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KG: Auch auf Sonderfahrstreifen gelten „allgemeine Lichtzeichen“, aber ggf. geringere Geldbuße

Das KG hat jetzt in seinem Beschl. v. 21.05.2010 – 3 Ws (B) 138/10  –  2 Ss 41/10 – ebenso wie bereits das OLG Frankfurt im Jahr 20o2 entschieden, dass für Fahrzeugführer, die unberechtigt einen Sonderstreifen benutzen, die Lichtzeichen für den allgemeinen Fahrverkehr auf den übrigen Fahrstreifen (weiter) gelten. Bei der Missachtung des dortigen Rotlichtes sei aber trotz der Dauer der Rotlichtphase von mehr als einer Sekunde eine Gefährdung des Querverkehrs ausgeschlossen, wenn das Lichtzeichen für den unberechtigt benutzten Sonderstreifen die Fahrt frei gibt. Dies rechtfertige ggf. eine Unterschreitung der Regelgeldbuße und das Absehen vom Regelfahrverbot (§ 37 StVO).

Wenigstens etwas.

Wild-West beim LG Berlin – Waffentragen in der Hauptverhandlung….

Da geht es ja hoch her beim LG Berlin. Im Beschl. des KG v. 27.05.2010 – 4 Ws 61/10 heißt es:

Mit Sicherungsverfügung vom 19. Mai 2010 hat der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer für die Sitzung am 28. Mai 2010, in der die als besonders gefährdet eingeschätzte (ehemalige) Vertrauensperson als – nunmehr namentlich bekannter und geladener – Zeuge vernommen werden soll, umfangreiche Anordnungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Hauptverhandlung getroffen.
Mit der Beschwerde seiner Verteidiger vom 20. Mai 2010 wendet sich der Angeklagte gegen die genannte Verfügung, soweit mit ihr den Bediensteten des Bundeskriminalamtes, die sich zum Zwecke des Zeugenschutzes im Sitzungssaal aufhalten werden, gestattet worden ist, verdeckt (Schuss-)Waffen zu tragen.

Ach, so: Beschwerde ist nach h.M. natürlich unzulässig, da es sich um eine Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen des Vorsitzenden nach § 176 GVG handelt. Und da ist das Rechtsmittel nicht zulässig.

Das KG hat auch einen Igel in der Tasche :-)

Der Kollege Siebers hatte gestern über eine Amtsrichterin berichtet, die im Hinblick auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers den berühmten „Igel in der Tasche“ hatte.

Dazu passt ganz gut diese Entscheidung des KG v. 27.04.2010 – 1 Ws 61/10, in der es einmal mehr um die Frage der anwaltlichen Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren geht, wenn die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt und das dann vor Begründung zurückgenommen hat. Höchst streitige Frage, ist dann, ob der Angeklagte die durch eine zwischenzeitliche Beauftragung seines Rechtsanwaltes entstandene Verfahrensgebühr erstattet verlangen kann oder nicht.

Das KG sagt – wie die wohl überwiegenden Meinung – Nein, da überhaupt kein Grund besteht für die Beauftragung. Die war nicht erforderlich. M.E. ist das falsch und wird im Zivilrecht auch – zu Recht – anders gesehen. Der Verteidiger sollte den Mandanten aber auf diesen Streit hinweisen, damit der nicht überrascht ist, wenn er die „Musik selbst bezahlen muss“. Denn, dass die Gebühr „entsteht“, daran bestehen kein Zweifel.

Ich denke, jetzt wird es wieder Kommentare geben von wegen „raffgierige Rechtsanwälte, wie vor kurzem bei einem Blogbeitrag eines anderen Blogs, den ich nun leider nicht mehr wieder finde :-(.

Manchmal ist man fassungslos, oder: KG muss Tatrichter an die Auswirkungen des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ erinnern

Gestern habe ich mal wieder einen Schwung Entscheidungen vom KG bekommen. Darunter auch eine – Beschl. v. 11.06.2010 – 3 Ws (B) 270/10 – , vor der man im Grunde fassungslos steht. Nicht wegen der Entscheidung des KG, sondern wegen der zugrunde liegenden amtsgerichtlichen Entscheidung. Da führt der Amtsrichter in seinen Urteilsgründen doch allen Ernstes zum prozessualen Verhalten des Betroffenen aus, dass sein

Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist“.

Das KG dazu:

Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift. Da er zugleich die Geldbuße gegenüber der ‑ auch bei der höheren Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblichen ‑ Regelbuße des Bußgeldbescheides verdoppelte, liegt die Annahme nahe, dass er hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt hat.“

Ergebnis: Natürlich Aufhebung. Und: Das KG hat die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen; offenbar ging es davon aus, dass bei dem Tatrichter der bloße Hinweis auf den Rechtsfehler mit der Bitte um Beachtung in zukünftigen Fällen nicht ausreichen würde.

Anschlusserklärung des minderjährigen Nebenklägers unwirksam

Für diejenigen, die häufiger Nebenkläger vertreten, ist die Entscheidung des KG v. 22.03.2010 – 4 Ws 6/101 – von Bedeutung.

Das KG hat noch einmal darauf hingewiesen, dass die Anschlusserklärung eines minderjährigen Verletzten nach § 396 StPO nur wirksam ist, wenn der Personensorgeberechtigte ihn bei dieser Prozesserklärung vertritt oder der Erklärung des Minderjährigen zustimmt. Das KG untersucht dann zwar die Nebenklagevorschriften darauf, ob sie eine Auslegung dahingehend zulassen, dass ein minderjähriger Nebenklageberechtigter mit Vollendung des 14. Lebensjahres (prozessual) handlungsfähig ist und ohne Zustimmung seines Personensorgeberechtigten wirksam den Nebenklageanschluss erklären kann – Letztlich entscheidet es sich aber gegen eine solche Auslegung. Ihr stehe entgegen, dass damit ein Wertungswiderspruch zum materiellen Recht entstünde.