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Verkehrsrecht I: Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis ist Regelfall

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Heute stelle ich Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag vor.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt, Urt. v. 08.05.2023 – 1 Ss 276/22. Die Pressemitteilung dazu ist ja schon vor einiger Zeit über die Ticker gelaufen. Hier dann jetzt der Volltext zu der Entscheidung.

Dem OLG-Urteil liegt ein amtsgerichtliche Entscheidung zu einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) zugründe. Der Angeklagte war im Frühjahr 2022 nach nach einem Barbesuch mit einem E-Scooter gefahren. Seine Blutalkoholkonzentration lag bei mindestens 1,64 Promille. Das AG hat ihn zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot von sechs Monaten verhängt. Die Fahrerlaubnis hat es also nicht entzogen. Dagegen die Sprungrevision der StA, die Erfolg hatte:

„Die Begründung, mit der das Amtsgericht trotz Vorliegens eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB und Bestimmung einer Sperre gemäß § 69a StGB abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Schon im Ansatz geht das Amtsgericht abweichend von der gesetzlichen Regelung davon aus, § 69 StGB sehe „für den Regelfall der Verwirklichung einer Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis vor“, um sodann festzustellen, vorliegend handele es sich nicht um einen solchen Regelfall.

Tatsächlich bestimmt das Gesetz aber, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB zwingend anzuordnen ist, wenn die Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Ein Ermessen des Tatrichters besteht nicht (vgl. BGHSt 5, 168, 176; 6, 183, 185; Fischer StGB 70. Aufl. § 68 Rn. 50; Schäfer/Sander/van Gemmeren Strafzumessung 6. Aufl. Rn. 555). Auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 62 StGB findet nicht statt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 StGB). Die Fahrerlaubnis muss danach entzogen werden, wenn sich aus der Tat ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Dies ist bei der Verwirklichung eines der in § 69 Abs. 2 StGB genannten Tatbestände in der Regel der Fall.

Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründet die Begehung einer Straftat nach § 316 StGB eine Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis (BGH, Urteil vom 29. April 2021 – 4 StR 522/20).

Von der Entziehung der Fahrerlaubnis kann nur in seltenen Ausnahmen abgewichen werden, so wenn die Tat selbst Ausnahmecharakter hat, wenn die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft gleiche oder ähnliche Taten nicht mehr begehen wird, oder wenn ganz besondere vor oder nach der Tat liegende Umstände objektiver oder subjektiver Art festgestellt sind, die den Eignungsmangel entfallen lassen. Es müssen Umstände vorliegen, die sich von den Tatumständen des Durchschnittsfalls deutlich abheben (OLG Stuttgart, Urteil vom 7. Januar 1997 – 4 Ss 672/96; OLG Koblenz, Urteil vom 1. September 1983 – 1 Ss 252/83).

Die von dem Amtsgericht aufgeführten Gründe tragen die Annahme eines solchen Ausnahmefalls nicht. Das Amtsgericht stellt rechtsfehlerhaft darauf ab, dass der Angeklagte nicht Auto, sondern E-Scooter gefahren ist. Das widerspricht der Wertung des Verordnungsgebers, nach der solche Elektrokleinstfahrzeuge Kraftfahrzeuge sind (§ 1 eKFV) sind und damit den dafür geltenden allgemeinen Vorschriften unterliegen (Senat, Urteil vom 4. Oktober 2021 – 1 Ss 113/21; KG Berlin, Urteil vom 10. Mai 2022 – (3) 121 Ss 67/21 (27/21); BayObLG, Beschluss vom 24. Juli 2020 – 205 StRR 216/20). Es mag zutreffen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm des § 69 StGB E-Scooter nicht kannte. Der Verordnungsgeber hat aber später in Kenntnis der §§ 69, 69a StGB E-Scooter gleichwohl als Kraftfahrzeuge eingestuft. Demgegenüber sind auf E-Bikes und Pedelecs die Vorschriften über Fahrräder anzuwenden (§ 1 Abs. 3 StVG).

