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Terminsvertreter I: Gebühren aus Teil 4 Abschnitt 1 VV, oder: Aber keine Verfahrensgebühr?

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Am Gebührenfreitag stelle ich heute zwei Entscheidungen zu den Gebühren des Terminsvertreters vor. Beide Entscheidungen sind m.E. nur teilweise zutreffend.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.02.2024 – 1 Ws 13/24 (S). Ergangen ist der Beschluss in deinem vor einer Strafkammer geführten Strafverfahren gegen sechs Angeklagte wegen Verbrechen nach dem BtmG, In dem hat der Kammervorsitzende mit Einverständnis des Angeklagten B. Rechtsanwalt R für den Hauptverhandlungstag am 26.09.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren beigeordnete Pflichtverteidiger für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. In der Hauptverhandlung am 26.09.2022 wurde das Hauptverfahren gegen einen Mitangeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit „auf unbestimmte Zeit“ abgetrennt,

Rechtsanwalt R hat beantragt seine Gebühren festzusetzen. Geltend gemacht worden sind eine Grundgebühr Nr. 4100 Verteidiger, eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG sowie Auslagen und Umsatzsteuer. Die Kostenbeamtin hat bei der Kostenfestsetzung die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr, jeweils nebst Umsatzsteuer, in Abzug gebracht . Auf die gegen diese Kostenfestsetzung erhobene Erinnerung des Rechtsanwalts R hat das LG  die Kostenfestsetzungsentscheidung dahingehend geändert, dass auch die beantragten Grund- und Verfahrensgebühr festzusetzen seien. Gegen diese Entscheidung hat dann der Bezirksrevisor, Beschwerde eingelegt, denn es darf ja nicht sein, was nicht sein kann. Und: Die Beschwerde hatte beim OLG teilweise Erfolg.

Ich lasse mal die Ausführungen des OLG zu den beiden zu den Gebühren des Terminsvertreters vertretenen Auffassungen weg. Das OLG schließt sich der (zutreffenden) h.M. an und führt aus:

„Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die Strafprozessordnung nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; BGH StV 2011, 650, BGH, Beschluss vom 15, Januar 2014, 4 StR 346/13, zit. nach juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011, 4 Ws 195/10, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen (ausf. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers zeitlich beschränkt bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist ausschließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

c) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze steht dem Beschwerdegegner für seine am 26. September 2022 erbrachte Pflichtverteidigertätigkeit die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 176,00 Euro, die Termingebühr nach Nr. 4114 VV RVG in Höhe von 282,00 Euro, die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro, die Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG in Höhe von 33,60 E, das Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG, jeweils nebst gesetzlicher Umsatzsteuer, zu.

Hingegen ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG für das Betreiben der Geschäfte einschließlich der Information im vorliegenden Fall nicht angefallen. Eine in den Geltungsbereich der Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit hat der Pflichtverteidiger nicht entfaltet. Zwar wird mit der Verfahrensgebühr die Tätigkeit des Pflichtverteidigers im Strafverfahren des ersten Rechtszuges nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens abgegolten. Ausgenommen sind davon aber Tätigkeiten, für die besondere Gebühren vorgesehen sind, wie z.B. die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Termingebühr für die Hauptverhandlung Nr. 4114 VV RVG (vgl. OLG München, Beschluss vom 27. Februar 2014, 4c Ws 2/14, zit. n. juris m.w.N.). Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 12. Verhandlungstag am 26. September 2022 ergibt sich, dass an diesem Tage keine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist, für die eine Einarbeitung in das bisherige Beweisergebnis oder das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie erforderlich gewesen wäre. Dem Protokoll über die 20 Minuten dauernde Hauptverhandlung ist lediglich die Beiordnung von vier Pflichtverteidigern für den Verhandlungstag sowie die Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten pp wegen Verhandlungsunfähigkeit „auf unabsehbare Zeit“ zu entnehmen…..“

Der Entscheidung ist – wie gesagt – teilweise zuzustimmen, teilweise aber auch zu widersprechen.

Zuzustimmen ist der grundsätzlichen Aussage des OLG zu den für den Terminsvertreter entstehenden Gebühren. Es ist zutreffend, wenn sich das OLG der insoweit herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur anschließt (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).

2. Aber: Das war es dann aber auch schon. Denn nicht folgen kann man m.E. dem OLG hinsichtlich seiner Begründung, warum eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG nicht entstanden sein soll. Zwar beschränkt das OLG seine Ausführungen auf den vorliegenden Fall, wenn es mit „im vorliegenden Fall“ formuliert. Aber unabhängig davon sind die Ausführungen nicht zutreffend. Denn die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG ist auf jeden Fall entstanden. Das OLG übersieht nämlich, dass nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und jeweilige Verfahrensgebühr immer nebeneinander entstehen (vgl. zur Grundgebühr Burhoff AGS 2022, 433 m.w.N.). Dabei kommt es auf den Umfang der jeweiligen Tätigkeit beim Pflichtverteidiger, mit dem wir es hier zu tun haben, nicht an. Denn er erhält unabhängig vom Umfang der von ihm erbrachten Tätigkeiten Festgebühren, die mit Erbringung der ersten Tätigkeit für den Mandanten entstehen. Und das OLG irrt bzw. wählt den falschen Ansatz, wenn es für die Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG allein darauf abstellt, was in dem Termin am 26.09.2022 geschehen ist. Das ist unerheblich, da diese Tätigkeiten durch die Terminsgebühr Nr. 4112 VV RVG abgegolten werden. Alle übrigen Tätigkeiten werden aber durch Grundgebühr- bzw. Verfahrensgebühr abgegolten. Und das ist eben nicht nur, wie das OLG offenbar meint, die Vorbereitung auf eine Beweisaufnahme, sondern jede zusätzliche Tätigkeit die vom Rechtsanwalt  erbracht wurde. Ausreichend sind eine Gespräch mit dem eigentlichen Pflichtverteidiger über die Übernahme der Vertretung im Termin, ein Gespräch mit dem Mandanten, das im Zweifel vor der dem Hauptverhandlungstermin geführt worden ist, usw. Dass es sich dabei um nur geringe Tätigkeiten handelt, ist wegen der Festgebührencharakter der Pflichtverteidigergebühren ohne Bedeutung. Daher hätte hier die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG auch festgesetzt werden müssen. Die Entscheidung des LG war zutreffend. Dort hatte man offenbar mal in einen Kommentar geschaut. 🙂

Pflichtverteidiger „nur“ bei Haftbefehlsverkündung, oder: Manche OLG können es :-)

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Und dann heute am Weltfrauentag nichts zu Frauen uns so, sondern, da Freitag ist, natürlich RVG. Und ich nehme auch zwei „richtige“ Entscheidungen, es soll sich ja heute niemand ärgern. Und aus Anlass des Weltfrauentages beginne ich mit einer Entscheidung, die mir eine Kollegin aus Bonn geschickt hat, nämlich mit dem OLG Köln, Beschl. v. 24.01.2024 – 3 Ws 50/23.

Es geht mal wieder um die Gebühren des Terminsvertreter des Pflichtverteidigers „nur“ bei einer Haftbefehlsverkündung. Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten erging durch das AG Ingolstadt am 08.03.2023 u.a. wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags Haftbefehl. Hierauf wurde er am 28.03.2023 vorläufig festgenommen und am Folgetag dem AG Bonn vorgeführt. Nach Anhörung des bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht verteidigten Angeklagten beschloss das AG in dem Vorführungstermin die Beiordnung der Kollegin gemäß § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO „für den heutigen Termin als Pflichtverteidigerin“ und für das weitere Verfahren gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO diejenige eines anderen Kollegen. Im Termin erklärte die Kollegin für den Angeklagten, es würden zu den Tatvorwürfen keine Angaben gemacht, und machte Ausführungen zum ihrer Auffassung nach Nichtvorliegen des Haftgrundes.

Die Kollegin hat dann an Gebühren aus der Staatskasse verlangt eine Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG und eine Verfahrensgebühr Nr.  4105 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer. Die Urkundsbeamtin des AG Bonn hat demgegenüber lediglich festgesetzt eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer. Dagegen hat die Kollegin Erinnerung eingelegt, die das AG zurückgewiesen hat. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde hat das LG dem Festsetzungsantrag entsprochen und zudem die weitere Beschwerde zugelassen. Dagegen dann die – natürlich, denn es kann ja nicht sein, dass es bei der (richtigen) Entscheidung verbleibt – die weitere Beschwerde der Bezirksrevisorin beim LG. Die Vertreterin der Landeskasse – beim OLG – hat sich aber der Auffassung des LG angeschlossen, dass die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abzurechnen seien. Und das das OLG hat die weitere Beschwerde der Landeskasse verworfen:

„1. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass Rechtsanwältin E. ihre Tätigkeit nach den in Teil 4 Abschnitt 1 der Anlage 1 zum RVG aufgeführten Gebührentatbeständen abrechnen kann, und eine weitere Vergütung in Höhe von 423,64 EUR festgesetzt.

a) Die von der Rechtsanwältin im Rahmen der Wahrnehmung des Haftverkündungstermins vom 29.03.2023 entfalteten Handlungen sind nicht lediglich als Einzeltätigkeit im Sinne von Anl. 1 Teil 4 Abschnitt 3 RVG, namentlich nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Ziff. 4301 anzusehen, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 des vorbezeichneten Vergütungsverzeichnisses.

aa) In rechtlicher Hinsicht gilt dabei:

(1) Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG regelt die Vergütung des Verteidigers. Diese ist dabei unabhängig davon zu bemessen, ob die Verteidigung als Wahl- und Pflichtverteidigung durchgeführt wird. Liegt ein Verteidigungsverhältnis vor, macht es grundsätzlich auch keinen Unterschied, ob sich die Tätigkeit – insbesondere in den Fällen des sog. „Terminsvertreters“ – auf die Wahrnehmung eines einzelnen Termins beschränkt. Dies gilt für die Fälle der Pflichtverteidigung auch dann, wenn sich die vorangegangene Bestellung durch das Gericht nur auf einen bestimmten Termin bezogen hat. Dies hat das Oberlandesgericht Köln bereits für die auf einen einzelnen Hauptverhandlungstag beschränkte Beiordnung eines Pflichtverteidigers entschieden (Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10, juris). Dieser Rechtsprechung des 2. Strafsenats schließt sich der Senat an. Auch wenn sich die Wahrnehmung der Pflichtverteidigung auf einen oder mehrere einzelne Termine beschränkt, begründet die Beiordnung ein eigenständiges Beiordnungsverhältnis, in dessen Rahmen der Pflichtverteidiger die Verteidigung umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine gebührenrechtlich unterschiedliche Behandlung dieses Verteidigers gegenüber dem Hauptverteidiger würde dem nicht gerecht und ließe eine Entwertung des Instituts der Pflichtverteidigung und damit einhergehend des Rechtes des Angeklagten auf eine effektive, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Verteidigung besorgen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10, juris Rn. 6; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008 – 4 Ws 140/08, NStZ-RR 2009, 32; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2008 – 3 Ws 281/08, NJW 2008, 2935).

