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Längenzuschlag: Mit oder ohne Wartezeit? – Natürlich mit

Manche Probleme spielen in Rechtsprechung und Literatur eine Zeit lang eine – manchmal erhebliche – Rolle, dann sind sie aber auf einmal verschwunden. Es erinnert dann häufig nur später noch einmal ein Gerichtsbeschluss, dass es da mal eine (Streit)Frage gab. So ist es mit dem gebührenrechtlichen Problem der Berechnung der für den dem Pflichtverteidiger zustehenden Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungszeit (vgl. z.B. Nr. 4110 VV RVG).

Umstritten war u.a. die Frage, ab welchem Zeitpunkt gerechnet wird: Ab angesetzter Terminsstunde oder erst ab Aufruf der Sache. Je nachdem, ab wann man rechnet, können die für den Längenzuschlag erforderlichen fünf bzw. acht Stunden Hauptverhandlungszeit erreicht sein oder nicht.

Ganz h.M. in der Rspr. der OLG ist es, dass ab angesetzter Terminsstunde gerechnet wird, wenn der Pflichtverteidiger zu dem Zeitpunkt anwesend ist.

Dieses Gebührenproblem hat jetzt noch einmal das OLG Köln, Beschl. v. 27.03.2012 – 2 Ws 227/12 in Erinnerung gerufen. Er schließt sich der h.M. an, so dass nun nur noch das OLG Rostock und das OLG Saarbrücken a.A. sind. Und: Das OLG Köln, a.a.O., verweist auf unseren RVG-Kommentar. Liest man natürlich gern, denn (ein wenig) eitel ist man als Kommentator ja doch 🙂 :-).

Strafzumessung – Überseht die Einziehung nicht

 Wenn man die Rechtsprechung des BGH auswertet, fällt m.E. auf, dass Revisionen häufig einen (kleinen) Teilerfolg haben, nämlich im Hinblick auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen (§§ 73 ff. StGB). Das werden von den Landgerichten immer wieder Fehler gemacht, die insoweit zur Aufhebung oder ggf. sogar zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs führen. So z.B. der BGH, Beschl. v. 16.02.2012 – 3 StR 470/11, einem BtM-Verfahren, in dem das LG den von der Angeklagten  zum Transport von Drogen benutzten Pkw eingezogen hat. Dazu der BGH:

Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand; dies führt zur Aufhebung auch der Entscheidung über die Einziehung.

1. Die Einziehung des zur Tatbegehung gebrauchten Pkws der Angeklagten hat das Landgericht rechtlich zutreffend auf § 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB gestützt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 – 3 StR 189/04, NStZ 2005, 232). Eine Maßnahme nach dieser Vorschrift hat indes den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 74 Rn. 2 mwN). Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (BGH, Beschlüsse vom 27. September 2011 – 3 StR 296/11, NStZ-RR 2011, 370; vom 20. Juli 2011 – 5 StR 234/11, StV 2011, 726; vom 20. September 1988 – 5 StR 418/88, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 16; Urteil vom 12. Oktober 1993 – 1 StR 585/93, StV 1994, 76).

Dies hat das Landgericht nicht bedacht. Den Wert des Pkw hat es offen gelassen. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass das Landgericht, hätte es die oben dargelegten Grundsätze beachtet, die von der Angeklagten  verwirkten Einzelfreiheitsstrafen und damit auch die Gesamtstrafe milder bemessen hätte...“

All dies hat sich aber nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt…

Mit der Passage: „All dies hat sich aber nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.“ endet der BGH, Beschl. v. 13.10.2011 – 1 StR 407/11. Das bedeutet: Der BGH hat einen Rechtsfehler festgestellt, der sich aber auf die vom Angeklagten eingelegte Revision nicht auswirkt, da es ein Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten war. Das ist – so hier auch – bei Strafzumessungsfehlern nicht selten. Es ging hier um den Klassiker „U-Haft“. Dazu der BGH:

6. Die Strafkammer hält es im Rahmen der Strafzumessung für „positiv“, dass gegen den Angeklagten – mehrere Monate lang auch vollzogene – Untersuchungshaft angeordnet werden musste. Dieser offenbar als stets strafmildernd angesehene Gesichtspunkt falle hier „umso stärker“ ins Gewicht, als es dem erstmals inhaftierten Angeklagten aus nicht konkret genannten Gesundheitsgründen dabei „nicht gut ging“. Untersuchungshaft ist jedoch, jedenfalls bei Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – 2 StR 102/10, NStZ 2011, 100; Urteil vom 19. Dezember 2002 – 3 StR 401/02, NStZ-RR 2003, 110; zusammenfassend Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 434 jew. mwN). Erstmaliger Vollzug von Untersuchungshaft (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Dezember 1993 – 5 StR 683/93, NStZ 1994, 198; BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645) oder Krankheit während der Untersuchungshaft (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. November 1983 – 2 StR 717/83, StV 1984, 151 <Haftpsychose>) können allenfalls dann strafmildernd sein, wenn damit ungewöhnliche, über die üblichen deutlich hinausgehende Beschwernisse verbunden sind (zusammenfassend Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 72, 73 mwN). Allein der Hinweis auf ein eingeschränktes Wohlbefinden belegt dies nicht. All dies hat sich aber nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.“

Zuvor hat der Senat auch die Frage der Berücksichtigung „ausländerrechtlicher Folgen“ behandelt. Da war das Urteil nach seiner Ansicht aber ok.

PKH: Was hat die mit einer Geldstrafe zu tun?

Der Beschl. des 12. Zivilsenats des BGH v. 12.01.2011 – XII ZB 181/10 setzt sich auch mit strafrechtlichen Fragen auseinander, man staunt :-).

In der Sache ging es um die Angemessenheit der Berücksichtigung einer auf eine Geldstrafe zu zahlenden Rate bei der Einkommensermittlung gem. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO.  Der Senat sieht es grds. als nicht angemessen an,  die auf eine Geldstrafe zu zahlende Rate bei der Einkommensermittlung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen. Vielmehr verweist er den Verurteilten auf die StPO. Nach § 42 StGB i.V.m. § 459 a StPO könne der bedürftige Verurteilte bei einer – auch im Lichte der von ihm verwirkten Strafe – nicht mehr zumutbaren wirtschaftlichen Belastung eine entsprechende Zahlungserleichterung bei der Vollstreckungsbehörde erreichen. Damit sei sichergestellt, dass ihm der Zugang zu den Gerichten nicht versperrt wird. Ein ggf. steiniger Weg; z.T. wird die Frage in der Rechtsprechung auch anders gesehen.

Übrigens: wenn der Rechtsanwalt/Verteidiger dem Verurteilten bei der PKH „hilft“, sind das Tätigkeiten im Rahmen der Strafvollstreckung, für die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG anfallen.

Der BGH zum Quasi umgekehrten Doppelverwertungsverbot

Wir alle kennen das sog. Doppelverwertungverbot des § 46 Abs. 2 StGB, das verbietet, Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, (strafschärfend) zu berücksichtigen. Es gibt aber auch den quasi umgekehrten Fall, dass nämlich Umstände, die schon von Gesetzes wegen zu Gunsten des Angeklagten Berücksichtigen finden, nicht im Rahmen der Strafzumessung noch einmal bewertet werden dürfen. Dazu gehört die Länge der U-Haft.

Dazu hat der BGH im Urt. v. 19.05.2010 – 2 StR 102/10 – ausgeführt:

Die Strafkammer hat darüber hinaus fehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass er sich bereits länger als sechs Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Vollzug der Untersuchungshaft an sich darf jedoch nicht mildernd berücksichtigt werden (vgl. Senat BGH NJW 2006, 2645 m.w.N.; BGH 5 StR 456/08, insoweit in NStZ 2009, 202 nicht abgedr.). Dass der Täter in der zur Verhandlung anstehenden Sache Untersuchungshaft erlitten hat, ist bei der Verhängung der Freiheitsstrafe regelmäßig ohne Bedeutung, da die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird…“

Etwas anderes gilt natürlich, wenn zusätzliche, den Angeklagten besonders beschwerende Umstände im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft festzustellen sind/vorliegen.