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Nachahmenswert: Rücknahme der StA-Berufung – Verfahrensgebühr für den Verteidiger

© Alex White - Fotolia.com

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Gestern ist der Beschluss rein gekommen, und heute steht er schon hier im Blog. Ja, manchmal geht es schnell, vor allem, wenn es sich um einen so schönen Beschluss handelt wie den LG Dortmund, Beschl. v. 25.11.2015 – 31 Qs 83/15. Er kann nämlich als „Munition“ gegen die anders lautende – wohl immer – noch h.M. dienen in der Auseinandersetzung um die Frage, ob der Verteidiger, der nach Einlegung einer Berufung der Staatsanwaltschaft vor deren Begründung tätig wird, die Verfahrensgebühr verdient (hat), wenn die Staatsanwaltschaft später die Berufung zurücknimmt. Die Frage wird von der h.M. der OLG verneint, wobei häufig sogar das Entstehen der Nr. 4142 VV RVG in Abrede gestellt wird, was m.E. auf jeden Fall falsch ist. Die Verfahrensgebühr entsteht sicher, es kann nur um die Frage gehen, ob sie auch erstattet wird.

Und das hat das LG Dortmund m.E. überzeugend bejaht – wer es noch bejaht, man kann es der Beschlussbegründung entnehmen:

„Nach anderer Auffassung reicht auch im Falle einer späteren Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft für das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4124, 4125 VV RVG eine vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entfaltete Tätigkeit des Verteidigers (LG München 1, Beschl. v. 29.08.2014, Az: 22 Qs 55/14; Burhoff, RVG, 3. Aufl. 2012, Nr. 4124 VV RVG Rn. 24 ff; Burhoff, in: Gerold/Schmitt, RVG, 22. Aufl. 2015, Einleitung zu Nr. 4124, 4125 VV RVG Rdn. 7 und Nr. 4124, 4125 VV RVG Rdn. 6; Uher, in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Matthias/Uher, RVG, 6. Aufl. 2014, Nr. 4128 – 4135 VV RVG Rdn. 93; Schneider, in: Schneider/Wolf, Anwaltskommentar, RVG, 7. Aufl. 2014, VV 4124 – 4125 Rdn. 7; Hartung, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Aufl. 2013, Nr. 4124 – 4129 VV RVG Rdn: 11; Hartmann, a.a.O., Nr. 4124 – 4129 VV RVG, Rdn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 464a Rdn. 10 für den Regelfall; Gieg, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl. 2013, § 464 a Rdn. 10).

Der zuletzt genannten Ansicht schließt sich die Kammer an.

Es ist zur Überzeugung der Kammer mit den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht vereinbar, das Informations- und Beratungsbedürfnis eines Angeklagten nach Eingang eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft stets als „überflüssig“ anzusehen, solange dessen Zielrichtung und Umfang nicht bekannt sind (so auch LG München I, a.a.O.). Im vorliegenden Fall wurde der Verteidiger durch das Amtsgerichts Hamm von der (noch nicht begründeten) Berufung der Staatsanwaltschaft informiert. Auch in diesem Verfahrensstadium, kommen seitens des Angeklagten und seitens des Verteidigers durchaus zweckgerichtete Maßnahmen in Betracht, welche die Rechtslage klären oder die weitere Verteidigung vorbereiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn, wie hier, die Zielrichtung des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittelangriffs nach der Sachlage und aus der Sicht der Verteidigung nicht zweifelsfrei war, da die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht einen Freispruch beantragt hatte.

Eine andere Entscheidung ist auch schwerlich mit dem Grundsatz der Chancengleichheit im Strafverfahren zu vereinbaren. Denn wenn die Staatsanwaltschaft nur vorsorglich ein Rechtsmittel einlegt, so muss es dem Angeklagten unbenommen sein, ebenso vorsorglich vorbereitende Maßnahmen zur Verteidigung gegen dieses Rechtsmittel zu treffen, zumal er mit der Möglichkeit der Durchführung des Rechtsmittels rechnen muss (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.4.1993, Az: 1 WS 110/93).

Letztlich ist die Konstellation auch nicht vollends mit derjenigen im Revisionsverfahren zu vergleichen, weil anders als für die Revision (§§ 344, 146 Abs. 1 StPO) im Berufungsverfahren keine gesetzliche Begründungspflicht besteht, so dass eine fehlende Begründung zwar ein Verstoß gegen § 146 Abs. 1 RiStBV darstellt, die Berufung hierdurch jedoch nicht unzulässig wird.“

Nachahmenswert.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Was ist mit den Gebühren nach Abtrennung des Verfahrens?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Nun, die Gebührenfrage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Was ist mit den Gebühren nach Abtrennung des Verfahrens?, löst sich ganz einfach bzw. der Kollege hatte die Lösung gleich mitgeliefert, nämlich den LG Dortmund, Beschl. v. 13.03.2015 – 39 Qs 122/14, der – genau wie der Kollege – auf unseren RVG-Kommentar Bezug genommen hat. Allerdings leider nur auf die 3. Auflage, aber in der aktuellen 4. Auflage steht an der Stelle, die der Beschluss zitiert, dasselbe wie in der 3. Auflage. Das LG hat mit seiner Entscheidung als Recht, wenn es dort heißt:

„Die Kammer verkennt nicht, dass grundsätzlich bei Trennung eines einheitlichen Strafverfahrens in unterschiedliche Strafverfahren anschließend für jedes einzelne Verfahren gesonderte Gebühren entstehen können. Voraussetzung dafür ist jedoch immer, dass es sich nicht mehr um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs.2 Satz RVG handelt, was hier gerade nicht der Fall ist.

Auch das vor der Abtrennung gegen den Mandanten des Beschwerdeführers sowie dessen Mitangeklagten geführte Verfahren hatte bezüglich des Mandanten des Beschwerdeführers bereits lediglich den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung aus der Anklageschrift 102 Js 491/13 zum Gegenstand, identisch mit dem verbleibenden Tatvorwurf nach der Abtrennung des gegen den Mitangeklagten geführten Verfahrens. Diese Prozesssituation unterscheidet sich gerade von dem in der Rechtsprechung teilweise anders entschiedenen Fall, dass gegen denselben Angeklagten bzw. Beschuldigten mehrere Tatvorwürfe zu behandeln sind, die unterschiedliche Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit nach Trennung der Verfahren stellen.

Vor diesem Hintergrund, dass nach der in der Hauptverhandlung erfolgten Trennung der Verfahren gegen den Mitangeklagten einerseits und den Mandanten des Beschwerdeführers andererseits unmittelbar anschließend noch im Termin das Verfahren gegen den Mandanten des Beschwerdeführers in Bezug auf den einzigen, vor und nach der Trennung der Verfahren gegen ihn bestehenden Tatvorwurfs gemäß § 154 Abs.2 StPO eingestellt worden ist, bleibt für weitere Gebührentatbestände kein Raum können (vgl. Burhoff RVG Straf- und Bußgeldsachen 3. Aufl. 2012 Rz 1311ff, insbesondere Beispiel 1, Rz 1314 mwN). Dies gilt im Hinblick auf § 15 Abs.2 Satz 1 RVG für die Verfahrens- und Terminsgebühr gemäß Nr. 4106 und 4108 VV RVG, zumal diese für dieselbe Angelegenheit bereits in einem weiteren Gebührenantrag vom 09.12.2013 angemeldet worden und abgegolten sind.“

Einreise mit 395.000 € Bargeld – spricht für Geldwäsche

© Smileus - Fotolia

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U.a. gegen den Beschuldigten war ein Verfahren wegen Geldwäscheverdachts (?) anhängig. Der Beschuldigte und Mitreisende waren in die Bundesrepublik eingereist, ohne dabei mitgeführte 395.000 € Bargeld anzumelden. Diese wurden sicher gestellt. das Das Verfahren ist dann allerdings eingestellt worden. Wegen der Sicherstrellung wurde Entschädigung nach dem StrEG verlangt. Die ist im LG Dortmund, Beschl. v. 08.05.2014 – 36 Qs 32/14 unter Hinweis auf § 5 Abs. 2 StrEG verwehrt worden.

