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„Aktenmäßiger Erlass“ des Verbindungsbeschlusses, oder: Verbindung von Verfahren dann erst in der HV

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Und dann habe ich hier noch einen Beschluss des LG Kiel zu den Gebühren des Verteidigers nach der Verbindung von Verfahren.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten sind drei selbständige Verfahren anhängig. Diese werden vom Amtsrichter vor der Hauptverhandlung zu einem weiteren anhängigen Verfahren hinzuverbunden. Der Verbindungsbeschluss verbleibt aber (zunächst) in der Akte. Er wird dann in der Hauptverhandlung verkündet, nachdem in den drei Verfahren die Anklagen verlesen worden sind. Der Pflichtverteidiger hat auch für die drei hinzuverbundenen Verfahren jeweils eine Terminsgebühr geltend gemacht. Das LG Kiel hat die im LG Kiel, Beschl. v. 21.06.2023 – 2 Qs 41/23 – gewährt.

„Streitgegenständlich ist die im Festsetzungsbeschluss erfolgte Absetzung dreier Terminsgebühren für die Verfahren 231 Ls 551 Js 38311/22, 231 Ls 588 Js 37618/22 und 231 Ls 588 Js 38428/22 in Höhe von jeweils 295 EUR zuzüglich der Umsatzsteuer.

Die Verbindung der genannten Verfahren zum führenden Verfahren ist im hiesigen Falt wirksam erst in der Hauptverhandlung erfolgt, nachdem in den hinzuverbundenen Verfahren bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hatte, so dass auch in den hinzuverbundenen Verfahren jeweils eine Terminsgebühr gern. Nr. 4108, 4109 VV RVG entstanden ist.

Zwar hat der zuständige Richter den Verbindungsbeschluss hinsichtlich der genannten Verfahren bereits vor Beginn der Hauptverhandlung verfasst, unterzeichnet und mutmaßlich zu den Akten genommen. Dieser „aktenmäßige Erlass“ führt zwar bereits zur Existenz und auch Anfechtbarkeit des Beschlusses (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. A., vor § 33 Rn. 5 – 8; Valerius, in: MüKo-StPO, 2. A., § 33 Rn. 18 – 20). Ergangen ist eine Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung aber grundsätzlich erst dann, wenn sie für das Gericht, das sie gefasst hat, unabänderlich ist. Dies ist in der Regel erst dann der Fall, wenn ihn die Geschäftsstelle an eine Behörde oder Person außerhalb des Gerichts hinausgegeben hat und eine Abänderung tatsächlich unmöglich ist. Ausgenommen sind davon Beschlüsse, die nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen (BGH NStZ 2011, 713; NStZ 2012, 710 f.; Schneider-Glockzin, in: KK-StPO, 9. A., § 33 Rn. 4; Valerius, in: MüKo, a.a.O., § 33 Rn. 18 – 20; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. A., § 33 Rn. 12). Demnach ist der außerhalb der Hauptverhandlung gefasste Verbindungsbeschluss noch nicht mit seinem aktenmäßigen Erlass wirksam geworden, sondern erst mit der Verkündung in der Hauptverhandlung. Zu diesem Zeitpunkt waren die Anklagen aus den in Rede stehenden Verfahren aber bereits verlesen worden, so dass auch eine Hauptverhandlung in den Verfahren stattgefunden hatte. Der Umstand, dass die Eröffnungsentscheidung erst im Verbindungsbeschluss getroffen worden ist, steht dieser Wertung nicht entgegen, zumal der Eröffnungsbeschluss nach herrschender Meinung noch in der Hauptverhandlung nachgeholt werden kann.

Die Terminsgebühr in den drei hinzuverbundenen Verfahren beläuft sich auf jeweils 295 EUR zuzüglich der Umsatzsteuer von 19 %, mithin insgesamt auf 1.053,15 EUR.“

Wieder Gebühren nach Verfahrensverbindung, oder: Eklatante „OLG-Lücken“ zu Grund-/Verfahrensgebühr

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Im „Gebührentopf“ ist am heutigen „Gebühren-Freitag“ zunächst eine Entscheidung des OLG Celle zu den (Pflichtverteidiger)Gebühren nach Verbindung von Verfahren; Grundgebühr/Verfahrensgebühr, und zwar der OLG Celle, Beschl. v. 26.01.2022 – 2 Ws 19/22, der zum Teil fehlerhaft ist.

