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Entziehung der Fahrerlaubnis I, oder: Beweislast für die Ungeeignetheit hat die Behörde

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Heute köcheln im „Kessel Buntes“ zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Ich beginne mit dem VG Weimar, Beschl. v. 18.01.2021 – 1 E 1532/20 We -, den mir die Kollegin Klein aus Weimar geschickt hat. Der Beschluss enthält nichts weltbewegend Neues, aber er ruft noch einmal in Erinnerung: Die Fahrerlaubnisbehörde muss beweisen, dass der Fahrerlaubnisinhaber „ungeeignet“ ist:

„Vorliegend begegnen der Entziehungsverfügung selbst rechtliche Bedenken.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVO – i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Bereits der Wortlaut dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Ungeeignetheit des Antragstellers erwiesen sein muss. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist daher nur möglich, wenn die Ungeeignetheit oder mangelnde Befähigung des Fahrerlaubnisinhabers aufgrund erwiesener Tatsachen positiv festgestellt werden kann (Bundesverwaltungsgericht NJW 05, 3081). Die insoweit bestehende Beweislast hierfür trägt die Fahrerlaubnisbehörde (vgl. hierzu Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 3 StVG Rn. 24 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Ein solcher Nachweis der Ungeeignetheit ist dem Antragsgegner nicht gelungen. Insbesondere folgt die Ungeeignetheit des Antragstellers nicht aus dem Gutachten der pp. GmbH vom 18.02.2020. Der Umstand, dass nach dem Gutachten ein aktiver Konsum von Betäubungsmitteln nicht sicher ausgeschlossen werden kann, genügt gerade nicht den Nachweispflichten des Antragsgegners zur Ungeeignetheit des Antragstellers. Denn – anders als der Antragsgegner offensichtlich meint (vgl. den Schriftsatz des Antragsgegners vom 24.11.2020, Bl. 4) – ist nicht der Antragsteller dazu verpflichtet, seine Geeignetheit, sondern der Antragsgegner ist verpflichtet die Ungeeignetheit des Antragstellers nachzuweisen. Soweit das Gutachten trotz der aufgefundenen Menge von Amphetamin (0,10 ng/mg) nicht zu einem eindeutigen Nachweis des Konsums gekommen ist, da aufgrund des geringfügigen Befundes ein aktiver Konsum nicht unterstellt werden konnte (vgl. Bi. 11 des Gutachtens), ergibt das Gutachtenergebnis keine Ungeeignetheit des Antragsstellers.

Auch unabhängig vom erstellten Gutachten kann keine Ungeeignetheit des Antragstellers festgestellt werden. Dies gilt auch in Ansehung des Vorfalls vom 14.01.2016, als der Antragsteller mit einer Methamphetaminkonzentration von 31 ng/ml festgestellt wurde. Denn der Antragsgegner hat, nachdem ihm dies mit am 15.03.2016 bei ihm eingegangenen Schreiben mitgeteilt wurde (vgl. Bl. 112 der Verwaltungsakten), erstmals mit Anordnung vom 21.08.2019 ein Drogenscreening angeordnet. In diesem Fall liegt jedoch keine aktuelle Einnahme von Betäubungsmitteln i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV mehr vor, da die Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Anordnung zur Beibringung des Drogenscreenings bereits mehr als 3 Jahre zurücklagen (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.2010 – 2 B 2190/10 – juris für den Fall eines 2 1/2 Jahre zurückliegenden Konsums von Cannabis).

Da mithin eine Ungeeignetheit des Antragstellers nicht festgestellt werden kann, war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid wiederherzustellen.“

Sperrfristabkürzung nein, Aufhebung ja, aber nur im konkreten Einzelfall

Führerschein und Nachschulung

Und als „Nachmittagsposting“ dann zwei Entscheidungen zur vorzeitigen Aufhebung einer nach § 69a StGB festgesetzten Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Festgesetzt war nach einer Trunkenheitsfahrt eine Sperrfrist von zehn Monaten. Der ehemalige Angeklagte beantragt dann nach Teilnahme an einer Nachschulungsmaßnahme die „schnellmögliche Verkürzung“. Zugleich legte er ein Teilnahme-Zertifikat des TÜV-Süd vor, das seine erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs „Mainz 77“ (Modell zur Sperrfristverkürzung) bescheinigt. Das AG „kürzt“ die Sperrfrist und hebt sie zu einem bestimmten Zeitpunkt auf. Dagegen die Beschwerde:

Zunächst zur Frage: Kann eine Sperrfrist nach § 69a StGB abgekürzt werden. Dazu sagt das LG Heilbronn im LG Heilbronn, Beschl. v. 27.04.2018 – 3 Qs 17/18: Nein:

Gemäß § 69a Abs. 7 StGB kann das Gericht nach dem Ablauf der Mindestsperrfrist von drei Monaten die Sperre vorzeitig aufheben, wenn sich Grund zu der Annahme ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht länger ungeeignet ist.

Bereits dem Wortlaut nach, ist eine Aufhebung zeitlich also erst dann möglich, wenn die Voraussetzungen der Norm, namentlich die mutmaßliche Beseitigung der bisherigen Ungeeignetheit nach der Überzeugung des Gerichts bereits eingetreten sind. Eine derartige Prognoseentscheidung kann schon begrifflich nicht auf einen in der Zukunft liegenden Termin projiziert werden.

Die Schwäche der Gegenansicht zeigt sich schon daran, dass auch der Beschluss des Gerichts nach § 69a Abs. 7 StGB der Rechtskraft zugänglich ist und mithin bei einem in der Zukunft liegenden Aufhebungszeitpunkt die Sperre selbst dann in Wegfall geriete, wenn zwischen der Entscheidung und dem Erreichen dieses Zeitpunkts nachteilige Umstände, im schlimmsten Fall weitere relevante Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten oder ein Rückfall in eine beseitigte Alkoholabhängigkeit bekannt würden.

Auch der Regelungszweck steht einem solchen Verständnis der Norm entgegen. Als eng auszulegende Ausnahmevorschrift gestattet § 69a Abs. 7 StGB aus Rücksicht auf das Übermaßverbot eine einzelfallbezogene Durchbrechung der Rechtskraft einer vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung. Wo nämlich der Zweck einer Maßregel erreicht ist, wäre ihr weiterer Vollzug unverhältnismäßig. Dies aber bedeutet, dass die Maßregel im Falle der Zweckerreichung auch unmittelbar aufzuheben ist.

Eine bloße Verkürzung der Sperrfrist mir der Folge eines in der Zukunft liegenden Endzeitpunkts der Fahrerlaubnissperre lässt § 69a Abs. 7 StGB hingegen gerade nicht zu. Die diesbezügliche Antragspraxis der Vollstreckungsbehörden ist ersichtlich der Handhabung aus Zeiten geschuldet, in denen die Teilnahme an einschlägigen Nachschulungskursen, regelmäßig im Gnadenverfahren mit einer in der Regel dreimonatigen Verkürzung der Sperrfrist honoriert wurde (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Nr. 8 GnO BW; allg. zu den Möglichkeiten des Gnadenverfahrens Fromm, NZV 2011, 329).

Zur Erreichung einer derartig schematischen Verkürzung ist § 69a Abs. 7 StGB aber auch deshalb nicht nutzbar zu machen, weil die Norm nicht das Ziel hat, einen wie auch immer gearteten Einsatz des Verurteilten auf dem Weg zur möglichen Beseitigung der Ungeeignetheit ungeachtet des Erfolgs der Bemühungen zu honorieren. Anders als etwa § 36 Abs. 1 BtMG, bei dem im Zurückstellungsverfahren nach § 35 BtMG eine Anrechnung der in anerkannten Einrichtungen absolvierten Therapie unabhängig von deren nachhaltigem Erfolg stattfindet, führt § 69a Abs. 7 StGB zu einer Begünstigung des Verurteilten nur dann, wenn, freilich auch unter Berücksichtigung der Bemühungen des Verurteilten, durch die Entwicklungen seit der Verurteilung der Grund für die Anordnung der Maßregel, sprich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen tatsächlich entfallen ist.

Eine auf einen in die Zukunft gelegenen Zeitpunkt terminierte Aufhebung ist mithin unzulässig. Diese Auffassung entspricht zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung und herrschender Ansicht in der Literatur (vgl. etwa LG Fulda, Beschluss vom 8. November 2017, – 2 Qs 125/17 -, Blutalkohol 2018, 162; OLG Celle, Beschluss vom 27. November 2008 – 2 Ws 362/08 –, juris; LG Berlin, Beschluss vom 13. Februar 2008 – 502 Qs 13/08 –, juris, jeweils mwN.; Schönke / Schröder / Stree / Kinzig, 29. Aufl. 2014, StGB § 69a Rn. 29; Fischer, StGB, 64. Auflage, § 69a Rn.41).

