Schlagwort-Archive: Strafgefangener

StPO II: Dreimal Akteneinsicht beim BayObLG, oder: Umfang, Einsicht durch Dritte, Rechtsmittel

© rdnzl – Fotolia.com

Und im zweiten Posting habe ich dann hier drei Entscheidungen des BayObLG zur Akteneinsicht, und zwar zum Umfang der Einsicht, der Einsicht durch Dritte und zu Rechtsmitteln.

Ich stelle jeweils nur die Leitsätze der Entscheidungen vor. Die lauten:

1. Ersucht eine Landeszahnärztekammer zum Zweck der Überprüfung eines berufsrechtlichen Verstoßes eines ihrer Mitglieder um Einsicht in die Akten eines Haftpflichtprozesses, handelt es sich nicht um ein Akteneinsichtsgesuch im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO, sondern um ein Amtshilfeersuchen des Art. 35 Abs. 1 GG.

2. Das um gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG angegangene Gericht hat im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG) auch zu prüfen, ob dieser kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist. Dabei darf das Gericht allerdings nicht anstelle der zuständigen Justizbehörde eine eigene Ermessensentscheidung treffen (§ 28 Abs. 3 EGGVG).

1. Ist die Art und Weise der Erteilung einer Akteneinsicht gesetzlich nicht geregelt, ist allgemein anerkannt, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht keinen Anspruch auf die Ausreichung einer Ablichtung eines Dokuments enthält. Vielmehr liegt die Form der Auskunftserteilung im Ermessen der verantwortlichen Stelle.

2. Grundsätzlich gewährt auch Art. 78 i.V.m. Art. 75 BayStVollzG einem Strafgefangenen im bayerischen Strafvollzug keinen Rechtsanspruch auf die Fertigung und Aushändigung von Ablichtungen von ihn interessierenden Schriftstücken. 

3. Der Vollzugsanstalt steht bei der Frage, wie dem jeweiligen Gefangenen bei einer bedeutsamen rechtlichen Fragestellung zu helfen ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung über die Art der Hilfeleistung ist nach Maßgabe der jeweiligen Schwierigkeit und der persönlichen Verhältnisse des Gefangenen zu treffen.

4. Im Einzelfall kann sich der grundsätzlich eröffnete Beurteilungsspielraum, auf welche Weise der Strafgefangene bei seinen rechtlichen Belangen zu unterstützen ist, „auf Null“ reduzieren und insoweit Spruchreife eintreten.

1. Die Führung der Ermittlungsakten durch die Staatsanwaltschaft stellt keinen Justizverwaltungsakt im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG dar.

2. Ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung noch innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei einer unzuständigen Justizbehörde eingegangen, ist diese aufgrund der ihr obliegenden dem Gebot des fairen Verfahrens entspringenden Fürsorgepflicht verpflichtet, den Antrag an die zuständige Justizbehörde weiterzuleiten, jedoch nur, wenn die Unzuständigkeit ohne weiteres erkennbar und die rechtzeitige Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang möglich ist. Unterbleibt dies, ist dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

3. Ein eine Wiedereinsetzung hinderndes, dem Antragsteller zuzurechnendes Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten kann auch dann vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält. Ohne Rechtsbehelfsbelehrung ist kein Vertrauenstatbestand geschaffen; eine rechtskundige Person muss selbst für die Einhaltung gesetzlicher Fristen sorgen.

4. Gewährt die Staatsanwaltschaft vor dem Abschluss der Ermittlungen anderen Mitbeschuldigten unbeschränkte Einsicht in die Ermittlungsakten, kann ein Beschuldigter die Rechtmäßigkeit der Akteneinsichtsgewährung nicht im Wege der §§ 23 ff. EGGVG vom Bayerischen Obersten Landesgericht überprüfen lassen, sondern in analoger Anwendung des § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO nur vom nach § 162 StPO zuständigen Gericht. Das Verfahren ist insoweit von Amts wegen dorthin abzugeben.

