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Berufung I: Unpünktliches Erscheinen in Berufungs-HV, oder: Verspätungsmitteilung in der „Wartezeit“

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In die 19. KW starte ich dann heute mit zwei Entscheidungen das BayObLG aus dem Berufungsverfahren, also StPO.

Zunächst hier der BayObLG, Beschl. v. 11.01.2024 – 203 StRR 3/24 – zum Klassiker Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO – hier Verwerfung trotz Mitteilung der Verspätung innerhalb der sog. Wartezeit.

Das BayObLG hat die Verwerfungsentscheidung des LG aufgehoben, der Sachverhakt ergibt sich aus dem Beschluss:

„Die Revision ist zulässig und begründet. Sie dringt mit der zulässig erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge durch, das Landgericht Nürnberg-Fürth habe die Voraussetzungen für die Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zu Unrecht angenommen.

1. Ist bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so hat das Gericht nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen. Die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung ohne Verhandlung zur Sache beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiter verfolgt wissen will, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet. Sie dient dem Zweck, den Beschwerdeführer daran zu hindern, die Sachentscheidung über seine Berufung dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht. Es ist allerdings nicht der Sinn der Vorschrift, bloße Nachlässigkeit zu bestrafen, die einem zur Mitwirkung am Verfahren bereiten Angeklagten bei der Erfüllung seiner Pflicht zum pünktlichen Erscheinen unterlaufen ist (st. Rspr., vgl. bereits BayObLG, Beschluss vom 15. Juli 1988 – RReg 1 St 90/88 –, juris Rn. 5 und 8).

2. Daraus folgt, dass das Berufungsgericht nicht schon dann, wenn der Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung nicht pünktlich erscheint, die Berufung ohne weiteres sofort verwerfen darf. Vielmehr ist der Tatrichter nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens und der hieraus abzuleitenden Fürsorgepflicht gehalten, regelmäßig mindestens 15 Minuten zuzuwarten, bevor er die Berufung wegen Ausbleibens des Angeklagten verwirft (st. Rspr., vgl. MüKoStPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 22; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 329 Rn. 2, 13; OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – 1 St OLG Ss 160/09, BeckRS 2010,2715; BayObLG a.a.O.). Unter besonderen Umständen hat er jedoch auch über 15 Minuten hinaus zu warten (MüKoStPO/Quentin a.a.O. Rn. 22; Paul a.a.O. Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 13; BeckOK StPO/Eschelbach, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 329 Rn. 17; BayObLG a.a.O.). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Gericht innerhalb der regelmäßigen Wartezeit mitgeteilt wird, dass sich der Angeklagte verspäten, aber noch innerhalb angemessener Zeit erscheinen werde (st. Rspr., vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. November 2021 – 1 Ws 425/21 –, juris; OLG Zweibrücken Beschluss vom 24. Oktober 2016 – 1 Ss 74/16, BeckRS 2016, 21235; KG Berlin, Beschluss vom 30. April 2013 – (4) 161 Ss 89/13 (86/13) –, juris Rn. 4; OLG Jena Beschluss vom 18. September 2012 – 1 Ss 71/12, BeckRS 2013, 14470; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 7. März 2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11) –, juris; OLG München, Beschluss vom 5. Juli 2007 – 4St RR 122/07 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 1997 – 2 Ws 165/97 –, juris; BayObLG a.a.O.). Wie lange die Fürsorgepflicht ein Zuwarten gebietet, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der dem Tatrichter zugänglichen Informationen bestimmen.

3. Im vorliegenden Fall hat die Verteidigerin laut der Niederschrift der auf 10.30 Uhr anberaumten Hauptverhandlung gegen 10.40 Uhr, also noch innerhalb der regelmäßigen Wartepflicht, nach telefonischer Rücksprache mit dem Angeklagten mitgeteilt, dass sich der Angeklagte in spätestens 10 Minuten bei Gericht einfinden würde. Gegen 10.52 Uhr hat die Verteidigerin nach erneuter telefonischer Kontaktaufnahme mit dem Angeklagten mitgeteilt, dass sich dieser jetzt an der Maximilianstraße – und damit in unmittelbarer Gerichtsnähe – befände. Gleichwohl hat die Strafkammer um 11.00 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte unentschuldigt nicht erschienen sei und sodann das Verwerfungsurteil verkündet. Der Angeklagte ist nach dem Protokoll um 11.01 Uhr erschienen. Nach dem Vortrag der Revision war die Verkündung des Urteils zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen.

