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Historischer Gesetzgeber wollte Teil 4 Abschnitt 1 VV, oder: Aber egal, wir machen es anders

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Und dann heute im RVG-Topf zwei Entscheidungen zum Zeugenbeistand, einem gebührenrechtlichen Dauerbrennner.

Zunächst stelle ich den LG Dresden, Beschl. v. 11.04.2022 – 15 Qs 29/21 –,  der noch einmal bekräftigt, dass die Tätigkeiten nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, also also als Einzeltätigkeit abgerechnet werden sollen. M.E. falsch, aber man wird müde gegen diesen Unsinn anzuschreiben. Richtig erkannt hat das LG, dass der „historische Gesetzgeber“ eine andere Abrechnung im Auge hatte, aber, was soll es. Man macht es trotzdem anders:

„2. Die Kammer schließt sich der inzwischen wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung an, nach der von einer Einzeltätigkeit des Zeugenbeistands auszugehen ist, vgl. OLG Dresden Beschlüsse vom 30.08.2019, 1 WS 220/19 und vom 17.12.2007, 3 Ws 84/07, juris und die umfänglichen Zitate bei LG Leipzig Beschl. v. 11.1.2021 – 701 Js 17306/17, BeckRS 2021, 41479, Rn 17.

Einzuräumen ist, dass die historische Auslegung zu dem Ergebnis kommt, dass der Gesetzgeber den Beistand gleich dem Verteidiger vergüten wollte und gerade nicht die Vergütung nach Abschnitt 3 des 4. Teils, BT DrS 15/1971 S. 220 f., 230. Dass die begehrte Klarstellung (BT DrS 17/11471 S. 281) im 2. KostRMoG am Bundesrat scheiterte (Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2012, BR DrS 517/12 S. 91), ändert nichts an der ursprünglichen Intension (anders offenbar OLG Dresden, Beschluss vom 10.12.2021, 6 Ws 42/21, juris).

Die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers, dass die Gleichstellung von Verteidiger und Beistand sachgerecht sei, weil die Gebührenrahmen ausreichend Spielraum böten, den konkreten Arbeitsaufwand abzubilden (BT DrS 15/1971 S. 220), hat sich nach Einschätzung der Kammer allerdings nicht bestätigt. Weitaus regelmäßiger als die Opferbegleitung scheint die Beistandschaft heute der Durchsetzung des Schutzes des § 55 StPO zu dienen und ist regelmäßig mit einer Beiordnung verbunden, die nach VV RVG zu einer fixen Gebühr führt, ohne dass die Gebühr dem Aufwand nach aus dem Rahmen entnommen würde. In den meisten Fällen ist die Gleichstellung mit der Vergütung des Verteidigers daher nicht sachgerecht. Insofern ist die bereits zitierte Stellungnahme des Bundesrates vom 12.10.2012, die die begrenzten prozessualen Mittel des Zeugenbeistandes referiert, inhaltlich zutreffend.

Die Kammer kann ihre Auffassung auf den Wortlaut stützen, denn die Vorbemerkung 4 Abs. 1 des VV RVG unterstellt die Vergütung des Beistandes dem „Teil“, mithin auch Abschnitt 3. Vergleichbar ist die Tätigkeit des Zeugenbeistandes ihrer Art nach regelmäßig eher mit einer Einzeltätigkeit als dem Wirken als Verteidiger. Es gibt keinen Vorrang der historischen Auslegung vor den anderen Auslegungstopoi.