Der Antrag auf Aufhebung einer Sperre kann daher nur in Form der sofortigen Aufhebung der Sperre oder durch Ablehnung des Antrags, der dann ggf. zu späterer Zeit mit neuer Begründung erneut gestellt werden kann, beschieden werden.“

In der Sache kommt es dann aber zur Aufhebung der Sperre, u.a. weil der ehemalige Angeklagte an dem Kurs „Mainz 77“ teilgenommen hat und aufgrund „einer konkreten Einzelfallprüfung“ „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden [konnte], dass der Verurteilte nicht länger ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.“

Auf der Linie liegt dann auch der LG Görlitz, Beschl. v. 06.06.2018 – 13 Qs 48/18.

58 Punkte in Flensburg glauben wir, oder: „Habt Ihr sie noch alle?“

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Und als zweite Strafzumessungsentscheidung dann der OLG Naumburg, Beschl. v. 04.09.2017 – 2 Rv 95/17. Das ist eine, „wie sie im Buche steht“. Man fragt sich, wenn man die Ausführungen des LG liest, was sich die Berufungskammer eigentlich bei ihrer Entscheidung gedacht hat und was das LG eigentlich getan hat. Beides Fragen kann man m.E., nur mit „Nichts“ beantworten.

Das LG hat den Angeklagten im Berufungsverfahren wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt (Einzelstrafen: viermal acht Monate). Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die zur Aufhebung des Strafausspruchs führt:

Das Gericht hat ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt, „dass der Angeklagte, wie die erhebliche Anzahl der im Fahreignungsregister vermerkten Punkte zeigt, zum Führen eines Fahrzeuges ungeeignet ist und somit eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellt“. Hinsichtlich der vermerkten Punkte hat die Kammer ausgeführt, im Fahreignungsregister seien auf dem Punktekonto des Angeklagten 58 Punkte vermerkt, wobei sie diese vermeintliche Erkenntnis allein auf die Einlassung des Angeklagten stützt.

Die strafschärfende Berücksichtigung der 58 Punkte und der daraus gefolgerten fehlenden Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen offenbart zwei Rechtsfehler. Zum einen durfte die Kammer die Feststellung der 58 Punkte nicht allein auf die Einlassung des Angeklagten stützen. Es ist anerkannt, dass Angaben, mit denen der Angeklagte sich selbst belastet, jedenfalls dann nicht ohne weitere Nachprüfung den Feststellungen zugrunde gelegt werden dürfen, wenn sie in höchstem Maße unwahrscheinlich sind. Ein Punktestand von 58 im Fahreignungsregister dürfte angesichts der Tilgungsvorschriften und der Tatsache, dass die Punktzahlen für einzelne Ordnungswidrigkeiten seit Beginn des Fahreignungsregisters drastisch minimiert worden sind, kaum möglich sein. Den beiden Mitgliedern des Senates, die seit Anfang 2011 durchgängig Verkehrsordnungswidrigkeiten bearbeiten, ist jedenfalls in über 1500 Verfahren kein einziger Fall untergekommen, in dem auch nur die Hälfte von 58, also 29 Punkte, erreicht worden ist. Das gilt auch für die Geltungszeit des Verkehrszentralregisters, in der die Anzahl der Punkte für die einzelnen Verfehlungen im Schnitt mehr als doppelt so hoch war wie gegenwärtig. Das Gericht hätte daher die Angaben des Angeklagten über sein Punktekonto nur zu seinem Nachteil verwerten dürfen, wenn es diese, etwa durch Einholung einer Auskunft aus dem Fahreignungsregister, verifiziert hätte.

Am Rande bemerkt der Senat, wenngleich revisionsrechtlich unerheblich, dass eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister betreffend den Angeklagten vom 29. August 2017 einen Punktestand von vier ergab, wovon zwei Punkte auf eine Eintragung entfallen, die am Tag der Berufungshauptverhandlung noch nicht registriert war.

Auch abgesehen von der rechtsfehlerhaften Feststellung des Punktestandes hätte das Gericht die hieraus geschlossene Ungeeignetheit des Beschwerdeführers zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht strafschärfend berücksichtigen dürfen. Der Gesetzgeber hat nämlich Fahren ohne Fahrerlaubnis im Wesentlichen deswegen unter Strafe gestellt, weil er zu Recht davon ausgeht, dass eine Person, die keine gültige Fahrerlaubnis hat, zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die strafschärfende Berücksichtigung der Ungeeignetheit verstößt daher gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ziehen die fehlerhaften Strafzumessungserwägungen auch die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Zwar ist der Angeklagte massiv, überwiegend einschlägig, vorbestraft. Es liegen jedoch bei allen Taten zwei gewichtige Milderungsgründe vor, nämlich das umfassende Geständnis und die Tatsache, dass die Fahrstrecke jeweils kurz war. Von diesem Hintergrund kommen durchaus auch mildere Einzelstrafen als die hier verhängten, zwei Drittel des Strafrahmens ausschöpfenden jeweils acht Monate und damit auch eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe in Betracht.“

Wenn man das liest, fragt man sich, ob man sich bei der Berufungskammer des LG Halle eigentlich die „Hose mit der berühmten Kneifzange zumacht“? Oder: warum kommt man eigentlich nicht auf die Idee, einen vom Angeklagten angegebenen Punktestand von 58 Punkten (!!) im FAER zu hinterfragen. M;an glaubt doch sonst Angeklagten auch nicht alles. Und was hätte man, wenn man seine Hausaufhaben in Form einer Anfrage in Flensburg gemacht hätte, festgestellt: Es waren wohl zum Zeitpunkt des Berufungsverfahrens nur zwei Punkte. Man fasst es wirklich nicht.

Auch die weitere Strafzumessungserwägung: Strafschärfung beim Fahren ohne Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen zeugt nicht von besonderem Sachverstand in der Berufungskammer.

Solche Revisionen sind Selbstläufer.

Ich überprüfe mal ein Sprichwort: Sich regen, bringt Segen.

© B. Wylezich - Fotolia.com

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Die Kollegin Rueber hat in ihrem Blog: Strafverfahren – in Koblenz und anderswo die Rubrik/lockere Reihe: „Wir überprüfen Sprichwörter…“. Die will ich jetzt nicht abkupfern, aber – die Kollegin wird es mir anchsehen: Das Sprichwort: Sich regen, bringt Segen“, passt m.E. ganz gut zum AG Tiergarten, Urt. v. 20.02.2015 – (295 Cs) 3012 Js 7602/14 (148/14), das mit der Kollege, der es „erstritten“ hat, übersandt hat (dafür herzlichen Dank). Im Verfahren ging es (mal wieder) um eine Trunkenheitsfahrt/fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung mit 1,53 Promille (immerhin). Die damit zusammenhängenden Fragen waren auch „unstreitig“, beim AG ist es nur noch um die Rechtsfolgen gegangen. Und da hat der Angeklagte „Glück gehabt“ Denn er hatte – wahrscheinlich auf guten anwaltlichen Rat seines Verteidigers – die Zeit bis zu Hauptverhandlung genutzt und erfolgreich an einer mehrmonatige Verkehrstherapie teilgenommen. Ergebnis: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern nur ein Fahrverbot nach § 44 StGB. Begründung:

„Die in der Hauptverhandlung entscheidende Frage war, ob der Angeklagte zum Unfallzeitpunkt immer noch als charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen war oder nicht. Im Ergebnis des Hauptverhandlungstermins stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine charakterliche Ungeeignetheit des Angeklagten nicht mehr feststellbar war. Dieser hat die Zeit bis zur Hauptverhandlung genutzt, um eine mehrmonatige Verkehrstherapie mit 12 Einzelgesprächen von je 60 Minuten sowie sechs Alkoholseminaren zu je 90 Minuten Dauer bei dem Verkehrspsychologen und Suchtberater pp. durchzuführen. Dieser ist in der Hauptverhandlung als sachverständiger Zeuge vernommen worden. Das Gericht vermochte sich insofern von der Ernsthaftigkeit und vom Gewicht der durchgeführten Therapie für den Angeklagten selbst ein Bild zu verschaffen. Der sachverständige Zeuge ppp. hat glaubhaft ausgeführt, dass der Angeklagte nunmehr seit Juni 2014 abstinent sei. Seine Fähigkeit zur Selbstreflektion sei selten und ungewöhnlich. Zeichen für einen bestehenden Alkoholismus bestehen nicht.

Nach dem in Hauptverhandlung von dem Angeklagten selbst gewonnenen Eindruck und angesichts der Ausführungen des sachverständigen Zeugen ppp. sowie in Anbetracht der nicht unerheblich langen Dauer der vorläufigen Einbehaltung des Führerscheins des Angeklagten vermochte das Gericht jedenfalls zum Urteilszeitpunkt keine charakterliche Ungeeignetheit des selben mehr festzustellen. Zur nachträglichen Ahndung erschien vielmehr die Verhängung eines 3monatigen Fahrverbotes gemäß § 44 StGB als ausreichend. Dieses war zum Urteilszeitpunkt bereits gemäß § 51 Abs. 1 und Abs. 5 StGB vollstreckt, sodass der Führerschein dem Angeklagten zurückgereicht werden konnte.“

Die „Fleppe“ ist also am Ende der Hauptverhandlung „zurückgereicht“ worden. Schöner Erfolg. „Sich regen, bringt eben Segen“ 🙂 🙂 .

Ein Beweisantrag, der keiner (mehr) ist

© Corgarashu – Fotolia.com

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„Ein Beweisantrag, der keiner (mehr) ist“ – eine Überschrift zu diesem Posting, die wahrscheinlich auf den ersten Blick erstaunt. „Ein Beweisantrag, der keiner ist“, das hatten wir schon häufiger. Aber: „…. keiner (mehr) ist..“ Ein solches Posting hatte zumindest ich hier noch nicht. Grundlage für das Posting ist der KG, Beschl. v. 17.09.2013 – (4) 121 Ss 141/13 (175/13).

Da hatte der Verteidiger des Angeklagten in einem Verfahren wegen Körperverletzung  in der Berufungshauptverhandlung beim LG einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen gestellt. Die Vorsitzende hatte daraufhin mit dem Zeugen im Wege des Freibeweises telefoniert und das Ergebnis ihres Gesprächs – Beseitigung einer Unklarheit, die zu dem Beweisantrag geführt hatte – in der Hauptverhandlung mitgeteilt. Die im Anschluss daran hat sie dann die Verteidigung gefragt, ob an dem Antrag festgehalten werde. Die hatte der Verteidiger ohne nähere Erläuterung bejaht. Die Kammer lehnte daraufhin den Antrag auf Vernehmung des M. unter Bezugnahme auf § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ab.

Das KG hat dieses Vorgehen nicht beanstandet. Sein Beschluss ist mit folgenden Leitsätzen versehen:

  1. Ein Antrag kann die Eigenschaft eines nach § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zu bescheidenden Beweisantrages verlieren, wenn der Antragsteller in Kenntnis der freibeweislichen Widerlegung der Beweisbehauptung an diesem festhält, ohne sich dazu zu verhalten, warum er (weiterhin) davon ausgehen kann, dass die förmliche Beweiserhebung zur Bestätigung der Beweisbehauptung führen wird.
  2. Die gilt jedenfalls dann, wenn die beantragte Beweiserhebung durch Vernehmung eines Zeugen der Beseitigung einer tatsächlichen Unklarheit – hier: der vom Antragsteller gesehenen Mehrdeutigkeit einer zuvor durch Verlesung zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten Urkunde durch Vernehmung des Urhebers der Urkunde – dient und im Freibeweisverfahren diese mögliche Unklarheit bereits beseitigt worden ist, weil der Zeuge, der kein unmittelbarer oder mittelbarer Tatzeuge ist, bei freibeweislicher Befragung aus eigener sicherer Erinnerung das Gegenteil der in die Beweisbehauptung gekleideten Vermutung des Antragstellers bekundet hat.
  3. Hat die Beweisbehauptung nach dem Ergebnis der freibeweislichen Befragung des Zeugen nicht mehr die Vermutung ihrer Richtigkeit für sich und wird sie vom Antragsteller aufs Geratewohl ins Blaue hinein oder gar wider besseres Wissen aufrecht erhalten, weil die Bestätigung der Beweisbehauptung aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von diesem nicht in Frage gestellten Tatsachen unwahrscheinlich geworden ist, handelt es sich um einen tatsächlich nicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung, sondern vielmehr nur noch aus Gründen sachwidriger Prozesstaktik gestellten, missbräuchlichen Scheinbeweisantrag.
  4. Das Gericht hat danach – nur noch – zu prüfen, ob es unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) zu der beantragten Beweiserhebung gedrängt ist.

Ob das so richtig und im Grunde die an sich in der Hauptverhandlung im Strengbeweisverfahren durchzuführende Beweiserhebung durch ein Freibeweisverfahren ersetzt werden konnte/durfte, erscheint mir zweifelhaft. Das KG umschifft das aber und lässt die Frage offen, indem es sich auf das Argument: Nach der Mitteilung der Vorsitzenden kein Beweisantrag i.e.S. mehr, zurückzieht.