4. Angesichts dessen hat die Strafkammer ungeachtet eines den Angeklagten an der Verspätung treffenden Verschuldens die Grundsätze des fairen Verfahrens und insbesondere die richterliche Fürsorgepflicht verletzt. Nach den Auskünften der Verteidigerin war hinreichend verlässlich zu erwarten, dass der Angeklagte innerhalb kurzer Zeit im Verhandlungssaal erscheinen werde. Besondere Gründe, die ein weiteres Zuwarten hier nicht mehr gerechtfertigt hätten, hat die Strafkammer im Urteil nicht festgestellt….“

KCanG II: Wegwerfen von Cannabis auf der Flucht, oder: Das ist jetzt „sonstiges Inverkehrbringen“

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Und als zweite Entscheidung zum neuen KCanG etwas aus Bayern, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 08.04.2024 -203 StRR 39/24. Entscheidungen aus Bayern werden sicherlich besonders interessant sein, wenn man sieht, wie dort die Neuregelung „umgesetzt“ werden wird.

Hier geht es jetzt um eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln durch AG und LG. Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung und die die ergangene Einziehungsentscheidung dann Revision eingelegt. Die hatte mit der Sachrüge einen Teilerfolg, das BayObLG hat den Schuldspruch neu gefasst und den Rechtsfolgenausspruch und die Einziehungsentscheidung aufgehoben:

„a) Das Tatgericht hat – soweit für die Begründung der Revisionsentscheidung von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Am 17. September 2022 gegen 23.00 Uhr führte der Angeklagte ohne die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis im Stadtgebiet von Weiden i.d.Opf. insgesamt 11,19 Gramm Marihuana wissentlich bei sich. Ein Teil der Betäubungsmittel war zur Übergabe an den Zeugen C. bestimmt. Als der Angeklagte auf dem Weg zum Zeugen bemerkte, dass er zwei Polizeibeamten aufgefallen war, flüchtete er und warf die Betäubungsmittel während der Flucht mit dem Fahrrad vor einem Hauseingang auf dem Boden, wo das Rauschmittel kurz darauf von den Polizeibeamten sichergestellt wurde. Wann und wie der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen ist, hat die Strafkammer nicht feststellen können.

b) Nach der gesetzlichen Neuregelung, die zum 1. April 2024 in Kraft getreten ist, ist zwar alleine der Besitz von bis zu 30 Gramm Konsumcannabis außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht mehr strafbar, auch wenn das Betäubungsmittel wie hier nicht ausschließlich für den Eigenkonsum besessen wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 1a des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG, BGBl I Nr. 109 vom 27. März 2024). Entsprechendes gilt nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 lit a KCanG für den Erwerb oder die Entgegennahme einer Menge von bis zu 25 Gramm. Die sich zugunsten des Angeklagten auswirkende Gesetzesänderung ist nach § 354a StPO und § 2 Abs. 3 StGB in der Revision zu beachten.

c) Die Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen versuchter Abgabe von Konsumcannabis. Denn die Grenze zum Versuchsstadium war hier noch nicht überschritten. Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – 5 StR 15/20-, juris Rn. 4, und Beschluss vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19-, juris jeweils mwN). Bezüglich des Tatbestands der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln wird die Schwelle zum Versuchsbeginn erst überschritten, wenn der Täter unmittelbar zur Überlassung der Betäubungsmittel ansetzt (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl. 2022, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 812 zum Veräußern nach § 29 BtMG; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 1126, 1078 zur Abgabe nach § 29 BtMG). Danach reicht der Transport der abzugebenden Betäubungsmittel zur Übergabe noch nicht aus, vielmehr liegt darin eine straflose Vorbereitungshandlung (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 30. April 1993 – 4St RR 59/93 –, juris; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl. 2022, BtMG § 29 Rn. 856 zur Abgabe nach § 29 BtMG).

d) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte jedoch wegen des versuchten unerlaubten sonstigen Inverkehrbringens von Konsumcannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht.

aa) Die neue gesetzliche Bestimmung kann bezüglich des Umgangs mit Konsumcannabis als Nachfolgeregelung von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG angesehen werden, ohne dass ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot zu besorgen wäre. Das Wesen des vormals in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 1, 3 BtMG und Anlage I a.F. zu BtMG beschriebenen und nach Abs. 2 auch als Versuch strafbaren Delikts des unerlaubten Inverkehrbringens von Cannabis als ein dem Betäubungsmittelgesetz unterfallendes Rauschmittel ist in seinem Kern auch nach der gesetzlichen Ausgestaltung der Neuregelung unberührt geblieben. Ein Fall, dass der Gesetzgeber durch die völlige Umgestaltung einer Strafvorschrift zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht mehr das bisher verpönte, sondern ein ganz anders geartetes Verhalten als Unrecht betrachtet, mit der Folge, dass die Straftatbestände des alten und des neuen Gesetzes nicht mehr zueinander in Beziehung gesetzt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 1975 – GSSt 1/75 –, BGHSt 26, 167, juris Rn. 14), liegt hier nicht vor. Die Kontinuität des Unrechtstyps ist auch im Rahmen der Neuregelung gewahrt, der Tatvorwurf ist im wesentlichen derselbe geblieben, so dass kein tiefgreifender Wesensunterschied zwischen der alten und der neuen Vorschrift festgestellt werden kann, mit der Folge, dass der Täter, der den neuen Straftatbestand erfüllt, wegen der Straftat verurteilt werden kann (vgl. BGH a.a.O.).

bb) Für den Anwendungsbereich des BtMG ist anerkannt, dass der Auffangtatbestand des sonstigen Inverkehrbringens nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG jedes, gleichwie geartete Eröffnen der Möglichkeit umfasst, dass ein anderer die tatsächliche Verfügung über den Stoff erlangt und ihn nach eigener Entschließung verwenden kann, also jede Verursachung eines Wechsels der Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel durch einen anderen (KG Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2022 – (2) 161 Ss 52/22 (15/22) –, juris; BayObLG BayObLGSt 1960, 182 zu OpG; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 867; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1157; Barrot in BeckOK BtMG, 22. Ed. 15.03.2024, BtMG § 29 Rn. 377). Wirft jemand – auch anlässlich einer Polizeikontrolle – Betäubungsmittel in einer Weise weg, welche die Gefahr begründet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden, konsumieren oder weitergeben, war dieses Verhalten nach der bisher geltenden Rechtslage von der Strafvorschrift von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG als sonstiges Inverkehrbringen umfasst (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 6; OLG Zweibrücken, Urteil vom 5. März 1986 – 2 Ss 320/85-, NStZ 1986, 558; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 871; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1170; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378). Die Tat ist erst vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt. Finden diese die Drogen nicht, so bleibt es beim Versuch (OLG Zweibrücken a.a.O.; KG a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 880, 881; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 387, 388; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1172 ff.).

cc) Diese Grundsätze sind auf die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG entsprechend zu übertragen. Denn in der Neuregelung des Umgangs mit Konsumcannabis wurden die Strafvorschriften aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit an das Betäubungsmittelstrafrecht angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/10426 S. 128). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auch – weiterhin – die Dereliktion von Konsumcannabis der Strafbarkeit unterfallen (vgl. BT-Drucks. a.a.O. S. 128 f., S. 136 f.). Die Vorschrift von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst damit auch das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum.

dd) In subjektiver Hinsicht setzt ein (bedingt) vorsätzliches Inverkehrbringen voraus, dass der Täter dabei zumindest billigend in Kauf nimmt, dass seine weggeworfenen Betäubungsmittel aufgefunden und genutzt werden (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 7; OLG Zweibrücken a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 875; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 385 jeweils zu § 29 BtMG).