Strafe III: Tagessatzhöhe beim Strafgefangenen, oder: Tagessatzhöhe beim Arbeitslosen

Bild von ?????? ??????? auf Pixabay

Und dann zum Tagesschluss noch zwei AG-Entscheidungen zur Tagessatzhöhe.

Hier kommt zuerst der AG Amberg, Beschl. v. 20.06.2024 – 9 Cs 171 Js 12721/23 – zur Tagessatzhöhe bei einem Strafgefangenen:

„Im Hinblick auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten ist die Höhe des Tagessatzes mit 1,00 EUR festzusetzen. Der Angeklagte erhält lediglich Taschengeld in unter-schiedlicher Höhe, auf welches mangels Tätigkeit abzustellen ist. Im Februar 2024 erhielt er Taschengeld für Januar i.H.v. 41,99 EUR und im März 2024 (für Februar 2024) ein solches i.H.v. 43,02 EUR unter Berücksichtigung des Eigengeldes. Um die regelmäßig schlechte finanzielle Ausgangssituation von Strafgefangenen nach Strafhaftende nicht weiter zu verschlechtern und die Resozialisierungschancen nicht weiter zu reduzieren, sollte bei Strafgefangenen stets die Tagessatzanzahl gewählt werden, die am untersten Ende des unter Schuldgesichtspunkten noch Vertretbaren liegt. Die vom Angeklagten durch den unfreiwilligen Aufenthalt in der Justizvollzugs-anstalt ersparten Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung außer Ansatz (zum Ganzen MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl. 2020, StGB § 40 Rn. 79). Das Gericht setzt damit die Tagessatzhöhe auf 1,00 EUR fest.“

Und als zweite Entscheidung der AG Pirna, Beschl. v. 17.07.2024 – 23 Cs 962 Js 64817/23 – zur Tagessatzhöhe bei einem Arbeitslosen. Das AG hat den Tagessatz auf 5,00 EUR/Tag festgesetzt:

„Bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe ist das Gericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte derzeit in Tschechien Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich umgerechnet ca. 175,–Euro erhält.“

Frist II: Fristeinhaltung durch Strafgefangenen, oder: Man muss sich selbst kümmern

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Im zweiten Posting dann der BayObLG, Beschl. v. 28.05.2024 – 204 StObWs 140/24 – zum Wiedereinsetzungsantrag eine Strafgefangenen. Dazu sagt – hier genügt der Leitsatz – das BayObLG:

  1. Der Strafgefangene ist für die Einhaltung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde selbst verantwortlich.

  2. Deshalb genügt es nicht, wenn er zwar einen Entwurf der Rechtsbeschwerde dem zuständigen Rechtspfleger zur Überprüfung zuleitet, es aber unterlässt, den Rechtspfleger auf den Fristablauf hinzuweisen und den Rechtspfleger rechtzeitig vor Fristablauf zur Niederschrift anzufordern.

Strafvollzug III: Die Liebesbeziehung der JVA-Beamtin zum Strafgefangenen, oder: Entfernung aus dem Dienst

Bild von autumnsgoddess0 auf Pixabay

Und die dritte Entscheidung kommt auch aus dem Strafvollzug bzw. hat mit ihm zu tun. Es ist das OVG Koblenz, Urt. v. 15.6.2020 – 3 A 11024/19.OVG. Schon etwas älter, aber der Volltext stand jetzt erst zur Verfügung. Und die Entscheidung ist recht lang. Daher ziehe ich mich hier auf die PM 12/2020 des OVG v. 16.06.2020 zurück.

