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Die Gewerbefreiheit des Rauschgifthändlers…

Ich vermute, dass der Verteidiger u.a. damit – und mit dem „europarechtlichen Diskriminierungsverbot“ – gegen die Annahme von Fluchtgefahr bei( § 112 StPO)  seinem aus Italien stammenden Mandanten, der auf „Einkaufsfahrt“ in den Niederlanden war,  argumentiert hat. Anders sind die Ausführungen in LG Kleve, Beschl. v. 07.06.2011 – 120 Qs 55/11 nicht zu verstehen. Dazu dann das LG:

„Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr.

Weder das vom Verteidiger angeführte europarechtliche Diskriminierungsverbot noch die Gewerbefreiheit sollen Rauschgifthändler vor Strafverfolgung schützen. Zudem verkennt die Argumentation der Verteidigung, dass der Umstand, dass ein fehlender Wohnsitz im Inland (wo die Justiz trotz der zu begrüßenden erweiterten Rechtshilfemöglichkeiten innerhalb der EU ohne Zweifel effektiver den Strafverfolgungsanspruch durchsetzen kann) unabhängig von der Staatsangehörigkeit (sowohl bei deutschen als auch bei italienischen Beschuldigten) ein Anhaltspunkt für erhöhte Fluchtgefahr ist. Schließlich darf nicht das sich aus der Unschuldsvermutung ergebende Wesen der Untersuchungshaft verkannt werden. Umstände, aus denen sich die Fluchtgefahr ergibt, müssen nicht verschuldet sein. Dass beispielsweise das Fehlen familiärer Bindungen, das Fehlen eines Arbeitsplatzes oder das Vorhandensein ausreichender finanzieller Mittel für eine Flucht nicht verschuldet sind, ändert nichts daran, dass sie – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fluchtgefahr sind.

Unabhängig davon ergibt sich die Fluchtgefahr (Gefahr eines Untertauchens) aber bereits aus der hohen Straferwartung in Verbindung mit dem fehlenden festen Arbeitsplatz (Bl. 15) und dem Rauschgiftkonsum (Bl. 16) bzw. dem Kontakt zum Drogenmillieu.“

Die (unzulässige) Fesselung des Strafgefangenen

§ 88 StVollzG erlaubt als eine besondere Sicherungsmaßnahme auch die Fesselung des Strafgefangenen. Allerdings nur unter besonderen Umständen, wenn nämlich „nach seinem Verhalten oder auf Grund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht“.

Dazu nimmt jetzt das OLG Hamm, Beschl. v. 16.06.2011 – III-1 Vollz (Ws) 216/11 Stellung. Besondere Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG setzt danch eine an konkreten Anhaltspunkten belegte und individuelle zu beurteilende Fluchtgefahr voraus, die über die allgemein bei Gefangenen naheliegende Fluchtvermutung hinaus geht und auch die gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG der Gewährung von Vollzugslockerungen entgegenstehende Fluchtgefahr übersteigt. Das hat das OLG verneint.

Eine solche mit konkreten Anhaltspunkten belegbare erhöhte Fluchtgefahr bestand vorliegend nicht. Soweit die Strafvollstreckungskammer, der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt L folgend, die Fluchtgefahr mit dem Verhalten der Betroffenen vor ihrer Selbststellung begründet, belegt schon die Selbststellung, dass sich die Betroffene der Vollstreckung der Strafe gerade nicht mehr entziehen wollte. Soweit die Kammer die Annahme besonderer Fluchtgefahr auf die erlebten ersten Hafterfahrung der Betroffenen stützt, stellt sie hiermit ausschließlich auf die bei Gefangenen allgemein naheliegende Fluchtvermutung ab. Diese reicht indes, wie ausgeführt, für die Annahme erhöhter Fluchtgefahr gerade nicht aus.“

Insgesamt sind Anhaltspunkte, welche eine erhöhte Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG begründen könnten, nicht festgestellt, von der Justizvollzugsanstalt nicht behauptet und auch sonst nicht im Ansatz erkennbar.

Zum Sachverhalt ist nachzutragen: Die Verurteilte war dreimal in ein Krankenhaus ausgeführt worden. U.a.