Die Position der Kammer bleibt (inzwischen) auch innerhalb der Systematik des VV: Falls die Gebühr nach Nr. 4301 wegen hohen Aufwandes (zB mehrere Sitzungstage) unangemessen wird, kann eine Pauschgebühr festgesetzt werden. Der Widerspruch zu Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV ist jedenfalls zum 1.1.2021 durch die Angleichung an die Vorbemerkung 4 Abs. 1 entfallen (G v. 21.12.2020, BGBl. I S. 3229). Die Bundesregierung hat im Gesetzentwurf ausgeführt: „Da der Zeugenbeistand nach § 68b Absatz 2 StPO nur für Dauer der Vernehmung beigeordnet wird, behandelt die herrschende Meinung den beigeordneten Zeugenbeistand vergütungsrechtlich nicht wie Verteidigerinnen und Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, sondern wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die in einem Strafverfahren eine Einzeltätigkeit ausüben (Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG).“ BT DrS 19/23484, S. 87. Weiter heißt es dort: „Die Regelungen in Vorbemerkung 4 Absatz 1 VV RVG und in Vorbemerkung 5 Absatz 1 VV RVG sollen daher angeglichen werden. Im Hinblick darauf, dass die Beiordnung durch § 68b Absatz 2 StPO ausdrücklich auf die Dauer der Vernehmung beschränkt ist, erscheint es sachgerecht, den Zeugenbeistand wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu vergüten, die keine Verteidiger sind und nur eine Einzeltätigkeit ausüben.“ Insoweit kann der Gesetzgeber inzwischen mit der durch die Gerichte gefundenen Auslegung leben.“

Und dieser Blödsinn mit der Pauschvergütung an der Stelle, der wird durch dauernde Wiederholungen auch nicht besser. Denn wir wissen alle, wie die OLG – häufig – mit den Pauschvergütungen umgehen.

Tätigkeit des Zeugenbeistands ist Einzeltätigkeit, oder: Danke BMJV für die Vorlage

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Und dann heute am „Weltkuscheltag“ 🙂 , einem Freitag, natürlich auch RVG-Entscheidungen.

Die erste Entscheidung, die ich vorstelle, ist aber leider gar nicht kuschelig. Das OLG Dresden hat im OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2021 – 6 Ws 42/21 – noch einmal/mal wieder zu den Gebühren des Rechtsanwalts für die Tätigkeit als Zeugenbeistand Stellung genommen. Leider falsch, das das OLG von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ausgeht:

„Das Landgericht hat die Tätigkeit des Zeugenbeistandes zu Recht als Einzeltätigkeit bewertet, für die lediglich die Gebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG entstanden ist.

Die Frage, ob der nach § 68b StPO beiordnete Zeugenbeistand wie ein Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu vergüten ist oder lediglich die Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG beanspruchen kann, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.

Mit der Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG („Für die Tätigkeit als Beistand … sind die Vorschriften entsprechend anzuwenden“) war unklar geblieben, ob der nach § 68b StPO beigeordnete Rechtsanwalt die Gebühren eines Verteidigers nach Abschnitt 1 oder eine Einzeltätigkeit nach Abschnitt 3 abrechnen konnte. Vereinzelt wurde vor diesem Hintergrund in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers die Gebühren eines Verteidigers entstehen würden (vgl. nur OLG Dresden – 2. Strafsenat -, Beschluss vom 6. November 2007 – 2 Ws 495/06 – und vom 6. November 2008 – 2 Ws 103/08 -, juris m.w.N.). Ausweislich der Begründung des zugrundeliegenden Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts sollten erstmals auch im Strafverfahren die Gebühren des Rechtsanwalts für seine Tätigkeit als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen gesetzlich geregelt werden. Die Gleichstellung mit dem Verteidiger sah der Gesetzgeber als sachgerecht an, weil die Gebührenrahmen ausreichend Spielraum bieten würden, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen. Bei der Bestimmung der konkreten Gebühr werde sich der Rechtsanwalt als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen an dem üblichen Aufwand eines Verteidigers in einem durchschnittlichen Verfahren messen lassen müssen (BT-Drs. 15/1971, Seite 220).

Wie das Landgericht weiter zutreffend ausführt, ist der Versuch, den Meinungsstreit durch eine Klarstellung im Gesetzgebungsverfahren zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zu beenden, gescheitert. Nach dem dort zugrunde liegenden Entwurf der Bundesregierung sollte der gesetzgeberische Wille durch eine klarstellende Formulierung der Vorbemerkung 4 Abs. 1, die der Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG folgt, deutlicher zum Ausdruck gebracht werden [BT-Drs. 17/11741 (neu), Seite 281]. Die Vorbemerkung 5 Abs. 1 zu Teil 5 (Bußgeldsachen) lautete seinerzeit: „Für die Tätigkeit als Beistand … eines Zeugen … entstehen die gleichen Gebühren wie für einen Verteidiger in diesem Verfahren“. Diese Klarstellung ist indes am Widerstand des Bundesrates gescheitert, der es nicht für sachgerecht hielt, für die begrenzte Tätigkeit eines Zeugenbeistandes die gleichen Gebühren anzusetzen wie für das Wirken als Verteidiger (BR-Drs. 517/1/12, Seite 94 f.).

Bereits damit konnte nicht mehr von einem gesetzgeberischen Willen ausgegangen werden, den Zeugenbeistand wie einen Verteidiger zu vergüten, sondern der Gesetzeswortlaut und die Verlautbarungen des Gesetzgebers ließen auch eine Vergütung als Einzeltätigkeit zu.

Den Widerspruch zur Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG, hat der Gesetzgeber schließlich mit der Begründung zum Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I, 3229) aufgelöst. Mit dem Gesetz ist die Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG ihrerseits an die unverändert gebliebene Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG angeglichen worden. Zur Begründung hat der Gesetzgeber angeführt, dass im Hinblick darauf, dass die Beiordnung durch § 68b Abs. 2 StPO ausdrücklich auf die Dauer der Vernehmung beschränkt ist, es sachgerecht erscheine, den Zeugenbeistand wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu vergüten, die keine Verteidiger sind und nur eine Einzeltätigkeit ausüben (BT-Drs. 19/23484, Seite 87). Für die Annahme, der Zeugenbeistand sei wie ein Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu vergüten, ist danach kein Raum mehr (vgl. auch unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung OLG Dresden – 2. Strafsenat -, Beschluss vom 15. Februar 2021 – 2 Ws 20/21).2

War klar, dass die Argumentation mit der Änderung/Anpassung der Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG kommen würde. Danke BMJV. Aber das macht die Entscheidung und die Auffassung, die für Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG plädiert, nicht richtig(er). Die Zeugenbeistände dürfen sich gern beim BMJV bedanken. Ich verstehe nicht, warum man nicht endlich die Regelungen so trifft, wie sie 2004 gedacht waren.

Mein Aufreger der Woche ist diese Woche schon da, oder: Für 10 Termine als Zeugenbeistand 220 EUR

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Es ist noch nicht einmal Montag, High Noon, und ich habe schon meinen Aufreger der Woche. Worum geht es? Klar, es kann nur um Gebühren gehen. Was sonst? Und zwar:

Mich erreicht gerade die Mail eines Kollegen, der mir folgenden Sachverhalt mitteilt: Er ist vom Vorsitzenden einer Strafkammer zum Zeugenbeistand bestellt worden, und zwar „ für die Dauer der Vernehmung des Zeugen pp. und aller mit ihr in enger Verbindung stehenden Angelegenheiten“. Die Vernehmung war auf 10 Hauptverhandlungstermine terminiert. Nachdem die Vernehmung beendet ist, hat der Kollege seine Gebühren gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Er hat, was richtig ist, Grundgebühr, Verfahrensgebühr und 10 x Terminsgebühr abgerechnet.

Und dann? Nun, er bekommt – wie nicht anders zu erwarten – die Beanstandung der Rechtspflegerin, die ihm Folgendes mitteilt:

„werden Sie gebeten, die Kostenrechnung vom 31.08.2021 zu überprüfen und eine berichtigte Rechnung zu den Akten zu reichen:

Für die Vertretung bei der Dauer der Vernehmung des Zeugen pp. erhält der Beistand insgesamt nur die Einzeltätigkeitsgebühr Nr.4301 Nr.4 VV RVG in Höhe von 220,00 Euro nebst Reisekosten, §68b StPO, vgl. Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021 RVG VV 4301, Rn.14; OLG Düsseldorf lll-1Ws562/09.

Die Kosten sind insoweit zu reduzieren.“

Mal abgesehen davon, dass das der Rechtspflegerin schon sprachlich misslungen ist, es ist für mich unfassbar/unglaublich, und zwar:

1. Das Zitat „Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021 RVG VV 4301, Rn.14“ ist falsch bzw. es wird der falsche Eindruck erweckt, im „Gerold/Schmidt“ stehe an der Stelle, dass für die Tätigkeit des Zeugenbeistand nur eine Gebühr nach Nr. 4301 VV RVG an fällt. Das ist – wie gesagt – falsch. Ich bin mir da ganz sicher, weil ich Verfasser der Ausführungen bin. An der Stelle heißt es:

„Die VV 4301 Nr. 4 RVG für die Beistandsleistungen für den Beschuldigten oder einen sonstigen Verfahrensbeteiligten (vgl. VV Vorb. 4 Abs. 1 RVG). Das kann auch der Zeugenbeistand sein, wenn er (nach der hier vertretenen Ansicht) nur ausnahmsweise im Rahmen einer Einzeltätigkeit tätig wird; die wohl hM geht allerdings grds. von einer Einzeltätigkeit des Zeugenbeistands aus.1 Nimmt man bei der Tätigkeit des Zeugenbeistandes eine Einzeltätigkeit an, erstreckt sich die Beiordnung des RA als Zeugenbeistand gem. § 68b StPO auf die Dauer der Vernehmung des Zeugen und endet grds. erst mit dessen Entlassung. Wird daher die in einem Termin begonnene und mangels Entlassung des Zeugen noch nicht beendete Vernehmung in einem anderen Termin fortgesetzt, entsteht insgesamt nur eine Verfahrensgebühr nach VV 4301 RVG.2

Bei der Fußnote 1 wird dann u.a. verwiesen auf: „Zum Zeugenbeistand ? RVG VV Teil 4 Abschn. 1 Einl. Rn. 5 ff. mwN aus Rspr. und Lit. …….“.

Wenn sich die Rechtspflegerin mal die Mühe gemacht und dort nachgelesen hätte, dann hätte sie festgestellt, dass Gerold/Schmidt nicht ihrer Auffassung ist, aber, was auch wissenschaftlich sauber ist, die abweichende andere (falsche) Ansicht der OLG nicht unterschlägt, sondern sie anführt. Daraus dann aber zu entnehmen, dass der Verfasser der Auffassung sei, bei der Tätigkeit des Zeugenbeistands handele es sich um eine Einzeltätigkeit, ist – in meinen Augen „frech“.

2.2. Im Übrigen: Die Auffassung der Rechtspflegerin ist falsch. Dazu habe ich bereits vielfach geschrieben. So eben auch im Gerold/Schmidt oder auch in Burhoff7Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, RVG 6. Aufl. 2021, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff. m.w.N. Sollte man als Rechtspfleger(in), die mit solchen Dingen befasst ist, vielleicht dann doch mal lesen. Aber: Warum eigentlich? Ist ja nicht ihr Geld.

3. Ich habe dann mit dem Kollegen telefoniert und folgendes geraten:

3.1 Er wird seinen Festsetzungsantrag nicht reduzieren. Warum auch? Er ist richtig.

Er wird allerdings darauf hinweisen, dass die Formulierung der Beiordnung – „und aller mit ihr in enger Verbindung stehenden Angelegenheiten“ – und der Umfang von 10 Hauptverhandlungsterminen wohl auch nach der (falschen) Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung kaum noch als Einzeltätigkeit (!) bezeichnet werden kann.

3.2 Wenn, womit zu rechnen ist, die Rechtspflegerin unbelehrbar ist und bei ihrer Auffassung bleibt, wird der Kollege gegen die reduzierte Festsetzung der (Un)Summe von 220 EUR Rechtsmittel einlegen.

