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Entbindungsantrag – auch in der Hauptverhandlung noch nicht zu spät

Ein Mittel, die Verwerfung des Einspruchs des unentschuldigt nicht erschienenen Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verhindern, kann der noch in der Hauptverhandlung gestellt Antrag sein, den Betroffenen von der Erscheinenspflicht zu entbinden (§ 73 OWiG). Die OLGs sind sich inzwischen einig, dass der Antrag auch noch in der Hauptverhandlung vom Verteidiger gestellt werden kann, allerdings zeitlich begrenzt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem zur Sache verhandelt wird. So jetzt aich der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.02.2012 – IV 2 RBs 13/12. mit dem Leitsatz:

„Der Antrag, den Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, kann durch den mit einer besonderen Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger zulässigerweise noch zu Beginn der Hauptverhandlung nach dem Aufruf der Sache gestellt werden, bevor zur Sache selbst verhandelt worden ist.“

A.A. ist – soweit ist das sehe – wohl nur noch Göhler in der Kommentierung zu § 74 OWiG. Er hält seine andere Auffassung tapfer, aber sie ist im Grunde nicht mehr zu halten.

 

Ablehnung des Entbindungsantrags: Rechtsbeschwerdebegründung

Einmal mehr befasst sich das OLG Bamberg, Beschl. v. 20.10.2011 – 3 Ss OWi 1364/11 mit den Anforderungen an die Begründung der Rechtsbeschwerde nach Ablehnung eines Entbindungsantrags. Im Leitsatz heißt es:

„Wird die rechtfehlerhafte Ermessensausübung bei der Ablehnung eines Termins­ver­legungsantrags wegen Verhinderung des Verteidigers beanstandet, ist nach § 344 II 2 StPO der Inhalt des Verlegungsgesuchs grundsätzlich vollständig wiederzugeben. Dies gilt erst recht dann, wenn mit dem Antrag zugleich hilfsweise für den Fall seiner Ableh­nung konkrete Sacheinlassungen zur Schuld- oder Rechtsfolgenfrage abgegeben werden.“

Verbindung und Entbindung

Einer der wenigen Fälle im OWi-Verfahren, in denen m.E. recht gute Erfolgsaussichten bestehen, dass eine Rechtsbeschwerde ggf. zugelassen wird und auch Erfolg hat, sind die der Ablehnung sog. „Entbindungsanträge“, also der Anträge, mit denen der Betroffene gem. § 73 Abs. 2 OWiG von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden will. Wird der nicht oder nicht richtig beschieden, liegt eine Versagung rechtlichen Gehörs mit der Folge, dass die Rechtsbeschwerde, auch wenn sie wegen der Höhe der Gelddbuße sonst an sich kaum zugelassen würde. nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zugelassen wird. Hintergrund ist, dass von den Amtsgerichten die Entbindungsanträge häufig vorschnell abgelehnt werden. So auch im OLG Bamberg, Beschl. v.13.09.2011 – 2 Ss OWi 543/11. Dort hatte das AG den Antrag abgelehnt, weil es das Verfahren in der Hauptverhandlung ggf. mit anderen gleichzeitig terminierten Verfahren verbinden wollte. Das OLG sagt dazu, dass die bloße Absicht der Verbindung des  Verfahrens mit weiteren in der Hauptverhandlung keinen Grund i.S.d. § 73 Abs. 2 OWiG darstellt, einen Entbindungsantrag zurückzuweisen. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die weiteren Verfahren parallel terminiert sind. Ergebnis: Erfolg der Rechtsbeschwerde.

Die Entscheidung ist auch deshalb ganz interessant, weil das OLG noch einmal zur Fassung der für den Verteidiger in diesen Fällen erforderlichen Vertretungsvollmacht Stellung genommen hat.

Bestehen auf Erscheinen in der HV – Besorgnis der Befangenheit

Eine in der Praxis gar nicht so seltene Konstellation: Der Amtsrichter lehnt den Antrag des Betroffenen vom Erscheinen in der HV entbunden zu werden (zweimal) ab. Der Betroffene gibt sich damit nicht zufrieden und reagiert mit einem Befangenheitsantrag. Und der hatte beim AG Fulda Erfolg. Dieses sagt in AG Fulda, Beschl. v. 15.08.2011 – 25 OWi. – 34 Js 1906/11:

Die Ablehnung der Richterin ist zulässig und begründet (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 24 StPO).

Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO besteht nunmehr. Dem Antrag eines Betroffenen, ihn von der Teilnahme zu entbinden, wenn er die Fahrereigenschaft eingeräumt aber angekündigt hat, nichts weiter auszusagen, ist grundsätzlich zu entsprechen. Im vorliegenden Fall war zunächst zwar von einem wankelmütigen Betroffenen auszugehen, dessen persönliche Vernehmung sogar vom Unterbevollmächtigten im Termin am 18.5.2011 ausdrücklich beantragt worden war. Nachdem aber mit Schreiben vom 30.6.2011 erneut die Entbindung der Pflicht zum persönlichen Erscheinen beantragt wurde, war diesem Antrag zu entsprechen (OLG Stuttgart, 12.4.2007, 4 Ss 163/2007, zitiert nach Juris). Die Richterin konnte jetzt nämlich nicht mehr davon ausgehen, dass sich der Betroffene vielleicht doch noch zu einer ergänzenden Aussage entschließen würde. Seine Anwesenheit kann nicht erzwungen werden. Wenn nach dem bisherigen Verfahrensverlauf die Richterin dennoch auf einem Erscheinen in der Hauptverhandlung besteht, kann dies auch bei einem besonnenen Angeklagten den Eindruck erwecken, die Richterin wolle ihn durch die erzwungene Anwesenheit zu einer weitergehenden Aussage oder aber wegen des weiten Weges zu einer Einspruchsrückname veranlassen.“

Ähnlich hatte im vergangenen Jahr bereits das AG Recklinghausen entschieden.

Die Absicht, „schulmeisterlich zu belehren“…

reicht nicht aus, um einen Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden (§ 73 Abs. 2 OWiG), abzulehnen. So das OLG Frankfurt in OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.07.2011 – 2 Ss-OWi 375/11. Dort hatte das AG einen Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt mit der Begründung – so lässt es sich dem OLG Frankfurt-Beschluss entnehmen -, „dass es dem Betroffenen die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Ge­schwindigkeitsmessungen belehren wolle.“ Man ist ja schon erstaunt, wozu die StPO/das OWiG offenbar verpflichtet…

Dazu das OLG Frankfurt in seinem Beschluss:

Eine zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führende Gehörsverletzung muss deshalb nicht immer vorliegen, wenn in Folge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG und anschließender Verwerfung des Ein­spruchs gegen den Bußgeldbescheid nach § 74. Abs. 2 OWiG die Einlassung des Be­troffenen zur Sache unberücksichtigt geblieben ist. Anders läge es, wenn das Amts­gericht unter gleichsam willkürlicher Verletzung seiner prozessualen Fürsorgepflicht und/oder des Grundsatzes eines fairen Verfahrens das unabdingbare Mindestmaß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt hätte (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811). Dies wird bei Maßnahmen angenommen, die auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruhen und unter kei­nem Gesichtspunkt vertretbar erscheinen.

Das ist hier der Fall. Vorliegend hat das Amtsgericht die Entscheidung über die Ab­lehnung des Entbindungsantrages damit begründet, dass es dem Betroffenen die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Ge­schwindigkeitsmessungen belehren wolle. Hieraus ergibt sich gleichzeitig, dass das Amtsgericht die Anwesenheit des Betroffenen — auch nicht ansatzweise – zur Auf­klärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts für erforderlich erachtete. Die Erzwingung der Anwesenheit des Betroffenen allein mit dem Ziel, diesen in der Haupt­verhandlung schulmeisterhaft zu belehren, stellt sich aber nach Auffassung des Se­nats als Maßnahme dar, die auf einer unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maß­stäben des § 73 Abs. 2 OWG völlig entfernenden Erwägung beruht und unter keinem Gesichtspunkt vertretbar erscheint.“

Zutreffend. M.E. nicht zutreffend ist i.Ü. der grundsätzliche Ansatz des OLG, dass in den Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Ablehnung eines berechtigten Entbindungsantrags die Versagung rechtlichen Gehörs und die damit begründete Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG offenbar nur bei willkürlichem Handeln des AG in Betracht kommen soll. Das scheint ständige Rechtsprechung des OLG zu sein. Ist m.E. aber nicht richtig und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung der anderen OLG auch anders gesehen.