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Revision III: Beschränkte Anfechtung im JGG-Verfahren, oder: Umgehung des § 55 JGG?

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Und die dritte Entscheidung zu Revisionsfragen betrifft dann den § 55 JGG. Der sieht ja in seinem Abs. 1 Satz 1 eine Beschränkung der Beschränkung der Rechtsmittelmöglichkeit bei einem jugendrichterlicher Urteil, das allein Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel enthält, vor.

Damit befasst sich der OLG Hamm, Beschl. v. 20.09.2022 – 5 RVs 81/22. Im zugrunde liegenden Verfahren ist der Angeklagte vom Jugendrichter des Diebstahls schuldig gesprochen und gegen ihn einen „Freizeitarrest von einer Freizeit“ verhängt worden. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendabteilung des AG zurückzuverweisen; als Begründung wird angeführt:

„Es wird die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Das angefochtene Urteil wird ausdrücklich sowohl im Schuldspruch als auch im Rechtsfolgenausspruch zur vollständigen Überprüfung durch den Senat gestellt.

Im Folgenden ist dann die Sachrüge näher ausgeführt worden und es wird beanstandet, dass die auferlegte Sanktion unverhältnismäßig sei. Es werde verkannt, dass dem Gericht in Jugendstrafsachen ein ganzer Kanon von Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehe; eine freiheitsentziehende Maßnahme könne dabei immer nur die Ultima Ratio sein. Es sei bei der Wahl der Sanktion zu Unrecht missachtet worden, dass für den Angeklagten bzgl. berücksichtigter eingestellter früherer Verfahren die Unschuldsvermutung streite.

Die GStA hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, also § 349 Abs. 2 StPO. Das OLG hat nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen:

„Die Revision ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen, da der Angeklagte es entgegen § 344 Abs. 1 StPO versäumt hat, ein unter Berücksichtigung von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG zulässiges Angriffsziel eindeutig zu formulieren.

1. In der Revisionsbegründung muss das Ziel der Anfechtung so eindeutig mitgeteilt werden, dass die Verfolgung eines unzulässigen Ziels ausgeschlossen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 07.02.2017, Az. 5 RVs 6/17 = BeckRS 2017, 107728). Besteht die Möglichkeit – wie vorliegend -, dass der Revisionsführer sich lediglich gegen die Auswahl und den Umfang von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln wendet, führt dies zur Unzulässigkeit, wobei Zweifel zulasten des Revisionsführers gehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2013, Az. 1 StR 278/13 = NStZ 2013, 659; OLG Hamm, Beschluss vom 02.12.2021, Az. 4 RVs 124/21, juris). Die erforderliche eindeutige Angabe des Angriffsziels soll eine Umgehung der Vorschrift des § 55 Abs. 1 S. 1 JGG verhindern und damit dem Willen des Gesetzgebers – der Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens im Hinblick auf die erzieherische Wirkung von Entscheidungen – ausreichend Rechnung tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.07.2007, Az. 2 BvR 1824/06).

2. Den vorgenannten Anforderungen an eine Revisionsbegründung bei einem gegen ein in den Anwendungsbereich von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG fallendes Rechtsmittel genügt der Schriftsatz vom 24.06.2022 trotz des umfassenden Aufhebungsantrages sowie der ausdrücklichen Rüge des Schuldspruchs nicht, da er lediglich auf eine Umgehung der Vorschrift ausgerichtet ist; im Einzelnen:

a) Allein ein umfassend gestellter Aufhebungsantrag gibt keinen ausreichenden Aufschluss in Bezug auf das Anfechtungsziel (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2000, Az. 33 Ss 92/00 = NStZ-RR 2001, 121). § 55 Abs. 1 S. 1 JGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein Urteil zwar vordergründig zur vollen Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt wird, allerdings tatsächlich nur Angriffe gegen die Strafzumessung ausgeführt werden (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.03.2016, Az. 1 OLG 8 Ss 49/16 = BeckRS 2016, 9474). So verhält es sich hier; die ausgeführte Revisionsbegründung richtet sich ausschließlich gegen die verhängte Sanktion bzw. die Voraussetzungen der §§ 5 Abs. 2 JGG und 13 Abs. 1 JGG.