Es geht in dem Beschluss um die Gebührenfestsetzung für einen Pflichtverteidiger. Die Staatsanwaltschaft Verden hatte am 11.02.2019 Anklage gegen den ehemaligen Angeklagten wegen Betruges beim AG erhoben. Dem Angeklagten wurde ein Betrug über die Internetplattform eBay vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung waren bei der Staatsanwaltschaft bereits zahlreiche weitere Verfahren mit gleich gelagerten Tatvorwürfen gegen den Angeklagten anhängig. Auf Antrag des Verteidigers von 24.04.2019 bestellte das AG am 20.05.2019 den Kollegen zum Pflichtverteidiger. In der Folgezeit klagte die Staatsanwaltschaft dann in 16 weiteren Verfahren zahlreiche gleichgelagerte Tatvorwürfe beim AG mit der Anregung der Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung an. Bei den weiteren Anklagen handelte es sich teilweise um einzelne, teilweise um mehrere Tatvorwürfe aus zuvor verbundenen Ermittlungsverfahren.

In jedenfalls sechs der diesem Gebührenstreit zugrundeliegenden Verfahren war der Anklage vorausgegangen, dass verschiedene am Wohnort der jeweils Geschädigten zuständige Staatsanwaltschaften die bei ihnen anhängig gemachten Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Verden als für den Wohnsitz des Angeklagten zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben hatten. Die Staatsanwaltschaft Verden übernahm die ihr vorgelegten Verfahren und vergab zunächst für jedes übernommene Verfahren ein gesondertes Aktenzeichen. Auf zahlreiche unter Nennung der jeweiligen Aktenzeichen an die Staatsanwaltschaft gerichtete einzelne Anträge des Verteidigers gewährte sie diesem jeweils durch gesonderte Verfügungen der zuständigen Dezernentin bzw. des zuständigen Dezernenten in den einzelnen Ermittlungsakten gesondert Akteneinsicht. In einigen später bei der Staatsanwaltschaft eingetragenen Verfahren erfolgte die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger auch ohne dessen Gesuch schon bei Eintragung der Sache von Amts wegen. Nach Rückkehr der Akten vom Verteidiger wurden diese in der Zeit vom 22.05.2019 bis zum 31.07.2019 zu insgesamt sechs Verfahren verbunden und sukzessive zum AG angeklagt. Dabei wurde jeweils eines der Verfahren als sog. führendes Verfahren bestimmt, zu dem die Akten der hinzuverbundenen Verfahren als Fallakten genommen wurden. Beim AG wurden die nachträglich eingegangenen Anklagen zum Verfahren der ersten Anklage vom 11.02.2019 verbunden und fortwährend als „Sonderhefte“ mit Fallakten geführt. Im Zuge der sukzessiven Anklageerhebung entschied das AG mehrfach, zuletzt mit in der Hauptverhandlung vom 20.05.2020 verkündetem Beschluss, dass die Wirkungen der Pflichtverteidigung gemäß § 46 Abs. 6 Satz 3 RVG auf die hinzuverbundenen Verfahren erstreckt werden.

Das AG hat den ehemaligen Angeklagten schließlich wegen Betruges in 60 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Anschluss beantragte der der Kolleg mit insgesamt 16 Anträgen in der Zeit vom 25.05. bis zum 28.05.2020 die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren. Im Wesentlichen wurden diese durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wie beantragt festgesetzt. Im Hinblick auf die Anträge der sechs diesem Verfahren zugrunde liegenden Verfahren wich dieser allerdings vom jeweiligen Antrag des Pflichtverteidigers ab. Der Verteidiger hatte in seinen Kostennoten für diese Verfahren jeweils auch für die nach Verbindung nur noch als Fallakten geführten Verfahren je eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG sowie jeweils die Postpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG abgerechnet. Zu seinem Tätigwerden im Ermittlungsverfahren verwies er in den einzelnen Kostenrechnungen auf seine aus den Fallakten ersichtlichen Akteneinsichtsgesuche bzw. die von Amts wegen erfolgten Aktenübersendungen. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte aber in den sechs Kostenrechnungen die vorstehenden, vom Verteidiger für insgesamt 21 Fallakten angesetzten Gebühren bei seiner Festsetzung jeweils ab.

