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Anwaltliche „Gebührenbestimmung “ zur Anwendung der Differenztheorie erforderlich, oder: Höchstgebühr

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Köln. Im LG Köln, Beschl. v. 24.09.2020 – 120 Qs 60/20 – geht es um die Anwendung der Differenztheorie bei der Kostenerstattung.

Der Kollege Hassel aus Bonn, der mir den Beschluss geschickt hat, war von Anfang an Verteidiger des Beschuldigten, dem mehrere Betrugstaten zur Last gelegt worden sind. Vor Anklageerhebung hat das AG dann einen Teil der Taten nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Anklage ist noch wegen 21 Betrugstaten erhoben worden. Nach Nichteröffnung des Hauptverfahrens hat der Kollege seine Kosten gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Diese sind nur zum Teil festgesetzt worden. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte beim LG keinen Erfolg:

„Die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4104 VV RVG und die Pauschale für Post und Telekommunikation gemäß Nr. 7002 VV RVG waren dem Verteidiger jedoch nicht zu erstatten, da er — trotz Aufforderung und mehrfacher Stellungnahme der Bezirksrevisorin – anhand der Differenztheorie keine Gebührenbestimmung zur Gesamtverteidigervergütung und fiktivem Honorar vorgenommen hat. Die Erstattung nach der Differenzmethode erfordert, dass der Verteidiger sowohl die Auslagen insgesamt als auch den „fiktiven“ erstattungsfähigen Teil im Rahmen seiner Kompetenz nach § 14 RVG bestimmt. Unterbleibt trotz gerichtlicher Aufforderung eine solche Gebührenbestimmung durch den Verteidiger, ist die Kostenfestsetzung nach der Differenztheorie als undurchführbar abzulehnen. (LG Koblenz, Beschluss vom 31.10.1997 – 10 Os 20/97, NStZ-RR .1998, 256; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 464b Rz. 8). Vorliegend wurde der Verteidiger seitens der Bezirksrevisorin mehrmals auf die Anwendung der Differenztheorie hingewiesen und zu einer entsprechenden Gebührenbestimmung aufgefordert. Dieser Aufforderung ist er nicht nachgekommen. Er vertritt vielmehr die Ansicht, dass die Differenztheorie vorliegend keine Anwendung finde.

Entgegen der Ansicht des Verteidigers kommt die Differenztheorie im vorliegenden Fall bzgl. der zuvor genannten Gebühren zur Anwendung. Differenztheorie (oder eine Quotelung, dies steht im pflichtgemäßen Ermessen des Rechtspflegers) kommt immer dann zum Tragen, wenn unterschiedliche Entscheidungen innerhalb eines Verfahrens unterschiedliche Kostenträger nach sich ziehen. Hauptanwendungsfall ist der Teilfreispruch. In der Rechtsprechung anerkannt ist jedoch auch, dass die Differenztheorie auch dann gilt, wenn weitere Tatvorwürfe vor Erhebung der Anklage nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. wurden. Denn in diesem Fall fehlt es an einer Vorschrift, die der Staatskasse die Auslagen des Beschuldigten aufbürdet, gegen den letztlich erfolglos ein Ermittlungsverfahren geführt wurde. In einem solchen Fall besteht in begrenztem Umfang und losgelöst von dem Kostenfestsetzungsverfahren eine Erstattungsmöglichkeit lediglich in der Form eines Schadensersatzanspruchs nach den Vorschriften des StrEG. Nichts anderes kann gelten, wenn hier vor Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft einzelne Tatvorwürfe gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurden. Auch in diesem Fall gilt, dass die Kostentragungspflicht dem Beschuldigten obliegt (Schmid in: Meyer-Goßner, 63. Aufl. 2020, § 467a Rz. 2). Die im vorliegenden Fall getroffene Kostengrundentscheidung des Amtsgerichts Köln im Nichteröffnungsbeschluss vom 18.10.2019. (BI. 296 ff. d. A.) bezieht sich nur auf die angeklagten Tatvorwürfe, da das Gericht mit den weiteren, eingestellten Tatvorwürfen nicht befasst war.