ee) Da nach den Feststellungen des Landgerichts angesichts der konkreten Umstände der Tat damit zu rechnen war, dass das Cannabis nach dem Wegwerfen in die Verfügungsgewalt von konsum- oder abgabebereiten Dritten gelangte, gleichwohl das Marihuana zeitnah von der Polizei sichergestellt wurde, hat sich der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig gemacht. Dies gilt auch, falls der Angeklagte, als er sich des Marihuanas entledigte, hoffte, es nach der Kontrolle selbst wieder an sich nehmen zu können. Ein zielloses Handeln schließt ein Inverkehrbringen nicht aus (Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378).

e) Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Das Wegwerfen der Betäubungsmittel hat der Angeklagte im übrigen eingeräumt.

3. Der Strafausspruch unterliegt der Aufhebung, nachdem der Strafrahmen für den unerlaubten Umgang mit Konsumcannabis nunmehr in § 34 Abs. 1 KCanG herabgesetzt und die Tat – unfreiwillig – nicht vollendet worden ist. Auch die Einziehungsentscheidung kann nicht bestehen bleiben (§ 2 Abs. 5 StGB). Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Konsumcannabis steht nach § 37 S. 1 KCanG im Ermessen des Gerichts. Abweichend zur früheren Rechtslage sind fehlende Ausführungen des Tatrichters zur Ermessensausübung bei der Einziehung von sichergestelltem Konsumcannabis mit Blick auf die Regelung von § 3 KCanG nicht mehr unschädlich.“

StGB I: BayObLG reichen die Urteilgründe nicht, oder: Verkehrsgefährdung, Unfallflucht, Trunkenheitsfahrt

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Und dann heute StGB-Entscheidungen, und zwar aus der Instanz. Es kommen zwei OLG-Entscheidungen und ein AG-Urteil.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 27.11.2023 – 203 StRR 381/23. Der nimmt noch einmal zur Straßenverkehrsgefährdung, dem unerlaubten Entfernen und der Trunkenheitsfahrt Stellung. Das BayObLG rügt zu knappe Feststellungen des AG.

Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze zu der Entscheidung, da die Entscheidung letztlich nur die vorliegende Rechtsprechung bestätigt, und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

    1. Eine Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung – auch in der Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeitskombination des § 315c Abs. 3 Nr. 2; Abs. 1 Nr. 1a StGB – setzt im Falle einer Gefährdung von Sachwerten Feststellungen dazu voraus, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt und, falls ja, ob der gefährdeten Sache auch ein bedeutender Schaden gedroht hat.
    2. Der Vorsatz des Täters nach § 142 StGB muss sich darauf beziehen, dass ein Unfall stattgefunden hat und dass der Schaden nicht ganz unerheblich war.
    3. Setzt der alkoholisierte Täter nach einem Streifvorgang seine Fahrt ohne Unterbrechung fort, bedarf eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr tatsachenfundierter Feststellungen zum Bemerken des Streifvorgangs und zum Vorstellungsbild bezüglich des Umfangs des Schadens und der Fahrtüchtigkeit.

Wegen der Ausführungen des BayObLG zur Verfahrensrüge komme ich dann demnächst noch einmal auf die Entscheidung zurück.

Berufung II: Berufungsverwerfung wegen Ausbleibens, oder: (Kein) ausgewiesener/abgeschobener Angeklagter

entnommen wikimedia.org

Und die zweite Entscheidung zur Berufung kommt dann auch aus Byern. In dem BayObLG, Beschl. v. 28.12.2023 -204 StRR 548/23 – nimmt das BayObLG zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO Stellung.

Das AG hat den Angeklagten, einen kosovarischen Staatsangehörigen, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das LG im Hauptverhandlungstermin am 14.06.2023 ohne Verhandlung zur Sache verworfen, da der Angeklagte ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht durch einen mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden sei. Das LG führt aus, dass die dem Angeklagten im Rechtshilfeweg am 26.04.2023 ordnungsgemäß zugestellte Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 14.06.2023 mit dem Hinweis versehen war, dass der Angeklagte mit der gerichtlichen Ladung bei der Deutschen Botschaft ein Visum für die Einreise zur Wahrnehmung der Berufungshauptverhandlung beantragen und erhalten könne. Die Bearbeitungs- und Versandzeit für das Visum betrage nach den Bekanntmachungen auf der Homepage der Deutschen Botschaft in Pristina aktuell bis zu drei Wochen ab Antragstellung. Der Angeklagte hätte also genügend Zeit (sieben Wochen) gehabt, ein Visum zu beschaffen.