Die hiergegen vom Verteidiger erhobene Erinnerung ist vor dem AG ohne Erfolg geblieben. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde hat die Strafkammer verworfen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache aber die weitere Beschwerde zugelassen hat. Die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers hatte teilweise Erfolg. Das OLG hat gemäß §§ 45 Abs. 3, 48 Abs. 1 RVG weitere 4.498,20 EUR als Vergütung gegen die Landeskasse festgesetzt. Die darüber hinaus geltend gemachten Gebühren sind nicht festgesetzt worden.

Ja, war ein wenig viel Sachverhalt, aber den brauchte man auch, um die Leitsätze zu der Entscheidung verstehen zu können, nämlich:

  1. Grundsätzlich ist jedes von den Strafverfolgungsbehörden betriebene Ermittlungsverfahren ein eigenständiger Rechtsfall im Sinne von Nr. 4100 VV RVG, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind. ).
  2. Eine Verfahrensverbindung hat auf bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss.
  3. Eine Prüfung der Recht- oder gar Zweckmäßigkeit einer Erstreckungsentscheidung findet im Kostenfestsetzungsverfahren nicht mehr statt.
  4. Die Verfahrensgebühr entsteht zwar nach Anmerkung 1 zu Nr. 4100 VV RVG neben der Grundgebühr. Abgegolten werden mit ihr im vorbereitenden Verfahren allerdings nur Tätigkeiten nach der Erstinformation des Rechtsanwalts, d.h. alle Tätigkeiten nach erstem Mandantengespräch und erster Akteneinsicht.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext der Entscheidung. Und bitte nicht erschrecken, denn die Entscheidung ist nur zum Teil richtig. Zutreffend sind nämlich nur die Ausführungen des OLG zu den Fragen der Verbindung und/oder Erstreckung (§§ 15, 48 RVG). also oben Leitsätze 1- 3.

Grob fehlerhaft ist die Entscheidung des OLG hingen im Hinblick auf die Ausfürhungen zum Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Man ist erstaunt, dass man das, was das OLG an der Stelle ausführt, mehr als acht Jahre nach Inkrafttreten des 2. KostRMoG noch lesen muss. Denn dieses hat das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr, das bis dahin umstritten bzw. zumindest nicht eindeutig geklärt war, dahin geklärt, dass Grundgebühr und Verfahrensgebühr mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts immer nebeneinander entstehen (dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4100 Rn 25 ff. m.zahlr.w.N.). Das sollte sich inzwischen auch bis zum OLG Celle herum gesprochen haben, was aber offenbar leider nicht der Fall. Denn das, was das OLG dazu ausführt, hätte zur Rechtslage vor 2013 gepasst, es passt jetzt aber sicher nicht mehr. Ich erspare mir und dem gebührenkundigen Leser die weiteren Einzelheiten, lege aber dem OLG zu der Problematik dringend die Lektüre eines Gebührenkommentars und der dort angeführten Nachweise ans Herz, um dadurch in Zukunft solche (schweren) Fehler zu vermeiden. Zu der Frage hilft auch die vom OLG angeführte Entscheidung des OLG Jena nicht weiter. Abgesehen davon, dass sie aus 2004 stammt, also zum alten Recht ergangen ist, lässt sich aus ihr zu der Problematik nichts ableiten.

Für den Pflichtverteidiger ist dieser Fehler besonders ärgerlich, denn die dadurch eingetretene Mindereinnahme ist beträchtlich. Es hätten nämlich zusätzlich festgesetzt werden müssen 21-mal die Nr. 4104 VV RVG, also – nach dem Recht vor Inkrafttreten des KostRÄG am 01.01.2021 – 21 x 132,00 EUR zuzüglich 19 % USt, also insgesamt 3.298,68 EUR. Auf die muss er nun wegen der mangelnden Gebührenkenntnisse des OLG verzichten. Das darf an sich nicht sein. Zwar mag, was dem ein oder anderen Beteiligten vielleicht nicht gefällt, die Gebührenforderung des Pflichtverteidigers recht hoch (gewesen) sein. Das liegt aber nicht am Verteidiger sondern daran, dass die Staatsanwaltschaft die vielen Verfahren eben für den Verteidiger „gebührengünstig“ behandelt hat.“