Na ja, die Frage, ob in den Fällen, in denen der Verteidiger zur Anwendung der Differenztheorie nicht den „fiktiven“ erstattungsfähigen Teil seiner Gebühren bestimmt, die Kostenfestsetzung vollständig abgelehnt werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht unbestritten. Das LG Hildesheim (StRR 2015, 199 = RVGreport 2015, 194; ihm folgend Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A Rn 1486) hat das abgelehnt und zutreffend darauf hingewiesen, dass vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren eine eigenständige Tätigkeit bei der Bescheidung des Kostenfestsetzungsantrags zu erwarten ist.

Allerdings: Wenn die „Aufforderung“ des Kostenbeamten zur Spezifizierung kommt, sollte man als Verteidiger – schon im eigenen Interesse – dieser „Bitte“ m.E. nachkommen. Warum der Kollege das hier nicht getan hat, ist nicht ersichtlich. Die Gründe des Beschlusses des LG geben dafür nichts her.

Und: Schön – aber – die Ausführungen des LG zur Höchstgebühr:

„Die geltend gemachten Verfahrensgebühren gemäß Nr. 4106 und Nr. 4141 VV RVG waren jedoch in der beantragten Höhe von 290,00 EUR und 165,00 EUR zzgl. Umsatzsteuer festzusetzen. Insbesondere hält sich die Gebühr gemäß Nr. 4106 VV RVG in der beantragen Höhe – obwohl die Festsetzung des Höchstbetrags beantragt wurde – angesichts des Umfangs der Anklage vor dem Schöffengericht mit 21 Betrugstaten und der Beweisführung durch Indizienbeweise noch im Rahmen des dem Verteidiger zustehenden Ermessens zur Bestimmung der Höhe der Rahmengebühr gemäß § 14 RVG: Da die Gebühr nicht unbillig hoch bestimmt wurde, ist die Bestimmung gegenüber der Staatskasse verbindlich.“

Und, wenn ich schon unseren RVG-Kommentar zitiere, dann will ich <<Werbemodus an>> auch auf die Anfang 2021 erscheinende Neuauflage – die 6. Auflage – hinweisen. Die kommt zeitnah nach Inkrafttreten des KostRÄG, das ja nun wohl Anfang 2021 kommen wird. Zur Vorbestellung geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

 

Toleranzgrenze bei der Rahmengebühr, oder: Abstellen auf Gesamtgebühren oder auf Einzelgebühr?

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Am „Gebührenfreitag“ heute dann zunächst eine Entscheidung, die aus dem Sozialgerichtsverfahren stammt. Ja, richtig gelesen. Aber: Die Ausführungen des BayLSG im BayLSG, Beschl. v. 24.03.2020 – L 12 SF 271/16 E – passen auch für das Straf- oder Bußgeldverfahren. Der Beschluss behandelt nämlich eine Problematik in Zusammenhang mit § 14 RVG – also Rahmengebühr.

Dazu führt das BayLSG aus:

„…..

Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers und des Haftungsrisikos des Rechtsanwalts nach billigem Ermessen. Hiermit ist dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung jedenfalls der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Unter Zugrundelegung der genannten Kriterien ist vorliegend mit der Ansicht des SG von einer deutlich überdurchschnittlichen Angelegenheit auszugehen.

Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit stellt sich auch nach Auffassung des Senats deutlich überdurchschnittlich dar……..