(2) Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Verteidigung im Rahmen der Hauptverhandlung, sondern auch für andere Tätigkeiten wie vorliegend die Verteidigung im Rahmen einer Haftbefehlseröffnung nach § 115 StPO (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2023 – 1 Ws 105/23, StraFo 2023, 335). Soweit aus der von der Bezirksrevisorin angeführten Entscheidung des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 15.05.2007 (2 Ws 189/07, juris) anderes folgen sollte, schließt sich der Senat dem nicht an. Es besteht kein sachlich gerechtfertigter Anlass, die Verteidigung im Verfahren nach § 115 StPO gebührenrechtlich anders zu beurteilen als eine solche im Rahmen der Hauptverhandlung. Das Verfahren nach § 115 StPO ist kein formalistischer Selbstzweck. Es trägt dem hohen Rang des von der Haftanordnung betroffenen, grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechtes Rechnung und stellt sicher, dass der Beschuldigte möglichst schnell von dem Richter über die Grundlagen des Haftbefehls unterrichtet wird und Gelegenheit erhält, sich sowohl gegen den Tatvorwurf als auch die Annahme von Haftgründen zu verteidigen (KK-StPO/Graf, 9. Aufl., § 115 Rn. 1a). Dieser Bedeutung entsprechend ist das Verfahren nach § 115 StPO seiner Natur nach zwingend und der Verzicht des Beschuldigten auf dessen Einhaltung nur in besonderen Fällen möglich (vgl. BeckOK StPO/Krauß, 49. Ed., § 115 Rn. 4 mwN; KK-StPO/Graf, 9. Aufl., § 115 Rn. 6; LR/Lind, StPO, 27. Aufl., § 115 Rn. 11). Der gebührenrechtlichen Gleichbehandlung der Verteidigungstätigkeit im Verfahren nach § 115 StPO mit derjenigen in der Hauptverhandlung steht auch nicht entgegen, dass sich Vorführungen nach § 115 StPO oftmals in der Verkündung des Haftbefehls nebst entsprechender Belehrung erschöpfen und nur von kurzer Dauer sind. Dem hat der Gesetzgeber gebührenrechtlich durch die Ausgestaltung der Voraussetzungen Rechnung getragen, unter denen nur die Terminsgebühr nach Ziff. 4102 Nr. 3 VV RVG anfällt (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 223). Ist absehbar, dass sich die Vorführung des Beschuldigten nach § 115 StPO auf die Verkündung des Haftbefehls und die erforderlichen Belehrungen durch das Gericht beschränken wird, kann der gebotenen Bestellung eines Pflichtverteidigers in geeigneten Fällen bei Verhinderung des Hauptverteidigers auch dadurch Rechnung getragen werden, dass dem Beschuldigten zunächst Gelegenheit zur telefonischen Rücksprache mit dem von ihm gewünschten Hauptverteidiger gegeben wird und beide auf die Teilnahme eines Verteidigers zu dem Termin nach § 115 StPO verzichten. Jedenfalls für diese Fälle ist die Bestellung eines Terminsvertreters bzw. die Bestellung eines weiteren Verteidigers neben dem Hauptverteidiger nicht geboten (vgl. zu der Frage der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers im Fall des § 115 StPO auch MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 115 Rn. 34 ff. mwN, § 128 Rn. 27; vgl. zu dieser Frage auch BGH, Beschluss vom 14.08.2019 – 5 StR 228/19, BeckRS 2019, 21921 [zu § 141 Abs. 3 StPO aF]). Denn im Rahmen des § 115 StPO besteht zwar gemäß § 168c Abs. 1 Satz 1 StPO das Recht auf Anwesenheit eines Verteidigers, aber keine Pflicht zu dessen Teilnahme. Ob der Senat im Übrigen der Auffassung folgen könnte, dass die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers neben dem von dem Beschuldigten gewünschten und seitens des Gerichts bestellten Hauptverteidigers stets ohne Weiteres schon dann erforderlich ist, wenn dieser Verteidiger verhindert ist und der Beschuldigte gleichwohl auf die Anwesenheit im Rahmen des Vorführtermins besteht, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

bb) Vorliegend entfaltete Rechtsanwältin E. nach alledem entgegen der Auffassung der Bezirksrevisorin nicht lediglich eine Beistandsleistung im Sinne von Ziff. 4301 Nr. 4 VV RVG. Vielmehr war sie durch das Amtsgericht Bonn ausdrücklich zur Pflichtverteidigerin bestellt und in dieser Funktion tätig geworden….“

Tja, manche OLG können es 🙂 . Denn die Entscheidung ist richtig. Den Ausführungen des Senats ist nichts hinzuzufügen außer dem Hinweis darauf, dass außer dem OLG Zweibrücken, dessen Entscheidung das OLG anführt, noch weitere Gerichte in dem zutreffenden Sinn entschieden haben (vgl. u.a. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023. 195; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20 ; LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.4.2023 – 1 Qs 76/23, AGS 2023, 219; LG Tübingen, Beschl. v. 6.2.2023 – 9 Qs 25/23, AGS 2023, 238; AG Halle (Saale), Beschl. v. 20.5.2022 – 398 Gs 540 Js 594/22 (259/22), AGS 2022, 311; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 3.3.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22,AGS 2023, 217. Die Entscheidungen waren auch alle hier im Blog.

Auf zwei Punkte will ich dann aber doch hinweisen:

Offen bleiben kann hier m.E. die Frage, ob die Ausführungen des OLG zur Anwesenheit des Pflichtverteidigers bei einer Haftvorführung und zum Recht und der Möglichkeit des Beschuldigten auf die Anwesenheit so zutreffend sind. Das kann man auch anders sehen.

Erfreut nimmt man aber im Übrigen zur Kenntnis, dass auch die Vertreterin der Landeskasse beim OLG die zutreffende Sicht der Dinge hatte und den Ausführungen des LG im Rahmen der Anhörung durch den Senat des OLG beigetreten ist. Sollte insoweit tatsächlich ein Umdenken bei den Vertretern der Justiz einsetzen? Das wäre zu begrüßen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die richtige Rechtanwendung, sondern vor allem auch darauf, dass dann manche Rechtsmittelentscheidung überflüssig würde. Das setzt allerdings voraus, dass sich die Instanzgerichte und vor allem auch die Vertreter der Landeskassen in der Instanz dem anschließen. Die Hoffnung stirbt insoweit zuletzt.

Und zur Feier des Tages gibt esd ann auch ein neues Bild 🙂 .

Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistands, oder: LG Duisburg macht es auch falsch….

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Und heute am RVG-Tag zwei „Entwicklungspostings“, d.h. also zwei Beiträge, die Rechtsmittelentscheidungen zu hier vorgestellten Entscheidungen enthalten. Also: Entwicklung der Sache 🙂 . Die eine hat sich zum Guten, die andere zum Schlechten entwickelten. Fangen wir mit der schlechten Entwicklung an.

Dabei handelt es sich um den AG Duisburg-Hamborn, Beschl. v. 12.11.2021 – 14 Ls-293 Js 915/19-23/20, den ich im Februar 2022 hier vorgestellt hatte (vgl. Wenn der Zeugenbeistand wie ein Verteidiger agiert, oder: Dann auch Abrechnung wie ein Verteidiger).  Das war ein m.e. schön begründeter AG-Beschluss, der dargelegt hatte, warum insbesondere in dem Fall, die Tätigkeit eines Zeugenbeistandes wie die eines Verteidigers abgerechnet werden muss. Also Abrechnung nach Teil v Abschnitt1 VV RVG.

Die Frage ist, wie man weiß, ja nun nicht unbestritten. Und die Vertreter der Staatskasse sehen das naturgemäß anders. Zeugenbeistand meinetwegen ja, aber den bloß nicht für seine Tätigkeit gut bezahlen. Daher lassen solche schönen AG-Entscheidungen die Staatskasse natürlich nicht ruhen und man legt Rechtsmittel ein

Und: Man hat damit dann auch noch Erfolg. Das LG Duisburg hat nämlich im LG Duisburg, Beschl. v. 22.02.2022 – 31 Qs 9/22, 31 Qs 10/22 und 31 Qs 11/22 – den schönen AG-Beschluss aufgehoben. man weiß es mal wieder besser. Das legt man wortreich dar, wobei es kaum eigene Argumente gibt. Man zitiert die (falsche) Auffassung anderer Gerichte. Daher erspare ich mir, den Beschluss hier teilweise einzustellen. Wer mag, kann im verlinkten Volltext nachlesen.

Für mich ist dieser Eiertanz um die Gebühren des Zeugenbeistands nicht nachvollziehbar. Man kann nicht einerseits als Gesetzgeber immer wieder laut „Opferschutz“ schreien, den Zeugenbeistand einführen und seine Stellung stärken, bei den Gebühren dann aber kneifen und ihn mies entlohnen (wollen). Ich räume ja ein, dass der Bundesgesetzgeber immer mal wieder Versuche gemacht hat, das zu ändern, dann aber immer vor den Ländern gekniffen hat, die auf ihre leeren Kassen verwiesen haben. So zuletzt noch durch die Änderung der Vorbem. 5 Abs. 1 VV. Vielleicht findet sich ja mal eine BMJ, der genügend Mumm hat, sich solcher Dinge anzunehmen. Von dem jetztigen erwarte ich das allerdings nicht.

Was verdient der „Vertreter“ des Pflichtverteidigers?, oder: Wird er „fürstlich entlohnt“?

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Im zweiten Posting geht es u.a. auch um die Vernehmungstermingebühr, und zwar im Zusammenhnag mit der Frage: Welche Gebühren entstehen für den Verteidiger, der nur für einen Hafttermin beigeordnet worden ist. Ist das nur eine Einzeltätigkeit oder ist das voller Auftrag mit der Folge, dass nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet wird.

Dazu habe ich hier jetzt drei Entscheidungen: Zwei machen es richtig, eine macht es falsch.

Zunächst die beiden richtigen, nämlich der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.02.2023 – 2 Ws 13/23 – und der LG Tübingen, Beschl. v. 06.02.2023 – 9 Qs 25/23.

Hier die Leitsätze:

    1. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht nur auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG.
    2. Der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG entsteht auch dann, wenn der Beschuldigte zunächst nur vorläufig festgenommen wurde.

Auch der notwendige Verteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts einer zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nicht in Betracht.

Ich zitiere wegen der Begründung aus den überzeugenden Ausführungen des OLG Karlsruhe – so habe ich übrigens schon immer argumentiert:

„b) Nach anderer, vom Senat für zutreffend erachteter Auffassung, beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2008, 2935; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.10.2008 – 1 Ws 318/08 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2006 – 3 Ws 586/05 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, BeckRS 2010, 16664; OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223; OLG München, a.a.O.; OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; OLG Jena, Beschluss vom 14.04.2021 – (S) AR 62/20 -, BeckRS 2021, 9651).

Denn dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die StPO nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; StV 2011, 650 und Beschluss vom 15.01.2014 – 4 StR 346/13 -, juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15.01.2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungs-verhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht aber die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (so das OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.02.2011 – 4 Ws 195,10 -, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen. Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers (zeitlich beschränkt) bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist aus-schließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

A.A. ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.01.2023 – 4 Ws 13/23 – mit folgendem Leitsatz:

Der einem Beschuldigten für die Haftprüfung beigeordnete Rechtsanwalt verdient nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit.

Anzumerken ist Folgendes:

OLG Karlsruhe und LG Tübingen machen es es richtig, OLG Stuttgart falsch. Dazu ist nichts weiter zu sagen. Als Verteidiger muss man dann darauf achten, alle Gebühren geltend zu machen, also auch die Verfahrensgebühr, da die nach der Anm. zur Nr. 4100 VV RVG immer neben der Grundgebühr entsteht. Also auch in diesen Fällen.

