” gilt) bin ich auf eine weitere VG Düsseldorf Entscheidung gestoßen, die sich mit dem zeichen 314 befasst. Nämlich das VG Düsseldorf, Urt. v. 16?.?06?.?2014? – 14 K ?8019?/?13?. In dem Verfahren aber keine Besonderheiten, die den Parkverstoß noch „nachvollziehbar“ machen könnten, wie etwa die Frage: Gilt das Spezialparkverbot überhaupt an dem Wochen)Tag, da es sich um einen Feiertag handelt (vgl. dazu VG Düsseldorf, Urt. v. 11.03.2014 – 14 K 7129/13). Nein ein ganz „normaler“ Fall, in dem der spätere Kläger seinen Pkw auf einen Platz abgestellte hatte, der durch Zeichen 314 (Parken) nebst Zusatzzeichen mit Rollstuhlfahrersinnbild Personen mit einem Sonderparkausweis für schwerbehinderte Menschen gekennzeichnet war. Unter dem Zeichen 314 (Parken) mit Zusatzzeichen befand sich ein weiteres Zusatzzeichen mit Bild 318 (Parkscheibe) und der Aufschrift „2 Std.“ sowie darunter ein Zusatzzeichen mit der Aufschrift „Mo – Fr 8 – 18 h“. Einen Sonderparkausweis für schwerbehinderte Menschen lag im Fahrzeug des Klägers nicht aus. Auf Veranlassung eines Mitarbeiters der beklagten Gemeinde wurde dann ein Abschleppfahrzeug angefordert, welches das Kraftfahrzeug des Klägers in Sichtweite um fünf Meter nach hinten auf einen freigehaltenen Parkplatz versetzte. Und um die dadurch entstandenen Kosten ging es dann beim VG. Das VG hat zugesprochen und das – letztlich – nur knapp begründet, denn viel einzuwenden gab es da grundsätzlich nicht:

In materieller Hinsicht sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der vorgenannten Ermächtigungsgrundlage erfüllt. Hiernach hat der für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit verantwortliche Störer die durch eine rechtmäßige Ersatzvornahme ohne vorausgehenden Verwaltungsakt entstandenen Kosten zu tragen. Die insoweit vorausgesetzte gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestand vorliegend. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne ist bei einer Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern, bei einem Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung – mithin bei einer Zuwiderhandlung gegen formelle und materielle Gesetze – sowie bei einer Beeinträchtigung des Bestandes und der Veranstaltungen des Staates gegeben.

Vorliegend war eine Zuwiderhandlung gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften gegeben. Im Zeitpunkt des Einschreitens der Beklagten lag ein Verstoß gegen § 42 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) i.V.m. lfd. Nr. 7 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO vor. In Straßenabschnitten auf denen das Zeichen 314 (Parken) durch ein Zusatzzeichen mit Rollstuhlfahrersinnbild ergänzt wird, ist die Parkberechtigung ausschließlich auf schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder mit vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie auf blinde Menschen beschränkt. Die Parkerlaubnis gilt – auch für den berechtigten Personenkreis – nur, wenn ein entsprechender Parkausweis gut lesbar im Fahrzeug ausgelegt oder angebracht ist. Fahrzeugführern, die nicht an einer Schwerbehinderung im vorgenannten Sinne leiden, ist das Parken auf derartigen Straßenabschnitten ausnahmslos verboten. Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2014 – 14 K 7129/13 -, Rn. 27, […].

Also: Lieber weitersuchen nach einem freien Parkplatz, sonst kann es teuer werden.