Zusammenfassend ist festzustellen, dass von einer deutlich überdurchschnittlichen Angelegenheit auszugehen ist, die auch nach Auffassung des Senats zwar nicht die Höchstgebühr, aber den Ansatz einer um 2/3 erhöhten Mittelgebühr gerechtfertigt.

b) Allerdings ist dem Rechtsanwalt nach § 14 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Verfahrensgebühr ein Ermessensspielraum von 20 % (sog. Toleranzgrenze) zuzugestehen, der von Dritten wie von den Gerichten zu beachten ist (vgl. zuletzt BSG vom 12.12.2019, – B 14 AS 48/18 R -; vgl. auch BGH vom 11.07.2012 – VIII ZR 323/11 – juris RdNr.10; BGH vom 05.02.2013 – VI ZR 195/12 – juris RdNr 8). Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Der Ermessensspielraum verhindert, dass die Gerichte im Einzelfall bei relativ geringfügigen Überschreitungen (vor allem der Mittelgebühr) ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens des Rechtsanwalts setzen und dabei oftmals aufwändige Überprüfungen vornehmen, ob die Tätigkeit vielleicht doch in gewissem Umfang anders zu bewerten (z.B. als leicht überdurchschnittlich) war (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012, Az.: VI ZR 273/11). Damit wird der Aufwand für die Kostenbeamten und die Spruchkörper der Gerichte reduziert und Streit darüber, was noch als billig oder schon als unbillig zu gelten hat, leichter vermieden (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az.: B 4 AS 21/09 R); nicht zuletzt trägt die Vereinfachung auch dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Rechnung, gleich liegende Fälle gleich und unterschiedliche Fälle entsprechend ihren Unterschieden ungleich zu behandeln (BayLSG, Beschluss vom 01.04.2015, Az.: L 15 SF 259/14). Streitig ist jedoch, ob der Toleranzrahmen für die einzelnen Gebührentatbestände separat zu prüfen ist oder ob die 20 % auf die Gesamtgebühr (ohne Auslagen) bezogen sind. Für letzteres spricht – wie das SG zu Recht ausführt -, dass die Gebühren als Gesamtbetrag festgesetzt und zur Überprüfung gestellt werden (so auch BayLSG, Beschluss vom 01.04.2015, Az.: L 15 SF 259/14 E; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.05.2012, Az.: L 20 AY 139/11 B; Toussaint in Hartmann/ders., Kostengesetze, 49. Aufl. 2019, § 14 RVG, RdNr. 24 unter Verweis auf OLG Koblenz, NJW 2005, 918).

Dennoch ist der Senat der Auffassung, dass bei der Festlegung der 20 % Toleranzgrenze nicht die gesamten Gebühren des Verfahrensabschnitts maßgebend sind, sondern vielmehr jeweils abzustellen ist auf die einzelne Gebühr. Eine dem Rechtsanwalt zuzubilligende und durch die Kostenfestsetzung zu beachtende Toleranzgrenze bei der Ermessensausübung kann nicht allgemein, sondern nur für den konkreten Einzelfall unter Bewertung der einzustellenden Kriterien und nach Durchführung einer Gesamtabwägung gezogen werden. Der sein Ermessen ausübende Rechtsanwalt hat die Kriterien des § 14 RVG jedoch bei jeder Gebühr, die er ansetzt (und deren Höhe sich nicht aus dem Gesetz ergibt), zugrunde zu legen und zu beachten, nicht erst bei der Gesamtgebühr. Es erscheint daher nicht sachgerecht, abweichend hiervon bei der Toleranzgrenze, die ein Ersetzen des Ermessens des Anwalts durch das Gericht bei geringfügigen, noch zu tolerierenden Abweichungen verhindern soll, auf die alleinige Betrachtung der insgesamt beantragten Gebühren abzustellen. Zudem wirkt sich – wie das SG zutreffend bemerkt – in Fällen wie dem vorliegenden, wo für einen der Gebührentatbestände (hier Terminsgebühr) die Höchstgebühr als angemessen anerkannt wird, die Toleranzgrenze bei Abstellen auf die Gesamtgebühren allein auf den anderen Gebührentatbestand (hier: Verfahrensgebühr) aus und erhöht die Toleranz insoweit deutlich. Gerade in Fällen, in denen eine Gebühr sehr hoch ist und eine weitere sich im unteren Bereich des Gebührenrahmens bewegt, führt das Abstellen auf die Gesamtgebühren im Ergebnis zu einer überproportionalen Erhöhung der niedrigen Gebühr. Für eine derartige Verzerrung des Gebührenrahmens besteht kein Anlass. Der Gesichtspunkt der Vereinfachung der Prüfpflicht der Kostenbeamten ist zudem auch bei einer Anwendung der Toleranzgrenze bezogen auf die einzelnen Gebühren gewahrt.

