Ganz gut zu dem heutigen Beitrag zu PoliscanSpeed (vgl. PoliscanSpeed – jetzt erst recht nicht standardisiert?) passt m.E. der hier erfolgende Hinweis auf das LG Halle, Urt. v. 05.12.2013 – 5 O 110/13. Da geht es auch um Geschwindigkeitsmessungen bzw. um die Daten, allerdings – wie das Aktenzeichen zeigt – nicht im Bußgeldverfahren, sondern in einem Zivilverfahren. In dem Verfahren haben der Hersteller ESO und ein Sachverständigenbüro – offenbar die Dekra Automobil GmbH in der Niederlassung Halle – um das Auslesen von Rohdaten aus einer Geschwindigkeitsmessanlage ESO ES 3.0 gestritten. Das Sachverständigenbüro wurde auf Unterlassung in Anspruch genommen, und zwar sollte sie es u.a. unterlassen,
- Rohdaten aus Anlagen des Typs eso ES3.0, die mit dem eso Digitales II Viewer nicht ausgelesen werden, auszulesen und/oder
- Rohdaten aus Anlagen des Typs eso ES3.0, die mit dem eso Digitales II Viewer nicht ausgelesen werden, wirtschaftlich zu verwerten und/oder sich zu verschaffen und/oder zu verbreiten,
- Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer unter 1. formulierten Handlung ist, herzustellen, sich oder einem anderen zu verschaffen, zu verkaufen, einem anderen zu überlassen, zu verbreiten oder sonst zugänglich zu machen.
Das LG hat die Klage abgewiesen:
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Überprüfung der Messergebnisse anhand der gespeicherten Rohdaten nicht bereits deshalb jedem Dritten oder den Gerichten verwehrt, weil das Messgerät das Zulassungsverfahren der PTB Braunschweig durchlaufen hat. Aus der auszugsweise dargestellten Mitteilung der PTB ergibt sich, dass es dabei um die Frage der Geeignetheit des Gerätes geht, überhaupt als Geschwindigkeitsmessgerät zum Einsatz zu kommen. Die Mitteilung enthält aber kein (ggf. unwirksames) Verbot der Überprüfung der gespeicherten Rohdaten und verhält sich nicht zur Frage der Überprüfung des konkret gewonnen Messwertes. Der zitierten Entscheidung des OLG Hamm (Beschluss vom 29.1.2013, III-1 RBs 2/13, zit. nach juris) lässt sich die behauptete generelle Nicht- Überprüfung ebenfalls nicht entnehmen. Die Überprüfung der Messung scheiterte lediglich daran, dass keine konkreten Einwendungen gegen das Messergebnis erhoben worden waren.
Daher ist es weder den Gerichten noch den durch den von einer Geschwindigkeitsmessung Betroffenen verwehrt, das Zustandekommen und damit die Richtigkeit des Messergebnisses zu überprüfen.
Entscheidend ist vielmehr, ob zur Überprüfung und damit zum Zugriff auf die Rohdaten ausschließlich die Klägerin befugt ist, wie sie meint, oder auch ein Sachverständiger, gleich, ob im gerichtlichen oder privat erteilten Auftrag, dem die Falldatei durch die Polizei- bzw. Ordnungsbehörde zusammen mit den weiteren Unterlagen und Daten überlassen worden ist. Mithin ist entscheidend, ob die Klägerin Berechtigte im Sinne von § 202 a StGB ist, ob ihr die Daten gehören.
Die Daten gehören nicht der Klägerin.
