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Der BGH und der unangemessene Rechtsmittelverzicht…

In der Nr. 142 Abs. 2 RiStBV heißt, dass der Angeklagte nicht veranlasst werden soll, „im unmittelbaren Anschluss an die Urteilsverkündung zu erklären, ob er auf Rechtsmittel verzichtet“. Nun steht es ähnlich auch in einem BGH-Beschluss, zwar nicht so wie in der RiStBV, aber bezogen auf eine „Vorstufe“, nämlich zur Rechtsmittelbelehrung. Im BGH-Beschl. v. 27.04.2010 – 5 StR 129/10 heißt es:

„Der Senat weist darauf hin, dass er einen Verzicht auf Rechtmittelbelehrung zwar nicht als unwirksam, aber im Allgemeinen kaum als angemessen erachtet.“

Mehr sagt der BGH dazu aber leider nicht. Die Praxis wird sich darauf einstellen müssen.

Das Schwätzchen zum Jahrestag :-), oder: Man lernt nie aus

Ich hatte ja gerade schon gepostet, dass ich mir zur Feier des Tages heute auch mal ein Schwätzchen erlaube.

Eingehen will ich auf eine schon etwas zurückliegende Begebenheit: Ich befand mich auf der Rückfahrt vom OLG Hamm nach Münster. Im Bereich einer „gefährdeten“ (= häufige Geschwindigkeitsüberwachungen) Stelle wird mal wieder kontrolliert. Ich denke nicht an die Gefahr und fahre zu schnell. Nicht viel, aber es reicht, um herausgewunken zu werden. Der Polizeibeamte verweist mich an seine beiden Kollegen, die in einem Bulli auf mich warten und gleich das Gespräch damit eröffnen: „Sie sind geblitzt worden, Sie waren zu schnell, kostet 20 €“. Na ja, geblitzt hatte es nicht, aber was soll es, dachte ich. Für 20 € machste kein Theater, zumal ich es eilig hatte. Ich habe also bezahlt, konnte mir dann aber beim Aussteigen es dennoch nicht verkneifen, Folgendes anzumerken:

Ich: „War jetzt für mich sehr lehrreich“.

PB 1: “ Ja, Sie fahren jetzt hier sicher nicht mehr zu schnell.“

Ich: „Nee, nicht deshalb, sondern ich frage mich, wann ich denn belehrt und angehört worden bin. Also §§ 55 OWi, 136 StPO“.

PB 2: „Hm, wie meinen Sie das denn?“

Ich:: „Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie mich über mein Schweigerecht belehrt haben“.

PB 1: Aber, wir haben Ihnen doch gesagt, dass Sie zu schnell gefahren sind.“

Ich: „Das dürfte kaum ausreichen..“

PB2: „Mal ne Frage: Was sind Sie denn von Beruf?“

Ich: „Richter am OLG. Und ich habe gerade gelernt, dass an dem, was man immer wieder in den Akten liest, dass nämlich nicht belehrt wird, doch wohl etwas dran ist.“

PB1 und PB2: Schweigen.

Ich: „Schönen Tag noch meine Herren. Man lernt eben nie aus.“

Die Krux mit den (teilweise vorgefertigten [?]) Hauptverhandlungsprotokollen

Ich kann, da ich ja nicht forensisch tätig bin, leider nicht so viel aus dem Gerichtsalltag beitragen wie andere Kollegen (vgl. z.B. hier der Kollege Nebgen zur Sitzordnung, ein m.E. alter Hut, der aber offenbar von den Gerichten doch immer wieder hervorgekramt wird). Da bin ich dann froh, wenn im Forum bei Heymanns Strafrecht sich mal das ein oder andere Thema anbietet, das man auch hier zur Diskussion stellen kann.

So gestern unter der Überschrift: „Hauptverhandlungsprotokoll/Sitzungsprotokoll“: Der Kollege schreibt:

Hallo, gegen meinen Mandanten wurde ein Ordnungsgeld festgesetzt, weil er in der Hauptverhandlung, in der er als Zeuge geladen war, nicht erschienen ist.

Zur Begründung meiner Beschwerde beantrage ich Akteneinsicht. Bei Durchsicht der Akte finde ich auch das bereits unterschriebene Sitzungsprotokoll der HV, zu der mein Mandant nicht erschienen war. Er war der einzig geladene, nicht anwesende Zeuge.

Im Protokoll heisst es dann wie folgt:

Als Zeuge war erschienen:

Zeuge A. Oldenburg nicht

Der/Die Zeuge/in und der/ die Sachverständige wurden mit dem Gegenstand der Untersuchung und der Person des Angeklagten bekannt gemacht.

Der/Die Zeugin wurde zur Wahrheit ermahnt und darauf hingewiesen, dass Zeugen ihre Aussage zu beeiden haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliege.

Hierauf folgte eine Belehrung über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung und die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage.

Ferner wurde darauf hingewiesen, dass der Eid sich auch auf die Beantwortung solcher Fragen beziehe, die Zeugen über ihre Person oder die sonst im § 68 StPO angeführten Umstände vorgelegt würden.

Der/Die Zeuge/in entfernte sich darauf aus dem Sitzungssaal.

Nun frage ich mich, wie man einen Zeugen belehren kann, der gar nicht da ist und wieso kann sich dieser sogar aus dem Sitzungssaal entfernen, bzw. sich sogar aus dem Sitzungssaal entfernen?!? 😕

Es kann doch nicht sein, dass hier Textbausteine verwendet werden, die nicht den Verlauf der Hauptverhandlung wiedergeben. 😕 Noch toller finde ich, dass in Oldenburg die Zeugen ihre Aussage generell zu beeiden haben, außer es liegen Ausnahmen vor.

Zur Beruhigung kann ich aber mitteilen, dass auch in Oldenburg nach der seit 2004 geltenden Rechtslage belehrt wird.

Ich frage mich nun aber, wie ich hiermit umgehen soll. Wenn im Protokoll schon alles eingetragen wird, kann ich doch nie beweisen, dass ein Formfehler vorgelegen hat. Die Vorgehensweise wird doch nicht den Anforderungen der §§ 271 ff StPO gerecht. Ich bitte um konstruktive Vorschläge. Amtsgerichtsdirektor anschreiben? Justizministerium anschreiben? Alles sein lassen, weil ich viel zu kritisch bin?

Wir haben ihm geraten, sich vielleicht doch mal an das JM zu wenden. Die Krux ist, dass bei den Hauptverhandlungsprotokollen Formulare verwendet werden, in denen vieles voreingetragen ist. So z.B. auch, dass dem Verteidiger jeweils nach einer Beweisaufnahme jeweils das Erklärungsrecht aus § 257 StPO eingeräumt worden ist. Ich „bezweifle“, dass das geschieht :-).  Gegen diese Protokolle ist dann auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH nicht bzw. nur sehr schwer anzukommen.

Neue (Belehrungs)Pflichten in den §§ 114b ff. StPO: Was passiert, wenn sie nicht beachtet werden?

Gestern am 01.01.2010 sind ja nun die Neuerungen im U-Haft-Recht in Kraft getreten. Schön, aber auch gut? Wenn man sich nur mal die neuen Belehrungspflichten in § 114b StPO ansieht, dann weiß man doch gleich, was droht: Neue Probleme. Belehrt werden muss schriftlich und in einer für den Beschuldigten verständlichen Sprache. Ich stelle mir das Szenario in Großstädten vor. Hat die Polizei demnächst kleine (?) Diplomatenköfferchen bei sich, in denen die Belehrungsformulare in den gängigsten Sprachen vorgehalten werden? Und was ist, wenn nicht belehrt wird, der Beschuldigte Angaben macht. Entsteht ein Beweisverwertungsverbot? Bei der Rechtsprechung des BGH zu diesen Fragen, kann man wohl mit einem klaren: Nein, antworten, bzw. es wird abgewogen werden. Und: Was ist, wenn belehrt wird, dann aber später ein Fehler vor der ersten Vernehmung gemacht wird (§ 136 StPO). Kann man dann dem Beschuldigten entgegenhalten, er habe ja aus der ihm gem. § 114b StPO zuteil gewordenen Belehrung gewusst, dass er den Mund halten kann. Fragen über Fragen, mit denen sich die Rechtsprechung in den nächsten Jahren sicherlich auseinander setzen wird/muss.

Europaweite Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren

Das BMJ „meldet“: Der Rat der Europäischen Union (Formation: Justiz und Inneres) hat sich am 23.10.2009 auf einen Fahrplan geeinigt, mit dem europaweit Mindeststandards für Beschuldigtenrechte in Strafverfahren eingeführt werden sollen. Zugleich haben die Justizminister und -ministerinnen sich politisch auf einen Rahmenbeschluss geeinigt, der das Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung in Strafverfahren garantiert. In der PM des BMJ heißt es:

„Auf europäischer Ebene stand bei der strafrechtlichen Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren vor allem die Optimierung der Ermittlungstätigkeit durch Verbesserung staatlicher Eingriffsrechte sowie die Sicherung des Verfahrens und seiner Ergebnisse im Vordergrund. Grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit auf Basis gegenseitiger Anerkennung setzt aber nicht zuletzt Vertrauen in die Rechtssysteme der anderen Mitliedstaaten voraus.

(Ex-; Ergänzung vom Verfasser)Bundesjustizministerin Brigitte Zypries machte deutlich, dass Grundlage dieses Vertrauens gemeinsame Mindestgarantien seien, die den Bürgerinnen und Bürgern Europas die Gewissheit geben, dass in allen Mitgliedstaaten die gleichen hohen rechtlichen Standards gelten. Deshalb sei es notwendig, dass die Europäische Union mit denselben rechtlichen Instrumenten, mit denen sie Eingriffsbefugnisse regele, auch die Schutzrechte der Betroffenen festlege. Dabei könne die Frage, welche Rechte man in einem Strafverfahren habe, für jede und jeden ganz schnell sehr konkrete praktische Bedeutung erlangen, unterstrich die Ministerin weiter. Bisher gab es je nach Mitgliedstaat Unterschiede, wie mit Verdächtigen oder Beschuldigten umgegangen wurde, die die Sprache des Mitgliedstaats nicht oder nur unzureichend sprechen. Zukünftig werden die Bürgerinnen und Bürger in Europa darauf vertrauen können, in allen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Mindestmaß an Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen gewährleistet zu bekommen, erläuterte Zypries abschließend.

Die Regelungen des am 23.10.2009 getroffenen Rahmenbeschlusses Übersetzung und Verdolmetschung sehen EU-einheitliche Mindeststandards für die Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren vor. Um eigene Rechte wahrnehmen und sich sachgerecht verteidigen zu können, muss man in der Lage sein zu verstehen, mit welchen Vorwürfen und Maßnahmen man konfrontiert wird. Zudem muss man sich verständlich machen und die eigene Sicht der Dinge schildern können. Damit dies möglich ist, verpflichten sich die Mitgliedstaaten, zukünftig bei allen Vernehmungen, z. B. auf der Polizeiwache oder vor einem Staatsanwalt oder Richter, einen Dolmetscher auf Kosten des Staates zur Verfügung zu stellen; auch entsprechende Verteidigergespräche werden gedolmetscht. Darüber hinaus erhält der Beschuldigte eine Übersetzung der wesentlichen Unterlagen, wie z. B. des Haftbefehls oder der Anklageschrift.

Deutschland hatte bereits während seiner Ratspräsidentschaft 2007 den Vorstoß unternommen, europaweit Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren einzuführen. Damals waren die Bemühungen für einen umfassenden Rahmenbeschluss noch an wenigen Mitgliedsstaaten gescheitert. Auf Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft ist es nun im Rat der Europäischen Union (Formation: Justiz und Inneres) gelungen, sich auf eine schrittweise Einführung EU-weiter Mindestgarantien in Strafverfahren zu verständigen. Zur stufenweisen Implementierung von Einzelmaßnahmen hat der Rat einen Fahrplan beschlossen. Dieser Fahrplan trifft politische Festlegungen und legt folgende konkrete Bereiche für die europaweite Vereinheitlichung und Verbesserung von Rechten fest:

Übersetzung und Dolmetschung,

Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung,

Rechtsbeistand und die Prozesskostenhilfe,

die Benachrichtigung von Verwandten, dem Arbeitgeber und Konsularbehörden,

besondere Schutzmaßnahmen für Beschuldigte, die z. B. aufgrund von Erkrankung einer besonderen Fürsorge bedürfen sowie

Diskussionspapier („Grünbuch“) zur Untersuchungshaft.

Für die ebenfalls im Fahrplan vorgesehene Maßnahme der Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung hat das Bundesministerium der Justiz ein Forschungsprojekt zur europaweiten Einführung einer einheitlichen schriftlichen Beschuldigtenbelehrung („Letter of Rights“) in Auftrag gegeben, das von der Europäischen Kommission gefördert und wissenschaftlich von der Universität Maastricht geleitet wird. Die Ergebnisse dieser Studie, die für das Jahr 2010 zu erwarten sind, sollen zügig zu einer EU-weiten Verständigung über die Notwendigkeit und die Inhalte eines solchen Informationsblattes führen. Deutschland wird auch die folgenden Präsidentschaften dabei unterstützen, weitere Verfahrensrechte europaweit zu verankern.

Der Rahmenbeschluss wird durch eine Entschließung des Rates begleitet, die Qualitätsstandards für die Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen festschreibt. Ein hohes Niveau auf diesem Gebiet ist unerlässlich, damit das Recht auf Übersetzung und Dolmetschung in Strafverfahren zugunsten von Beschuldigten seine volle Wirkung entfalten kann und der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, seine Verteidigungsrechte effektiv ausüben zu können.“

Na, da darf man gespannt sein, was Schwarz/Gelb daraus macht.