Auch der Senat hat wie das SG keine Bedenken, über die Toleranzgrenze zur Höchstgebühr zu gelangen. Zum einen ist die Toleranzgrenze überhaupt nur anzuwenden, wenn der Rechtsanwalt bei der Festsetzung tatsächlich Ermessen ausgeübt hat. Eine „verzerrende“, nur den Toleranzrahmen ausschöpfende Festsetzung wird damit verhindert. Die Toleranzgrenze ergibt sich systematisch aus der analogen Anwendung des § 315 BGB und teleologisch aus der Erwägung, dass möglichst Streit darüber vermieden werden soll, was „billig“ iSv § 14 RVG ist. Diese systematischen und teleologischen Erwägungen gelten unabhängig davon, ob über die Toleranzgrenze die Höchstgebühren erreicht werden oder nicht.“

Pauschgebühr für den Wahlanwalt, oder: Das Doppelte der Höchstgebühren ist zu viel

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Und als zweite Entscheidung dann ein Beschluss des BGH zur Pauschvergütung des Wahlanwalts. Nichts Neues, aber: In der Not frisst der Teufel fliegen,

Ergangen ist der Beschluss in dem Verfahren, dass mit dem BGH, Beschl. v. 07.09.2017 –1 StR 300/17 – geeendet hat. Über das hatte ich ja auch unter: Anfängerfehler, oder: Oder das selbst als unzulässig zurückgewiesene Ablehnungsgesuch – berichtet. Nun noch der Pauschantrag des Wahlanwalts. Der hatte 2.775 EUR beantragt, zugesprochen hat der BGH im BGH, Beschl. v. 23.07.2020 – 1 StR 300/17 – 2.100 EUR:

„Der Wahlverteidiger H.   hat wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit seiner Tätigkeit im Revisionsverfahren 1 StR 300/17 beantragt, eine Pauschgebühr von insgesamt 2.775 Euro festzustellen. Nach Auffassung der Bezirksrevisorin sind die gesetzlichen Gebühren nach Nr. 4130 und 4131 VV RVG mit Zuschlag in Höhe von maximal 1.387,50 Euro im vorliegenden Fall nicht zumutbar; sie hält eine Pauschgebühr von 2.100 Euro für angemessen.

Der Senat stellt eine Pauschgebühr von 2.100 Euro fest.

Sind die für das Revisionsverfahren gesetzlich vorgesehenen Gebühren eines Wahlanwalts – wie hier – wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar, hat der Wahlanwalt gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 RVG einen Anspruch auf Feststellung einer an die Stelle der gesetzlichen Gebühren (hier gemäß Nr. 4130 und 4131 VV RVG) tretenden Pauschgebühr, die das Doppelte der für die Gebühren des Wahlanwalts geltenden Höchstbeträge nicht übersteigen darf (§ 42 Abs. 1 Satz 4 RVG). Innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens steht die Feststellung der Höhe der Pauschgebühr im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren hält der Senat in Übereinstimmung mit der Bezirksrevisorin eine Pauschgebühr von 2.100 Euro für angemessen.

