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U-Haft III: Höchstdauer der U-Haft bei Wiederholungsgefahr, oder: An StA gebundene Außervollzugsetzung?

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Im dritten Haftposting dann noch zwei Entscheidungen des OLG Celle zu Verfahrensfragen in Zusammenhang mit der U-Haft.

Im OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2021 – 2 Ws 150/21 u.a. – geht es um die Höchstdauer der U-Haft bei der sog. Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO). Die darf nach § 122a StPO nicht mehr als ein Jahr dauern. Dazu meint das OLG, dass diese Frist während der Hauptverhandlung ruht:

„Der letztgenannten Auffassung schließt sich der Senat an. Wie bereits das Landgericht in dem Beschluss vom 07.05.2021 ausführt, tritt der Sicherungszweck des Haftgrundes der Wiederholungefahr an die Stelle der Verfahrenssicherung durch die Anordnung von Untersuchungshaft, wenn keine anderen Haftgründe vorliegen. Es handelt sich bei Verfahren, in denen lediglich der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr gegeben ist, auch in der Regel um Verfahren, die einen besonderen Umfang haben und aufgrund der Begrenzung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr auf Katalogtaten nach § 112a Abs. 1 StPO zumindest mehrere, häufig aber auch eine Vielzahl von schweren Straftaten betreffen. Gerade in diesen Verfahren ist – wie auch im vorliegenden Verfahren- auch bei zügiger Verhandlungsführung ohne Verfahrensverzögerungen eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr aufgrund der Durchführung einer aufwändigen Beweisaufnahme häufig erforderlich und nicht vermeidbar. Es würde dem Sicherungszweck des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren schweren Straftaten widersprechen, wenn insoweit ein Ruhen des Fristablaufs nach § 121 Abs. 3 StPO nicht eintreten würde. Die Verweisung von § 122a StPO auf § 121 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Denn § 121 Abs. 3 StPO enthält eine Regelung zur Berechnung der Ruhensfrist und hat inhaltlich keinen weiteren Regelungsgehalt, der eine entsprechende Anwendung ausschließen würde. Insoweit nimmt der Verweis auf § 121 Abs. 1 StPO in § 122a StPO die Regelung auch nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich des § 122a StPO aus.“

In der zweiten Entscheidung, dem OLG Celle, Beschl. v. 17.05.2021 – 2 Ws 145/21 – hat das OLG Celle zur Bindungswirkung eines Außervollzugsetzungsantrags der Staatsanwaltschaft, den die im Ermittlungsverfahren gestellt hat – Stellung genommen. Das OLG Hat die Bindungswirkung verneint. Hier der Leitsatz:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls im Ermittlungsverfahren hat keine Bindungswirkung für den Haftrichter. § 120 Abs. 3 StPO ist nicht entsprechend anwendbar.

StPO III: Aussetzung der HV nach Verständigung, oder: Bindungswirkung und Belehrungspflicht?

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Und dann als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 5 StR 484/20 -, der auch zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ist.

Gegenstand der Entscheidung ist dann auch noch einmal die Verständigung (§ 257c StPO), und zwar wie folgt: In einem Verfahren wegen Handeltreibens mit BtM ist es in einer ersten Hauptverhandlung zu einer Verständigung nach § 257c StPO gekommen. Im Hinblick darauf hatte der Angeklagte ein den Ankla­gevorwurf vollständig einräumendes Geständnis abgegeben. Da dann ein Schöffe und der richterliche Beisitzer erkrankten, musste diese Hauptverhandlung aus­gesetzt werden. Nach dem Neubeginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsit­zende den Inhalt der Verständigung in der HV dahin mit, „dass bei einer glaubhaften und geständigen Einlassung des Angeklagten zu den Anklagevorwürfen eine Ge­samtfreiheitsstrafe zwischen 2 Jahren und 6 Monaten und 2 Jahren und 9 Mona­ten verhängt [werde]. Nach Aussetzung der Hauptverhandlung [sei] die Bindung an diese Verständigung entfallen.“ Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung legte der Angeklagte nunmehr ein Teilgeständnis ab.

Der Angeklagte wird dann zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 9 Monaten verurteilt : Dagegen seine, die keinen Erfolg hat.

