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OLG Nürnberg: Recht des Strafgefangenen auf Beistand im Disziplinarverfahren

Eine etwas abseits gelegene Materie, die aber für den Verurteilten/Strafgefangenen immer von Bedeutung ist, ist der Strafvollzugsbereich. Daraus der Hinweis auf OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.07.2011 -2 Ws 57/11, der folgenden Leitsatz hat:

  1. Aufgrund des strafähnlichen Charakters von Disziplinarmaßnahmen, des mit ihrer Anordnung verbundenen Eingriffs in Freiheitsrechte sowie ihrer Bedeutung für zukünftige strafvollzugs- oder strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen folgt unbeschadet des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung im BayStVollzG für den Strafgefangenen unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip das Recht, sich bereits vor der nach Art. 113 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG gebotenen Anhörung zur sachkundigen Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte im Disziplinarverfahren auf sein Verlangen der Unterstützung eines anwaltlichen Beistands zu bedienen, um effektiv auf Gang und Ergebnis des Disziplinarverfahrens Einfluss nehmen zu können (Anschluss an OLG Bamberg StV 2010, 647 und OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 29).
  2. Aus diesen Gründen und aufgrund des Gebotes des fairen Verfahrens hat der Strafgefangene darüber hinaus das Recht gegenüber der Justizvollzugsanstalt, dass auf sein Verlangen seinem anwaltlichen Beistand die Teilnahme bei der Anhörung im Disziplinarverfahren gestattet wird, wenn dieser hierzu kurzfristig bereit ist. Die Durchführung des Disziplinarverfahrens darf aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung durch dieses Teilnahmerecht nicht verzögert oder vereitelt werden. Es genügt, dass die Justizvollzugsanstalt den anwaltlichen Beistand vom Anhörungstermin rechtzeitig in Kenntnis setzt und ihm im Falle seines Erscheinens die Anwesenheit gestattet.

Die (unzulässige) Fesselung des Strafgefangenen

§ 88 StVollzG erlaubt als eine besondere Sicherungsmaßnahme auch die Fesselung des Strafgefangenen. Allerdings nur unter besonderen Umständen, wenn nämlich „nach seinem Verhalten oder auf Grund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht“.

Dazu nimmt jetzt das OLG Hamm, Beschl. v. 16.06.2011 – III-1 Vollz (Ws) 216/11 Stellung. Besondere Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG setzt danch eine an konkreten Anhaltspunkten belegte und individuelle zu beurteilende Fluchtgefahr voraus, die über die allgemein bei Gefangenen naheliegende Fluchtvermutung hinaus geht und auch die gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG der Gewährung von Vollzugslockerungen entgegenstehende Fluchtgefahr übersteigt. Das hat das OLG verneint.

Eine solche mit konkreten Anhaltspunkten belegbare erhöhte Fluchtgefahr bestand vorliegend nicht. Soweit die Strafvollstreckungskammer, der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt L folgend, die Fluchtgefahr mit dem Verhalten der Betroffenen vor ihrer Selbststellung begründet, belegt schon die Selbststellung, dass sich die Betroffene der Vollstreckung der Strafe gerade nicht mehr entziehen wollte. Soweit die Kammer die Annahme besonderer Fluchtgefahr auf die erlebten ersten Hafterfahrung der Betroffenen stützt, stellt sie hiermit ausschließlich auf die bei Gefangenen allgemein naheliegende Fluchtvermutung ab. Diese reicht indes, wie ausgeführt, für die Annahme erhöhter Fluchtgefahr gerade nicht aus.“

Insgesamt sind Anhaltspunkte, welche eine erhöhte Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG begründen könnten, nicht festgestellt, von der Justizvollzugsanstalt nicht behauptet und auch sonst nicht im Ansatz erkennbar.

Zum Sachverhalt ist nachzutragen: Die Verurteilte war dreimal in ein Krankenhaus ausgeführt worden. U.a.

„der Transport in das JVK Fröndenberg wurde als Liegendtransport durchgeführt. Bei diesem wurde die Betroffene mit Gurten auf der Liege fixiert und zusätzlich mit Fußfesseln gefesselt. Während der gesamten Fahrt waren Justizvollzugsbeamte zugegen. Auf der Fahrt wurde der Krankenwagen in einen Verkehrsunfall verwickelt. Aufgrund dessen musste die Fahrt ca. 1 1/2 Stunden unterbrochen werden. Auch während dieser Zeit blieb die Betroffene an die Liege festgegurtet und mit Fußfesseln gefesselt.“