Für eine Verdoppelung der Höchstgebühr – wie beantragt – ist unter den hier gegebenen Umständen hingegen kein Raum. Ein Sonderfall, der die Feststellung der absoluten Höchstgrenze rechtfertigt, liegt gerade nicht vor, da der Wahlverteidiger bereits im Verfahren vor dem Landgericht Heilbronn sowohl mit den materiell-rechtlichen als auch mit den strafprozessualen Fragen befasst war.“

Höchstgebühr im Berufungsverfahren, oder: Man glaubt es nicht und traut seinen Augen nicht….

entnommen openclipart.org

Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle – der LG Hechingen, Beschl. v. 29.05.2020 – 3 Qs 43/20 -, ist dann eine Entscheidung, die ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Es geht zwar auch um § 14 RVG – dessen Anwendung führt meist nicht zum Lächeln – hier dann aber (ausnahmsweise) aber mal doch.

Der Verteidiger hatte für das Berufungsverfahren, in dem er den (ehemaligen) Angeklagten auch vertreten hatte, die Höchstgebühr des Rahmens aus der Nr. 4124 VV RVG geltend gemacht. Das AG hatte nur die Mittelgebühr festgesetzt. Das LG folgt in der sofortigen Beschwerde dem Verteidiger:

„Die Absetzung durch das Amtsgericht von der geltend gemachten Verfahrensgebühr im Berufungsverfahren ist zu Unrecht erfolgt, da die Festsetzung des Verteidigers gemäß § 14 Abs. 1 RVG jedenfalls nicht unbillig und mithin verbindlich ist.

Die Geltendmachung der Höchstgebühr nach Nr. 4124 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG erscheint im vorliegenden Fall nicht unangemessen. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Die Festsetzung der Gebühr ist jedoch nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unbillig ist ein Gebührensatz in der Regel dann, wenn er den Rahmen des Angemessenen um mehr als 20 % übersteigt (Winkler in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage 2018, § 14 Rn.56). Der Rechtsanwalt erhält die Verfahrensgebühr für „das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Informationen“. Abgegolten wird die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im Berufungsrechtszug, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Zur Verfahrensgebühr gehört auch die Tätigkeit gegenüber dem Mandanten (Beratung, Besprechung). Zwar kann die Verfahrensvorbereitung für die einzelnen Termine in den Abgeltungsbereich der Terminsgebühr (als „besondere Gebühr“) fallen. Dies ist bei dem vorliegenden umfangreichen Verfahren, bei welchem vier Termine erforderlich waren und der erste über acht Stunden dauerte, indes nicht für die gesamte Vorbereitungszeit der Fall. Es bedurfte zunächst des Aufbaus einer Verteidigungsstrategie für das Berufungsverfahren indegesamt, die mit dem Mandanten abgesprochen werden musste. Die allgemeine Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung hat Auswirkungen auf die Verfahrensgebühr (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4124 Rn. 10). Die vom Verteidiger mit seiner Erinnerung dokumentierten Besprechungen und weiteren Tätigkeiten vom 23. Mai 2019 (telefonische Besprechung), vom 19. Juni 2019 (Aufbereitung/Abgleich Urteil und HV-Protokolle 1. Instanz), vom 15. Juli 2019 (Terminsabstimmung/Telefonat/Diktat) und vom 16. August 2019 (telefonische Besprechung) belegen, dass der Rechtsanwalt „sein Geschäft“ in diese Richtung umfangreich betrieben hat. Auf der Grundlage der sog. Mittelgebühr, von der auszugehen ist, können also gebührenerhöhend diese zeitintensiven Tätigkeiten, der Umfang der erstinstanzlichen Akte und die Vielzahl der Termine berücksichtigt werden, bei welcher eine Gesamtübersicht im Blick behalten werden musste. Eine Gesamtschau all dieser Umstände zeigt, dass eine erheblich über der Mittelgebühr liegende Verfahrensgebühr gerechtfertigt und die Höchstgebühr zumindest nicht unbillig ist.