In der heißt es:

„JVA-Beamtin nach Liebesbeziehung zu Gefangenem aus dem Dienst entfernt

Eine Beamtin einer Justizvollzugsanstalt (JVA), die über mehrere Monate eine Liebes­beziehung zu einem Gefangenen eingegangen war und ihm dabei mehrere Nacktfotos von sich übersandt hatte, ist aus dem Dienst zu entfernen. Dies entschied das Ober­verwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Im Dezember 2017 wurden bei einer Postkontrolle in einer JVA zahlreiche Briefe gefunden, die eine – zurzeit vom Dienst freigestellte – Justizvollzugsbeamtin mit einem damaligen Gefangenen ausgetauscht hat, sowie mehrere Nacktfotos von ihr. Auf die Klage des Landes hat die landesweit zuständige Disziplinarkammer des Verwaltungs­gerichts Trier die Justizvollzugsbeamtin aus dem Dienst entfernt, weil diese gegen das als Kernpflicht von Bediensteten im Strafvollzug ausgestaltete Zurückhaltungsgebot (Distanzgebot) verstoßen habe. Die Beamtin sei über mehrere Monate eine Liebes­beziehung zu einem Gefangenen eingegangen. Hierbei sei es unter Verschleierung der wahren Identität zu umfangreichem Briefverkehr – u.a. mit Offenbarung sexueller Vor­lieben und Phantasien sowie einer avisierten gemeinsamen Zukunft – sowie zur Über­lassung von Nacktfotos von ihr gekommen; ferner hat die Beamtin ein Armband und ein T-Shirt des Gefangenen unerlaubt mit nach Hause genommen. Eine Offenbarung der Beziehung und des Briefkontakts gegenüber der Anstaltsleitung sei nicht erfolgt. Mit diesen Verhaltensweisen habe sie ein schweres Dienstvergehen begangen und sich insgesamt als untragbar für den öffentlichen Dienst erwiesen. Sie habe aus eigensinni­gen Motiven verantwortungslos eine Gefährdungslage für den Strafvollzug geschaffen und dabei alle Kollegen schwer hintergangen, was einer Vertrauensbasis sowohl aus Sicht des Dienstherrn als auch aus Sicht der Allgemeinheit die Grundlage entziehe. Indem sie dem Gefangenen Nacktaufnahmen von sich überlassen habe, habe sie sich in erheblicher Weise erpressbar gemacht. Selbst nachdem der Gefangene verlegt und das Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei, habe sie über Dritte versucht, ihr distanzloses Verhalten zum Gefangenen aufrechtzuerhalten. Schließlich habe die Beklagte sich bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung völlig uneinsichtig ins­besondere hinsichtlich des Umstands ihrer Erpressbarkeit gezeigt. Das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Dienstverrichtung in der Zukunft sei damit nachhaltig zerstört (vgl. Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Trier Nr. 12/2019).

Mit ihrer gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil eingelegten Berufung machte die Beamtin geltend, sie habe keine sexuelle oder sonstige intime Beziehung zu dem Gefangenen gehabt. Außerdem sei sie im Jahr 2016 wegen einer akuten Belastungs­reaktion und einer Anpassungsstörung in ärztlicher Behandlung gewesen. Das Ober­verwaltungsgericht wies nach Durchführung einer Beweisaufnahme, bei der unter anderem die aufgefundenen Briefe verlesen, der Gefangene als Zeuge vernommen und die Beamtin angehört wurden, die Berufung zurück.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Justizvollzugsbeamtin eine sexuelle bzw. Liebesbeziehung zu dem Gefange­nen über mehrere Monate eingegangen sei. Dies ergebe sich unzweifelhaft aus den aufgefundenen Briefen. Die Angaben sowohl des Gefangenen als auch der Beamtin selbst erschienen demgegenüber als nicht glaubhaft. Hiervon ausgehend teile das Gericht die Rechtsauffassung der Vorinstanz, dass die Beamtin ein schweres Dienst­vergehen begangen habe, das ihre Entfernung aus dem Dienst erfordere. Für eine ver­minderte Steuerungsfähigkeit der Beamtin seien keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar.“

Strafvollzug II: Ausführung des Strafgefangenen zum Urologen, oder: So geht es nicht

© ogressie Fotolia.cm

Die zweite Strafvollzugsentscheidung hat mir die Kollegin Brenner aus Saarlouis geschickt. Das OLG Saarbrücken behandelt in dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.08.2020 – Vollz (Ws) 4/20 – die mit der Ausführung eines Strafgefangenen zu einem Artbesuch – hier war es ein Urologe – zusammenhängenden Fragen.