„…Grob fahrlässig handelt dabei auch, wer nicht bedenkt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste oder wer ein jeglichen Regeln über das Verhalten eines ordentlichen Kaufmannes widersprechendes Geschäftsgebaren zeigt (Meyer-Goßner, a.a.O.. m. w. N.).

Diese Maßstäbe zu Grunde gelegt stellt sich das Verhalten des Beschwerdeführers und seiner Mitreisenden als grob fahrlässig dar. Denn alle drei verabsäumten es vorab nach § 12a ZolIVG die bei sich geführten Bargeldmittel ordnungsgemäß vor der Einreise anzumelden. Auch wurden die Geldmittel nicht unverzüglich nach dem Anhalten auf der Autobahn gegenüber den Beamten offen gelegt, sondern wurden erst im Rahmen einer Durchsuchung bei diesen sichergestellt bzw. auf Nachfrage offengelegt. Auch trugen alle 3 die Geldbeträge in speziellen Westen direkt am Körper.

Wer sich so bei der Einreise mit solch hohen Bargeldmengen geriert, dem muss entgegengehalten werden, dass er damit grob fahrlässig die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Geldwäsche provoziert. Sie haben damit jedenfalls einen wesentlichen Ursachenbeitrag zur Begründung eines dringenden Tatverdachts wegen Geldwäsche geleistet (vgl. BVerfG, Beschluss v. 12.09.1995 – 2 BvR 2475/94, 1049, 1050).

Eine Strafverfolgungsentschädigung ist in solchen Fällen ausgeschlossen. Es ist dabei auch unerheblich, ob der Beschwerdeführer und seine Mitreisenden darüber hinaus keine eigenen weiteren Andeutungen gemacht haben, dass das Geld aus einer illegalen Quelle stammen könnte, da ihr Verhalten schon einen entsprechenden Schein gesetzt hatte.

Dass die Sicherstellung nicht wegen eines Verstoßes gegen das ZolIVG erfolgte, ist dabei völlig unerheblich, da der Verstoß gegen dieses jedenfalls in die allgemeine Beurteilung der Umstände zum Zeitpunkt der Sicherstellung einfließen muss…“

 

Klassischer Rotlichtunfall – Haftungsverteilung?

entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

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Urheber Mediatus

Folgenden – in der Praxis sicherlich häufigen – Sachverhalt, einen „klassischer Unfallhergang“ – hatte das LG Dortmund im LG Dortmund, Urt. v. 11.04.2014 – 4 S 70/11 – zu beurteilen: Es war in einem Kreuzungsbereich zu einer Kollision zwischen zwei Fahrzeugen gekommen. Die Klägerin behauptete dann im Schadensersatzverfahren, zunächst vor einer roten Ampel gewartet zu haben und als diese wieder Grünlicht anzeigte, in die Kreuzung eingefahren zu sein, wo das Beklagtenfahrzeug sie überraschend seitlich gerammt habe. Der Beklagte hatte eingewendet, er sei bei Grünlicht gefahren und habe im Zuge eines Rückstaus auf der Kreuzung stehen bleiben müssen, wo ihn schließlich die Klägerin gerammt habe. Das AG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte dann beim LG keinen Erfolg. Das ist von einer 100-prozentigen Haftung der Beklagten ausgegangen.

Die nach §§ 18 Abs. 3, 17 StVG vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Verschuldensanteile ergibt eine Haftungsquote von 100 % zulasten der Beklagten.