Die Differenz zwischen der bereits zuerkannten Mittelgebühr und der Höchstgebühr beträgt netto 240 €. Die darauf fallende Umsatzsteuer beträgt 45,60 €. Um die Summe (285,60 €) war der festzusetzende Betrag zu erhöhen.“

Ja, Festsetzung der Höchstgebühr. Man glaubt es nicht und traut seinen Augen nicht. Dass man das noch erleben darf 🙂 .

Und es gibt sie doch, oder: Höchstgebühr

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Als zweite RVG-Entscheidung eine ebenfalls positive Entscheidung – trotz der miesen Grundstimmung wegen DSGVO. Und zwar handelt es sich um den OLG Naumburg, Beschl. v. 10.04.2018 – 2 Ws (Reh) 12/18. Das OLG hat, nachdem das LG nur von der Mittelgebühr ausgegangen war, die Höchstgebühr gewährt! Ja richtig gelesen. Höchstgebühr. Die gibt es also tatsächlich. Allerdings – und das ist der Wermutstropfen – es ging um Kostenfestsetzung in einem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren. Aber immerhin:

„Der Ansatz der Mittelgebühren ist zu Unrecht erfolgt. Die angesetzte Höchstgebühr ist zu erstatten.

Bei der Vergütungsfestsetzung ist zu prüfen, ob die anwaltlich bestimmte Gebühr unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Fehlt es an der Unbilligkeit, kann die bestimmte Gebühr nicht herabgesetzt werden. Wird die Unbilligkeit hingegen bejaht, bedarf es einer entsprechenden Begründung und sodann der Bestimmung der richtigen Gebühr (vgl. Hellstab / Lappe / Madert / Dörndorfer, Die Kostenfestsetzung, B 196).

Wegen der Schwierigkeit zu bestimmen, wann eine Rahmengebühr unbillig ist, und weil mit der Aufzählung der Umstände, die einerseits für die Erhöhung, andererseits für eine Ermäßigung der Gebühr sprechen, nicht viel geholfen ist, hat die Praxis sich diesen mit der sog. Mittelgebühr einen Ansatzpunkt geschaffen. Die Mittelgebühr soll gelten und damit zur konkret billigen Gebühr in den „Normalfällen“ werden, d.h. in den Fällen, in denen sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also übliche Bedeutung der Angelegenheit, durchschnittlicher Umfang und durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, wirtschaftliche Verhältnisse des Auftraggebers, die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen (Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § 14 RVG, Rn. 7).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Ansatz der Mittelgebühr vorliegend nicht gerechtfertigt.

Zu Recht weist die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen darauf hin, dass die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als überdurchschnittlich anzusehen ist. Bei dem Rehabilitierungsrecht handelt es sich um ein Nebengebiet, in dem nur wenige Anwälte über fundierte Kenntnisse verfügen. Zur sinnvollen Vertretung ist ferner auch eine Kenntnis des Rechts der DDR notwendig. Gerade für die Rehabilitierung von Heimkindern ist eine besondere und fundierte Kenntnis der Rechtsprechung der Rehabilitierungsgerichte nötig. Auch der Umfang der Tätigkeit lag über dem Durchschnitt.

Die Einschätzung der Bezirksrevisorin, dass Schwierigkeit und Umfang des Verfahrens nicht vergleichbar mit einem normalen Strafverfahren und insgesamt einfacher gelagert seien, wird vom Senat nicht geteilt. Die Mitglieder des Senates, die sämtlich auch in den Strafsenaten des Oberlandesgerichts tätig sind, schätzen im Gegenteil ein, dass der hier vorliegende Fall erheblich schwieriger war als ein „normales“ Strafverfahren.

Zu Recht hat die Verfahrensbevollmächtigte auch auf die hohe emotionale und finanzielle Bedeutung der Rehabilitierungsentscheidung für den Betroffenen hingewiesen, was bei der Festsetzung der Gebühr nach § 14 RVG ebenfalls zu berücksichtigen ist.