Nach der Strafvorschrift des § 202 a StGB ist Täter, wer sich Zugang zu nicht für ihn bestimmte Daten verschafft. Hierzu heißt es bei Graf in Münchner Kommentar, StGB, 2. Aufl., Rn 19: „Für wen die Daten bestimmt sind, richtet sich nach dem Willen des Verfügungsberechtigten, bei gespeicherten Daten regelmäßig also desjenigen, der diese gesammelt und gespeichert hat oder auf dessen Veranlassung die Speicherung erfolgt ist (…) Auf das Eigentum oder den Besitz am Datenträger selbst oder an der Datenverarbeitungsanlage kommt es hinsichtlich der Berechtigung nicht entscheidend an.“
Bei Hilgendorf in Leipziger Kommentar, 12. Aufl., Rn. 26, heißt es: „§ 202 a schützt (…) das Herrschaftsverhältnis über die Information. Deshalb hat die Entscheidung der „Herr der Daten“ zu treffen; das ist derjenige, der über sie verfügen darf, also die Rechtsmacht hat, Daten einem anderen zugänglich zu machen. Wer dies ist, richtet sich ohne Rücksicht auf das Eigentum am Datenträger nach dem Akt der Erschaffung, d.h. nach dem Skripturakt der erstmaligen Datenabspeicherung. Dabei kommt es (…) nicht auf den körperlichen Vollzug an, sondern darauf, in wessen Auftrag die Daten abgespeichert werden.“
Auch Fischer stellt in StGB, 60. Aufl., Rn. 7a, auf diese Erstabspeicherung ab.
Diese Definition zugrundelegend, führt dies dazu, dass Berechtige die Behörde ist, die die Geschwindigkeitsmessung beauftragt hat. Diese Behörde – und nicht die Klägerin – bestimmt, ob, wo, wie und für welche Zeitdauer Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt werden. Diese Behörde will die Fahrzeugfahrer ermitteln, die die Geschwindigkeit überschreiten, um die Geschwindigkeitsüberschreitung mit den Mitteln des Ordnungswidrigkeitenrechts zu ahnden. Die Herstellung des Geschwindigkeitsmessgerätes ist kein Selbstzweck. Das Gerät ist für die Behörde ein Hilfsmittel, die Geschwindigkeit zu messen. Diese Hilfeleistung führt aber nicht dazu, dass die Klägerin bestimmen darf, wer Zugang zu den Daten erhält. Diese Rohdaten entstehen überhaupt erst, weil die Behörde die Messung veranlasst und durchführt. Mit ihrer Entstehung werden die Rohdaten zugleich gespeichert.
Soweit die Klägerin meint, allein deshalb, weil sie im Messgerät eine Software installiert hat, die die Speicherung der Rohdaten unter deren Verschlüsselung vornimmt, Verfügungsbefugte der Rohdaten zu sein, kann dem nicht gefolgt werden. Denn das Verschlüsseln fremder Daten verändert nicht das Herrschaftsverhältnis an den gespeicherten Daten. Schließlich ist es nicht so, dass die Klägerin sich damit wirksam die Nutzung der Daten vorbehalten hat, denn auch insoweit fehlt ihr mangels Berechtigung die Befugnis für einen solchen Vorbehalt.
Erhält ein Sachverständiger wie der Beklagte zu 3 auf seine Anfrage hin von der Behörde, die die Messung veranlasst und durchgeführt hat, die Datei, steht dem Auslesen oder gar Entschlüsseln der Rohdaten daher nichts entgegen.
Es kann dahin stehen, ob zum Auslesen der Rohdaten überhaupt eine Verschlüsselung mithilfe einer programmierten Software überwunden werden muss, oder ob die Daten mithilfe eines Schlüssels ausgelesen werden können und ob dies bereits das Überwinden einer Datenverschlüsselung verwirklicht. Unterstellt, es handelt sich um eine Verschlüsselung, stellt das Überwinden der Verschlüsselung nichts Verbotenes und keine Verletzung eines Betriebsgeheimnisses i.S.v. § 17 UWG dar, denn die Klägerin ist nicht „Herrin der Daten“, wie oben dargestellt. Folglich fehlt ihr, wie ausgeführt, die Befugnis, die Verschlüsselung fremder Daten überhaupt vornehmen zu dürfen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Ich bin gespannt, wie das wohl zuständige OLG Naumburg die Frage sieht. Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft