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KCanG III: Entziehung der Fahrerlaubnis nach StVG, oder: Wann liegt Cannabismissbrauch vor?

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Und dann habe ich hier im dritten Posting noch etwas aus dem Verkehrsrecht, und zwar mit dem VG Ansbach, Beschl. v. 03.01.2025 – AN 10 S 24.3086 – etwas aus dem Verkehrsverwaltungsrecht-

Eragangen ist der Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren betreffend die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den Entzug einer Fahrerlaubnis sowie die damit verbundene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins und eines Fahrgastbeförderungsscheins.

Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B, L und einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Der Antragsgegner erhielt Kenntnis davon, dass der Antragsteller am 03.05.2024 gegen 18.55 Uhr mit seinem Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis gefahren ist. Eine bei ihm daraufhin um 19.42 Uhr entnommene Blutprobe ergab folgende Werte: 7,6 ng/ml THC, 2,9 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 132 ng/ml THC-Carbonsäure. Ausweislich des ärztlichen Berichts waren keine Ausfallerscheinungen ersichtlich. Der Gang war sicher, die Sprache deutlich, das Bewusstsein klar und der Denkablauf geordnet. Im Aktenvermerk der Polizeiinspektion wurde zudem festgehalten, dass keine Fahrfehler festgestellt werden konnten und der Antragsteller während der Kontrolle angegeben habe, dass er regelmäßig Marihuana konsumiere.

Daraufhin  forderte der Antragsgegner zur zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Als das nicht kommt, wird dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen. Zugleich verpflichtete der Antragsgegner ihn, seinen Führerschein sowie den Fahrgastschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Der Antragsteller gibt dann Führerschein und Fahrgastschein an, legt aber Widerspruch ein und begehrt dann einstweiligen Rechtsschutz. Ohne Erfolg:

„(II.) Die materiellen Anforderungen zur Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV lagen im maßgeblichen Zeitpunkt, dem Erlass der Begutachtungsanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 14), vor. Danach muss die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis ein medizinisch-psychologisches Gutachten anfordern, wenn sonstige Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen.

Der Antragsgegner ist zutreffend davon ausgegangen, dass sonstige Tatsachen vorliegen, die einen Cannabismissbrauch begründen. Gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV liegt ein Missbrauch von Cannabis vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen des Fahrzeugs nicht hinreichend sicher getrennt werden kann.

Die seit 1. April 2024 geltende Rechtslage unterscheidet zwischen einer Cannabisabhängigkeit (Nr.9.2.3 der Anlage 4 zur FeV), dem Cannabismissbrauch (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) und einem fahrerlaubnisrechtlich unbedenklichen Cannabiskonsum (so auch: BVerwG, B. v. 14.6.2024 – 3 B 11.23, BeckRS 2024, 15306 Rn. 9 f.), welcher nach Vorstellung des Gesetzgebers gelegentlich oder auch regelmäßig erfolgen könne (BT-Drs. 20/11370 S.11). Damit hat der Gesetzgeber die bisherige Annahme, dass mit einem regelmäßigen Konsum in der Regel auch eine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliege, aufgegeben. Im Übrigen erscheint es vorliegend schon zweifelhaft, einen regelmäßigen Konsum anhand eines THC-Carbonsäurewertes von 132 ng/ml anzunehmen, da dies nach (bisheriger) ständiger Rechtsprechung erst ab einem Wert von 150 ng/ml THC-COOH im Blutserum zu bejahen ist (vgl. BayVGH, B. v.19.4.2022 – 11 CS 21.3010, BeckRS 2022, 9296 Rn. 10). Auch die Frage, ob der Antragsteller selbst angegeben habe, regelmäßig Cannabis zu konsumieren, ist damit nicht mehr entscheidungserheblich.