Dagegen die Revision, die das BayObLG verworfen hat. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze ein, da die Bayern – wie gehabt – sehr umfangreich begründet haben:

    1. Wird mit der Revision gegen ein gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass ein Angeklagter nicht genügend entschuldigt gewesen sei und dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren, setzt die Überprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Wertung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus. An die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung des § 329 StPO dürfen allerdings keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Es kann der Vortrag genügen, dass sich der Angeklagte bereits vor Erlass des Verwerfungsurteils auf die von ihm geltend gemachten Entschuldigungsgründe berufen habe.
    2. Dem Senat obliegt im Revisionsverfahren die Prüfung, ob das Landgericht den Rechtsbegriff der „genügenden Entschuldigung“ i.S.d. § 329 Abs. 1 StPO zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt und gewürdigt hat. Das Ausbleiben eines Angeklagten ist entschuldigt, wenn ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann.
    3. Einem Angehörigen der Republik Kosovo, der aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht ausgewiesen oder abgeschoben worden war, ist es zumutbar, zur Wahrnehmung eines Hauptverhandlungstermins bei der zuständigen Deutschen Botschaft ein Visum zu beantragen.
    4. Dagegen ist das Ausbleiben eines Angeklagten, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, genügend entschuldigt, da dieser sich strafbar machen würde, wenn er erneut in das Bundesgebiet einreist und ihm zuvor keine Ausnahmeerlaubnis zur Wiedereinreise erteilt worden ist. In diesem Fall ist es Sache der Strafverfolgungsbehörden, in Absprache mit der Verwaltungsbehörde zu klären, ob der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs oder dem öffentlichen Interesse an einem Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bundesgebietes der Vorrang einzuräumen ist.
    5. Die unter Ziffer IV. dargestellte Rechtslage ist auf die Fallkonstellationen gemäß Ziffer III. nicht übertragbar.

Ist m.E. wohl zutreffend. Allerdings frage ich mich mal wieder, warum man als „offensichtlich unbegründet“, dann aber aus rund 11 Seiten die Verwerfung begründet. Aber richtig ist es, und zwar allein schon deshalb, weil unser Handbuch zitiert wird. Wenn die „schlauen Bayern“ da nachschauen, kann es so schlecht nicht sei. Und ja <<Werbemodus an>>: Das kann man hier bestellen.

Berufung I: Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, oder: Konkludente Zustimmungserklärung

Daumen

Heute gibt es dann StPO-Entscheidungen. Alle drei Entscheidungen stammen von OLG und alle drei behandeln Fragen in Zusammenhang mit der Berufung.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 01.12.2023 – 204 StRR 527/23. Der Beschluss enthält nichts wesentlich Neues, fasst aber die Fragen betreffend Berufungsbeschränkung noch einmal schon zusammen. Hier reichen daher die Leitsätze:

1. Die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung ist von Amts wegen zu prüfen; der Erhebung einer Verfahrensrüge bedarf es nicht.

2. Nach § 303 StPO kann die Zurücknahme des Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Rechtsmittelgegners erfolgen; gleiches gilt für eine Rechtsmittelbeschränkung. Diese Zustimmungserklärung kann auch konkludent abgegeben werden.

3.  Eine zulässige Berufungsbeschränkung – hier auf den Rechtsfolgenausspruch – setzt zunächst voraus, dass der nach dem Willen des Rechtsmittelführers neu zu verhandelnde Entscheidungsteil losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann, und erfordert sodann, dass der nicht angegriffene Teil der Vorentscheidung so festgestellt und bewertet ist, dass er – unabänderlich und damit bindend geworden – eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung des Berufungsgerichts zu bieten vermag.

