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Gegenstandswert bei Streit mit JVA um Vollzugplan, oder: 600 EUR sind ein wenig knapp

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Und als zweites kommt hier der LG Stendal, Beschl. v. 20.03.2025 – 509 StVK 147/24 und 148/24.

Gegenstand der Entscheidung ist ein Strafvollstreckungsverfahren. In dem hatten der Strafgefangene und die JVA um die zeitnahe Erstellung eines Vollzugsplans für den Strafgefangenen gestritten. Der Gefangene hatte insoweit den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Nachdem die JVA während des Verfahrens den begehrten Eingliederungs- und Vollzugsplan erstellt hat, hat der Strafgefangene die Erledigung erklärt und den Erlass einer Kosten- und Auslagenentscheidung beantragt. Das LG hat gemäß § 121 Abs. 2 S. 2 StVollzG der Landeskasse die Kosten und die notwendigen Auslagen des Strafgefangenen auferlegt. Den Streitwert hat es auf 600 EUR festgesetzt.

„2. Nachdem sich der Hauptsacheantrag mit Aushändigung des Vollzugsplans erledigt hat, war gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG daher nach billigem Ermessen allein über die Kosten und notwendigen Auslagen des Verfahrens zu entscheiden. Welche Kostenentscheidung „billig“ i.S.d. Gesetzes ist, bestimmt sich maßgeblich danach, welche Aussicht auf Erfolg der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ohne erledigendes Ereignis gehabt hätte.

Dies führte zu einer Auferlegung der Kosten auf die Landeskasse, da der Antrag nach summarischer Prüfung zulässig und begründet gewesen wäre. Die regelmäßige Dauer von 8 Wochen (§14 JVollzGB I LSA) war bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht unwesentlich überschritten war. Ebenso verhält es sich bei einer hypothetischen Entscheidung am 07.07.2024, als der Antragsteller erneut zurecht auf Entscheidung in der Sache drängte, da nunmehr knapp 7 Monaten seit Aufnahme in die JVA vergangen waren. Verzögerungen im Justizablauf sind dem Antragsteller in der Regel nicht bekannt und müssen von diesem auch nicht unbegrenzt hingenommen werden.

Zwar ist es grundsätzlich richtig ist, dass der Vollzugs- und Eingliederungsplan „regelmäßig“ in 8 Wochen zu erstellen ist und der Prozess daher in begründeten Einzelfällen auch länger als genau 8 Wochen dauern kann und darf.

Vorliegend ist es jedoch aufgrund der langen Zeit der Zusammenstellung der notwendigen Unterlagen ohne Verschulden der Antragsgegnerin zusätzlich zu einer Verzögerung gekommen, so dass die 8 Wochen-Frist bereits vor Beginn des Diagnoseverfahrens deutlich überschritten war.

In dem Wissen, dass die 8-Wochen-Frist des § 14 JVollzGB I LSA bereits mit der Aufnahme beginnt und bereits Verzug besteht, war die Antragsgegnerin zu einer besonders zügigen Durchführung des Diagnose- und Planfestsetzungsverfahrens gehalten. Zwar wurde dem Antragsteller das Ergebnis der Konferenz noch innerhalb der 8 Wochen, gerechnet ab Beginn des Diagnoseverfahrens durch die Antragsgegnerin mündlich erörtert. § 14 II, VIII JVollzGB I LSA sieht jedoch die Aushändigung des schriftlichen Planes in der Regel innerhalb von 8 Wochen nach Aufnahme vor.

3. Der Streitwert ist gemäß §§ 52, 60 GKG nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Dabei sind die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen eines Erfolges des Antrags für den Antragsteller zu berücksichtigen. Der in § 52 Abs. 2 GKG genannte Betrag von 5.000 Euro hat außer Betracht zu bleiben; denn er ist kein Ausgangswert, an den sich die Festsetzung nach Abs. 1 anzulehnen hätte, sondern als subsidiärer Ausnahmewert nur dann einschlägig, wenn der Sach- und Streitstand – anders als hier – keine genügenden Anhaltspunkte bietet, um den Streitwert nach der Grundregel des § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmen (vgl. KG, Beschluss vom 25.06.2001, Az 5 Ws 296/01 zitiert nach juris).