Vielleicht hat ja die Kammer ein Einsehen und setzt dann richtig fest. Dagegen wird dann aber der Hüter der Staatskasse Rechtsmittel einlegen, so dass die Sache dann beim OLG landet. Was dabei herauskommt, kann man sich vorstellen. Ein Beschluss, in dem es heißt: Haben wir immer so gemacht und machen wir auch weiter so. Aber du kannst ja nach § 51 RVG eine Pauschgebühr beantragen.

Das wird der Kollege dann tun und im Zweifel vom zuständigen OLG-Senat dann mitgeteilt bekommen: Die 220 EUR sind nicht unzumutbar. Und es handelt sich auch nicht um ein Sonderopfer. Dazu muss man z.B. nur hier schauen.

Und dann? Dann bleibt nur noch die Verfassungsbeschwerde. Aber auch da habe ich nach dem BVerfG, Beschl. v. 22.07.2019 – 1 BvR 1955/17 – wenig Hoffnung (dazu: 200 EUR für 9,5 Stunden sind nicht unzumutbar, oder: Zum Kotzen). Das BVerfG macht in Gebührensachen inzwischen fast alles mit. Leider. Also: Im Zweifel wird der Kollege auf seinen 220 EUR „sitzen bleiben“.

Warum regt mich das so auf: Nun, dieser Fall zeigt mal wieder deutlich, wie unsinnig die Rechtsprechung der OLG in dieser Frage ist. Es kann – und es darf – aber m.E. nicht sein, dass der (Pflicht)Zeugenbeistand ggf. für seine Tätigkeit mit einem Betrag von 220 EUR abgespeist werden soll.

Die OLG halten an dieser falschen Rechtsprechung seit Jahren fest. Und sie werden darin auch noch vom (Bundes)Gesetzgeber – hier dem BMJV – unterstützt. Das hat schon beim, 2. KostRMoG vor den Ländern gekniffen und nicht auf der damals geplanten Änderung der Vorbem. 4. 1 VV RVG und der darin enthaltenen Klarstellung zugunsten des Zeugenbeistandes bestanden. Beim KostRÄG 2021 hat man dann die Situation durch die Änderung der Vorbem. 5. 1 VV RVG noch verschlimmert. Warum eigentlich? Hat denn niemand mal den sprichwörtlichen „A……. in der Hose“ und bringt die erforderlichen Änderungen endlich auf den Weg und durch? Offenbar nicht, denn sonst hätte man schon längst etwas unternommen. Und wo sind eigentlich bei solchen Fragen mal der DAV oder die BRAK? Man hat von denen dazu bisher nichts gehört. Damit könnte/sollte man sich aber mal beschäftigen. Aber Gebühren in Straf- und Bußgeldsachen hat man nicht auf der Agenda. Man muss sich nur den Katalog der Änderungen durch das KostRÄG 2021 ansehen. Für mich unfassbar.

Tätigkeit als Zeugenbeistand ist Einzeltätigkeit, oder: Das haben wir schon immer so gemacht

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Und als zweite Entscheidung dann ein Beshcluss des KG zum Zeugenbeistand. Nichts Neues, sondern einer dieser „Zementbeschlüsse“ = „Das haben wir schon immer so gemacht“, so das KG im KG, Beschl. v.12.01.2021 – 1 Ws 67/20:

„Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Beistandsleistung des Rechtsanwalts für einen Zeugen bei dessen richterlicher Vernehmung als Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 W RVG zu vergüten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Januar 2007 — 1 Ws 2/07 —). Das Beschwerdevorbringen vermag daran nichts zu ändern. Nach der Vorbemerkung 4 Abs. 1 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG sind für die Bezahlung des Zeugenbeistands die Vorschriften in Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses entsprechend anzuwenden. Das bedeutet aber nicht, wie der Beschwerdeführer meint, dass.er Gebühren wie ein Verteidiger verlangen kann. Er verkennt, dass sich die Vorbemerkung 4 nicht nur auf den Abschnitt 1 („Gebühren des Verteidigers“), sondern nach ihrem Wortlaut auf sämtliche Vorschriften in Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses bezieht. Dazu gehört auch der Abschnitt 3 („Einzeltätigkeiten“) mit dem Gebührentatbestand Nr. 4301 VV RVG (vgl. Senat, a.a.O. und Beschluss vom 11. Oktober 2013 – 1 Ws 52/13 -).