b) Infolge der erhöhten Anforderungen an die Konkretisierung des Angriffsziels reicht es auch nicht aus, schlicht den Schuldspruch – allgemein – anzufechten (vgl. MüKo/Kaspar, 1. Auflage 2018, § 55, Rn. 69). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – die den Schuldspruch tragenden Feststellungen auf der geständigen Einlassung des revidierenden Angeklagten beruhen, was der Senat – obwohl außerhalb der Revisionsbegründung liegend – zur Klärung der Eindeutigkeit des Ziels des Rechtsmittels berücksichtigen durfte (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2013, Az. 1 StR 278/13 = NStZ 2013, 659) ; bei einer derartigen Sachlage bedarf es einer Klarstellung, inwieweit der Schuldspruch angefochten wird (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2000, Az. 33 Ss 92/00 = NStZ-RR 2001, 121).

c) Selbst wenn man aber davon ausginge, dass bereits die ausdrückliche Rüge des Schuldspruchs seitens des Angeklagten den Anforderungen an § 344 Abs. 1 StPO i.V.m. § 55 Abs. 1 JGG genügte, würden die Einzelausführungen in der Revisionsbegründungsschrift vom 24.06.2022 die Revision insgesamt unzulässig machen, da sich daraus unzweifelhaft ergibt, dass der Angeklagte lediglich den Rechtsfolgenausspruch angreifen will.

Für den Fall, dass der Revisionsführer in Wahrheit nicht die Rechtsanwendung sondern die Beweiswürdigung beanstanden will und sich dieser Schluss aus den Einzelausführungen der Revisionsbegründung ziehen lässt, ist allgemein anerkannt, dass Einzelausführungen zur Sachrüge die Revision insgesamt unzulässig machen können (vgl. Meyer/Goßner, 65. Auflage, § 344, Rn. 19 m.w.N. zur höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung). Diese Rechtsprechung lässt sich – wegen der Vergleichbarkeit des Sachverhalts – auch auf die vorliegende Konstellation übertragen, bei der sich anhand der Einzelausführungen ergibt, dass die Rüge des Schuldspruchs lediglich vordergründig und unter Umgehung von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG erhoben wird, während das Angriffsziel der Revision tatsächlich auf die – unzulässige – Beanstandung der Sanktion gerichtet ist.

3. Eine Konstellation, in der eine Umgehung der Vorschrift des § 55 Abs. 1 S. 1 JGG nicht angenommen werden kann, etwa weil aufgrund weiterer Ausführungen erkennbar wird, dass tatsächlich konkrete Rechtsfehler des Schuldspruchs beanstandet werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.04.2020, Az. 4 RVs 45/20), liegt nicht vor.“

OWi II: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung, oder: Haben alle das OLG Frankfurt falsch verstanden?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.11.2022 – 2 Ss-OWi 1149/22. Es geht noch einmal um die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach einem richterlichem Hinweis. Die Wirksamkeit ist vom OLG Frankfurt am Main in der Vergangenheit verneint worden. Jedenfalls habe andere OLG das so verstanden.

Nun hatte das OLG Frankfurt am Main erneut mit der Frage zu tun und ausgeführt, dass auch nach seiner Auffassung die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen auch nach richterlichem Hinweis auf möglicherweise vorsätzliches Handeln wirksam ist.

Gegen die Betroffene war mit Bußgeldbescheid vom 30.11.2021 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 440 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von zwei Monaten angeordnet worden. Dagegen hat die Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Das AG hat die Betroffene mit Schreiben vom 31.01.2022 u.a. darauf hingewiesen, dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht komme. Dabei hat es auch auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main v. 23.3.2016 (2 Ss-OWi 52/16, NStZ-RR 2016, 215), nach der eine Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht mehr zulässig sei. Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.07.2022 hat die Betroffene den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt. Das AG hat die Betroffene dennoch mit Urteil v. 21.07.2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 880 EUR verurteilt sowie ein Fahrverbot von drei Monaten gegen sie verhängt. Unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist es davon ausgegangen, dass die Beschränkung des Einspruchs nicht wirksam sei. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte nach Übertragung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Senat Erfolg. Wir haben das OLG – so verstehe ich seine Ausführungen – alle falsch verstanden:

„Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war die Beschränkung des Einspruchs wirksam, so dass das Amtsgericht an der Änderung des Schuldspruchs gehindert war und nur noch über die Rechtsfolgen auf der Grundlage des rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu entscheiden hatte. Dies hatte der Senat auf die erhobene Sachrüge hin von Amts wegen zu überprüfen.