Es geht um folgenden Sachverhalt:

„Am 16.10.2017 wurde der Antragsteller auf Veranlassung der Anstaltsärztin zu dem Facharzt für Urologie Dr. pp. in Saarbrücken ausgeführt. Hierbei musste er Anstaltskleidung tragen und wurde durch zwei uniformierte Vollzugsbeamte begleitet, die auch bei der fachärztlichen Untersuchung (rektal durchgeführte Tastuntersuchung der Prostata), der Diagnosebesprechung und beim Arztgespräch ohne jedwede optische und/oder akustische Abtrennungsmaßnahmen durchgehend im Behandlungszimmer anwesend waren. Diese konkrete Art und Weise der Ausführung beruhte nicht auf einer einzelfallbezogenen Ermessensentscheidung der Anstalts- oder Vollzugsabteilungsleitung. Vielmehr entsprach sie, soweit es die Ausführung in Anstaltskleidung anbelangt, einer generellen Handlungsanweisung für alle Strafgefangenen ohne Lockerungsgewährungen gemäß §§ 38, 39 SLStVoIIzG, die der — von dem Antragsteller bestrittenen — Behauptung des Antragsgegners zufolge vorsieht, dass Strafgefangene, bei deren Ausführung keine Fesselung angeordnet ist, auf Antrag in Privatkleidung ausgeführt werden können. Einen solchen Antrag hatte der Antragsteller, bei dem eine Fesselung bei Ausführungen nicht angeordnet war, nicht gestellt. Soweit es die Aus-führung durch uniformierte Vollzugsbeamte und deren Anwesenheit bei der ärztlichen Untersuchung, der Diagnosebesprechung sowie beim Arztgespräch betrifft, entsprach dies der generellen Handhabung in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken.“

Gegen diese Ausführung hat sich der Strafgefangene gewehrt. Und er hat dann bei der StVK und beim OLG nach längerem Hin und Her Recht bekommen:

2. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist bereits mit der erhobenen Sachrüge begründet, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht ankommt. Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners ist hingegen unbegründet……

a) Der als Feststellungsantrag gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist — wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend angenommen hat — zulässig…..

b) Der Feststellungsantrag ist auch in vollem Umfang begründet. Die konkrete Ausgestaltung der am 16.10.2017 erfolgten Ausführung des Antragstellers zu einem Facharzt für Urologie war in dem von dem Antragsteller beanstandeten Umfang rechtswidrig.

aa) Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVoIIzG kann den Gefangenen das Verlassen der Anstalt unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht gestattet werden, wenn dies aus besonderen Gründen notwendig ist (Ausführung). Auch eine außerhalb des Strafvoll-zugs erforderliche Behandlung eines Strafgefangenen (§ 63 Abs. 1 SLStVoIIzG) kann im Wege der Ausführung erfolgen (vgl. Begründung zu § 63 des Gesetzentwurfs der Regierung des Saarlandes zur Neuregelung des Vollzugs der Freiheitsstrafe im Saar-land, LT-Drucks. 15/386, S. 107).

Die Art und Weise der Ausführung eines Gefangenen i. S. des § 41 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SLStVoIIzG, insbesondere die hierbei zu treffenden Sicherungsmaßnahmen — also z. B. auch das Tragen von Anstaltskleidung oder Privatkleidung durch den Gefangenen, das Tragen von Uniform oder Privatkleidung durch die den Gefangenen hierbei begleitenden Vollzugsbediensteten und die Anwesenheit der Vollzugsbediensteten im ärztlichen Behandlungszimmer —, hängt von einer im konkreten Einzelfall zu treffenden Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters ab; er hat die nach den konkreten Um-ständen des jeweiligen Einzelfalls erforderlichen Sicherungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gefangenen sowie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu treffen (vgl. Begründung zu § 41 des Gesetz-entwurfs der Regierung des Saarlandes zur Neuregelung des Vollzugs der Freiheits-strafe im Saarland, LT-Drucks. 15/386, S. 93 f.; BVerfG NStZ 2000, 166 f. — juris Rn. 917; Hanseatisches OLG Hamburg NStZ-RR 2014, 95 f. für den Fall der Ausführung eines Sicherungsverwahrten durch uniformierte Vollzugsbedienstete; Senatsbeschluss vom 10. Januar 2019 – Vollz (Ws) 18/18 -; Laubenthal in: Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Nerrel, a. a. O., Abschn. E Rn. 162; Arloth/Krä, a. a. O., § 11 StVollzG Rn. 5, § 12 StVollzG Rn. 3, § 41 SLStVollzG Rn. 1, § 41 SächsStVollzG Rn. 1; Lau-benthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., Kap. 6 A Rn. 4; Harrendorf/Ullenbruch in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a. a. O., Kap. 10 C Rn. 7).

Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt daher gemäß § 115 Abs. 5 StVollzG (i. V. mit § 118 Satz 2 Nr. 2 SLStVollzG) lediglich, ob der Anstaltsleiter die konkrete Art und Weise der Ausführung des Antragstellers zu einem Facharzt vom 16.10.2017 rechtsfehlerfrei getroffen hat, ob er also von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die gesetzlichen Begriffe richtig angewendet, von dem ihm zustehenden Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht, die Grenzen des Ermessens eingehalten und von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHSt 30, 320 ff. — juris Rn. 11; Senatsbeschlüsse vom 26. März 2014 – Vollz (Ws) 11/14 – und vom 18. April 2016 ¬Vollz (Ws) 13/14 -; Bachmann, a. a. O., Abschn. P Rn. 83 ff. m. w. N.; Arloth/Krä, a. a. O., § 115 Rn. 13 ff.; vgl. auch zu der § 115 Abs. 5 StVollzG entsprechenden Vorschrift des § 28 Abs. 3 EGGVG: Senatsbeschlüsse vom 15. Juni 2015 – VAs 7/15 – und vom 6. Oktober 2015 – VAs 14-15/15 -). Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt demgemäß insbesondere auch, ob die Ausführung des Antragstellers in Anstaltskleidung durch uniformierte Vollzugsbeamte sowie deren Anwesenheit bei der ärztlichen Behandlung des Antragstellers durch Gründe der Sicherheit, insbesondere die Gefahr des Entweichens des Antragstellers, gerechtfertigt war und bei der Entscheidung auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG), namentlich sein erkennbares Interesse, im Rahmen eines Arztbesuchs nicht ohne sachlichen Grund als Strafgefangener stigmatisiert zu werden, berücksichtigt wurde (Senatsbeschluss vom 10. Januar 2019 – Vollz (Ws) 18/18 -).

aaa) Mit Recht hat die Strafvollstreckungskammer angenommen, dass die Ausführung des Antragstellers, soweit er hierbei Anstaltskleidung tragen musste und von uniformierten Vollzugsbeamten begleitet wurde, schon deshalb rechtswidrig war, weil es in-soweit an einer im konkreten Einzelfall getroffenen Ermessensentscheidung des Antragsgegners des erstinstanzlichen Verfahrens von vornherein gefehlt hat. Die generelle Handlungsanweisung, wonach Strafgefangene, denen keine Lockerungen gemäß §§ 38, 39 SLStVollzG gewährt werden, grundsätzlich in Anstaltskleidung ausgeführt werden sowie der Umstand, dass Arztausführungen durch uniformiertes Personal der „generellen Handhabung“ in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken entsprechen, vermögen die gebotene Einzelfallprüfung nicht zu ersetzen. Das gilt selbst dann, wenn — wie der Antragsgegner des erstinstanzlichen Verfahrens behauptet hat — solche Gefangene, soweit bei ihrer Ausführung — wie bei dem Antragsteller — keine Fesselung angeordnet ist, auf einen entsprechenden Antrag in Privatkleidung und möglicherweise auch durch nicht uniformierte Vollzugsbeamte ausgeführt werden können.