Die vom Beschwerdeführer angeführte Vorbemerkung 4.3 Abs. 1 W RVG steht der Annahme, dass die im Rahmen der Beiordnung als Zeugenbeistand erbrachte Leistung des Rechtsanwalts gebührenrechtlich eine Einzeltätigkeit darstellt, nicht entgegen. Dies hat der Senat bereits in der Entscheidung vom 18. Januar 2007 ausführlich dargelegt (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Januar 2007 – 1 Ws 2/07 -). Auch auf die Beratung des Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung kann sich der Beschwerdeführer nicht berufen, da das für die Wahrnehmung der Aufgabe als Zeugenbeistand notwendige Vorgespräch durch die Gebühr nach Nr. 4301 VV RVG grundsätzlich abgegolten wird (vgl. Senat, a.a.O.).“

Vertretung des Zeugen im Bußgeldverfahren, oder: Nicht nur Einzeltätigkeit

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Ich hatte am vergangenen Dienstag über den AG Herford, Beschl. v. 11.04.2019 – 11 OWi 895/19 (b) berichtet (vgl. Zeuge III: Wenn der Zeuge Betroffener wird, oder: Dann muss man ihn auch als Betroffenen behandeln). Auf das Verfahren komme ich heute wegen der gebührenrechtlichen Problematik noch einmal zurück.

Die Kostenentscheidung des AG Herford-Beschlusses lautete: „Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.“. Auf der Grundlage dieser Kostenentscheidung hatte der Kollege Kroll, der (auch) für den Zeugen tätig geworden war, dann die notwendigen Auslagen geltend gemacht. Angemeldet hatte er die Gebühren nach den den Nrn. Nr. 5100, 5103 und 5109 VV RVG. Die sind vom AG auch festgesetzt worden. Dagegen hat dann die Stadt Herford Beschwerde eingelegt.

Und die hatte beim LG Bielefeld Erfolg. Das LG hat im LG Bielefeld, Beschl. v. 01.09.2019 – 10 Qs 276/19 – nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 5200 VV RVG festgesetzt:

2. Auf Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts Herford vom 1 1.04.2019 können lediglich notwendige Auslagen i. H. v. 92,82 EUR festgesetzt werden.

a) Insofern ist zunächst klarzustellen, dass sich die Kostengrundentscheidung aus dem Beschluss des Amtsgerichts vom 1 1.04.2019 lediglich auf das Ordnungsgeldverfahren bezieht, das sich vorliegend als eigenständige Angelegenheit aus dem Bußgeldverfahren entwickelt hat. Er bildet dagegen keine Grundlage für die Festsetzung notwendiger Auslagen, die durch die Vertretung im Bußgeldverfahren entstanden sind. Hinsichtlich dieser Kosten ist bisher keine Kostengrundentscheidung ergangen.

Insofern ist es also in Bezug auf die hier festzusetzenden Kosten unerheblich, ob der Betroffene im Bußgeldverfahren als Zeuge von einem Rechtsanwalt der Kanzlei pp. umfassend vertreten worden sein sollte. Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, wieso die Kosten für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen im Bußgeldverfahren überhaupt der Staatskasse bzw. Stadtkasse zur Last fallen sollten.

Weiter ergibt sich aus dem Schreiben der Kanzlei vom 27.03.2019 gerade die Vertretung der pp. GmbH und nicht des Betroffenen im Bußgeldverfahren. Für diesen ist eine Meldung erstmalig als Reaktion auf den Ordnungsgeldbeschluss, d.h. im Ordnungsgeldverfahren, mit Schreiben vom 08.04.2019 erfolgt.

b) Danach können vorliegend als notwendige Auslagen nur die Gebühren geltend gemacht werden, die für die anwaltliche Tätigkeit im Ordnungsgeldverfahren abgerechnet werden können. Diese beschränkte sich vorliegend auf die Beantragung der gerichtlichen Entscheidung gegen den streitgegenständlichen Ordnungsgeldbescheid gemäß § 62 OWiG.