Die in der Beschränkung des Einspruchs liegende Teilrücknahme ist wirksam. Aus dem Schriftsatz vom 19. Juli 2022 ergibt sich, dass der Verteidiger hierzu von der Betroffenen hinreichend im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO (i.V.m. § 46 OWiG) ermächtigt war. Darin wird nämlich „namens und in Vollmacht der Betroffenen“ erklärt, „dass die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung nicht mehr diskussionswürdig“ und die Messung „nachweislich nicht fehlerhaft“ sei; aus diesem Grund sei der ursprünglich unbeschränkt eingelegte Einspruch nunmehr „auf die Rechtsfolge des Fahrverbotes“ zu beschränken.

Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot war allerdings die weitere Beschränkung innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs nur auf die Rechtsfolge des Fahrverbots nicht wirksam, so dass über die Rechtsfolgen der rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung insgesamt zu entscheiden war.

Die von dem Amtsgericht zitierte und zutreffend wiedergegebene Entscheidung eines Einzelrichters des damals einzigen Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main vom 23. März 2016 – 2 Ss-OWi 52/16 steht der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nicht entgegen. In ihrem tragenden Teil ist diese Entscheidung nämlich bereits nicht einschlägig. Nach den dortigen Feststellungen war das Verteidigungsverhalten des Betroffenen widersprüchlich, indem auch nach der vermeintlichen Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen noch erklärt wurde, die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung solle noch überprüft werden. Deshalb wurde die Beschränkung dort als nicht wirksam erachtet, weil eine Prozesserklärung unmissverständlich sein müsse und bedingungsfeindlich sei. Ein solches widersprüchliches Verhalten ist nach der oben wiedergegebenen Erklärung vorliegend gerade nicht gegeben. Die auch hier im Vorfeld vorgebrachten Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsmessung wurden ausdrücklich nicht aufrechterhalten und diese ohne jeden Vorbehalt als richtig akzeptiert.

Das Amtsgericht führt dazu aus, angesichts des vorherigen wiederholten und dezidierten Bestreitens der Richtigkeit der Messung sei die Aussage in dem Schriftsatz vom 19. Juli 2022, dass man nun (aufgrund eines eingeholten Gutachtens) von der Richtigkeit der Messung überzeugt sei, „derartig widersprüchlich, dass eine tragfähige geständige Einlassung nicht anzunehmen“ sei. Das verkennt, dass eine wirksame Beschränkung des Einspruchs kein Geständnis voraussetzt. Die Betroffene eines Bußgeldverfahrens hat es vielmehr wie auch sonst jeder potentielle Rechtsmittelführer selbst in der Hand, ob und in welchem Umfang sie den gegen sie ergangenen Bußgeldbescheid rechtskräftig werden lässt, auch wenn sie ihn inhaltlich für falsch hält. Das gilt offensichtlich für die anfängliche Entscheidung, ob überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt wird. Für die spätere (Teil-)Rücknahme kann nichts Anderes gelten.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der weiteren, für die damalige Entscheidung nicht tragenden Ausführungen der zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt am Main. Danach soll die Einspruchsbeschränkung nach einem Hinweis des Gerichts, dass statt der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit eine vorsätzliche Begehung in Betracht komme, nicht mehr zulässig sein. Der Senat teilt jedoch diese Auffassung nicht, die soweit ersichtlich obergerichtlich vereinzelt geblieben (der Anschluss in OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Oktober 2017 – 3 Ss OWi 1206/17 betraf nur den tragenden Teil der Entscheidung) und nie als tragende Begründung angewendet worden ist, sondern schließt sich den überzeugend begründeten Entscheidungen des OLG Rostock (Beschluss vom 14. April 2022 – 21 Ss OWi 24/22, Entscheidung in der Besetzung des Senats mit drei Richtern) und des OLG Oldenburg (Beschluss vom 7. März 2016 – 2 Ss (OWi) 55/16) an. Es steht nicht in Zweifel, dass eine von Anfang an erfolgende Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig ist, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht (OLG Rostock und OLG Oldenburg a.a.O. jeweils m.w.N.). Ebenso ist im Strafprozessrecht (das gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG auch für den Einspruch gilt) anerkannt, dass eine Teilrücknahme und die darin liegende nachträgliche Rechtsmittelbeschränkung in gleicher Weise und in gleichem Umfang zulässig ist wie eine von vornherein erklärte Beschränkung des Rechtsmittels (BGHSt 33, 59; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 302 Rdnr. 2). Warum dies im Ordnungswidrigkeitenrecht und insbesondere nach einem gerichtlichen Hinweis anders sein soll, erschließt sich nicht. Die Hinweispflicht gemäß § 265 StPO auf eine möglicherweise veränderte rechtliche Bewertung dient der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und Gewährleistung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren; er soll seine Verteidigung auf den veränderten Gesichtspunkt einrichten können. Die hier abgelehnte Auffassung würde hingegen bedeuten, dass der Betroffene aufgrund eines solchen richterlichen Hinweises ihm sonst zustehende prozessuale Rechte verliert und damit den Sinn und Zweck der Hinweispflicht in das Gegenteil verkehren. Ebenso wenig trifft es zu, dass Schuldform und Rechtsfolgen so eng miteinander verbunden wären, dass das Amtsgericht nach einer solchen Beschränkung des Einspruchs die Rechtsfolgen nicht auf der Grundlage der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit bestimmen könnte (OLG Rostock a.a.O.) – dagegen spricht bereits, dass dies auch bei einer von Anfang an erfolgenden Beschränkung des Einspruchs gelten müsste, was aber auch nach der zitierten Einzelrichterentscheidung des früheren Bußgeldsenats des OLG Frankfurt am Main gerade nicht in Frage gestellt wird.

Da die Beschränkung des Einspruchs wirksam war, war nur noch über die Rechtsfolgen auf der Grundlage des rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes zu entscheiden…..“

OWI III: Bußgeldbescheid mit Fahrverbot u. Geldbuße, oder: Beschränkung des Einspruchs nur auf Geldbuße?

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Und zum Tagesschluss dann noch einmal etwas aus dem Bußgeldverfahren, nämlich zu der Frage, ob der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, mit dem (auch) ein Fahrverbot festgesetzt worden ist, auf die Geldbußenhöhe beschränkt werden kann. Das AG Dortmund sagt im AG Dortmund, Urt. v. 11.08.2022 – 729 OWi-265 Js 881/22-62/22: Ja, das geht:

„Angesichts der vorliegenden Voreintragungen und der als Einspruchsbeschränkung auf die Höhe der Geldbuße zu wertenden Teilrücknahme des Einspruchs (hierzu: Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021,  § 67 Rn. 35) war auch die Festsetzung des 3-monatigen Fahrverbotes nach § 25 StVG, wie sie in dem angefochtenen Buß-geldbescheid enthalten war, bestandskräftig. Zwar besteht zwischen Fahrverbot und Geldbuße anerkanntermaßen eine Wechselwirkung (so etwa: OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 26.4.2022 – 3 Ss OWi 415/22, BeckRS 2022, 9906; OLG Hamm Beschl. v. 3.3.2022 – 5 RBs 48/22, BeckRS 2022, 5633 ; BayObLG Beschl. v. 23.4.2019 – 202 ObOWi 460/19, BeckRS 2019, 7481; Halecker Der „Denkzettel“ Fahrverbot, 2009, S.?233; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2022, § 4 – Verhältnis Geldbuße/Fahrverbot, Rn. 2; BeckOK OWiG/Euler, 35. Ed. 1.7.2022, StVG § 25 Rn. 1). Doch gilt diese nach herrschender Meinung nur einseitig. Während ein Absehen vom vorgesehenen Regelfahrverbot eine erhöhte Bußgeldandrohung zur Folge haben kann (§ 4 Abs. IV BKatV) gilt umgekehrt nicht, dass eine herabgesetzte Geldbuße zu einem erhöhten Fahrverbot führen kann, insbesondere dann nicht, wenn ohnehin das höchst mögliche Fahrverbot von 3 Monaten festgesetzt wurde. Die h.M., nimmt so richtigerweise eine Beschränkbarkeit des Einspruchs innerhalb des Rechtsfolgeausspruchs mit Geldbuße und Fahrverbot auf die Geldbußenhöhe an (Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 67 Rn. 34g; OLG Brandenburg Beschl. v. 28.2.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 28/22, BeckRS 2022, 5849; OLG Hamm, Beschl. v. 16. 1. 2012 – III-2 RBs 141/11, BeckRS 2012, 8582  = DAR 2012, 28; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02. 11. 2016 – IV-2 RBs 157/16, DAR 2017, 92; AG Dortmund Urt. v. 18.7.2017 – 729 OWi-267 Js 1158/17-191/17, BeckRS 2017, 121849; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2022, § 21 – Besonderheiten des OWi-Verfahrensrechts, Rn. 6; a.A. für atypische Verstöße: Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl. 2022, § 67 Rn. 60).

Das Gericht hat klarstellend im Urteilstenor das 3-Monats-Fahrverbot nebst Schon-frist (§ 25 Abs. 2a StVG) gleichwohl tenoriert.  Eine derartige Klarstellung ist nach Einspruchsbeschränkung zulässig und geboten. Sie hat keinen eigenständigen und über den Bußgeldbescheid hinausgehenden vollstreckungsfähigen Inhalt.

Ferner hat es eine Geldbuße von nur 600,00 € festgesetzt und damit die Geldbuße in Höhe von 1.000,00 € aus dem Bußgeldbescheid reduziert aufgrund der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Betroffenen. Das Gericht hat zudem aus denselben Erwägungen eine Ratenzahlungsgewährung vorgenommen.“

„Schöner“ Tenor im Urteil: „Der Betroffene wird wegen der im Bußgeldbescheid der Stadt Dortmund vom 14.04.2022 genannten Tat zu einer Geldbuße von 600,00 € verurteilt.“ 🙂

Verkehrsrecht II: Mindestdauer für Sperrfrist ist fix, oder: Weniger als drei Monate ist nicht zulässig

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In dem zweiten Entscheidung, dem KG, Urt. v. 17.08.2022 – ([3] 161 Ss 129/22 (44/22) – hat das KG u.a. zur Frage der Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB) Stellung genommen. Das AG hatte noch eine Sperrfrist von 2 Monaten festgesetzt. Das hat das KG auf die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft beanstandet:

„2. Die Sprungrevision der Amtsanwaltschaft ist begründet. Die angeordnete Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

Gemäß § 69a Abs. 4 Satz 1 StGB verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO wirksam war. Satz 2 dieser Vorschrift sieht allerdings vor, dass das Mindestmaß drei Monate nicht unterschreiten darf. Letzteres ist hier geschehen: In dem angegriffenen Urteil hat das Amtsgericht Tiergarten grundsätzlich zutreffend § 69a Abs. 4 StGB angewandt, dessen Voraussetzungen aufgrund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten mit Beschluss vom 10. September 2021 vorlagen. Jedoch hat es bei seiner Entscheidung § 69a Abs. 4 Satz 2 StGB nicht beachtet, indem es mit zwei Monaten eine Sperre unter dem gesetzlichen Mindestmaß angeordnet hat. Die Festsetzung einer kürzeren Sperrfrist als drei Monate ist unzulässig und kann – schon vor dem Hintergrund der eindeutigen, zwingenden gesetzlichen Regelung – auch nicht ausnahmsweise erfolgen (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 8. November 1985 – 1 Ss 252/85 –, juris; OLG Köln NJW 1967, 361; Fischer a.a.O., § 69a Rn. 12; v. Heintschel-Heinegg/Huber in Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4. Aufl., § 69a Rn. 20; Kinzig in Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts Band 3 1. Aufl. 2021, Rn. 209; ders. in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch 30. Aufl., § 69a Rn. 13; Kretschmer in Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht 1. Aufl., § 69a Rn. 12).“