Klassiker: Verbindung ist nicht Eröffnung des Verfahrens, oder: Prüfen

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Die 41.KW eröffne ich heute mit zwei Entscheidungen zum Eröffnungsbeschluss bzw. zum Eröffnungsverfahren, das passt ganz gut zum Wochenanfang 🙂 . Bei der ersten Entscheidung handelt es ich um den BGH, Beschl. v. 16.08.2017 – 2 StR 199/17. Er behandelt den Klassiker: Eröffnung des Verfahrens ohne Eröffnungsentscheidung? Dabei handelt es sich um ein Problem, mit dem sich die Revisionsgerichte immer wieder befassen müssen.

In dem vom BGH entschiedenen Fall war wegen eines Tatvorwurfs vom 10.05.2016 von der Staatsanwaltschaft am 15.08.2016 Anklage zum LG Aachen erhoben worden. Am 30.08.2016 übersandte das AG Düren das dort noch im Zwischenverfahren anhängige Verfahren wegen eines Tatvorwurfs vom 15.02.2016 an das LG Aachen zur „Prüfung einer Übernahmebereitschaft“. Am 16.09.2016 beschloss das LG Aachen, die Anklage der Staatsanwaltschaft Aachen vom 15.08.2016 betreffend die Tat vom 10.05.2016 zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten vor der 2. großen Strafkammer des LG zu eröffnen. Ferner beschloss es, die Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen durchzuführen sowie den Haftbefehl in Verbindung mit dem Haftverschonungsbeschluss gegen den Angeklagten wegen der Tat vom 10.05.2016 aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus verband es das vom AG Düren übersandte Verfahren wegen der Tat vom 15.02.2016 zu dem bei ihm geführten Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Die dem Verfahren beim AG Düren zugrunde liegende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Aachen vom 06.04.2016 findet in dem Eröffnungsbeschluss der Strafkammer keine Erwähnung. Insoweit ist auch später keine Eröffnungsentscheidung ergangen.

Der BGH sagt dazu:

„2. Damit fehlt es hinsichtlich der Tat vom 15. Februar 2016 an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Eröffnungsentscheidung der Strafkammer vom 16. September 2016 bezog sich ausdrücklich nur auf die Anklage zur Tat vom 10. Mai 2016. Der von der Strafkammer gleichzeitig beschlossenen Übernahme und Hinzuverbindung des noch im Zwischenverfahren befindlichen amtsgerichtlichen Verfahrens kann nicht die Bedeutung einer konkludenten Eröffnung des Hauptverfahrens beigemessen werden.

Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt zwar auch eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747; Senat, Beschluss vom 17. Dezember 1999 – 2 StR 376/99, NStZ 2000, 442, 443 mwN). Dennoch bedarf es im Hinblick auf die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses als Grundlage des Hauptverfahrens regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist es erforderlich, dass die Urkunde aus sich heraus und in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass die zuständigen Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen haben (Senat, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 StR 29/15, StV 2015, 740; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 3 StR 484/10, BGHR StPO § 207 Beschluss 1). Die von der Strafkammer mit demselben Beschluss herbeigeführte Verbindung des amtsgerichtlichen Verfahrens wegen des Tatvorwurfs vom 15. Februar 2016 hat nicht die Wirkung eines Beschlusses über die Zulassung der in dem übernommenen Verfahren erhobenen Anklage und über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Denn dem Verbindungsbeschluss ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen, dass das Landgericht hinsichtlich der übernommenen Anklage die  Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und angenommen hat (vgl. zur ähnlichen Fallkonstellation BGH, Beschluss vom 9. Januar 1987 – 3 StR 601/86, NStZ 1987, 239; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 3 StR 484/10, NStZ-RR 2011, 150; BayObLG, Urteil vom 5. August 1997 – 2 St RR 154/97, NStZ-RR 1998, 109).

Die Entscheidung der Strafkammer über die Aufrechterhaltung des Haftbefehls in dem bei ihr angeklagten Verfahren vermag den fehlenden Eröffnungsbeschluss ebenfalls nicht zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 StR 606/97, NStZ-RR 1999, 14, 15), da die Aufrechterhaltung des Haftbefehls lediglich den Tatvorwurf vom 10. Mai 2016 betrifft.

Eine Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt sich auch nicht daraus, dass in der Hauptverhandlung vom 16. Januar 2017 beide Anklageschriften unbeanstandet verlesen und der Vorsitzende auch hinsichtlich der Anklageschrift vom 6. April 2016, betreffend den Tatvorwurf vom 15. Februar 2016, irrtümlich festgestellt hat, dass diese durch Beschluss der Strafkammer vom 16. September 2016 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor der 2. Strafkammer eröffnet worden sowie eine Verbindung zu dem zuvor beim Landgericht geführten Verfahren erfolgt sei. Die Dokumentation einer grundsätzlich möglichen Nachholung des Eröffnungsbeschlusses in der Hauptverhandlung scheitert hier bereits daran, dass die Strafkammer lediglich mit zwei Berufsrichtern verhandelte. Eine Eröffnungsentscheidung ist indes durch die Strafkammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung, also mit drei Berufsrichtern ohne Schöffen, zu treffen (BGH, Beschluss vom 29. September 2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225, 226, Urteil vom 25. Februar 2010 – 4 StR 596/09, juris, Rn. 12).E

Ich kann dem (Revisions)Verteidiger nur empfehlen, die Frage eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses in seine „Checkliste“ aufzunehmen. Das Vorliegen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses ist zwar eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvoraussetzung. Man sollte die Frage als Verteidiger aber dennoch prüfen und ggf. auch rügen. Dann wird das bei Fehlen einer Eröffnungsentscheidung nicht behebbare Verfahrenshindernis nicht „übersehen“.

Verbindung in der Hauptverhandlung, oder: Es kommt auf die „juristische“ Sekunde an

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Urheber Ulfbastel

Der Kollege Scheffler aus Bad Kreuznach hat mir vor ein paar Tagen den LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 07.08.2017 – 2 Qs 49/17 – geschickt. Der behandelt zwei Fragen, und zwar einmal die Problematik, ob die Nr. 4141 VV RVG auch aufgrund einer entsprechenden Anwendung entsteht, wenn der Verteidiger auf den Erlass eines – vom Angeschuldigten akzeptierten – Strafbefehls hinwirkt und dadurch eine Hauptverhandlung vermieden wird. Da sagt das LG nein, kein Fall der Nr. 4141 VV RVG, was man in dem entschiedenen Fall m.E. mittragen kann. Denn es lag folgenden Sachverhalt vor:

Der Kollege war Pflichtverteidiger des Angeklagten im Verfahren A einschließlich eines hinzuverbundenen Verfahrens B. Im Hauptverhandlungstermin des führenden Verfahrens A, an dem der Kollege teilgenommen hat, ist der Angeklagte nicht erschienen. Das AG hat sodann im Rahmen der Hauptverhandlung das weitere Verfahren C zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und weiter beschlossen, dass die Verfahren A und C zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden und die bereits erfolgte Pflichtverteidigerbestellung insoweit erstreckt wird. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde sodann in das Strafbefehlsverfahren übergeleitet und ein Strafbefehl erlassen, der auch das hinzuverbundene Verfahren C erfasste. Im Rahmen der Kostenfestsetzung hat der Kollege dann u.a. für das Verfahren A die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RVG geltend gemacht. Insoweit kann man das – wie gesagt – mittragen, da es ein etwas andere Fallkonstellation ist als in den bisher dazu vorliegenden Entscheidungen.

Interessanter ist die Frage nach einer Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG auch für das Verfahren C. Die hatte der Kollege ebenfalls beantragt und die ist ebenfalls nicht festgesetzt worden. Begründung des LG in Kurzfassung: Für die Entstehung einer Terminsgebühr bei Verfahren, die erst in der Hauptverhandlung verbunden werden, komme es darauf an, dass in allen Verfahren eine Hauptverhandlung stattgefunden habe (OLG Bremen NStZ-RR 2013, 128; OLG Dresden RVGreport 2009, 62). Hier habe vor der Verbindung des Verfahrens C zum führenden Verfahren aber keine eigenständige Hauptverhandlung in dieser Sache stattgefunden.