Ob es sich dann aber schon – wie das LG Tübingen meint – „vorliegend um eine „geradezu fürstliche und vom Gesetzgeber sicher nicht gewollte Honorierung der Tätigkeit des Rechtsanwalts“ handelt, ist in meinen Augen mehr als zweifelhaft. Ich frage mich bei solchen Formulierungen auch immer, was das soll? Denn, wenn das dort entscheidende Mitglied der Strafkammer, der Pflichtverteidiger werde „geradezu fürstlich entlohnt“, dann ist ihm zu erwidern, dass gerade die Frage der ausreichenden Honorierung des Pflichtverteidigers höchst fraglich und sicherlich nicht unter Berücksichtigung der Festbetragsgebühren „fürstlich“ ist. Im Übrigen hätte es dem Mitglied der Strafkammer ja frei gestanden, als Rechtsanwalt/Verteidiger tätig zu werden. M.E. sind solche Formulierungen daher mehr als überflüssig.

Umfangreiche Tätigkeiten des Zeugenbeistandes, oder: Passt der gesetzgeberische Beschränkungsgedanke?

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Die zweite Entscheidung zu Gebühren ist eine Pauschgebührentscheidung (§ 51 RVG), und zwar betreffend einen Zeugenbeistand.

Hier was der Rechtsanwalt durch das OLG als Beistand eines Zeugen. Der Zeuge, der sich im Zeugenschutzprogramm befand, wurde in der Zeit vom 28.07.2022 bis zum 23.11.2022 an zwölf Tagen in der Hauptverhandlung vernommen. Während die letzte Vernehmung nach zweieinhalb Stunden beendet war, dauerten eine Vernehmung länger als drei Stunden, eine Vernehmung länger als vier Stunden, eine Vernehmung länger als fünf Stunden, vier Vernehmungen jeweils länger als sechs Stunden und weitere vier Vernehmungen jeweils länger als sieben Stunden

Nach der Entlassung des Zeugen hat der Rechtsanwalt die Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von 12.000 EUR beantragt. Er hat seinen Antrag mit der Bedeutung der Aussage des gefährdeten und deshalb geschützten Zeugen für das Verfahren sowie die dadurch erschwerte Kommunikation mit dem Zeugen begründet. Schließlich habe sich die Vernehmung des Zeugen über zwölf Verhandlungstage erstreckt, in denen bei einem entsprechend eingebundenen Pflichtverteidiger Gebühren in Höhe von 8.213 EUR netto entstanden wären.

Die Bezirksrevisorin bei dem OLG hat grundsätzlich eine Erhöhung der nach ihrer Ansicht entstandenen gesetzlichen Gebühr von 220 EUR (Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG) je nach Dauer der Zeugenvernehmung um 100 bis 400 EUR je Verhandlungstag für angemessen gehalten, mithin um insgesamt 3.200 EUR. Sie ist jedoch mit Blick auf die Anzahl der Vernehmungstage und die Dauer der jeweiligen Vernehmungen auch einer darüber hinausgehenden angemessenen Erhöhung der gesetzlichen Vergütung nicht entgegen.

Das OLG Dresden hat mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 03.01.2023 – 4 St 2/21 – eine Pauschgebühr in Höhe von 8.000 EUR bewilligt:

„Der zulässige Antrag auf Festsetzung einer Pauschgebühr erweist sich in dem aus der Be-schlussformel ersichtlichen Umfang als begründet; im Übrigen war er zurückzuweisen.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache bzw. des betroffenen Verfahrensabschnitts nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben. Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zu Grunde zu legen. Entscheidend ist, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich war und infolge dieses Um-fangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Rechtsanwaltes erforderlich geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2015 – 4 StR 267/11 -, juris m.w.N.)

Diese Voraussetzungen sind in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang erfüllt.

Die in der Stellungnahme der Bezirksrevisorin wiedergegebene grundsätzliche Auffassung entspricht ständiger Rechtsprechung der Strafsenate des Oberlandesgerichts Dresden, soweit diese in der Vergangenheit die Tätigkeit des Zeugenbeistandes als Einzeltätigkeit gewertet haben (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 10. Dezember 2021 — 6 Ws 42/21 —, juris).