Dabei sind folgende Erwägungen zu beachten:

Angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen ist der Streitwert in Strafvollzugssachen grundsätzlich eher niedrig festzusetzen, da die Bemessung des Streitwerts aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen darf, dass die Anrufung des Gerichts für den Betroffenen mit einem unzumutbar hohen Kostenrisiko verbunden ist. Andererseits ist darauf zu achten, dass die gesetzlichen Gebühren hoch genug sein müssen, um die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheinen zu lassen und dem rechtsunkundigen Gefangenen so die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistandes zu ermöglichen. Daher ist nach ständiger Rechtsprechung der Kammer der Streitwert in der Regel nicht unter 300 Euro festzusetzten (bei 0,1 Gebühr ca. 25 Euro).

Die Entscheidung ist gemäß §§ 121 Abs. 4 StVollzG, 464 Abs. 3 S. 1, 304 Abs. 3, 311 StPO unanfechtbar (vgl. Entscheidungen OLG Naumburg vom 07.09.2010, Az.: 1 Ws 461/10; OLG Düsseldorf vom 11.02.2009, 1 Ws 13/99, zitiert nach juris; OLG Celle vom 27.09.2005, 1 Ws 351/05, zitiert nach juris).“

Die Höhe des Streitwertes ist für mich nicht nachvollziehbar, da in der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen des Streits um den Vollzugsplan durchaus höhere Beträge festgesetzt worden sind. zudem erscheint der Streitwert im Hinblick auf das vom LG bemühte Argument, „dass die gesetzlichen Gebühren hoch genug sein müssen, um die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheinen zu lassen und dem rechtsunkundigen Gefangenen so die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistandes zu ermöglichen“, dann doch recht, wenn nicht zu, niedrig.

Pflichti I: Beiordnungsgründe, oder: „Einziehung droht“ und zweimal JGG-Verfahren, einmal zum Vergessen

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Heute dann mal wieder ein Pflichti-Tag, und zwar mit drei Bereichen: Beiordnungsgründe, Pflichterverteidigerwechsel und

Ich starte mit den Beiordnungsgründen.

Dazu weise ich zunächst hin auf den kleinen, aber feinen AG Eggenfelden, Beschl. v. 31.05.2021 – Cs 502 Js 5973/21 – zur Beiordnung wegen Schwere der Tat, und zwar:

„Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, weil wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Die „Schwere der Tat“ kann sich auch aus mittelbaren Folgen des Verfahrens ergeben, insbesondere – bei einer Gesamtwürdigung der Umstände – auch eine Einziehung von Wertersatz in sehr großem Umfang. So liegt der Fall hier. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist hier neben der drohenden Geldstrafe von 160 Tagessätzen auch die Auswirkung der mittelbaren Folgen, nämlich insbesondere der drohenden Einziehung von Wertersatz in Höhe von 27.500,00 EUR zu berücksichtigen. Bei dem Einziehungsbetrag handelt es sich um einen Betrag, der annähernd ein Jahresgehalt des Angeschuldigten ausmacht. In der Gesamtschau ist daher – auch ohne Berücksichtigung von bis-her nicht näher dargelegten ausländerrechtlichen Folgen für den Angeschuldigten – die Pflichtverteidigerbestellung geboten.“

Die zweite Entscheidung, der LG Stendal, Beschl. v. 07.05.2021 – 503 Qs 2/21 – behandelt die Bestellung eines Pflichtverteidigers im JGG-Verfahren, die das LG sehr schön begründet:

„Die gem. § 68 JGG i. V. m. §§ 142 Abs. 7, 304, 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist erfolgreich, weil ein Fall der notwendigen Verteidigung des Beschuldigten vorliegt. Aufgrund des amtsgerichtlichen Urteils ist derzeit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des § 68 Nr. 5 JGG sowie auch des § 68 Nr. 1 JGG i. V. m. § 140 Abs. 2 StPO gegeben.