Auch diese Ausführungen des LG zum Anfall der Terminsgebühr beruhen auf und entsprechen der vom LG angeführten h.M. in der Frage. Der habe ich bisher auch immer zugestimmt. Allerdings ist dabei bislang, auch von mir, ein Punkt übersehen worden, auf den der Kollege  hier im Beschwerdeverfahren hingewiesen hatte. Er hat nämlich ausgeführt, dass auch die Terminsgebühr in dem hinzuverbundenen Verfahren angefallen sei, „da zwischen dem Eröffnungsbeschluss im Rahmen der mündlichen Verhandlung und dem Verbindungsbeschluss ein Termin auch in diesem Verfahren für mehrere tatsächliche Sekunden stattgefunden habe„. Das Argument, also die berühmte „juristische Sekunde“, ist – meine ich – nicht von der Hand zu weisen. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens findet eine Hauptverhandlung in dem hinzuverbundenen Verfahren statt, mag sie auch nur ganz kurz bis zum Erlass des unmittelbar auf die Eröffnung folgenden Verbindungsbeschlusses dauern. Das reicht für das Entstehen der Hauptverhandlung aus. Die kurze Dauer des Termins hat beim Pflichtverteidiger keine Auswirkungen auf die Höhe der Terminsgebühr, er erhält Festbetragsgebühren. Beim Wahlanwalt hängt die Höhe der entstandenen Terminsgebühr hingegen von der Dauer des Termins ab. Bei ihm wird im Zweifel also nur die Mindestgebühr anfallen. An dieser Stelle ist m.E. also für die Zukunft Umdenken angesagt.

Man wird also umdenken müssen. Kommentar ist leider schon weg 🙂 .

Erstreckung, oder: Das AG will mit 800 € abspeisen, es gibt dann aber mehr als 3.000 €

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Freitag ist hier im Blog in der Regel immer „Zahltag“, d.h., dass ich gebührenrechtliche Entscheidungen vorstelle. So auch heute. Und es sind zwei positive Entscheidungen, die ich vorstellen kann. Auch mal schön, vor allem erspart mir das im Zweifel Kommentare zu den Beiträgen 🙂 .

Ich eröffne dann mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 16.05.2017 – 1 Ws 95/17. Er hat eine Erstreckungsproblematik (§ 48 Abs. 6 RVG) zum Gegenstand. Mit der Erstreckung müssen sich vor allem Pflichtverteidiger plagen, wenn sie in mehreren Verfahren tätig gewesen sind, die dann verbunden werden. Dann geht es bei der Festsetzung der gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers häufig um die Frage: Kann der Pflichtverteidiger gegen die Staatskasse auch (gesetzliche) Gebühren geltend machen , die vor seiner Beiordnung entstanden sind. Ds richtet sich eben nach § 48 Abs. 6 RVG. Bei der Anwendung der Vorschrift ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung aber umstritten, welche Gebühren festzusetzen sind, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidiger erst erfolgt ist, nachdem mehrere Verfahren, in denen der Pflichtverteidiger bereits als Wahlverteidiger tätig war, verbunden worden sind.

Das OLG Hamm hat sich in der Streitfrage der zutreffenden h.M. angeschlossen und damit seine Rechtsprechung aus 2005 🙂 bestätigt. Danach findet in diesen Fällen § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG unmittelbar Anwendung findet, wenn Verfahren zunächst verbunden werden und danach die Bestellung als Pflichtverteidiger in dem (verbundenen) Gesamtverfahren erfolgt:

„Während das OLG Rostock vertritt, dass in derartigen Fällen die bis zur Verbindung in den Einzelsachen entstandenen Wahlverteidigergebühren bestehen bleiben und der Verteidiger diese nicht nochmals als Pflichtverteidiger ersetzt verlangen kann (Beschluss vom 27.04.2009, 1 Ws 8/09, juris, Rn. 8), wird in der Literatur und Rechtsprechung überwiegend vertreten, dass dem Rechtsanwalt über § 48 Abs. 6 S. 1 RVG Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse für alle vorher hinzuverbundenen Verfahren erwachsen, soweit er in diesen vor der Verbindung als Wahlverteidiger tätig geworden ist (OLG Bremen, Beschluss vom 07.08.2012, Ws 137/11, Rn. 14 m. w. N.; Burhoff RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Auflage, § 48 Rn. 22 ff.; Schneider Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, RVG, § 48 Rn. 60 ff. m.w.N.; Mayer/Kroiß, RVG, 6. Auflage, § 48 Rn. 126; OLG Hamm, Beschluss vom 06.06.2005, 2 (s) Sbd VIII — 110/05, juris).