Die Abwägung der gegenseitigen Verschuldensanteile nach §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 2, 1 StVG ist notwendig, weil auch die Klägerin nach § 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich für die unfallbedingten Schäden haftet. Denn der Unfall hat sich auch bei dem Betrieb ihres Fahrzeugs ereignet und ihre Haftung war ebenfalls nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da das Schadensereignis auch für sie nicht auf höherer Gewalt beruhte.

Der Unfall war auch weder für die Klägerin noch für den Beklagten zu 1) unvermeidbar im Sinne von §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 3 StVG. Davon muss das Gericht ausgehen, weil keiner der Parteien der Beweis gelungen ist, dass der Unfall für die Klägerin bzw. den Beklagten zu 1) ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war. Ein unabwendbares Ereignis liegt vor, wenn auch ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können bzw. der Unfall auch bei äußerster möglicher Sorgfalt nicht abzuwenden war und auch nicht weniger folgenschwer gewesen wäre.

Dies kann vorliegend nicht festgestellt werden. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen L hätte die Klägerin in einer Entfernung von etwa 18 m bis zu ihrer späteren Kollisionsposition ohne erhebliche Sichtbehinderung nach links in Richtung des Beklagtenfahrzeugs schauen können. Hätte sie das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt erkannt, hätte sie bei zeitgerechter aktiver Reaktion nach längstens einer Sekunde durch eine Abwehrbremsung noch hinter dem Beklagtenfahrzeug zurückbleiben können. Auch wenn das Erkennen des Beklagtenfahrzeugs für die Klägerin in ihrer Fahrsituation nicht zwingend eine Reaktionsaufforderung darstellte, weil auch der Beklagte zu 1) noch circa 15 m von seiner Kollisionsposition entfernt war und er aus Sicht der Klägerin sein Fahrzeug noch hätte zum Stillstand bringen können, hätte ein Idealfahrer eine Nichtreaktion des Beklagten zu 1) dennoch erwogen und den Unfall durch eigenes Abbremsen verhindern können.

Für den Beklagten zu 1) wäre die Kollision ohne weiteres zu vermeiden gewesen, wenn er auf ein deutlich verspätetes Einfahren in den Kreuzungsbereich nach dem Umschalten der für ihn maßgeblichen Lichtzeichenalge auf Rot verzichtet hätte. Insoweit wird auf die Folgenden Ausführungen verwiesen.

Bei der nach §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge ist das Gericht zu der Wertung gelangt, dass der Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) den Verursachungsbeitrag der Klägerin so sehr überwiegt, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dahinter zurücktritt.

Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 1) in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, obwohl die ihn betreffende Lichtzeichenanlage Rotlicht angezeigt hat und damit gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO verstoßen hat. Dies ergibt sich aus den Aussagen der Zeugin Q und des Zeugen T sowie den Ausführungen des Sachverständigen L….“

Absehen von der Fahrerlaubnisentziehung – der Rückkehrerfall

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Das Absehen von der Regelentziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in den Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB)  ist gar nicht so selten, wie man veilleicht meint. Das zeigen u.a. drei Entscheidungen aus der Vergangenheit, die mir dazu spontan einfallen, nämlich LG Aurich VRR 2012, 347 = StRR 2012, 354, LG Gera NZV 2006, 105 = DAR 2006, 107 und LG Köln VRR 2010, 110.

Und dazu gehört jetzt auch noch eine Entscheidung des LG Dortmund. Dieses LG Dortmund, Urt. v. 21. 9. 2012 – 45 Ns 173/12 – zeigt noch einmal  sehr schön, wie man als Verteidiger argumentieren muss bzw. auf welche besonderen Umstände hingewiesen werden sollte. Dazu gehört mit Sicherheit die zeitnahe Rückkehr zum Unfallort bzw. die zeitnahe Meldung des Unfalls bei der Polizei, denn bei allen Fällen handelte es sich um sog. „Rückkehrerfälle“. Dazu zählen aber auch das Fehlen von Voreintragungen und die Unrechtseinsicht.

Ein Versuch ist es immer wert.