Schlagwort-Archive: VG Hamburg

Parken auf E-Auto-Ladeplatz mit defekter Ladesäule, oder: Abschleppen des Verbrenners unverhältnismäßig

Und dann die verwaltungsrechtliche Entscheidung, die folgenden Sachverhalt hat:

Der Kläger wendet sich gegen einen Gebührenbescheid, mit dem die Beklagte ihn für die Kosten der Sicherstellung seines Pkw herangezogen hat. Der Kläger ist Fahrer und Halter eines Pkw mit einem Verbrennungsmotor. Diesen stellte auf einem Parkplatz ab, auf dem unmittelbar rechts daneben, etwa einen Meter entfernt auf dem Gehweg ein Schildermast mit dem Verkehrszeichen 314 (Parken) der lfd. Nr.  7 derAnlage 3 zu § 42 Abs.2 StVO, das mit einem weißen Pfeil nach links in Richtung des Parkplatzes versehen war. Unmittelbar unter dem Verkehrszeichen 314 befand sich ein weißes Zusatzzeichen, auf dem ein Pkw mit einem Elektrostecker entsprechend dem Sinnbild nach § 39 Abs.10 StVO abgebildet war, das zum Inhalt die Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge hat. Unmittelbar darunter befand sich ein zweites weißes Zusatzzeichen, auf dem der Schriftzug „während des Ladenvorgangs“ (Zeichen 1050-32) zu sehen war. Wiederum darunter befand sich ein Zusatzzeichen entsprechend Bild 318 (Parkscheibe) der lfd. Nr. 11 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO mit der Angabe „1 Std“ (im Folgenden: Zusatzzeichen „Parkscheibe“). Gegenüber dem Schildermast zur linken Seite des Parkplatzes befand sich eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge auf dem Gehweg.

Um 9.57 Uhr nahm ein Bediensteter der Stadt Hamburg das Fahrzeug des Klägers wahr und veranlasste um 10:43 Uhr das Abschleppen des Fahrzeugs. Der Abschleppvorgang wurde um 11:01 Uhr durch ein privates Abschleppunternehmen durchgeführt. Das Fahrzeug wurde zu einem Verwahrplatz verbracht. Der Kläger holte sein Fahrzeug am selben Tag um 13.39 Uhr gegen Bezahlung der Abschleppgebühren bei der Verwahrstelle ab.

Mit „Gebührenbescheid zur Sicherstellung eines verkehrsbehindernd abgestellten Fahrzeugs“ setzte die Beklagte gegen den Kläger Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt von insgesamt 472,10 EUR. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben und verlangt Aufhebung des Bescheides und Rückzahlung der 472,10 EUR. Mit Erfolg. Das VG Hamburg hat mit dem VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24 – der Klage stattgegeben. Das VG führt dazu u.a. aus:

„bb) Der Gebührenbescheid der Beklagten und der Widerspruchbescheid sind materiell rechtswidrig. Voraussetzung für eine rechtmäßige Gebührenerhebung ist, dass die zugrundeliegende Amtshandlung ihrerseits rechtmäßig ist und dass die gebührenrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Klägers erfüllt sind. Vorliegend fehlt es bereits an der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Amtshandlung, nämlich der Sicherstellung. Die Voraussetzungen des hier allein anwendbaren § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG lagen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 des HmbSOG wird ein verbotswidrig abgestelltes oder liegengebliebenes Fahrzeug in der Regel sichergestellt, wenn es die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt oder eine Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Verkehrsteilnehmer nicht auszuschließen ist und der vom Fahrzeug ausgehenden Gefahr nicht mit einer Umsetzung auf einen in unmittelbarer Nähe gelegenen freien und geeigneten Platz im öffentlichen Verkehrsraum begegnet werden kann. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist dabei der Zeitpunkt der Abschleppanordnung, die der vor Ort den ruhenden Verkehr kontrollierende Polizeibedienstete trifft (OVG Hamburg, Urt. v. 4.8.2021, 3 Bf 1/20, n. v., S. 13 BA; Urt. v. 16.11.2011, 5 Bf 292/10, juris Rn. 22; Beschl. v. 8.5.2009, 3 Bf 96/09.Z, n. v., S. 3 BA; VG Hamburg, Urt. v. 12.4.2011, 21 K 1902/09, juris Rn. 20).

Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Das Fahrzeug war zwar verbotswidrig geparkt (dazu (1)), jedoch begegnet die gewählte Rechtsfolge rechtlichen Bedenken (dazu (2)).

(1) Das Parkverbot folgt vorliegend aus §§ 39 Abs. 2, Abs. 3, 42 Abs. 2 StVO i. V. m. Anlage 3, Zeichen 314 („Parken“) sowie den Zusatzzeichen 1010-66 („Elektrisch betriebene Fahrzeuge“) und 1053-54 („während des Ladevorgangs“), wodurch das Parken zugunsten elektrisch betriebener Fahrzeuge beschränkt wurde. Aus dieser Beschränkung folgt spiegelbildlich das Parkverbot für nicht elektrisch betriebene Fahrzeuge und für elektrisch betriebene Fahrzeuge, die keinen Ladevorgang durchführen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 25.5.23, 20 K 3081/21, S. 7 UA, n.v.).

Das Parkverbot ist als Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 HmbVwVfG durch Aufstellung (vgl. § 45 Abs. 4 StVO) zudem auch dem Kläger gegenüber wirksam nach § 43 Abs. 1 HmbVwVfG bekanntgegeben worden. Insbesondere sind die Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes erfüllt. Verkehrszeichen für den ruhenden Verkehr äußern ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht, wenn sie so aufgestellt oder angebracht sind, dass ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt und ungestörten Sichtverhältnissen während der Fahrt oder durch einfache Umschau beim Aussteigen ohne Weiteres erkennen kann, dass ein Ge- oder Verbot durch ein Verkehrszeichen verlautbart wurde (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.4.2016, 3 C 10/15, juris Rn. 21). Auch liegen die Anforderungen für die Aufstellung von Verkehrszeichen zur Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge nach § 45 Abs. 1g StVO und § 3 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 des Elektromobilitätsgesetzes vom 5. Juni 2015 (BGBl. I S. 898, EmoG) – hiernach ist insbesondere eine Bevorrechtigung für das Parken auf öffentlichen Straßen oder Wegen möglich – vor.

Das Parkverbot bezieht sich in seinem räumlichen Geltungsbereich auch auf den von dem Kläger gewählten Parkplatz. Dies ergibt sich aus der Aufstellung des Schildes ungefähr auf Höhe der Grenze zweier Parkplätze zueinander sowie dem auch nach links weisenden Pfeil, der jedenfalls den unmittelbar links angrenzenden Parkplatz, auf dem sich das Fahrzeug des Klägers befunden hat, miterfasst. Dass die Ladesäule unstreitig nicht funktionsfähig war, steht dem nicht entgegen. Denn das Parkverbot folgt allein aus dem Verkehrszeichen 314 mit Zusatzzeichen nach Anlage 3, Abschnitt 3, laufende Nr. 7, Spalte 3 Nr. 3a) StVO i.V.m. § 42 Abs. 2 StVO. Der Ladesäule kommt hingegen keine Verkehrszeichenqualität zu (vgl. zu Bodenmarkierungen VG Hamburg Urt. v. 22.5.2018, 3 K 5435/17 n.v. S. 7).

(2) Es kann offen bleiben, ob die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG vorliegen. Denn selbst wenn dies zugunsten der Beklagten angenommen wird, war die Sicherstellung dennoch rechtswidrig. Die Beklagte hat von ihrem nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SOG eröffneten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG für die Sicherstellung des Fahrzeugs vor, so ist es „in der Regel“ sicherzustellen. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen sieht § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG der Beklagten auf Rechtsfolgenseite ein intendiertes Ermessen vor. Vorliegend kann dahinstehen, ob ein atypischer Fall vorliegt, der ausnahmsweise eine Ermessenserwägung durch die Beklagte erfordert hätte. Denn jedenfalls war die Sicherstellungsanordnung unter Berücksichtigung der bei einer Sicherstellung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG im Einzelfall stets zu prüfenden Anforderungen des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 27.11.2009, 3 Bf 36/06, juris Rn. 29) rechtswidrig.

Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist es im Regelfall unerheblich, ob der Kläger durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Elektrofahrzeug am Parken und Laden hinderte. Denn bei der rechtswidrigen Inanspruchnahme von Parkraum, der Bevorrechtigten zur Verfügung stehen soll, darf ein Fahrzeug auch ohne konkrete Behinderung der bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer und ohne Einhaltung einer besonderen Wartezeit regelmäßig zwangsweise entfernt werden. Nur so kann dem mit der Einrichtung von bevorrechtigten Parkplätzen verfolgten Anliegen hinreichend effektiv Rechnung getragen werden. Die parkbevorrechtigten Benutzerkreise sollen nach der gesetzgeberischen Wertung darauf vertrauen können, dass der gekennzeichnete Parkraum ihnen unbedingt zur Verfügung steht. Zudem kann den Verkehrsordnungsbehörden nicht die Pflicht auferlegt werden, den Bedarf an freizuhaltenden Plätzen fortlaufend zu überprüfen und hiervon ein Einschreiten abhängig zu machen (zu Taxenständen: BVerwG, Urt. v. 9.4.2014, 3 C 5/13, juris Rn. 11; zu Behindertenparkplätzen: BVerwG, Beschl. v. 11.8.2003, 3 B 74/03, juris Rn. 3; OVG Hamburg, Urt. v. 25.3.2003, 3 Bf 113/02, juris Rn. 32; OVG Münster, Beschl. v. 21.3.2000, 5 A 2339/99, juris Rn. 2 ff.). Diese Grundsätze sind auf die für bevorrechtigte Elektrofahrzeuge vorgesehenen Parkplätze an Ladesäulen zu übertragen. Auch deren Funktion wird nur gewährleistet, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden (VG Hamburg, Urt. v. 17.4.2019, 21 K 1539/18, n. v., S. 9 BA; Urt. v. 19.3.2019, 11 K 9122/17, n. v., S. 8 BA; GB v. 25.5.2018, 2 K 7467/17, juris Rn. 43).

Im vorliegenden Einzelfall ergibt sich jedoch ausnahmsweise ein von den vorstehenden Maßgaben abweichendes Abwägungsergebnis. Maßgeblich in die Abwägung einzustellen ist, dass die Ladesäule, die Anlass für die entsprechende Beschilderung gab, zum Zeitpunkt der Sicherstellungsanordnung erkennbar funktionsunfähig war. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass – wie auch die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat – die Funktionsfähigkeit einer Ladesäule nicht zwingend auf den ersten Blick erkennbar ist und dass es dem handelnden Polizeibeamten regelmäßig nicht zuzumuten sein dürfte, Nachforschungen betreffend die Funktionsfähigkeit und gegebenenfalls betreffend die Dauer der Funktionsunfähigkeit anzustellen. Dies gilt auch deshalb, weil letzteres im Regelfall nicht absehbar sein und eine Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit in unmittelbarer zeitlicher Nähe nicht ausgeschlossen sein dürfte.

So liegt es hier jedoch nicht. Vorliegend war ausweislich der in der Sachakte enthaltenen Lichtbilder auf der Ladesäule ein deutlich erkennbares, offenbar DIN-A4-großes Schild angebracht, welches die folgende Aufschrift trug: „Wir treiben die Energiewende voran. Hier entsteht in Kürze ein neuer HPC-Standort. Sobald er an unser Stromnetz angeschlossen ist, können Sie hier mit 150 kW laden.“ Dafür, dass diese Lichtbilder, welche der Kläger zur Akte gereicht hat, nicht in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum aufgenommen worden sind, sind Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zusätzlich zu dem Schild war an der Ladesäule mit Kabelbindern eine Tüte angebracht, die – soweit erkennbar – Zubehörteile enthalten haben wird. Auch dies lässt einen objektiven Beobachter annehmen, dass sich die Ladesäule noch im Aufbau befand. Diese offensichtlichen Hinweise hätten den Polizeibeamten vor Ort dazu veranlassen müssen, sich über die Funktionsfähigkeit der Ladesäule zu vergewissern. Dies hat der handelnde Polizeibeamte ausweislich seiner Stellungnahme vom XXX jedoch nicht getan.