Mangels gesetzlicher Festlegung eines THC-Wertes in Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV sowie mangels der Anpassung der Begutachtungsleitlinien an die neuen Vorgaben der FeV, greift das Gericht vorliegend auf die Gesetzesbegründung zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften zurück (BT-Drs. 20/11370). Aus dieser geht hervor, dass nach dem aktuellen Kenntnisstand der Wissenschaft die Festlegung eines THC-Grenzwertes, bei welchem der Betroffene im Rahmen der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeuges und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt, nicht möglich sei. Dennoch sei die Legaldefinition des Cannabismissbrauchs aufgrund der Feststellungen der Expertengruppe (vgl. Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a StVG)) dahingehend angepasst worden, dass dieser mit dem gesetzlichen Wirkungswertes von 3,5 ng/ml THC-Blutserum in § 24a StVG korrespondiere. Bei Erreichen dieses THC-Grenzwertes sei nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend. Der Begriff des „nicht Fernliegens“ sei dabei ein Wahrscheinlichkeitsgrad für die Verwirklichung des Straßenverkehrssicherheitsrisikos und sei so zu verstehen, dass der Risikoeintritt möglich, jedoch nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ganz unwahrscheinlich sei (vgl. BT-Drs. 20/11370 S.13). Ausweislich der Darstellungen der Expertengruppe bestehe ab einem THC-Gehalt von über 7 ng/ml THC im Blutserum ein erhöhtes Unfallrisiko und eine verkehrssicherheitsrelevante Leistungseinbuße (vgl. Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a StVG) S. 5 f.). Der Antragsteller wies zum Zeitpunkt der Blutuntersuchung ein THC-Wert von 7,6 ng/ml auf und lag damit im Bereich eines erhöhten Unfallrisikos. Durch das 2-fache Überschreiten des THC-Grenzwertes von 3,5 ng/ml war eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges zumindest nicht fernliegend und im Übrigen nach obigen Ausführungen sogar wahrscheinlich. Die Prognoseentscheidung, ob der Antragsteller in Zukunft sicher zwischen einem verkehrssicherheitsrelevanten Cannabiskonsum und dem Führen eines Fahrzeuges trennen könne, fällt in Anbetracht seines erhöhten THC-Wertes negativ aus. Ein Cannabismissbrauch läge damit vor.

Diese alleinige Feststellung stünde jedoch im Widerspruch zu § 13a Nr. 2b FeV. Danach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, sofern eine wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss begangen wurde. Im Umkehrschluss daraus und in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 13 Nr. 2a, b FeV wird eine einmalige cannabisbedingte Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG nicht zur Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV ausreichen. Im Falle einer Trunkenheitsfahrt stellt nach ständiger Rechtsprechung das Fehlen von Ausfallerscheinungen bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille eine Zusatztatsache im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2a Alt. 2 FeV dar, da die Auswirkungen des Alkoholkonsums auf die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch eingeschätzt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021 – 3 C 3/20 – SVR 2021, 433). Es spricht demnach viel dafür, dass auch im Falle des § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV Zusatztatsachen, wie fehlende Ausfallerscheinungen, vorliegen müssen, die bei einem erstmaligen Verstoß gegen § 24a StVG auf einen Cannabismissbrauch hindeuten, da auch der Wortlaut von sonstigen Tatsachen spricht.

Ausweislich des ärztlichen Berichts vom 3. Mai 2024 waren keine Ausfallerscheinungen beim Antragsteller ersichtlich. Der Gang war sicher, die Sprache deutlich, das Bewusstsein klar und der Denkablauf geordnet. Auch im Aktenvermerk der Polizeiinspektion … vom 4. Mai 2024 wurde festgehalten, dass keine Fahrfehler festgestellt werden konnten. Die fehlenden Ausfallerscheinungen stellen eine sonstige Tatsache dar, welche die Annahme eines Cannabismissbrauchs auch bei einem erstmaligen Verstoß begründen. Es kann möglicherweise durch eine Cannabisgewöhnung und das Fehlen von Warnsignalen die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch eingeschätzt werden.

Auch die in der Begutachtungsanordnung gestellten Fragen sind nicht zu beanstanden. Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die gestellten Fragen orientieren sich am anlassgebenden Sachverhalt, dem Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer THC-Blutkonzentration von 7,6 ng/ml. Dieser Sachverhalt begründet einen Mangel, der bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht umsichtig verhalten werde. Demnach ist die Fragestellung geeignet, um zu klären, ob der Antragsteller in Zukunft sicher zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennen könne.

Gemäß § 13a Nr. 2a Alt. 2 FeV ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, sofern sonst Tatsachen vorliegen, welche die Annahme eines Cannabismissbrauchs begründen. Ermessen ist nicht gegeben.

Dem Antragsgegner stand wegen der Nichtvorlage des zu Recht geforderten Gutachtens nach § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV kein Ermessensspielraum zu (vgl. BayVGH, B. v.22.1.2024 – 11 CS 23.1451 – juris Rn. 15; BayVGH, B. v.30.3.2021 – 11 ZB 20.1138 – juris Rn. 14). Die Entscheidung erweist sich schließlich auch als verhältnismäßig, da dem Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren und verkehrsgerechten Straßenverkehr der Vorrang gegenüber dem Interesse des Antragstellers an dem weiteren Besitz seiner Fahrerlaubnis einzuräumen ist. Billigkeitserwägungen, wie die Notwendigkeit der Fahrerlaubnis zur Berufsausübung, können an dieser Stelle nicht entgegengehalten werden. Gründe, die den Antragsteller daran gehindert haben, das rechtmäßig verlangte Fahreignungsgutachten rechtzeitig beizubringen, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Solche sind auch nicht ersichtlich.

bb) Aufgrund der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer 1, erweist sich voraussichtlich auch die akzessorische Ablieferungspflicht des Führerscheins in Ziffer 2 und des Fahrgastscheins in Ziffer 3 des Bescheids als rechtmäßig, § 47 Abs. 1 FeV.

4. Aus diesen Gründen wird die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben, weswegen das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids dem Interesse des Antragstellers einstweilen weiter am Straßenverkehr teilzunehmen, überwiegt. Insbesondere in Anbetracht der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen, wiegt das öffentliche Interesse am Schutz von Leben, Gesundheit sowie Eigentum der Fahrgäste und anderer Verkehrsteilnehmer besonders schwer. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist daher insgesamt, auch hinsichtlich des unter Ziffer 2 gestellten Antrags auf Vollzugsfolgenbeseitigung, abzulehnen.“

Verkehrsrecht II: Vorläufige Entziehung der FE, oder: Nach längerem Zeitablauf erhöhte Anforderungen

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Und im zweiten Posting dann der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.12.2024 – 2 Ws 355/24 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. zur Aufhebung eines entsprechenden Beschlusses, der im Berufungsverfahren ergangen war.

Der Angeklagte war durch Urteil des AG vom 25.03.2024 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, begangen am 10.04.2023, zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Zuvor hatte weder die Staatsanwaltschaft mit dem Strafbefehlsantrag vom 05.10.2023 einen Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gestellt, noch hatte das AGmit der Urteilsverkündung einen solchen Beschluss erlassen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das AG-Urteil Berufung eingelegt und der Angeklagte Revision. Der seit dem Eingang am 10.06.2024 mit dem Berufungsverfahren am LG befasste Vorsitzende der Strafkammer hat den Angeklagten, seinen Verteidiger und die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 26.07.2024 auf die in Betracht kommende vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis hingewiesen. Er hat zunächst von einer Entscheidung nach § 111a StPO abgesehen und mit Verfügung vom 04.09.2024 Termin zur Hauptverhandlung am 18.11.2024 bestimmt. Mit Verfügung vom 30.09.2024 hat die Staatsanwaltschaft dann beantragt die (schweizerische) Fahrerlaubnis für das Bundesgebiet vorläufig zu entziehen. Aufgrund einer unvorhergesehenen Operation des Vorsitzenden wurde der Hauptverhandlungstermin mit Verfügung vom 12.11.2024 auf den 27.01.2025 verlegt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.11.2024 wurde die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte beim OLG Erfolg:

„Die zulässige Beschwerde erweist sich auch in der Sache als begründet.

Zwar hat das Landgericht im Hinblick auf die erstinstanzlichen Feststellungen in dem Urteil vom 25.03.2024 mit zutreffenden Ausführungen angenommen, dass weiterhin dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass dem Angeklagten gemäß §§ 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 69a Abs. 1, 69b Abs. 1, 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB auch in der Berufungsentscheidung die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird.

Liegt – wie hier – ein mit der Berufung angefochtenes Urteil vor, kommt den Feststellungen des Tatrichters zu den Voraussetzungen des § 69 StGB für die zu treffende Beschwerdeentscheidung zwar keine Bindungs- aber eine Indizwirkung zu, da das Tatgericht auf Grund der durchgeführten Hauptverhandlung über eine größere Sachnähe und bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt als das Beschwerdegericht, das sich nur auf den Akteninhalt stützen kann.