Der BGH geht davon aus, dass die Bindungswirkung an die Absprache entfallen ist. Die Aussetzung des Verfahrens führe zum Wegfall der Bindungswirkung. Das ergebe sich zwar  nicht aus § 257c Abs. 4 StPO hervor, weil die Aussetzung hier nicht genannt werde. Der Gesetzgeber habe allerdings zum Ausdruck gebracht, dass die Bindungswirkung nach den allgemeinen Grundsätzen entfalle. Danach gelte eine Absprache nur zwischen den Beteiligten – also könnten auch nur die Richter gebunden werden, die den Deal geschlossen haben. Eine Aussetzung führe zu einem Neubeginn des Hauptverfahrens. Darüber sei der Angeklagte auch zu informieren – eine Belehrung darüber hinaus sei aber nicht erforderlich.

Auch hier im Übrigen wegen des Umfangs der Entscheidung nur die Lietsätze, die lauten:

  1. Wird das Verfahren, in dem es zu einer Verständigung ge­kommen war, ausgesetzt, entfällt die Bindung des Gerichts an die Verständigung.
  2. Das aus der Aussetzung resultierende Entfallen der Bin­dungswirkung führt grundsätzlich zur Unverwertbarkeit des im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung abgegebe­nen Geständnisses in der neuen Hauptverhandlung.
  3. Eine Pflicht, den Angeklagten zu Beginn der neuen Hauptver­handlung über die Unverwertbarkeit seines in der ausgesetz­ten Hauptverhandlung abgegebenen Geständnisses aus­drücklich („qualifiziert“) zu belehren, besteht nicht, wenn der Angeklagte vor der Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war; es genügt, wenn er zu Beginn der neuen Hauptverhandlung darüber informiert wird, dass eine Bindung an die in der ausgesetzten Hauptver­handlung getroffene Verständigung entfallen ist (Abgrenzung zu BGH – 1. Senat – NStZ 2019, 483).

Bei der erwähnten Entscheidung des 1. Strafsenats handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 24.04.2019 – 1 StR 153/19. Wenn man den so liest, hat man schon den Eindruck, dass der 5. Strafsenat ein wenig „eiert“, um nicht dem Großen Seant vorlegen zu müssen.

StPO III: Wenn vom AG an das LG verwiesen wird, oder: In der Regel Bindungswirkung

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 16.03.2021 – 4 (s) Sbd I – 3/21 – zur Bindungswirkung einer Verweisung nach § 270 StPO vom AG an das LG.

Das AG hatte an das LG verwiesen, weil es in einem bei ihm anhängigen Verfahren von einem versuchten Tötungsdelikt ausgegangen ist. Dabei bleibt es – sagt das OLG:

„2. Das Landgericht – Jugendkammer – Essen ist für die Verhandlung und Entscheidung der vorliegenden Sache zuständig.

a) Das Landgericht Essen ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Bottrop nach § 270 StPO zuständig, da die Sache aufgrund des Beschlusses unmittelbar bei ihm rechtshängig geworden ist und es daher an diesen gebunden ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 – 4 (s) Sbd I – 1/17 m.w.N.).

b) Die Bindungswirkung entfällt nicht bei formeller oder materieller Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses, sondern erst dann, wenn der Verweisungsbeschluss willkürlich ist, also die Verweisung mit Grundsätzen rechtsstaatlicher Ordnung, insbesondere dem des gesetzlichen Richters, in offensichtlichem Widerspruch steht, d.h., wenn sie widersprüchlich, unverständlich oder offensichtlich unhaltbar ist (zu vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2009 – 3 StR 439/08 -, m.w.N., zitiert nach juris). Die Willkür kann insbesondere darin begründet liegen, dass das verweisende Gericht die Bedeutung und Tragweite der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt hat oder wenn das Gericht die Sache ohne Vernehmung des Angeklagten und Beweisaufnahme – also bei gegenüber dem Eröffnungszeitpunkt unverändertem Tatsachen stand – verweist und es sich nicht um einen Fall der sog. „korrigierenden Verweisung“ handelt (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 – 4 (s) Sbd I – 1/17 m.w.N.). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (zu vgl. BVerfG Beschl. v. 23.3.2020 – 2 BvR 1615/16, BeckRS 2020, 7407 Rn. 43, beck-online).

c) Die vom Amtsgericht Bottrop ausgesprochene Verweisung kann unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe nicht als willkürlich angesehen werden, da die Umstände, die die Annahme eines versuchten Tötungsdeliktes und damit die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG i.V.m. § 74 Abs. 2 GVG begründen können, von ihm nicht lediglich vermutet werden.

Das Amtsgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme insbesondere nach der Vernehmung des Geschädigten D zu der Erkenntnis gelangt, dass im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Gewaltanwendung – die objektiv durch die eingetretene Schädelfraktur belegt wird – ein mindestens bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen ist. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (zu vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2020 – 2 StR 304/19, beck-online; BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 – 2 StR 122/19, juris Rn. 15; Urteil vom 24. April 2019 – 2 StR 377/18, juris Rn. 11; BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37; vom 11. Oktober 2016 – 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25; vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267, jew. mwN). Gemessen an diesen Maßstäben, erweist sich die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nach der begonnenen Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks des Geschädigten nicht als bloße Vermutung.

Soweit das Amtsgericht zudem aufgrund der Angaben des Zeugen D zu der Erkenntnis gelangt ist, ein strafbefreiender Rücktritt sei aufgrund des Eintreffens der Polizei nicht mehr möglich gewesen, so stellt dies gleichsam eine auf sachfremden Erwägungen beruhende Annahme nicht dar. Verfestigt sich in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht der hinreichende Tatverdacht eines in die Zuständigkeit des Landgerichts fallenden Verbrechens, so ist die Sache an die zuständige Schwurgerichts bzw. Jugendkammer zu verweisen (zu vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 26.02.1996, – Ss 486/95, Beck online).“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich nach eigener Prüfung an.“

 

StPO III: Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß, oder: Reichweite der Bindungswirkung

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages stelle ich dann den OLG Köln, Beschl. v. 05.01.2021 – III-1 RVs 224/20 –vor.

Er behandelt eine Probelmatik aus dem Berufungsverfahren, nämlich die Frage einer Rechtsmittelbeschränkung und der sich ggf. ergebenden Bindungswirkung. Die Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung ihr Rechtsmittel „ausschließlich auf die Bildung einer Gesamtstrafe“ beschränkt. Sie hat die Nichtanwendung einer Maßregel gemäß § 64 StGB vom Rechtsmittel ausgenommen und erklärt, sie erstrebe keine Strafaussetzung zur Bewährung. Auch insoweit werde das Rechtsmittel beschränkt.

Die Berufungsstrafkammer hat die Rechtsmittelbeschränkung insgesamt für wirksam erachtet. Dagegen die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision der Angeklagten, die im Ergebnis keinen Erfolg hatte:

„b) Die Bildung der Gesamtstrafe weist keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler auf. Das auf diesen Entscheidungsteil bezogene Rechtsmittel war daher – dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgend – als unbegründet zu verwerfen.

2. a) Soweit die Angeklagte auch die Bewährungsentscheidung(en) aus ihrem Rechtsmittelangriff herauszunehmen gesucht hat, erweist sich diese Beschränkung als unwirksam. Bei der Bewährungsentscheidung handelt es sich um einen der (Einzelstrafbemessung und) Gesamtstrafenbildung nachgelagerten Entscheidungsteil, der von jenem abhängig ist und daher nicht selbstständig in Bindung erwachsen kann (vgl. MüKo-StPO-Quentin, § 318 Rz. 17; LR-StPO-Gössel, 26. Auflage 2012, § 318 Rz. 45). Die Berufungsstrafkammer war daher gehalten, in eigener Verantwortung über die Aussetzungsfrage neu zu befinden.

b) Der Umstand, dass dies unterblieben ist, nötigt indessen im Ergebnis nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht. In Anwendung des § 354 Abs. 1a StPO kann der Senat vielmehr in der Sache selbst entscheiden.

aa) Auch die Bewährungsentscheidung ist „Zumessung der Rechtsfolgen“ im Sinne von § 354 Abs. 1a StPO (Senat NStZ-RR-2016, 181 m. N.). Hierzu seht dem Senat – wie erforderlich – auch ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Zumessungssachverhalt zur Verfügung. Zu der von ihm beabsichtigten Entscheidung hat er den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt (zum Ganzen vgl. BVerfGE 118, 212).

bb) Eine andere Entscheidung als die Versagung der Aussetzung kam ersichtlich nicht in Betracht; der Angeklagten kann eine positive Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) nicht attestiert werden. Sie hat ein unbewältigtes Drogenproblem, ist vielfach u.a. auch wegen BtM-Delikten und wegen Beschaffungskriminalität vorbelastet. Sie hat deswegen auch bereits Haft verbüßt. Ihr eingeräumte Bewährungschancen hat sie nicht zu nutzen vermocht. Die erste hier gegenständliche Tat hat sie nach Haftentlassung am 25. Juni 2019 und Abbruch der sich anschließenden Therapie bereits am 10. Oktober 2019 und damit mit erheblicher Rückfallgeschwindigkeit begangen. Anders als durch Vollstreckung der erkannten Strafe ist die Angeklagte demnach nicht mehr zu erreichen.“

Entziehung der Fahrerlaubnis: Bindungswirkung an Straf-/Bußgeldverfahren

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Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas zur Bindungswirkung an Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren, wenn es um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht, nämlich den OVG Münster, Beschl. v. 09.06.2020 – 16 B 1223/19 (vgl. dazu auch neulich: VG Würzburg, Beschl. v. 28.04.2020 – W 6 S 20.510):

„Der Einwand des Antragstellers, die zeitlich letzte in der Anlage zur Entziehungsverfügung aufgeführte, zum Erreichen von acht Punkten führende Ordnungswidrigkeit habe nicht er, sondern sein Sohn begangen, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG ist die nach Landesrecht zuständige Behörde bei den Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Der die Ordnungswidrigkeit, die nach dem Beschwerdevorbringen der Sohn des Antragstellers begangen haben soll, ahndende Bußgeldbescheid ist seit 16. April 2019 rechtskräftig. Daran war der Antragsgegner bei der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers gebunden.

Die Bindung entfällt auch nicht ausnahmsweise. Dass § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG wegen des Gebots materieller Gerechtigkeit im Einzelfall dahingehend auszulegen ist, dass fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen unzulässig sind, wenn die im Straf- oder Bußgeldverfahren zu Lasten des Betroffenen ergangene Entscheidung inhaltlich evident unrichtig ist, ist bei summarischer Prüfung grundsätzlich nicht anzunehmen.

Vgl. OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 28. Mai 2015 – OVG 1 S 71.14 -, juris, Rn. 8; bisher offen lassend: OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juni 2013 – 16 B 640/13 -, und vom 28. August 2013 – 16 B 904/13 -, juris, Rn. 8 ff.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4. November 2013 – 10 S 1933/13 -, juris, Rn. 7; zu § 2a StVG: OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Dezember 2009 – 16 B 1505/09 -, juris, Rn. 4 f., und vom 2. März 2010 – 16 B 1316/09 -, juris, Rn. 5 f.; Hamb. OVG, Beschluss vom 3. Dezember 1999 – 3 Bs 250/99 -, juris, Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5. Februar 2013 – 10 S 2292/12 -, juris, Rn. 4.

Dies widerspräche dem den Willen des Gesetzgebers entsprechenden klaren, keine Ausnahme zulassenden Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach die Fahrerlaubnisbehörde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in Verfahren dieser Art gerade nicht prüfen muss, ob die punktebewehrte Ahndung zu Recht erfolgt ist.

Zur Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 13/6914, S. 69 zu § 4 StVG („Die Bindung … gilt auch für die Gerichte, da diese nur über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden befinden.“) und S. 67 zu § 2a StVG („Außerdem wird durch Absatz 2 Satz 2 klargestellt, daß die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung einer Maßnahme in vollem Umfang an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit oder die Straftat gebunden ist und nicht noch einmal prüfen muß, ob der Fahranfänger die Tat tatsächlich begangen hat.“).

Da der Betroffene über hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren verfügt, bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Er ist gehalten, sich gegen die straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung zur Wehr zu setzen, um (auch) die Berücksichtigung der betreffenden Taten im Verfahren nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu vermeiden. Ihn belastende rechtskräftige Entscheidungen muss er so lange gegen sich gelten lassen, als sie nicht aufgehoben worden sind oder nicht mehr verwertet werden dürfen. Die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde sowie der Verwaltungsgerichte an rechtskräftige Strafurteile bzw. Strafbefehle oder Bußgeldentscheidungen kann nachträglich nur dann entfallen, wenn diese Entscheidungen – anders als vorliegend – im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens oder der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgehoben worden sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Januar 2008 – 16 B 1269/07 -, DAR 2008, 540 = juris, Rn. 2 ff., und vom 25. Juli 2017 – 16 B 432/17 -, juris, Rn. 4 ff.

Gemessen daran ist das Vorbringen des Antragstellers, sein Sohn habe die zu dem Stand von acht Punkten führende Ordnungswidrigkeit begangen, unbeachtlich. Es wäre dem Antragsteller möglich und zumutbar gewesen, diesen Einwand im Bußgeldverfahren geltend zu machen. Wie sich aus dem Beschluss des Landgerichts Gießen vom 6. November 2019 ergibt, meldeten sich der Antragsteller und sein Sohn jedoch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist bei der Bußgeldbehörde. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Einspruchsfrist hatte deshalb keinen Erfolg.

Die (außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorgetragenen) beruflichen Auswirkungen der Fahrerlaubnisentziehung stellen keine Umstände dar, die im Rahmen der Interessenabwägung dazu führen, dass dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers entgegen der gesetzlichen Wertung in § 4 Abs. 9 StVG Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse einzuräumen wäre.“