Auch die Argumentation, die Benutzung eines E-Scooters durch einen betrunkenen Fahrer gefährde andere Menschen nicht in gleichem Maße wie eine mittels Pkw oder Lkw begangene Trunkenheitsfahrt, verfängt nicht. Es erschließt sich schon nicht, wie damit die Regelvermutung der Ungeeignetheit im Sinne des § 69 StGB des widerlegt werden könnte. Im Übrigen können durch den Sturz eines Fußgängers oder Radfahrers infolge eines Zusammenstoßes mit dem E-Scooter ganz erhebliche, unter Umständen sogar tödliche Verletzungen verursacht werden. Ebenso wenig berücksichtigt das Amtsgericht in diesem Zusammenhang, dass andere, auch stärker motorisierte Verkehrsteilnehmer durch alkoholbedingte Fahrfehler eines E-Scooter-Fahrers zu Ausweichmanövern, abruptem Bremsen oder Ähnlichem veranlasst werden können, was ebenfalls gravierende Folgen haben kann.

Wenn das Amtsgericht in diesem Zusammenhang weiter ausführt, mit der Anwendung des § 69 StGB könnten weitere Trunkenheitsfahrten mit einem E-Scooter nicht verhindert werden, setzt es sich in Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, wonach die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Mit der Entziehung der Fahrerlaubnis soll – anders als das Amtsgericht meint – nicht nur verhindert werden, „dass der Täter weiterhin betrunken sein Kraftfahrzeug fährt“. Vielmehr bezweckt § 69 StGB den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs allgemein. Die hohen Risiken, die der Straßenverkehr infolge seiner Dynamik für Leben, Gesundheit und Eigentum der Verkehrsteilnehmer mit sich bringt, werden nämlich durch körperlich, geistig, ebenso aber auch durch charakterlich ungeeignete Kraftfahrer verstärkt; dem soll durch den (zumindest zeitigen) Ausschluss des Betreffenden von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr entgegengewirkt werden (BGH [großer Senat für Strafsachen], Beschluss vom 27. April 2005 – GSSt 2/04 -, BGHSt 50, 93).

Durch seine gedankenlose Nutzung eines E-Scooters in erheblich alkoholisiertem Zustand hat der Angeklagte die Katalogtat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr erfüllt und sich damit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Ausführungen des Amtsgerichts wonach es sich bei dem Angeklagten „um einen besonnenen, verständigen und reflektierten Menschen [handelt], der eingesehen hat, dass er sich unrecht verhalten hat“, die Tat bereut und der „außer im hiesigen Fall, die Verkehrsregeln respektiert und befolgt“, sind auch in der Gesamtschau mit den sonstigen Tatumständen nicht derart außergewöhnlich, dass damit die Regelvermutung widerlegt ist. Soweit das Amtsgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, es handele sich bei dem Angeklagten nicht um den „üblichen Trunkenheitsfahrer“ mit dem es in einer Vielzahl von Fällen zu tun habe, bleibt unklar, was damit gemeint ist. Diese Ausführungen lassen zudem besorgen, dass das Amtsgericht, wie auch an den genannten anderen Stellen der Urteilsgründe deutlich wird, Trunkenheitsfahren mit E-Scootern hinsichtlich der Anwendung von §§ 69, 69a StGB entgegen der Regelvermutung grundsätzlich anders bewerten will als solche mit anderen Kraftfahrzeugen.

Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der neue Tatrichter Feststellungen treffen kann, die geeignet sind, die Regelvermutung tragfähig zu widerlegen. Diese dürfen den rechtskräftigen Feststellungen zum Tathergang jedoch nicht widersprechen. Bei der neuen Entscheidung wird zudem die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis sowie des Fahrverbots zu berücksichtigen sein.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass das Fahrverbot mit Eingang der Revisionsbegründung vom 28. Oktober 2022 bei dem Amtsgericht am 4. November 2022 infolge der Rechtsmittelbeschränkung rechtskräftig und gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 StGB im selben Zeitpunkt wirksam geworden ist, da der Führerschein des Angeklagten aufgrund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bereits in amtlicher Verwahrung war. Das Amtsgericht hat außerdem in den Entscheidungsgründen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass auf die Verbotsfrist die Zeit der amtlichen Verwahrung infolge der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO angerechnet werden soll, so wie dies in der Regel der Fall ist (§ 51 Abs. 5 StGB; Fischer a.a.O. § 44 Rn. 32). Der Führerschein des Angeklagten gelangte aufgrund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 29. Juli 2022 am 17. August 2022 zur Akte. Mithin ist die Verbotsfrist zwischenzeitlich abgelaufen.“

(Indizierte) Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis, oder: Auswirkungen auf die Fahreignung

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Und an Karsamstag heute dann zwei verkehrsverwaltungsrechtliche Entscheidungen. Beide kommen vom VGH Baden-Würrtemberg.

Hier zunächst der VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.01.2023 – 13 S 330/22 – zu den Auswirkungen einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis auf die Fahreignung und den Verlust der Fahrerlaubnis. Ich stelle hier nur den Leitsatz vor, den Rest dann botte im Volltext selbst lesen:

    1. Eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis führt nur dann nicht zum Verlust der Fahreignung, wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen und die Medikamenteneinnahme ärztlich überwacht wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird.
    2. Eine Indikation zur Behandlung mit Betäubungsmitteln (hier: Medizinal-Cannabis) ist nur gegeben, wenn ihre Anwendung zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich (ultima ratio) ist. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie etwa eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben.

Entziehung der Fahrerlaubnis II: Drei Entscheidungen, oder: Epilepsie, Arzneimittelmissbrauch, Neuerteilung

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Im zweiten Entziehungsposting dann einige weitere Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis, allerdings nur die jeweiligen Leitsätze:

Nach Nr. 3 der Vorbemerkungen der Anlage 4 zur FeV gelten die dort vorgenommenen Bewertungen für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen sind möglich. Ergeben sich im Einzelfall in dieser Hinsicht Zweifel, kann eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein. Nach Nr. 3.9.6 der Begutachtungsleitlinien (S. 50) kann die Fahreignung trotz persistierender Anfälle gegeben sein, wenn durch mindestens dreijährige Beobachtungszeit gesichert ist, dass die Anfälle ausschließlich an den Schlaf gebunden sind, oder wenn einfache fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung und ohne motorische sensorische oder kognitive Behinderung einhergehen, sofern nach mindestens einjähriger Beobachtungszeit keine fahrrelevante Ausdehnung der Anfallssymptomatik und kein Übergang zu komplex-fokalen oder sekundär generalisierten Anfällen erkennbar geworden sind. Die Beweislast trägt insoweit der Fahrerlaubnisinhaber.

    1. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Arzneimittelmissbrauchs nach Nr. 9.4 der Anlage 4 der FeV setzt voraus, dass die Fahrerlaubnisbehörde einen regelmäßig übermäßigen Gebrauch des psychoaktiv wirkenden Arzneimittels beweiskräftig belegen kann. Änderungen des Erkenntnisstands bzw. der Sachlage im Lauf des Widerspruchsverfahrens sind dabei zu beachten.
    2. Wird eine Fahrungeeignetheit festgestellt, so ist grundsätzlich von deren Fortbestand auszugehen, solange nicht vom Betroffenen der materielle Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung erbracht worden ist.
    3. Bei hinreichend belastbaren Anhaltspunkten für eine mögliche Wiedergewinnung der Fahreignung und der Bereitschaft des Betroffenen, sich einer erforderlichen Begutachtung zu unterziehen, kann die Fahrerlaubnisbehörde rechtlich verpflichtet sein, bereits in dem die Fahrerlaubnisentziehung betreffenden Widerspruchsverfahren erforderliche Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten.