4. Hat das Amtsgericht einen Sachverhalt festgestellt, der eine Verurteilung nach § 241 Abs. 1 StGB trägt und den Schuldumfang ausreichend erkennen lässt, ist es dem Berufungsgericht deshalb verwehrt, zum Nachteil des Angeklagten ergänzende Feststellungen zu § 241 Abs. 2 StGB zu treffen.

5. Bei dem Tatvorwurf eines vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG ist – ebenso wie bei dem Tatvorwurf einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs.1 und 2 StGB – die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam, wenn das angegriffene Urteil Feststellungen zu Tatzeit und Tatort, zu dem verwendeten Kraftfahrzeug sowie zum Fehlen der erforderlichen Fahrerlaubnis und zu einem wissentlichen Handeln des Angeklagten enthält; zu Dauer, (beabsichtigter) Länge und sonstigen Gegebenheiten der Fahrt, zu den Motiven der Tat und zu den Umständen der Alkoholaufnahme können dagegen ergänzende Feststellungen getroffen werden, sofern sie zu den bereits getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen.

6. Hat das Gericht zur Schuldfähigkeitsbeurteilung und zur Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung ein Sachverständigengutachten erholt, muss es die wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergegeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist.

7. Zur Prüfungsreihenfolge bezüglich der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB.

Aus den Beschlussgründen greife ich nur die Ausführungen zur Zustimmung (oben Leitsatz 2) heraus. Dazu führt das BayObLG aus:

„2. Eine wirksame Erklärung der Berufungsbeschränkung liegt vor.

Nach § 303 StPO kann die Zurücknahme des Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Rechtsmittelgegners erfolgen. Die Vorschrift gilt auch für die Rechtsmittelbeschränkung (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 303 Rn. 1 m. w. N.). Vorliegend hatte die Hauptverhandlung bereits begonnen (§§ 324 Abs. 1, 243 Abs. 1 StPO), als der Angeklagte und der Verteidiger die Rechtsmittelbeschränkung erklärten.

Das Protokoll verhält sich zu einer Zustimmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft nicht. Dadurch wird indes nur bewiesen, dass dieser keine ausdrückliche Zustimmung erklärt hat (vgl. insoweit OLG Hamm, Beschluss vom 13.10.2009 – 3 Ss 422/09 –, juris Rn. 10; KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 303 Rn. 4).

Da die Zustimmungserklärung aber formfrei ist, kann sie auch konkludent abgegeben werden, was insbesondere dann nahe liegt, wenn dem Rechtsmittelgegner (in den entschiedenen Fällen: dem Angeklagten) durch die Rücknahme nur Vorteile erwachsen (OLG Hamm, NJW 1969, 151) bzw. sicher ist, dass der Rechtsmittelgegner die Beschränkung/Rücknahme zur Kenntnis genommen hat, ihm Bedeutung und Tragweite bewusst sind und sein weiteres Prozessverhalten keine Anhaltspunkte dafür bietet, dass er mit der Beschränkung nicht einverstanden sein könnte (OLG Düsseldorf, MDR 1976, 1040, 1041; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.02.1990 – 3 Ss 562/89 –, juris Rn. 7). Ob eine konkludente Zustimmung zur (teilweisen) Rechtsmittelrücknahme (Rechtsmittelbeschränkung) erteilt wurde, ist gegebenenfalls im Freibeweisverfahren aufzuklären (OLG Hamm, NJW 1969, 151; OLG Hamm, Beschluss vom 13.10.2009 – 3 Ss 422/09 –, juris Rn. 11; KK-StPO/Paul, a. a. O., § 303 Rn. 4).

Vorliegend ist hier darauf abzustellen, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nach der Rechtsmittelbeschränkung durch den Angeklagten und seinen Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung auf die Vernehmung der zur Sachverhaltsaufklärung geladenen und anwesenden Zeugen verzichtete. Im Schlussvortrag sowohl des Verteidigers als auch des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft wurden nur Anträge zu den Rechtsfolgen gestellt. Insoweit ist von einer konkludenten Zustimmung des Rechtsmittelgegners, hier der Staatsanwaltschaft, zu einer Teilrücknahme des Rechtsmittels auszugehen.