1. Gem. § 68 Nr. 5 JGG ist unter anderem bei der Erwartung der Verhängung einer Jugendstrafe oder der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe von Gesetzes wegen ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben.

Zu erwarten ist eine Jugendstrafe, wenn deutlich mehr als ihre bloße Möglichkeit, d. h. mindestens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Verhängung besteht. Dabei genügt regelmäßig, wenn sie zur Bewährung ausgesetzt, oder die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung nach den §§ 61 ff. JGG einem nachträglichen Beschluss vorbehalten werden kann (BT-Drs. 19/13837, 59). Aufgrund der gleich belastenden Qualität wird teilweise vertreten, auch die erwartete Entscheidung nach § 27 JGG als einen Fall der notwendigen Verteidigung anzusehen (zust. Kölbel/Eisenberg, JGG, § 68; krit. Heuer u.a., ZJJ 2019, S. 1, 4).

Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Gardelegen vom 26.11.2020 besteht im vorliegenden Ermittlungsverfahren in Ansehung des hiesigen Tatvorwurfes und der bisherigen anderweitigen jugendrechtlichen Ahndungen die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Freiheitsentzuges oder die Entscheidung über einen solchen.

2. Daneben ist auch ein Fall der notwendigen Verteidigung über § 68 Nr. 1 JGG i. V. m. § 141 Abs. 2 StPO wegen der „Schwere der Tat“ gegeben. Im allgemeinen Strafrecht ist inzwischen anerkannt, dass die „Schwere der Tat“ bei einer Straferwartung von einem Jahr auch dann als erreicht gilt, auch wenn dies erst im Wege der Gesamtstrafenbildung erfolgt (vgl. nur OLG Naumburg BeckRS 2013, 10548).

Für das Jugendrecht folgt hieraus insoweit, dass einbeziehungsfähige Urteile bei der Prognose ebenfalls zu berücksichtigen sind (so schon OLG Köln StV 1991, 151). Vorliegend existiert gegen den Beschuldigten ein bereits rechtskräftiges Urteil, in welchem die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt war, weil noch nicht mit Sicherheit beurteilt werden konnte, ob in den Straftaten des Beschuldigten schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist (§ 27 JGG). Dieses gem. § 31 Abs. 2 JGG einbeziehungsfähige Urteil wird bei der Prognose über die Straferwartung im hiesigen Verfahren zu berücksichtigen sein.“

Und dann habe ich hier noch den LG Hechingen, Beschl. v. 21.05.2021 – 3 Qs 21/21 jug.. D as LG hebt auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft – habe nur ich den Eidnruck, dass man dort gerne Rechtsmittel einlegt, wenn ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist – die amtsgerichtliche Bestellung auf. Der Beschluss ist auch im JGG-Verfahren ergangen, ich würde über ihn lieber das Mäntelchen des Schweigens legen. Denn das LG meint, dass ein Pflichtverteidiger nicht beigeordnet werden muss. Man fragt sich, ob man in Hechingen schon mal was von der „Gesamtbetrachtung“ der potentiellen Beiordnungsgründe gehört hat. Und da meine: Der ehemalige Angeklagte war ein 16-Jähriger, dem eine Trunkenheitsfahrt mit seinem Roller zur Last gelegt worden ist. Gegenstand des Verfahrens war u.a. auch ein SV-Gutachten. Aber das reicht dem LG nicht, denn:

„Die Schwierigkeit der Sachlage kann auch die Auseinandersetzung mit Sachverständigengutachten (OLG Hamm StV 1987, 192; LG Bochum StV 1987, 383; OLG Karlsruhe StV 1991, 199) be-gründen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass nicht jedes in einer Hauptverhandlung zu erörternde Sachverständigengutachten zu einer Pflichtverteidigerbestellung führen kann. Erforderlich ist hier, dass das Gutachten inhaltlich so komplex ist, dass es besonderer Sachkunde oder Einarbeitung bedarf, um sich sachgerecht und gegebenenfalls kritisch mit ihm auseinander zu setzen. Ein solcher komplexer Fall lag jedoch nicht vor. Hier ging es nur um die Frage, wann der vormalige Angeklagte zuletzt vor der Tat Cannabisprodukte konsumiert hat. Die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen sind auch ohne Kenntnis der entsprechenden Grenzwerte verständlich und können auch von einem Laien kritisch hinterfragt werden. Die Vernehmung des Sachverständigen dauerte 15 Minuten. Eine ausführliche, nur von einem Verteidiger zu bewerkstelligende Auseinandersetzung mit dem Gutachten war nicht erforderlich….

….

c) Der vormalige Angeklagte war auch nicht unfähig, sich selbst zu verteidigen.

Hierfür bestehen überhaupt keine Anhaltspunkte. Insbesondere war der vormalige Angeklagte da-zu in der Lage, in einem handschriftlich verfassten Schreiben sinnvoll zum Tatvorwurf Stellung zu nehmen. Im Jugendstrafverfahren ist zudem auch keine extensive Auslegung dieser Variante des § 140 Abs. 2 StPO geboten (KK-StPO/Willnow, 8. Aufl. 2019 Rn. 24, StPO § 140 Rn. 24).“

Mann, Mann, was denken die da in Hechingen?

Pflichti II: Sich belastende Mitangeklagte, oder: Terminschwierigkeiten in der Nichthaftsache

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Die zweite Pflichtverteidigerentscheidung, der LG Stendal, Beschl. v. 25.07.2019 – 501 Qs 37/19, der ebenfalls vom Kollegen Funck aus Braunschweig stammt, behandelt zwei Probleme.

Zunächst geht es um die Frage, ob dem Angeklagten überhaupt ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, ob also die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen. Das hat das LG bejaht. Denn:

„Die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, kann auch dann erheblich beeinträchtigt sein, wenn ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat und sich zum Beispiel die Mitangeklagten gegenseitig belasten.“

Der zweite Problemkreis betrifft die Frage der Auswahl des Pflichtverteidigers, insbesondere, wenn er an den vom Gericht in Aussicht gestellten Hauptverhandlungsterminen verhindert. Dazu sagt das LG: Macht der Angeklagte von seinem Recht, einen Pflichtverteidiger zu benennen, Gebrauch und benennt einen Anwalt seines Vertrauens, so ist dieser ihm grundsätzlich als Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn dem nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Und die hat es hier in einer Nichthaftsache verneint:

Die Verhinderung eines Pflichtverteidigers ist zwar prinzipiell ein wichtiger Grund iSd § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO, der einer Beiordnung entgegenstehen kann, vorliegend liegt eine Verhinderung des Wahlverteidigers indes nach Verlegung des Hauptverhandlungstermins auf den 07.01.2020 nicht mehr vor.

Ursprünglich war eine durchgehende Verteidigung des Angeklagten durch Rechtsanwalt pp. wegen seiner Verhinderung an den anberaumten Hauptverhandlungsterminen am 29.10.2019 und 05.11.2019 nicht gewährleistet. Allerdings hatte das Amtsgericht bei der Bestimmung der Hauptverhandlungstermine nicht hinreichend berücksichtigt, dass aus Gründen der Waffengleichheit allen sechs Angeklagten Pflichtverteidiger zu bestellen und deshalb ohnehin weitere Verfahrensschritte, nämlich die Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO und die Absprache neuer Termine mit den neu hinzutretenden Verteidigern unumgänglich waren.

Da somit sowieso ein neuer Hauptverhandlungstermin zu bestimmen war, konnte die Verhinderung des Wahlverteidigers an den früheren Terminen nicht zur Begründung seiner Nichtberücksichtigung herangezogen werden.