Indes hat das Landgericht im Hinblick auf die Frage des nach § 111a StPO notwendigen vorläufigen Sicherungsbedürfnisses den Zeitablauf seit dem Tatvorwurf vom 10.04.2023 bis zu der angefochtenen Entscheidung am 13.11.2024 von über 18 Monaten nicht ausreichend gewürdigt. Die Frage des vorläufigen Sicherungsbedürfnisses nach diesem längeren Zeitablauf seit der Tat wurde in der angefochtenen Entscheidung nur formelhaft mit einem Satz begründet.

Zwar rechtfertigt ein längerer bloßer Zeitablauf nicht zwangsläufig die Annahme, der durch die Tatbegehung indizierte Eignungsmangel sei im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung entfallen (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Oktober 2007 – 1 Ws 513/07 -, NZV 2008, 47; KG Berlin, Beschluss vom 8. Februar 2017, – 3 Ws 39/17 -, juris). Auch das Bundesverfassungsgericht hat keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO im Einzelfall der Sicherheit des Straßenverkehrs der Vorrang gegenüber dem eingetretenen Zeitablauf und der zu beobachtenden Verfahrensverzögerung eingeräumt wird (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. März 2005 – 2 11/R 364/05 -, juris).

Wenngleich eine Fahrerlaubnis auch noch mit Erhebung der Anklage oder später noch in der Berufungsinstanz vorläufig entzogen werden kann, sind mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits zu stellen. Bleibt dieser nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitze seiner Fahrerlaubnis und nimmt nach Aktenlage beanstandungsfrei am Straßenverkehr teil, wächst sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach § 111a StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verliert (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 1. April 2011 – 3 Ws 153/11 -, juris).

Der Zeitablauf zwingt damit zu einer besonders sorgfältigen Prüfung, ob dem Angeklagten nun unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten noch die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden kann. Insoweit konnte vorliegend zunächst nicht übersehen werden, dass der vom Amtsgericht für angemessen erachtete Zeitraum der Sperrfrist von nur sechs Monaten zwischenzeitlich rechnerisch um das Dreifache überschritten wäre. Zudem resultiert die Verfahrensverzögerung im vorliegenden Fall nicht etwa aus der Sphäre der Verteidigung bzw. des Angeklagten (vgl. auch zu einer Anordnung nach § 111a StPO nach 16 Monaten aufgrund einer verteidigungsbedingten Verzögerung: OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Oktober 2021 -1 Ws 153/21 -, juris). Da die Berufungskammer nach der Einholung des negativen schweizerischen Strafregistereintrages weit über ein Jahr nach der Tatbegehung zunächst mit der Terminierung der Hauptverhandlung am 04.09.2024 zwei Monate später auf den 18.11.2024 keine Veranlassung für ein zeitnahes Sicherungsbedürfnis gesehen hat, rechtfertigt die bloße Verlegung des Hauptverhandlungstermins und die damit einhergehende weitere Verzögerung um etwa zwei Monate, die wiederum nicht der Sphäre des Angeklagten geschuldet ist, kein dringendes vorläufiges Sicherungsbedürfnis.“

Drei Beschlüsse zur Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: KCanG, Cannabiskonsum, berufliche Gründe, Diabetes

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“, und zwar mit einigen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG.

Ich beginne mit drei Entscheidungen aus Bayern, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle. Das sind:

1. Die regelmäßige Einnahme von Cannabis hat nach der Rechtslage vor dem 01.04.2024 gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 FeV ohne das Hinzutreten weiterer Umstände im Regelfall die Fahreignung ausgeschlossen.

2. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Anfechtung einer Entziehung der Fahrerlaubnis ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich. Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung nach der Rechtsänderung am 01.04.2024 hat der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht vorgesehen. Sie ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Regelung auch nicht verfassungsrechtlich geboten.

  • BayVGH, Beschl. v. 19.12.2024 – 11 CS 24.1933 – Zur Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem und zur – verneinten – Unverhältnismäßigkeit bei beruflicher Angewiesenheit auf die Fahrerlaubnis:

Dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen.

Ergeben sich Zweifel an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers aus einer feststehenden insulinbehandelten Diabetes-Erkrankung mit einer reduzierten Hypoglykämiewahrnehmung und überdies aus einer Polyneuropathie mit einer einer leichtgradigen Gangunsicherheit und einer eingeschränkten linken Fußhebung, kann die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entziehen.