Der offensichtlich nicht bestehenden Funktionsfähigkeit kommt im vorliegenden Fall auch deshalb ein besonderes Gewicht zu, weil die Parkbevorrechtigung ausweislich der Verkehrszeichen gerade für Elektrofahrzeuge während des Ladevorganges und nicht etwa für Elektrofahrzeuge im Allgemeinen angeordnet war. Die Funktionsunfähigkeit hatte somit zur Folge, dass kein Fahrzeug dort hätte parken können, unabhängig von der Antriebsart. Der Parkplatz wäre somit dem Verkehrsraum vollständig entzogen gewesen. Vor diesem Hintergrund kann auch der vorgenannte Grundsatz, dass bei der rechtswidrigen Inanspruchnahme von Parkraum, der Bevorrechtigten zur Verfügung stehen soll, ein Fahrzeug auch ohne konkrete Behinderung der bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer und ohne Einhaltung einer besonderen Wartezeit regelmäßig zwangsweise entfernt werden darf, um dem mit der Einrichtung von bevorrechtigten Parkplätzen verfolgten Anliegen hinreichend effektiv Rechnung zu tragen, ausnahmsweise nicht zum Tragen kommen. Denn selbst den parkbevorrechtigten Benutzerkreisen stand der gekennzeichnete Parkraum nicht zur Verfügung und dessen Funktion konnte durch das Freihalten von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor nicht gewährleistet werden.“

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, oder: Bindungswirkung

Bild von Steffen L. auf Pixabay

So am heutigen ersten Samstag im April – also Vorsicht es kann also zu Scherzen kommen 🙂 – stelle ich hier zwei verkehrsverwaltungsrechtliche Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem VG Hamburg, Beschl. v. 09.03.2023 – 5 E 970/23 – zur Bindungswirkung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 StV. Ergangen ist der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

Das AG hatte die Antragstellerin wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 2 StGB) zu einer Gelstrafe von 20 Tagessätzen und ein Fahrverbot für die Dauer von sechs Monaten verhängt. In den Urteilsgründen hat das AG u.a. ausgeführt:

„Gegen die Angeklagte ist ein Fahrverbot in Höhe von 6 Monaten verhängt worden. Aufgrund ihr reuiges Verhalten und des Umstandes, dass sie seit einiger Zeit auf ihre Fahrerlaubnis verzichtet hat, war nämlich die Verhängung einer Sperre nach §§ 69, 69a StGB nicht mehr verhältnismäßig.

Das Fahrverbot ist allerdings nach § 51 Abs. 5 StGB wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis abgegolten.“

Die Antragsgegnerin hat dann mit Bescheid vom 20.02.2023 der Antragstellerin ihre Fahrerlaubnis und die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet. Dagegen der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, der Erfolg hatte:

„Rechtsgrundlage der Entziehung ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG und § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber sich als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erweist, wobei es nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann an der Kraftfahreignung fehlt, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen.

Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte die Antragsgegnerin eine mangelnde Fahreignung der Antragstellerin unter Missachtung der Bindungswirkung von § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angenommen haben.

Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie nach § 3 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 StVG zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (durch § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (durch § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass erstens überflüssige und aufwendige Doppelprüfungen unterbleiben und dass zweitens die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Während die Behörde allerdings die Kraftfahreignung aufgrund einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers zu beurteilen hat, darf der Strafrichter nur eine Würdigung der Persönlichkeit vornehmen, soweit sie in der jeweiligen Straftat zum Ausdruck gekommen ist. Deshalb ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung auch nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Um den Eintritt einer Bindung überprüfen zu können, verpflichtet die Vorschrift des § 267 Abs. 6 StPO den Strafrichter zu einer besonderen Begründung, wenn er entweder entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag oder aber in solchen Fällen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absieht, in denen diese Maß-regel nach der Art der Straftat in Betracht gekommen wäre (grundlegend mit zahlreichen weiteren Nachweisen BVerwG, Urt. v. 15.7.1988, 7 C 46/87, BVerwGE 80, 43, juris Rn. 11).

Nach diesen Maßstäben dürfte die Antragsgegnerin an die Feststellung des Amtsgerichts Hamburg-Harburg gebunden sein, dass die Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist.