Unter den vorliegenden Umständen ist maßgeblich dem verfassungsrechtlich verbürgten Bezeichnungsrecht des Angeklagten Rechnung zu tragen, zumal es sich vorliegend nicht um eine besonders beschleunigungsbedürftige Haftsache handelt. Rechtsanwalt pp. hat erklärt. dass aus seiner Sicht eine Verhandlung am 07.01.2020 möglich wäre.“

Pflichti II: Bestellung wegen „Schwere der Tat“, oder: „Angedachte“ Einstellung ist ohne Bedeutung

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Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Stendal, Beschl. v. 01.10.2018 – 501 Qs (394 Js 6425/18) 62/18 , ist „schöner“ als der OLG Koblenz, Beschl. v. 10.12.2018 – 2 Ws 698/18 (vgl. dazu Pflichti I: Auswechselung des Pflichtverteidigers, oder: Vertrauensverhältnis ist nicht erforderlich). Er ist schon etwas älter, der Kollege Funk aus Braunschweig hat ihn aber erst vor kurzem übersandt.

Das AG hatte die Bestellung des Kollegen abgelehnt. Anders das LG. Das ordnet wegen „Schwere der Tat“ bei:

„Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stendal vom 28 Mai 2018 erließ das Amtsgericht Gardelegen gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen eines am 07. Februar 2017 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmittel. Als Rechtsfolge war eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,00 € vorgesehen.

Unter dem 06. April 2018 hatte die Staatsanwaltschaft Stendal gegen den Angeklagten unter anderem wegen schwerer räuberischer Erpressung mit Waffen Anklage zum Landgericht Stendal erhoben. Die Hauptverhandlung in dieser Sache dauert an.

Gegen den ihm am 03. Juli 2018 zugestellten Strafbefehl hat der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 06. Juli 2018, beim Amtsgericht taggleich eingegangen, Einspruch erhoben und die Bestellung von Rechtsanwalt pp. als notwendigen Verteidiger beantragt. Hierbei wies er auf das oben dargestellte Verfahren vor dem Landgericht Stendal hin.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Beiordnungsantrag zurückgewiesen, da die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Mit Verfügung vom 30. Juli 2018 hat das Amtsgericht den Angeklagten zu einer Einstellung nach § 154 StPO angehört. Eine Entscheidung hierüber ist nach Aktenlage bisher nicht ergangen.

Gegen den Beschluss vom 25. Juli 2018 hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 09 August 2018 Beschwerde erhoben und erneut auf das gesamtstrafenfähige Verfahren 501 KLs 6/18 vor dem Landgericht Stendal verwiesen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt

Die nach § 304 StPO statthafte und ansonsten zulässige Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bestellung als Pflichtverteidiger gern. § 140 Abs. 2 StPO waren vorliegend evident gegeben.

Nach § 140 Abs. 2 StPO ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen. wenn die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage dies gebieten. Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach dem zu erwartenden Rechtsfolgenausspruch. Bei einer Straferwartung von einem Jahr ist hierbei regelmäßig ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Dies gilt auch dann, wenn diese Straferwartung nur aufgrund einer zu bildenden Gesamtstrafe erreicht wird (vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner. Strafprozessordnung, 56 Auflage. § 140, Rdn. 23, m.w.N.).

Vorliegend gebietet die Schwere der Tat die Bestellung eines Pflichtverteidigers Die hier in Rede stehende Tat ist mit der Tat im Verfahren 501 KLs 6/18 gesamtstrafenfähig. Im dortigen Verfahren wird dem Angeklagten ein Verbrechen mit einer Mindeststrafe von 5 Jahren zur Last gelegt. Im Verurteilungsfalle ist es daher für die Prüfung der Pflichtverteidigerbestellung als hinreichend wahrscheinlich anzusehen, dass die Gesamtstrafe über einem Jahr liegen dürfte, womit nach der oben dargestellten Rechtsprechung die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfüllt sind.

Unerheblich ist, dass es seitens des Amtsgerichts angedacht ist, das Verfahren nach § 154 StPO einzustellen. Eine solche Einstellung ist nach Aktenlage bisher nicht ausgesprochen worden, so dass zum jetzigen Zeitpunkt seitens des Angeklagten noch Verteidigungsbedarf besteht.“

Sicherlich im Hinblick auf die im Verfahren drohende Strafe ein Sonderfall, aber: Die Gesamtstrafe ist von Bedeutung. Und: Schön der Hinweis zur „angedachten Einstellung“.