KCanG III: Regelmäßiger Konsum – altes/neues Recht, oder: Sofortige Vollziehung der Entziehung der FE?

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Im dritten Posting des Tages habe ich dann noch eine Entscheidung aus dem Verkehrsverwaltungsrecht. Normalerweise kommen Entscheidungen aus dem Bereich ja am Samstag, aber der VG Magdeburg, Beschl. v. 21.06.2024 – 1 B 95/24 MD – passt thematisch auch heute.

Es geht um die Auswirkungen der neuen Rechtslage bei Cannabis auf die Fahrerlaubnisentziehung. Dazu hatte ich ja bereits auch den OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.09.2024 – 12 PA 27/24 – vorgestellt, das zu den Auswirkungen ja bereits Stellung genommen hat (vgl. Änderungen der FeVO durch das CanG und KCanG, oder: Auswirkungen auf Entziehungsverfahren?).

Nun also auch das VG Magdeburg. Gestritten wird in dem Verfahren um die Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung. Dem Antragsteller war von der Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis entzogen worden. Er war mit einem Joint und Cannabis in Form einer Blüte angetroffen worden. Gegenüber dem kontrollierenden Beamten hatte er angegeben, dass er regelmäßig Cannabis konsumiere, um seine Psyche zu beruhigen. Er verwende es wie ein Feierabendbier. Deshalb hatte man an seiner Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs gezweifelt und die Fahrerlaubnis entzogen.

Der u.a. dagegen gerichtete Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gegen den (auch) angeordneten Sofortvollzug hatte beim VG Erfolg:

„…..

c) Die Interessenabwägung fällt jedoch zuungunsten der Antragsgegnerin aus, da das im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch das Gericht zu prüfende überwiegende, besondere Vollzugsinteresse der Allgemeinheit an der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nicht gegeben ist.

Ein solches, materielles Interesse am Vollzug vor Eintritt der Bestandskraft eines Veraltungsaktes muss stets vorliegen, da eine sofortige Vollziehung auf Basis einer behördlichen Anordnung eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel darstellt, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat und daher das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit grundsätzlich überwiegt. Es ist gesondert zu prüfen, ob das vorläufige Vollzugsinteresse der Allgemeinheit die Interessen des Betroffenen überwiegen. Dabei kommt es nicht alleine auf die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens an, sondern diese stellt lediglich einen Gesichtspunkt in der von dem Gericht vorzunehmenden Abwägung dar (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. September 1991 – 4 M 125/91 –, NVwZ 1992, 687; VGH München, Beschluss vom 12. März 1996 – 14 CS 95.3873 –, NVwZ-RR 1997, 445; BVerfG, Beschluss vom 12. September 1995 – 2 BvR 1179/95 –, NVwZ 1996, 58; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21. März 2014 – 8 ME 24/14 –, BeckRS 2014, 49116; VG München, Beschluss vom 11. Juni 2021 – M 7 S 21.1849, BeckRS 2021, 55414 Rn. 45; vgl. ebenfalls zum Maßstab: Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 156 ff.). Hiernach überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit an der Entziehung der Fahrerlaubnis. Dies ergibt sich maßgeblich aus der gesetzgeberischen Neubewertung und Neugewichtung des Gefährdungspotentials des Cannabiskonsums, nach der der dem Antragsteller zur Last gelegte Sachverhalt keine Eignungszweifel mehr begründen kann.