Im vorliegenden Fall erscheint jedoch auch die nach diesen Grundsätzen zuzuerkennende Er-höhung nicht mehr als angemessen. Dem gesetzgeberischen Grundgedanken, den Zeugen-beistand als auf die Vernehmung beschränkt anzusehen und deshalb nicht wie einen Verteidiger zu vergüten, kommt vorliegend mit Blick auf die Anzahl der Vernehmungstage und die Dauer der Vernehmungen nur noch untergeordnete Bedeutung zu. Vielmehr ist maßgeblich, dass die Vernehmungen überwiegend jeweils nahezu den vollständigen Verhandlungstag in Anspruch genommen haben und sich der Zeuge über zwölf Verhandlungstage hinweg der Befragung durch den Senat, die Bundesanwaltschaft, acht Verteidiger und die Nebenklägervertreter zu verschiedenen Komplexen ausgesetzt gesehen hat. Der Zeuge befand sich zudem aufgrund seiner bereits im Verfahren vor der Polizei gemachten Aussagen im Zeugenschutzprogramm. Die Kommunikation des Beistandes mit seinem Mandanten war deshalb in besonderem Maße erschwert.

Auch wenn der Zeugenbeistand vor diesem Hintergrund einem Verteidiger nicht vollständig gleichsteht, erscheint es gleichwohl geboten, sich bei der Bemessung einer Pauschgebühr an den Gebühren eines entsprechend tätigen Pflichtverteidigers zumindest zu orientieren.

Insgesamt erscheint es daher sachgerecht, eine Pauschgebühr in Höhe von insgesamt 8.000,00 EUR zu bewilligen.“

Vorab: Die gewährte Pauschgebühr ist nicht zu beanstanden, wenn man den Zeitaufwand des nach § 68b StPO beigeordneten Zeugenbeistandes sieht. Aber: Aus der Entscheidung wird nicht so ganz klar, wovon das OLG nun ausgeht. Geht man davon aus, dass die Tätigkeit des Zeugenbeistands auch hier – trotz des erheblichen Umfangs – noch eine Einzeltätigkeit war und somit nur eine Gebühr Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG angefallen ist, sind nur 220 EUR angemessen zu erhöhen? Oder sieht man es wie das OLG Stuttgart (StRR 2010, 357 = RVGreport 2010, 340 = Justiz 2011, 367), das nicht mehr von einer Einzeltätigkeit ausgeht, wenn nach Art der übertragenen und tatsächlich ausgeübten Tätigkeit eine faktisch umfassende Vertretung des Zeugen vorliegt?

Für letzteres dürfte die Höhe der gewährten Pauschgebühr sprechen. Denn geht man von einer Einzeltätigkeit aus, dann hätte an sich unter Anwendung der Grundsätze der OLG-Rechtsprechung (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, § 51 Rn 54 ff.) nur eine Pauschgebühr in Höhe der Wahlanwaltshöchstgebühr bewilligt werden können. Das wären 506,00 EUR gewesen, wenn man davon ausgeht, was die h.M. tut, dass es sich trotz der sich über mehrere Vernehmungstermine erstreckenden Vernehmung nur um eine Einzeltätigkeit gehandelt hat (vgl. die Nachw. bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 2627). Die bewilligte Pauschgebühr würde dann sicherlich den „Rahmen sprengen“. Geht man hingegen von einer „verteidigerähnlichen“ Stellung aus, dann sind für den Zeugenbeistand die Gebühren Nr. 4100 ggf. Nr. 4104, 4118 VV RVG und die entsprechenden Terminsgebühren Nr. 4120 VV RVG , diese ggf. mit Längenzuschlag und Haftzuschlägen entstanden, also die vom Zeugenbeistand errechneten 8.213 EUR. Die Pauschgebühr würde dann unter den gesetzlichen Gebühren liegen, was der Regelung in § 51 Abs. 1 Satz 2 RVG widersprechen würde.

Es wäre schön gewesen, wenn das OLG klar „Farbe bekannt“ hätte. So lässt es den Leser etwas ratlos zurück.