(1) Abgesehen davon, dass die in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken einsitzenden Strafgefangenen auf die Möglichkeit der Ausführung durch nicht uniformierte Bedienstete überhaupt nicht hingewiesen werden, und es jedenfalls fraglich erscheint, ob der in der Hausordnung sowie in der (bei der Interessenvertretung der Strafgefangenen erhältlichen) „Gelben Mappe“ enthaltene Hinweis auf die Möglichkeit einer Erlaubnis zum Tragen privater Kleidung ausreicht, um die Strafgefangenen in die Lage zu versetzen, von ihrem Antragsrecht auch Gebrauch zu machen, wäre eine solche, lediglich antragsabhängige Prüfung der im konkreten Einzelfall erforderlichen Sicherungsmaß-nahmen zur Wahrung des berechtigten Interesses des Antragstellers, im Rahmen eines Arztbesuchs nicht ohne sachlichen Grund als Strafgefangener stigmatisiert zu werden, nicht ausreichend. Die Verpflichtung zum Tragen einer einheitlichen Anstaltskleidung, die von Strafgefangenen regelmäßig als Selbstwertkränkung und Deprivation empfunden wird, stellt eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfG NStZ 2000, 166 f. — juris Rn. 14 ff.). Verfassungsrechtlich geboten ist es daher zumindest, bei einer Ausführung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Strafgefangenen bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen und hierbei seinem Interesse, in einer von ihm als angemessen empfundenen Kleidung ausgeführt zu werden, Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 17). Ebenso verhält es sich hinsichtlich der Ausführung durch uniformierte Vollzugsbedienstete (vgl. OLG Hamburg NStZ-RR 2014, 95 f.). Generelle Handlungsanweisungen und eine generelle Handhabung sind nicht geeignet, diese verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte eines Strafgefangenen einzuschränken.

(2) Gleiches gilt, soweit sich der Antragsgegner bezüglich der Ausführung durch uniformierte Vollzugsbedienstete auf geltende Dienst- und Bekleidungsvorschriften sowie auf einen organisatorischen und gegebenenfalls personellen Mehraufwand — in der Regel würden mehrere Fahrten von Strafgefangenen zu niedergelassenen Arztpraxen pro Tag durch Beamte des Fahrdienstes durchgeführt, die dann mehrmals pro Tag zwischen Dienst- und Privatkleidung wechseln müssten — beruft. Zwar weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass bei der Prüfung der Notwendigkeit der Ausführung auch die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Strafanstalt zu berücksichtigen sind (vgl. Arloth/Krä, a. a. O., § 11 StVollzG Rn. 5 m. w. N.). Das ändert jedoch nichts daran, dass die Art und Weise der Ausführung — wie ausgeführt — einer einzelfallbezogenen Prüfung bedarf. Dementsprechend verpflichtet die AV des Ministeriums der Justiz Nr. 10/2013 vom 29.11.2013 (J 4400-107) zum Saarländischen Strafvollzugsgesetz in Abs. 1 VV zu § 41 SLStVoIIzG die Anstaltsleitung bei einer Ausführung zur Entscheidung über die „nach Lage des Falles“ erforderlichen besonderen Sicherungsmaßnahmen. Soweit der Antragsgegner meint, im vorliegenden Fall habe es der Antragsteller hinnehmen müssen, während des Aufenthalts in der Arztpraxis von Außenstehenden als Inhaftierter erkannt zu werden, weil „das Delikt des Antragstellers ohnehin mit einer öffentlichen Berichterstattung verbunden“ gewesen sei, trifft dies schon deshalb nicht zu, weil aus der öffentlichen Berichterstattung über die Taten, derentwegen der Antragsteller verurteilt wurde, nicht ohne Weiteres folgt, dass Dritte den ihnen nicht bekannten Antragsteller in der Öffentlichkeit wiedererkennen. Im Übrigen hätte dieser Umstand die gebotene Prüfung des Einzelfalls auch nicht entbehrlich gemacht.