Das KG hat außerdem zu den Voraussetzungen, unter denen die Beschränkung des gegen den Strafbefehl gerichteten Einspruchs auf die Höhe des Tagessatzes und die Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB) wirksam ist, Stellung genommen. Insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Rechtsmittel III: Rechtsmittelbeschränkung in der HV, oder: Anwesender Betroffener/Angeklagter

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Und die dritte Entscheidung kommt dann auch vom KG. Im KG, Beschl. v. 16.02.2022 – 3 Ws (B) 24/22 – geht es um die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung, im entschiedenen Fall des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid.

Der Betroffene hatte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt, den der Verteidiger dann in seiner Anwesenheit in der – später ausgesetzten – Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das KG hat die Beschränkung ls wirksam angesehen:

„1. Die von Amts wegen zu prüfende Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ist gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig und wirksam.

a) Nach § 67 Abs. 2 OWiG kann der Einspruch auf bestimmte Beschwerdepunkte – wie den Rechtsfolgenausspruch – beschränkt werden, wenn der zugrundeliegende Bußgeldbescheid die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG erfüllt. Dies ist hier der Fall. Der Bußgeldbescheid lässt den Schuldvorwurf des Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG und die ihn tragenden Tatsachen eindeutig erkennen. Zwar sind dem Bußgeldbescheid keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform zu entnehmen. Dies steht der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung indessen nicht entgegen. Aus dem Umstand, dass der Regelsatz des Bußgeldkatalogs verhängt worden ist, ist vielmehr zu folgern, dass dem Bußgeldbescheid die Annahme einer fahrlässigen Tatbegehung zugrunde liegt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 26. November 2021 – 3 Ws (B) 288/21 -; vom 28. Oktober 2021 – 3 Ws (B) 259/21 -; vom 26. August 2020 – 3 Ws (B) 163/20 – und vom 6. März 2018 – 3 Ws (B) 73/18 -, beide juris).

b) Auch ist die Erklärung der Einspruchsbeschränkung wirksam.

Die von Amts wegen zu prüfende nach §§ 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG, 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Verteidigers zur Einspruchsbeschränkung lag vor (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19. Februar 2019 – III-5 RVs 23/19 -, juris; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 67 Rn. 36). Für die Ermächtigung ist keine bestimmte Form vorgeschrieben; sie kann in einer dem Verteidiger erteilten Vollmacht liegen (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., a.a.O.) oder auch konkludent erteilt werden (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 7 Rb 24 Ss 986/20 -, juris). Von einer konkludenten Ermächtigung des Verteidigers durch den Betroffenen in diesem Sinne ist bereits auszugehen, wenn der in der Hauptverhandlung anwesende Betroffene zu der Erklärung seines Verteidigers schweigt. In dem Schweigen ist eine Billigung der Erklärung des Verteidigers zu sehen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19. Februar 2019 a.a.O. und vom 13. Oktober 2009 – 3 Ss 422/09 -, juris).

Vorliegend hat Rechtsanwalt A, angestellt bei der Kanzlei „B Rechtsanwälte“, die Vertretung des Betroffenen angezeigt und Einspruch eingelegt, in den Hauptverhandlungsterminen ist Rechtsanwalt C erschienen, dem von dem ebenfalls bei der Kanzlei „B Rechtsanwälte“ angestellten Rechtsanwalt D eine Terminvollmacht ausgestellt worden ist. Eine Vollmacht ist zwar nicht zu den Akten gelangt, jedoch ist der Betroffene in beiden Hauptverhandlungsterminen am 14. September und 7. Dezember 2021 anwesend gewesen und hat sowohl bei der Einspruchsbeschränkung in dem Hauptverhandlungstermin vom 14. September 2021 als auch bei der Feststellung der erfolgten Einspruchsbeschränkung in dem Hauptverhandlungstermin vom 7. Dezember 2021 geschwiegen, worin eine konkludente Ermächtigung zu sehen ist…..“