Auch in einem Fall, in dem die Fahrerlaubnisbehörde annimmt, dass schon bei Erteilung der Fahrerlaubnis die Eignung oder Befähigung des Fahrerlaubnisbewerbers fehlten, beurteilt sich die Frage der Rückgängigmachung der Fahrerlaubniserteilung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG. Allgemeine verwaltungsrechtlichen Grundsätzen sind in einem solchen Fall dagegen nicht anwendbar.

 

 

 

Neuerteilung der Fahrerlaubnis, oder: Wann wird ein (ungünstiges) Gutachten „gelöscht“?

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Und als zweite Entscheidung heute dann etwas Verkehrsverwaltungsrechtliches, nämlich das VG Berlin, Urt. v. 04.03.2021 – 4 K 125/20.

Gestritten wird/wurde um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Er [der Kläger] war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L, welche ihm im Mai 2005 entzogen wurde. Einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Juli 2009 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Wiesbaden im November 2009 aufgrund eines ungünstigen medizinisch-psychologischen Gutachtens ab, welches künftige Verkehrszuwiderhandlungen und das künftige Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss durch den Kläger für wahrscheinlich hielt. Einen weiteren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im September 2014 lehnte Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) mit Bescheid im Mai 2015 ab, weil der Kläger das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt hatte. Nach durchlaufenem Widerspruchsverfahren verfolgte dieser sein Begehren erfolglos mit Klage vor dem Verwaltungsgericht – VG 4 K 282.15 – und Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – OVG 1 N 103.15 – weiter.

Am 1. August 2019 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Neuerteilung der Klassen B, A, A1 und L. Mit Schreiben vom 30. September 2019 wies das LABO ihn auf die bestehenden Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin. Es führte das noch aktenkundige vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie das negative medizinisch-psychologischen Gutachten aus 2009 auf. Es forderte ihn zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens binnen sechs Monaten zu den Fragen auf, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, ob psycho-funktionale Beeinträchtigungen vorliegen würden und ob aufgrund der aktenkundigen Tatsachen zukünftig mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu rechnen sei. Der Kläger verweigerte die Begutachtung und bat um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, sodass das LABO mit Bescheid vom 14. November 2019 den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ablehnte. Dieser habe das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt. Daneben sei ihm schriftlich erklärt worden, dass das Gutachten aus dem Jahr 2009 noch verwertbar und deshalb die Gutachtenanforderung rechtmäßig sei.

Hiergegen legte der Kläger am 22. November 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er seit zehn Jahren keine Verstöße gegen rechtliche Bestimmungen begangen habe, sodass die Behauptung, er würde seine individuellen Bedürfnisse über die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs stellen, widerlegt sei. Ein über zehn Jahre altes Gutachten könne insofern jedenfalls nicht als belastbare Tatsache herangezogen werden. Das Gutachten enthalte Hinweise zu bereits getätigten Eintragungen. Seine weitere Verwendung verstoße gegen die Tilgungsvorschriften. Zudem sei das Gutachten weder inhaltlich noch formal nachvollziehbar. Der Verfasser des Gutachtens aus dem Jahr 2009 sei nicht als qualifiziert in dem offiziellen Register der Fachpsychologen für Verkehrspsychologie geführt worden. Dieser habe die Inhalte des Gutachtens willkürlich manipuliert und gravierend abweichend von den Aussagen des Klägers wiedergegeben. Die jetzige Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens leide überdies daran, dass die Behörde sich nicht mit dem Vorrang des Punktesystems, der Wahl eines milderen Mittels sowie des im Einzelfall bestehenden Gefahrenpotenzial auseinandergesetzt habe. Die Gutachtenanforderung müsse insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sein. Verwertbare Anlasstatsachen für alkoholbedingte Eignungszweifel lägen aber nicht vor. Nach psycho-funktionalen Anforderungen dürfe nicht gefragt werden. Die Frage nach zukünftigen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung sei nicht ausreichend konkret.

