Die zweite Entscheidung, der LG Hechingen, Beschl. v. 08.03.2024 – 3 Qs 13/24 – befasst sich noch einmal mit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO). Zugrunde liegt folgender Sachverhalt:
Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilkt und ein Fahrverbot von 6 Monaten verhängt. Zugleich wurde mit Beschluss vom selben Tag die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben.
Der Angeklagte war mit seinem PKW Sportsvan beim Ausparken mit dem PKW VW Golf des Geschädigten kollidiet. Er hatte dies bemerkt, stieg dann aus und begutachtete das Fahrzeug des Geschädigten und wischte mit einem Tuch über die Lackstelle. Dabei erkannte und bemerkte er den Unfall, insbesondere verschiedene Kratzer im Bereich von mehreren Zentimetern im Heckbereich des Fahrzeugs des Geschädigten. Über die genaue Schadenshöhe machte er sich keinerlei Gedanken. Er nahm billigend in Kauf, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden war und verließ gleichwohl die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Am Fahrzeug des Geschädigten entstand ein Sachschaden i.H.v. 1.972,61 EUR netto.
Die Fahrerlaubnis wurde dem Angeklagten zunächst vorläufig entzogen. Das AG-Urteil ist nicht rechtskräftig.
Die StA hat gegen den die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufhebenden Beschluss w Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen des § 111a StPO i.V.m. §§ 69, 69a StGB vorliegen. Zusätzlich zu dem Netto-Reparaturschaden i.H.v. 1.972,61 EUR sei die Wertminderung als weiterer Schaden mit mindestens 300,00 EUR sowie Sachverständigenkosten in bislang unbekannter Höhe hinzuzurechnen, sodass die von der Rechtsprechung festgelegte Grenze für einen bedeutenden Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in Höhe von 2.000 EUR erheblich überschritten sei.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg:
„….. Gemäß § 111a Abs. 2 StPO ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn ihr Grund weggefallen ist oder das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht. Letzteres war hier der Fall und ist insbesondere – wie hier – bei noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen zwingend, auch wenn die Entscheidung zu Ungunsten des Betroffenen angefochten ist (BeckOK StPO/Huber, 50. Ed. 1. Januar 2024, StPO § 111a Rn. 10; BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1994 – 2 BvR 862/94 in NJW 1995, 124).
Im Stadium zwischen erster und zweiter Instanz sind dabei die Tatsachenfeststellungen und Wertungen im erstinstanzlichen Urteil für die vorliegend zu treffende Beschwerdeentscheidung maßgebend und vom Beschwerdegericht grundsätzlich hinzunehmen. Liegt zum Beschwerdezeitpunkt bereits ein erstinstanzliches Urteil vor, ist das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung wegen der größeren Sachnähe und der besseren Erkenntnismöglichkeit des Erstgerichts regelmäßig an dessen Feststellungen zur charakterlichen Eignung gebunden (vgl. LG Zweibrücken NZV 2012, 499; Hauck in Löwe-Rosenberg, 27. Auflage 2019, § 111a StPO Rn. 19). Insoweit räumt das Gesetz in § 111a Abs. 2 StPO der im Urteilsverfahren gewonnenen Erkenntnis die Vermutung der größeren Richtigkeit ein (Hauck in Löwe-Rosenberg, 27. Auflage 2019, § 111a StPO Rn. 19). Bis zum Erlass des Berufungsurteils darf die Frage der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nur bei neu bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismitteln anders als im erstinstanzlichen Urteil gewertet werden (Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Auflage 2023, § 111a Rn. 19; OLG Stuttgart 10. April 2001 – 4 Ws 80/2001, 4 Ws 80/01 – juris).
Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs handelt es sich bei der aus Sicht der Staats-anwaltschaft fehlerhaften Schadensberechnung nicht um eine in diesem Sinne neue Tatsache. Ob die dem Netto-Reparaturschaden hinzu zu addierende Wertminderung in Höhe von 300,00 € sowie Sachverständigenkosten in bislang nicht bekannter Höhe geeignet sind, eine potentiell andere Entscheidung zu rechtfertigen, ist Aufgabe der Berufungsinstanz und nicht durch das Beschwerdegericht zu klären.
Allem nach ist zumindest nach den erstinstanzlichen Feststellungen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu rechnen.“