Teilweise wird in der Rechtsprechung zu § 48 Abs. 6 S. 3 RVG inzwischen wieder die Ansicht vertreten, dass auch in den Fällen, in denen erst die Verbindung und dann die Beiordnung erfolgt, eine ausdrückliche Erstreckung erfolgen muss, da die Vorschrift des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG für alle Verbindungen gelten soll. Dabei soll eine Erstreckung der Beiordnung auf die hinzuverbundenen Verfahren in der Regel dann ausgesprochen werden, wenn auch in dem hinzuverbundenem Verfahren als solchem bereits eine Verteidigerbestellung angestanden hätte (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.12.2010, 1 Ws 583/10, juris, Rn. 7; OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.04.2014, 1 Ws 48/14, Rn. 31).

Der Wortlaut und die Gesetzessystematik lassen beide Interpretationen zu. Einerseits enthält § 48 Abs. 6 S. 3 RVG keine Einschränkung auf nach der Beiordnung verbundene Verfahren, andererseits lässt sich der Formulierung des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG hinsichtlich der Vergütung für vor dem Zeitpunkt der Bestellung entfalteten Tätigkeiten keine Beschränkung auf das Ursprungsverfahren entnehmen. Danach kommen sowohl eine Auslegung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG als bloße Erweiterung einer bereits durch § 48 Abs. 6 S. 1 RVG bestimmten umfassenden Vergütung auf später hinzuverbundene Verfahren, als auch als Spezialregelung für hinzuverbundene Verfahren unabhängig vom Zeitpunkt der Verbindung in Betracht.

Gegen die letztgenannte inzwischen wieder vertretene Auffassung spricht, dass manchmal erst mehrere Jahre nach der Verbindung ggf. noch im Kostenfestsetzungsverfahren über Erstreckungen zu entscheiden ist und es vom Zufall abhängt, ob das Ursprungsverfahren gegenüber den hinzuverbundenen Verfahren dasjenige mit dem gewichtigsten Vorwurf ist (OLG Bremen a. a. O., Rn. 15). Für die zuerst genannte Auffassung spricht hingegen, dass mit der Regelung des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG (vormals: § 48 Abs. 5 S. 1 RVG) nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs 15/1971, S. 201) die Regelung des § 97 Abs. 3 BRAGO übernommen werden sollte. Durch das RVG sollte Streit in der Frage, ob beigeordnet werden musste, gerade vermieden werden (Burhoff, a.a.O., Rn. 24 f.; Gerold/Schmidt/Burhoff/Müller-Rabe, RVG 20. Auflage, § 48 Rn. 148).

Der Senat schließt sich der in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG unmittelbar Anwendung findet, wenn Verfahren zunächst verbunden werden und danach die Bestellung als Pflichtverteidiger in dem (verbundenen) Gesamtverfahren erfolgt. Voraussetzung dafür, dass der Anwalt neben den Gebühren im führenden Verfahren auch weitere Gebühren für seine Tätigkeiten in den hinzuverbundenen Verfahren erhalten kann ist aber, dass er in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist (Burhoff a.a.O., Rn. 31, 33; Mayer/Kroiß a.a.O., Rn. 126).“

Anzumerken ist: Trotz dieser für Pflichtverteidiger günstigen Entscheidung sollten Verteidiger in allen Verfahren, in denen eine Erstreckung in Betracht kommt, diese ausdrücklich beantragen. Sie sind damit auf der sicheren Seite, auch wenn das zuständige OLG ggf. anderer Auffassung als die h.M. sein sollte. Und das es bei diesen Fragen um eine Menge Geld gehen kann, zeigt sehr schön der Beschluss des OLG Hamm. Festgesetzt werden letztlich rund 3.050 € anstelle der rund 800 €, mit denen das AG den Pflichtverteidiger abspeisen wollte.