Das Amtsgericht Hamburg-Harburg dürfte die Fahreignung der Antragstellerin zu prüfen gehabt haben. Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt, so entzieht ihm das Gericht gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat ein Ver-gehen der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) ist. Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall, oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben (v. Heintschel-Heinegg/Huber, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2020, § 69 Rn. 75). Nachdem das Amtsgericht Hamburg-Harburg die Antragstellerin wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt hat, war das Regelbeispiel des § 316 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklicht, so dass das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis das Vorliegen besonderer Umstände erforderte.

Die strafgerichtliche Beurteilung der Fahreignung dürfte sich dabei zweifelsfrei aus den schriftlichen Urteilsgründen ergeben. Das Vorliegen einer Eignungsbeurteilung und damit der Eintritt der Bindungswirkung muss dabei nicht auf der Grundlage einer einzigen Formulierung, sondern nach dem Gesamtzusammenhang der Gründe des Strafurteils festgestellt werden (BVerwG, Beschl. v. 20.12.1988, 7 B 199/88, juris Rn. 6). Das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg differenziert auf S. 3 schon mit Blick auf die zitierten Vorschriften ausdrücklich zwischen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB und der Verhängung einer Sperrfrist § 69a StGB. Auch wenn in dem Urteil untechnisch davon gesprochen wird, dass die „Verhängung einer Sperre“ nach §§ 69, 69a StGB nicht mehr verhältnismäßig sei, so wird doch hinreichend deutlich, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB und nicht die Verhängung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 69a StGB Prüfungsgegenstand war. Denn die Verhängung einer Sperre setzt nach § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB die Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 69 StGB überhaupt erst voraus. Auch dürfte der angewendete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Tatbestand-voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommen und damit die Fahreignung selbst Prüfungsgegenstand gewesen sein. In diesem Zusammenhang dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass es sich um ein nach § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO abgekürztes Urteil handelt, bei dem nach dessen Halbsatz 2 sogar bei Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Anklagesatz oder die Anklage verwiesen werden dürfte. Schließlich begnügen sich die Urteilsgründe auch nicht mit dem („schlichten“) Hinweis auf einen bloßen Zeitablauf zur Begründung der Feststellung der Fahreignung, ohne überhaupt auf die möglichen Auswirkungen der Straftat auf die Kraftfahreignung und auf die Persönlichkeit der Antragstellerin einzugehen (zu diesem Maßstab BVerwG, Beschl. v. 20.12.1988, a.a.O., Rn. 5). Ausweislich der Gründe auf S.3 der Urteilsausfertigung hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg die Fahreignung auch mit dem reuigen Verhalten der Antragstellerin innerhalb des strafgerichtlichen Verfahrens und damit ihre Persönlichkeit begründet. Darin dürfte zugleich ein impliziter Verweis auf die Erwägungen des Gerichts im Rahmen der Strafzumessung zu erblicken sein.

Schließlich liegt der Beurteilung der Fahreignung der Antragstellerin in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Februar 2023 der identische Sachverhalt wie dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 6. Juli 2021, namentlich das Führen eines Kraftfahrzeuges am 2. September 2020 unter dem Einfluss von Amphetaminen, zugrunde.“

Der Kläger ist kein Schlitzohr…

…bescheinigt das VG Hamburg in seinem Urteil v. 02.02.2010 – 13 K 1186/07 in einem Verfahren, in dem um die Rückzahlung von Abschleppkosten ging, die die Stadt Hamburg gegenüber dem Kläger geltend gemacht hatte.

Im Verfahren ging es auch um die Frage, ob denn nun im Pkw des Klägers ein Parkschein gut sichtbar ausgelegt war oder nicht, wobei eine Rolle spielte, wann und wo der Parkschein gezogen worden war. In dem Zusammenhnag bescheinigt das VG dann dem Kläger, er sei kein „Schlitzohr“ und gibt eine eigene Erklärung für die zeitliche Abfolge. Das wird den Kläger sicherlich gefreut haben. Noch mehr wird es ihn aber freuen, dass das VG die Anordnung der Beseitigung eines ohne einen gültigen und gut sichtbar ausgelegten Parkschein versehenen Fahrzeuges nach bereits 10 Minuten auch dann als unverhältnismäßig angesehen hat, wenn die die Höchstparkdauer an der fraglichen Stelle nur eine Stunde beträgt und es sich bei Straße, auf der geparkt wird, um eine stark befahrene Straße mit vielen Parkplatzsuchenden handelt.