Sowohl bej der Einreichung eines Antrages auf gerichtliche Entscheidung als auch bei einzelnen Beistandsleistungen für einen Zeugen handelt es sich um Einzeltätigkeiten im Sinne von Nr. 5200 VV RVG (Burhoff in: RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2017, Nr. 5200 VV Rn. 12 ff.). Zwar ist die Frage, ob eine Einzeltätigkeiten oder eine umfassende Vertretung vorliegt, danach zu beantworten, welcher konkrete Auftrag dem Rechtsanwalt erteilt wurde. Allerdings ist vorliegend im Hinblick auf das Ordnungsgeldverfahren eine weitergehende Beauftragung nicht ersichtlich und auch nicht ohne weiteres denkbar. Abgesehen davon ist aber im VV RVG auch kein entsprechender Gebührentatbestand für eine unterstellte „Vollvertretung im Ordnungsgeldverfahren“ vorgesehen.

Insofern verbleibt es dabei, dass die Beantragung einer gerichtlichen Entscheidung gegen den Ordnungsgeldbescheid als Einzeltätigkeit abzurechnen ist.

c) Da vorliegend keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine abweichende Bemessung der Rahmengebühr angebracht wäre, ist bei der Ermittlung der konkreten Gebührenhöhe für die Einzeltätigkeiten nach § 14 Abs. 1 RVG i. V. m. Nr. 5200 VV RVG die Mittelgebühr anzusetzen.

Eine Grundgebühr für das Bußgeldverfahren nach Nr. 5100 VV RVG entsteht für den mit einer Einzeltätigkeit in einer Bußgeldsache beauftragten Rechtsanwalt nicht (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG-Kommentar, 24. Aufl. 2019, Nr. 5200 VV RVG Rn. 10). Allerdings kann eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG beansprucht werden (Gerold/Schmidt/Burh0ff, RVG-Kommentar, 24. Aufl. 2019, Nr. 5200 VV RVG Rn. 13).

Danach sind die folgenden Auslagen festzusetzen:

Nr. 5200 VV RVG Verfahrensgebühr für Einzeltätigkeit                65,00 EUR

Nr. 7002 VV RVG Post- und Telekommunikationspauschale       13,00 EUR

       78,00 EUR

zzgl. Umsatzsteuer =                                                                        92,82 EUR“

So weit, so gut, zumindest, was die Frage angeht, dass sich die „Kostengrundentscheidung aus dem Beschluss des Amtsgerichts vom 1 1.04.2019 lediglich auf das Ordnungsgeldverfahren bezieht, das sich vorliegend als eigenständige Angelegenheit aus dem Bußgeldverfahren entwickelt hat.“ Das LG umgeht – ich will es vorsichtig ausdrücken – geflissentlich die Frage, ob nicht trotzdem für den Kollegen die Gebühren nach Teil 5 Abschnitt 1 VV RVG hätten festgesetzt werden müssen. Und zwar deshlab, weil er Zeugenbeistand war.  Etwas anderes steht auch bei Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 5200 VV Rn. 13 nicht. Denn dort heißt es: „Beistandsleistung für einen Zeugen, wenn der Rechtsanwalt nicht voller Vertreter i.S.v. Teil 5 Abschnitt 1 VV ist“ – und genau das war hier der Fall. Ein Bisschen überlegen/weiterdenken muss man schon, wenn man zitiert und sich vielleicht mal überlegen, was die Einschränkung an der zitierten Stelle meint. Vielleicht einer von drei Entscheidern könnte/sollte auf die Idee kommen. Aber wahrscheinlich hat man das im Bestreben, die Gebühren „zu kürzen“ übersehen.