Pflichti I: So einfach ist das nicht mit der kostenneutralen Umbeiordnung, oder: Das ist die Entscheidung Nr. 5.000

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Und dann mache ich heute einen weiteren Pflichtverteidigungstag, den der LG Stendal, Beschl. v. 13.03.2019 – 501 Qs (172 Js 13906/15) 16/19 – eröffnet. Eine besondere Entscheidung. Allerdings nicht wegen der Thematik – es geht um die Voraussetzungen der kostenneutralen Umbeiordnung – sondern: Es ist der 5.000 Beschluss, den ich auf meiner Homepage in der Rubrik „Entscheidungen anderer Gerichte“ online stelle. Zusammen mit den 4.598 Beschlüssen des OLG Hamm und den 2.000 RVG-Entscheidungen eine dann recht beachtliche Zahl von 11.598 Beschlüssen. Herzlichen Dank allen Einsendern von Entscheidungen.

Nun aber zum LG Stendal, Beschl. v. 13.03.2019 – 501 Qs (172 Js 13906/15) 16/19 – Wie gesagt: Kostenneutrale Umbeiordnung. Das AG hatte „umbeigeordnet“ mit der Maßgabe, dass „durch die Umbestellung keine Mehrkosten entstehen dürfen.“ Dagegen die Beschwerde des Pflichtverteidigers, die beim LG Erfolg hatte:

„Die nach § 304 StPO statthafte und ansonsten zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der Bestimmung, dass durch die Beiordnung keine Mehrkosten entstehen dürften. Diese hat das Amtsgericht zu Unrecht angeordnet. Für die vom Amtsgericht getroffene Anordnung, dem Pflichtverteidiger Gebührenansprüche abzusprechen, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist gesetzlich derzeit (vgl. zur angedachten Neuregelung: Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, S. 8 und 9) nicht geregelt. Es ist jedoch in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei schwerer Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Pflichtverteidiger ein solcher Wechsel vorzunehmen ist. Dieses fehlende Vertrauensverhältnis ist jedoch substantiiert darzulegen (vgl. insoweit: Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 56. Auflage, Rdn. 5, m.w.N.). Einer Darlegung des besonderen Grundes für einen Wechsel bedarf es jedoch dann nicht, wenn beide Verteidiger mit dem Wechsel einverstanden sind, eine Verfahrensverzögerung nicht stattfindet und durch den Wechsel keine Mehrkosten entstehen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 5a m.w.N.). Soweit die Umbestellung nicht kostenfrei erfolgen kann. wird es in der Rechtsprechung teilweise als zulässig erachtet, dass der Verteidiger auf die entstehenden Mehrkosten verzichten kann, um so eine Umbestellung zu erreichen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. Oktober 2017, Az.: 2 Ws 277/17, Leitsatz, zitiert nach juris: dagegen jedoch: OLG Naumburg, Beschluss vom 14. April 2010, Az.: 2 Ws 52/10, 2. Leitsatz. zitiert nach juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben, da dem Amtsgericht eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fehlt. dem Pflichtverteidiger seine entstandenen Gebühren abzusprechen. Vorliegend bestand seitens des Amtsgerichts die Möglichkeit, den Antrag auf Umbestellung abzulehnen, da eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt P. nicht ansatzweise dargelegt wurde. Soweit es aufgrund des Einvernehmens der Verteidiger eine kostenneutrale Umbestellung vornehmen wollte, hätte es nach der dargestellten Rechtsprechung des OLG Stuttgart eine entsprechende Erklärung des Verteidigers einholen müssen, was nach Aktenlage unterblieben ist. Für die vom Amtsgericht vorgenommene einseitige Bestimmung der Kostenneutralität gibt es jedoch schlechthin keine gesetzliche Grundlage.“