„der Transport in das JVK Fröndenberg wurde als Liegendtransport durchgeführt. Bei diesem wurde die Betroffene mit Gurten auf der Liege fixiert und zusätzlich mit Fußfesseln gefesselt. Während der gesamten Fahrt waren Justizvollzugsbeamte zugegen. Auf der Fahrt wurde der Krankenwagen in einen Verkehrsunfall verwickelt. Aufgrund dessen musste die Fahrt ca. 1 1/2 Stunden unterbrochen werden. Auch während dieser Zeit blieb die Betroffene an die Liege festgegurtet und mit Fußfesseln gefesselt.“

Wochenspiegel für die 17. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten:

  1. Über einen unpünktlichen Strafverteidiger.
  2. Über das, was Polizisten bei Kontrollen nicht mögen.
  3. Über eine schnelle Geburt.
  4. Sind Briefe wirklich am nächsten Werktag da? Meine nie 🙂
  5. Über den Radfahrer und die Vorfahrt.
  6. Über mal ein ganzes anderes Ranking.
  7. Über (keine) Pflichtverteidigung bei Bewährung.
  8. Über die Fluchtgefahr bei Ausländern.
  9. Über den insolventen Mandaten und die Kosten.
  10. Über einen unerwarteten Steuerbescheid.

Fluchtgefahr? Nicht, wenn du geblieben bist

Die Fluchtgefahr i.S. des § 112 StPO ist immer wieder in der Diskussion, vor allem, wenn erst im Laufe des Verfahrens der Erlass eines Haftbefehls beantragt wird. Dann lässt es sich häufig gut gegen seinen Erlass damit argumentieren, dass der Mandant sich ja „für das Verfahren zur Verfügung gehalten hat“, bzw., dass er, obwohl er vom Verfahren wusste, nicht „abgehauen“ ist.

Und das gilt auch bei Schwerkriminalität i.S. des § 112 Abs. 3 StPO. Insoweit ist der Beschl. des LG Koblenz v. 07.02.2011 – 2090 Js 24962/08 – 3 Ks ganz interessant. Nichts Bahnbrechendes, aber man hat zumindest schon mal eine Fundstelle.

Ist etwas Besonderes an der Entscheidung des OLG Karlsruhe in der Causa Kachelmann?

Naturgemäß haben heute die Beiträge zur Aufhebung des Haftbefehls gegen Jörg Kachelmann die zur Loveparade verdrängt. Eine kleine Auswahl hier:

  1. Freilassung Kachelmann, Bravo OLG Karlsruhe.
  2. Kachelmann frei.
  3. Kachelmann draußen.
  4. Auf dem Weg zum Freispruch.
  5. Und: Mein Favorit bei den Überschriften: Kachelmann kommt aus der Kiste – wird das Wetter jetzt besser? – obwohl hier ist es gar nicht schlecht…

Nachdem J.K, nun schon einige Stunden auf freiem Fuß ist, vielleicht Gelegenheit/Anlasse zu einer ersten, etwas umfassenderen Bewertung der Entscheidung als am heutigen Morgen:

  1. Alle Kommentatoren begrüßen die Entscheidung des OLG Karlsruhe, mit Recht. Denn – ohne die Akten zu kennen – scheint das OLG Karlsruhe (endlich) das erkannt zu haben, was in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder berichtet worden ist: Eine (inzwischen [?]) dünne Beweislage, die die Annahme eines dringenden Tatverdachts verbietet. Gewonnen ist eine Schlacht, allerdings noch nicht der Krieg, denn man weiß nie, wie ein LG auf eine solche Entscsheidung reagiert, zumal natürlich auch nicht vergessen werden darf, dass das LG die Zeugen/Zeugin in öffentlicher Hauptverhandlung vernimmt und deren Aussagen dann neu bewerten muss. 2.
  2. Allerdings darf man sicherlich auch die psychologische Wirkung einer solchen HB-Aufhebung nicht übersehen.
  3. Man fragt sich natürlich auch, was sich eigentlich so anders in der Bewertung des OLG darstellt, dass dieses zu einer HB-Aufhebung kommt. Warum hat das LG das nicht auch so gesehen? Aber die Bewertung von Zeugenaussagen bei der „Aussage-gegen-Aussage-Problematik“ ist häufig nicht nachvollziehbar. Zudem habe ich den Eindruck, dass das LG seine Haftentscheidung unbedingt halten wollte. Das hat man manchmal.
  4. Richtig ist es, wen man sagt – wie der Kollege Nebgen – J.K. ist auf dem Weg zum Freispruch. Aber mehr auch nicht. Denn wie gesagt (s.o.): Man weiß nie, wie ein LG auf eine solche Entscheidung reagiert.
  5. Zur Überschriftsfrage: Besonders ist an der Entscheidung, dass das OLG zum „dringenden Tatverdacht“ Stellung genommen hat. An sich tun OLGs das ungern :-). Man hätte m.E. auch den Weg über die Fluchtgefahr gehen können (die m.E. auch nicht vorgelegen hat). So lässt sich aus der Entscheidung der Schluss ziehen, dass das OLG ein deutliches Zeichen setzen wollte. Das ist gelungen. Congratulations.