(3) Schließlich hat bereits die Strafvollstreckungskammer mit Recht darauf hingewiesen, dass es selbst Strafgefangenen, die von der Möglichkeit, eine Ausführung in Privatkleidung durch nicht uniformierte Bedienstete zu beantragen, Kenntnis haben, praktisch kaum möglich wäre, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Denn nach dem unstreitigen Vorbringen des Antragstellers erlangen Strafgefangene — und so auch im vorliegenden Fall der Antragsteller am 16.10.2017 — von stattfindenden Ausführungen zu einem Arzt erst am Tag der Ausführung beim Wecken durch Vollzugsbeamte Kenntnis. Bei einer solchen Handhabung läuft das Recht der Strafgefangenen, einen entsprechenden Antrag zu stellen, von vornherein leer.

(4) Soweit der Antragsgegner im Rahmen der Begründung seiner Rechtsbeschwerde meint, die Strafvollstreckungskammer habe übersehen, dass über die Ausführungs-modalitäten im Rahmen der Vollzugsplanfortschreibungen entschieden worden sei, trifft dies nicht zu. Vielmehr wird im Vollzugs- und Eingliederungsplan nach dem eigenen Vorbringen des Antragsgegners lediglich darüber entschieden, ob Ausführungen mit oder ohne Fesselung erfolgen (vgl. §§ 9 Abs. 1 Nr. 16, 78 Abs. 2 Nr. 6 SLStVollzG).

bbb) Soweit im Rahmen der Ausführung des Antragstellers zum Facharzt für Urologie am 16.10.2017 die ihn begleitenden Vollzugsbeamten bei der ärztlichen Untersuchung, dem Arztgespräch und bei der Behandlung im Behandlungszimmer anwesend waren, gilt entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer nichts Anderes. Auch insoweit war die konkrete Art und Weise der Ausführung rechtswidrig, weil es an einer im konkreten Einzelfall getroffenen Ermessensentscheidung des Antragsgegners des erstinstanzlichen Verfahrens von vornherein gefehlt hat.

Zwar hat die Strafvollstreckungskammer zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aus-führung nach der gesetzlichen Vorgabe des § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVoIIzG „unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht“ zu erfolgen hat. Soweit sie angenommen hat, dieser Gesetzeswortlaut lasse „keinen Ermessensspielraum“ zu, so dass Begleitpersonen „während der gesamten Untersuchung im Arztzimmer anwesend sein müssen“, trifft dies indes nicht zu.

(1) Auch im Rahmen des Strafvollzugs sind die verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte der Strafgefangenen, insbesondere ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG), zu beachten. Die Verpflichtung der öffentlichen Gewalt zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde einer gefangenen Person setzt deren Behandlung im Rahmen des Strafvollzugs Grenzen. Auch im Strafvollzug ist der öffentlichen Gewalt jede Behandlung verboten, die die Achtung des Werts vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt (vgl. BVerfGE 109, 279, 313; BVerfG, Beschl. v. 13.11.2007 — 2 BvR 2354/04, juris Rn. 16). Ob eine bestimmte Maßnahme die Menschenwürde des betroffenen Strafgefangenen verletzt, hängt dabei von einer Gesamtschau der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. zur Belegung und Ausgestaltung von Hafträumen: BVerfG, Beschl. v. 04.12.2019 — 2 BvR 1258/19, 2 BvR 1497/19, juris Rn. 56). Zudem gewährleistet das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die Selbstbestimmung des Einzelnen über die Darstellung der eigenen Person. Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll (vgl. BVerfG NStZ 2000, 166 f. — juris Rn. 15).

(2) Der in § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG verwendete Begriff „unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht“ ist entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben auslegungsbedürftig. Auch im Rahmen der Ausführung eines Strafgefangenen ist dessen berechtigtes Interesse, nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund einer Situation ausgesetzt zu werden, die sein Schamgefühl verletzt oder von ihm als demütigend und Kränkung seines Selbstwerts empfunden wird, zu berücksichtigen und diesem, soweit Sicherheitsbelange der Allgemeinheit nicht entgegenstehen, Rechnung zu tragen. So wird etwa ein Strafgefangener bei dem notwendigen Gang zur Toilette die persönliche Anwesenheit eines Vollzugsbediensteten während des Ausscheidungsvorgangs regelmäßig als Verletzung seines Schamgefühls empfinden. Diese Beeinträchtigung hat er nur dann hinzunehmen, wenn dies durch Sicherheitsbelange der Allgemeinheit, namentlich zwecks Vermeidung einer Missbrauchs- oder Fluchtgefahr, geboten ist. Die Beurteilung dessen, was zur Gewährleistung einer ständigen und unmittelbaren Aufsicht erforderlich ist, hängt daher von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, namentlich von dem von dem betroffenen Strafgefangenen ausgehenden Gefahrenpotential einerseits sowie von den örtlichen Gegebenheiten andererseits. Der Fall eines hochgradig gefährlichen, bereits wegen Geiselnahme verurteilten Strafgefangenen wird daher anders zu beurteilen sein als der Fall eines bislang lediglich wegen Vermögensdelikten verurteilten Strafgefangenen. Zudem ist zu berücksichtigen, welche konkreten Flucht-möglichkeiten an dem betreffenden Ort bestehen. Ist eine Fluchtmöglichkeit ausgeschlossen oder geht von dem Strafgefangenen keine Fluchtgefahr aus und ist eine Missbrauchsgefahr, insbesondere die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten, zu verneinen, so kann dem Erfordernis der ständigen und unmittelbaren Aufsicht nach den Umständen des Einzelfalls auch dadurch genügt sein, dass die den Strafgefangenen begleitenden Vollzugsbediensteten bei dessen Gang zur Toilette vor der Toilettentür warten. Andererseits kann bei auf der Hand liegender Flucht- oder Missbrauchs-gefahr das Ermessen dahin auf „Null“ reduziert sein, dass das Erfordernis der ständigen und unmittelbaren Aufsicht des Strafgefangenen nur durch die ununterbrochene persönliche Gegenwart der Vollzugsbediensteten im selben Raum gewährleistet ist.

(3) Nach Maßgabe dieser Grundsätze erweist sich die Ausführung des Antragstellers zum Facharzt für Urologie vom 16.10.2017 auch insoweit als rechtswidrig, als die ihn begleitenden Vollzugsbeamten während der ärztlichen Untersuchung, dem Arztgespräch und der Behandlung im Behandlungszimmer anwesend waren. Auch insoweit hat sich der Antragsgegner lediglich auf die in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken geübte generelle Praxis berufen, ohne dass er im konkreten Einzelfall eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Das reicht nicht aus. Nach den vorstehenden Ausführungen folgt aus dem in § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG normierten Erfordernis der ständigen und unmittelbaren Aufsicht nicht, dass die einen Strafgefangenen zu einem externen Arzt ausführenden Vollzugsbediensteten während der Untersuchung, der Be-handlung und dem Arztgespräch unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls stets im Arztzimmer anwesend sein müssen. Die ärztliche Untersuchung des Antragstellers in Gestalt der rektal durchgeführten Tastuntersuchung der Prostata, dessen Behandlung sowie das Arztgespräch in Anwesenheit der beiden Vollzugsbediensteten berühren die Menschenwürde sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Ob die Anwesenheit der Vollzugsbediensteten im Behandlungs-zimmer erforderlich war, um die in § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG vorgeschriebene ständige und unmittelbare Aufsicht zu gewährleisten, oder ob diesem Erfordernis auch durch ein Zuwarten der Vollzugsbediensteten vor der Tür zum Behandlungszimmer genügt worden wäre, hätte daher einer konkreten Einzelfallprüfung durch den Antrags-gegner des erstinstanzlichen Verfahrens bedurft. Daran fehlt es. Da der Antragsgegner überhaupt keine einzelfallbezogene Entscheidung getroffen hat, hat er auch von dem ihm zustehenden Ermessen, für dessen Reduzierung auf „Null“ im Falle des lediglich wegen Vermögensdelikten verurteilten Antragstellers, bei dem keine Fesselung bei Ausführungen angeordnet war, im Übrigen keine Anhaltspunkte bestehen, keinen Gebrauch gemacht.“