Mit dem zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 hat der Gesetzgeber in Artikel 14 dieses Gesetzes in Bezug auf die Beeinträchtigung der Fahreignung durch den Konsum von THC-haltigen Cannabis eine Neubewertung vorgenommen. Nach dieser neuen Bewertung ist eine Fahreignung bei Cannabiskonsum nur noch dann im Regelfall nicht gegeben, wenn Missbrauch (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) vorliegt, oder eine Abhängigkeit (Nr. 9.2.3 der Anlage 4 zur FeV) festgestellt ist. Ob für die Bestimmung der Abhängigkeit auf die Maßstäbe der ICD-10F 12.2 (Psychische und Verhaltensstörung durch Konsum von Cannabinoiden Abhängigkeitssyndrom) abzustellen ist, oder ob andere Grundsätze gelten, kann dahinstehen. Denn in jedem Fall setzt eine Abhängigkeit auch im Vergleich zum Missbrauch eine quantitative Konsumsteigerung voraus (vgl. zur Alkoholproblematik: Siegmund, in: Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage, § 13 FeV (Stand: 6. Juni 2024) Rn. 26). Vorliegend sind indes selbst die Voraussetzungen eines Missbrauchs nicht feststellbar. Missbrauch ist nach der in der Nr. 9.2.1 enthaltenen Legaldefinition dann gegeben, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Cannabiskonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Mithin hat der Gesetzgeber auf Grund einer neuerlichen Gefährdungsbeurteilung des Cannabiskonsums diesen den in der Nr. 8 der Anlage 4 FeV enthaltenen Regelungen zur (regelmäßig fehlenden) Fahreignung bei Alkoholkonsum gleichgestellt. Anhaltspunkte für einen Missbrauch durch den Antragsteller sind nicht erkennbar. Es ist nicht durch die Antragsgegnerin ermittelt oder sonst feststellbar, dass der Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht zwischen seinem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennt. Hierfür bedürfte es Anhaltspunkte für einen fehlenden zeitlichen Abstand zwischen beiden oder für eine zeitliche Überlagerung von beiden Handlungen, wofür vorliegend jedoch nichts spricht. Auch aus der Aussage des Antragstellers, er konsumiere Cannabis wie ein „Feierabendbier“ folgt nicht, dass der Konsum des Antragstellers ein missbräuchlicher ist. Hierfür bedürfte es weiterer Anhaltspunkte, dass der Konsum quantitativ im Übermaß stattfindet oder der Antragsteller keine hinreichende Zeit nach dem Konsumakt verstreichen lässt, um erneut ein Fahrzeug zu führen. Aus dieser Neugewichtung durch den Gesetzgeber folgt, dass, wenn ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit von Cannabis nicht feststellbar ist, keine Eignungszweifel bestehen. Mithin überwiegt in einem solchen Fall das Mobilitätsinteresse des Betroffenen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Auf Grund der gesetzgeberischen Neubewertung ist in Fällen, in denen ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit nicht gegeben ist, das Gefährdungspotential für die Rechtsgüter Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie das Eigentum (Art. 14 GG) der anderen Verkehrsteilnehmer als nicht hinreichend groß anzusehen, um dem Betroffenen die Teilnahme am Straßenverkehr zu versagen. Dass der Antragsteller im Klageverfahren voraussichtlich unterliegen wird, ändert hieran – wie dargestellt – nichts.“

Im Zweifel wird der Antragsteller im Hauptsachverfahren keinen Erfolg haben. Denn Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ist, anders als in Bußgeldverfahren, wo nach § 4 Abs. 3 OWiG das mildeste Gesetz Anwendung findet, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist: Das ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (siehe dazu OVG Lüneburg, a.a.O.).

Eine andere Frage ist, ob dem Antragsteller die Fahrerlaubnis auf Antrag nicht sofort wieder erteilt werden muss/müsste, da insoweit die neue Rechtslage Anwendung findet. Es ist also zu überlegen, ob man nicht den Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtskräftig werden lässt und sogleich einen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellt.

Neues zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach StVG, oder: Pedelec, Entzugsbehandlung, Schlafapnoe

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Und im „Kessel-Buntes“ heute dann verwaltungsrechtliche Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht.

Hier kommen zunächst einige Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, und zwar:

Die Fahrerlaubnisbehörde hat anzuordnen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn er ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit die einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat. Dies gilt nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad und auch für ein Pedelec, weil dieses einem Fahrrad rechtlich gleichgestellt ist.

Ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, das auch ohne Behandlung keine übermäßige Tagesmüdigkeit zur Folge hat, begründet keinen Eignungsmangel nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV und kann keine Kontrollauflage rechtfertigen.

1. Es entspricht gesicherten Erkenntnissen der Alkoholforschung, dass Betroffene mit Blutalkoholkonzentrationen ab 1,6 Promille über deutlich abweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Trinkfestigkeit verfügen.

2. Neben stationären Therapien kommen auch ambulante Maßnahmen von 24 Wochen, ganztägige ambulante Maßnahmen in Tageskliniken an Werktagen über einen Zeitraum von acht bis sechzehn Wochen und stationär-ambulante Kombinationstherapien in Betracht als Entzugsbehandlung in Betracht, nicht aber die stationäre Entgiftung und Nachsorgekontakte, die sporadisch stattfinden und der Rückfallprophylaxe dienen.