Das LABO wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2020, zugestellt am 5. März 2020, zurück. Die Tilgungsvorschriften seien ordnungsgemäß angewandt worden. Das Gutachten aus dem Jahr 2009 sei deshalb verwertbar. Die darin enthaltene Aussage, dass der Kläger die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht erfülle, sei nicht zu beanstanden und führe zu den Fragestellungen in der hier streitgegenständlichen Gutachtenanforderung. Da dieser nicht Folge geleistet worden sei, sei zutreffend auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geschlossen worden.“

Dagegen die Klage, die keinen Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des VG:

  1. Die Löschungsfrist für ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 2 Abs. 9 StVG richtet sich grundsätzlich nach der Tilgungsfrist für die Entscheidung über die Fahrerlaubnis, für die es angefertigt wurde.
  2. Das Gutachten stellt insofern eine neue Tatsache dar und darf auch noch verwertet werden, wenn die Taten und Entscheidungen, die zur Fahrerlaubnisentziehung geführt haben, bereits getilgt wurden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2010 – 3 C 2.10 ).

Dann schon mal frohes Osterfest

Darf man bekifft Auto fahren?, oder: Konsum von Medizinal-Cannabis

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner die PM des VG DÜsseldorf zum VG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2019 – 6 K 4574/18. Inzwischen liegt der Volltext zu der Entscheidung vor, so dass ich hier über die Entscheidung berichten kann.

In der Sache ging es um die von einem Medizinal-Cannabis-Patienten begehrte Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Die Verwaltungsbehörde hatte das abgelehnt. Dagegen die Klage beim VG, die Erfolg hatte. Dazu aus der PM – ich mache es mir einfach 🙂 :

„……Das hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch heute verkündetes Urteil entschieden und der gegen den Ablehnungsbescheid der Fahrerlaubnisbehörde gerichteten Klage des Medizinal-Cannabis-Patient stattgegeben.

Das dem Rhein-Kreis Neuss im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten gelangte zwar zu dem Ergebnis, dass der Kläger im Falle einer erteilten Fahrerlaubnis die Einnahme von Medizinal-Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht werde trennen können. Zugleich attestierte es ihm jedoch seine psycho-physische Leistungsfähigkeit unter Cannabiswirkung.

Die 6. Kammer stellte fest, dass der Medizinal-Cannabis-Patient auf Grund der Einschätzungen des Gutachtens einen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hat. Anders als bei illegalem Cannabiskonsum könne derjenige, der ärztlich verschriebenes Medizinal-Cannabis einnehme, zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Er könne eine Fahrerlaubnis erhalten, wenn er auch unter der Wirkung von Medizinal-Cannabis ausreichend leistungsfähig sei, um ein Kraftfahrzeug sicher zu führen.

Bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis komme es für die Frage der Fahreignung darauf an, ob der Betroffene

  • Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt,
  • keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind,
  • die Grunderkrankung für sich genommen der sicheren Verkehrsteilnahme nicht im Wege steht und
  • der Betroffene verantwortlich mit dem Medikament umgeht, insbesondere nicht fährt, wenn die Medikation verändert wird.

Aus dem vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten ergebe sich in nachvollziehbarer Weise, dass der Kläger diese Voraussetzungen erfülle.

Dem Medizinal-Cannabis-Patient dürfe nicht von vornherein auferlegt werden, sich regelmäßig erneut untersuchen zu lassen. Die Fahrerlaubnisbehörde könne ihn aber wegen der möglicherweise schädlichen Langzeitwirkung von dauerhafter Cannabiseinnahme in einiger Zeit auffordern, seine fortbestehende Eignung wieder nachzuweisen.“